"Klimagasausstoß von etwa 42.000 Pkw"

Markus Keller im Gespräch mit Frank Meyer |
Wenn jeder Deutsche zu Weihnachten ein Stück Schweinbraten isst, "dann haben wir insgesamt eine Klimagasbelastung von der Jahresleistung von 42.000 Mittelklasse-Pkw", sagt der Wissenschaftler Markus Keller. Nicht nur aus diesem Grund empfiehlt er eine vegetarische Ernährung.
Frank Meyer: Am 3. Januar wird ein Buch der Autorin Karen Duve erscheinen mit dem Titel "Anständig essen". Was heißt das heute, anständig, also moralisch vertretbar essen? Im Sommer gab es schon einmal eine Debatte darüber, ausgelöst von einem anderen Buch, der Titel "Tiere essen" von dem amerikanischen Schriftsteller Jonathan Safran Foer. Ist es anständig, Tiere zu essen, gehört das zu unserer biologischen Grundausstattung als Allesfresser, oder sollten wir das langsam hinter uns lassen, diese luxuriöse Angewohnheit, Fleisch zu essen? Das wollen wir besprechen mit dem Ernährungswissenschaftler und überzeugten Vegetarier Markus Keller, Herr Keller, seien Sie herzlich willkommen!

Markus Keller: Schönen guten Tag!

Meyer: Herr Keller, das Fleischessen in Zeiten des Klimawandels ist auch eine ökologische Frage. Können Sie uns sagen, wie viel Klimagase denn in so einem ordentlichen Gänsebraten stecken, wie wir ihn zu Weihnachten gerne essen, jedenfalls als Nichtvegetarier?

Keller: Ja, also das ist doch einiges, was da drinsteckt. Ich habe Ihnen das jetzt mal nicht für den Gänsebraten – es liegt in einem ähnlichen Bereich –, aber für den Schweinebraten mal berechnet, weil eben Schweinefleisch auch die Fleischart ist, die in Deutschland am häufigsten gegessen wird. Wenn wir jetzt einfach mal überschlagen würden, dass jeder Deutsche, jede Deutsche an Weihnachten einen Teil des Schweinebratens isst, dann haben wir insgesamt eine Klimagasbelastung von der Jahresleistung von 42.000 Mittelklasse-Pkw.

Jeder isst einen Weihnachtsbraten mit einem Anteil von etwa 250 Gramm Fleisch, also ich habe mir einfach mal ein paar Rezepte angeschaut, da ist ein Kilo Fleisch für vier Personen gerechnet, dann entspricht das dem Klimagasausstoß von etwa 42.000 Pkw, die ein Jahr durch die Straßen fahren, mit jeweils 12.000 Kilometern.

Meyer: Das ist eine Menge Klimagas natürlich, aber andererseits, wenn man sich mal zum Vergleich vielleicht anschaut, die Millionen Tonnen CO2 aus Kraftwerken, aus Stahlwerken, auch sonst aus dem Verkehr – fällt da das Kohlendioxid aus unserem Essen überhaupt noch ins Gewicht?

Keller: Ja, absolut. Es ist ja nicht nur das Kohlendioxid, das sind auch andere Klimagase wie eben das Methan oder auch das Lachgas. Wenn wir uns das weltweit anschauen, die FAO hat in einer Studie errechnet, dass …

Meyer: Die FAO ist die Welternährungsorganisation.

Keller: … richtig, genau, hat errechnet, dass der Anteil der Viehhaltung an den anthropogenen Treibhausgasemissionen etwa 18 Prozent beträgt, und das ist mehr als der weltweite Verkehrssektor, also alle Autos, Flugzeuge, Schiffe, Züge und so weiter zusammengerechnet. Schauen wir uns das jetzt auf Haushaltsebene an, dann sehen wir, dass dort etwa 20 Prozent der Klimagase im Bereich der Ernährung entstehen.

Meyer: Wie ist das eigentlich bei den Deutschen mit dem Fleischverzehr? Also wir haben eine Schnittmenge, ungefähr 60 Kilo Fleisch essen die Deutschen im Jahr. Nach einem Bericht des Magazins "Focus" haben die Deutschen Ende der 80er-Jahre sogar 100 Kilo pro Jahr gegessen. Also wir schränken uns im Prinzip schon ein, jedenfalls verglichen mit den 80er-Jahren?

Keller: Ja, also Mitte der 80er-Jahre gab es tatsächlich so ein Maximum, aber bis heute ist der Konsum eben gesunken auf etwa diese 60 Kilo, etwas über 60 Kilo, ist leicht sinkend bis stagnierend. Andererseits: Interessanterweise steigt auch die Fleischproduktion in Deutschland, das heißt, wir produzieren 10 Prozent mehr Fleisch, als wir hier essen, was natürlich dann in den Export geht.

Meyer: Wie ist das denn im historischen Vergleich? Können Sie uns sagen, wie viel Fleisch die Deutschen zum Beispiel vor 100 Jahren gegessen haben?

Keller: Das war sehr, sehr wenig. In den 50er-Jahren beispielsweise waren es so um die 30 Kilo, vor 100 Jahren waren das eben noch weniger. Das heißt, der große Sturm sozusagen auf die Fleischtöpfe begann natürlich mit dem Wirtschaftswunder in den 50er-Jahren, nach dem Zweiten Weltkrieg, er hat sich dann ständig fortgesetzt, und das beobachtet man auch in anderen Industrieländern: Irgendwann tritt eine gewisse Sättigung ein, das heißt, man tendiert dann eben, nicht mehr Fleisch zu essen, aber vielleicht auch teureres Fleisch zu kaufen, auch von einer besseren Qualität teilweise. Aber der Fleischkonsum bleibt dann auf einem gewissen Maximum bestehen.

Meyer: Wenn wir uns jetzt sagen würden in Deutschland, wir wollen etwas fürs Weltklima tun, indem wir zum Beispiel auch auf Fleisch verzichten. Sie haben uns ja gerade auch gesagt, wie viel Klimagas fleischbedingt wir ausstoßen. Hat das überhaupt Sinn, … Wenn man sich anschaut im Vergleich: In allen Entwicklungsländern zum Beispiel, in denen der Wohlstand gestiegen ist, ist damit auch der Fleischkonsum enorm gestiegen, da gab es eine Verdopplung des Fleischkonsums in Entwicklungsländern in den Jahren 1980 bis 2002, doppelt so viel, von 14 Kilo hoch auf 28 Kilo. Also wenn das überall um uns herum ansteigt, hat es dann überhaupt Sinn, wenn wir verzichten?

Keller: Das ist natürlich immer die Frage: Hat es, ja, eine Relevanz, wenn wir als kleine Lichtlein sozusagen in der großen Welt etwas tun? Natürlich ist das auch wichtig, dass wir etwas tun. Wie Sie richtig gesagt haben: Ein Großteil des Zuwachses war in der Vergangenheit und wird auch in der Zukunft in den sogenannten Entwicklungsländern und den aufstrebenden neuen Industrieländern stattfinden. Bei den Chinesen beispielsweise hat sich in dem Zeitraum, den Sie vorhin genannt haben, der Fleischkonsum sogar vervierfacht, und die WHO geht davon aus, dass sich der Fleischkonsum insgesamt weltweit bis zum Jahr 2050 noch mal verdoppeln wird.

Meyer: Eine Verdopplung des Fleischkonsums weltweit – was heißt denn das für die Klimabilanz der Welt?

Keller: Also für die Klimabilanz, auch für andere ökologische Aspekte ist das eine Rechnung, die für unseren Planeten in der Form nicht aufgehen wird. Der intensive Fleisch… oder die Fleischproduktion hat natürlich ökologische Auswirkungen, das heißt, man braucht beispielsweise Futtermittel, um die vielen Tiere zu ernähren, es gibt drei Mal so viele Nutztiere auf der Welt als Menschen, und die verbrauchen ein Drittel der weltweiten Ackerflächen.

Diese Flächen sind nicht mehr unendlich ausdehnbar, sondern die FAO geht davon aus, dass wir noch etwa ein Potenzial haben, 13 Prozent mehr zu kultivieren bis zum Jahre 2030. Das wird aber nicht ausreichen, weil die Weltbevölkerung da schon um 22 Prozent gewachsen ist. Das heißt, Futtermittel, Getreide wird ein Engpass werden, genauso ist es mit dem Wasserverbrauch, die Fleischproduktion verbraucht enorme Mengen an Wasser. Sie können mit der Menge Wasser, die für die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch notwendig ist, das sind fast 15.000 Liter für ein Kilogramm, etwa ein Jahr duschen, täglich.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Ernährungswissenschaftler Markus Keller, der sich für vegetarische Ernährung einsetzt. Wir reden über die Folgen des Fleischessens. Es ist natürlich auch eine ethische Frage, besonders wenn man an Massentierhaltung denkt. Es ist auch eine Frage der eigenen Gesundheit. Die deutsche Gesellschaft für Ernährung, die zeigt ja in ihrer idealen Ernährungspyramide da ganz oben, kurz vor der Spitze Fleisch oder Wurst, 300 bis 600 Gramm pro Woche, dazu ein bis zwei Mal Fisch, Milch und Milchprodukte kommen noch dazu. Wenn wir uns mal die Fleischseite anschauen, 300 bis 600 Gramm – mit ein, zwei großen Steaks hat man da seine Wochenration schon weg, oder?

Keller: Genau, das ist ja nur die Empfehlung. Tatsächlich essen wir ja fast mehr als doppelt so viel, also etwas über einem Kilogramm Fleisch pro Person und Woche. Das heißt, allein um diese gesundheitlichen Empfehlungen umzusetzen, müssten wir schon deutlich runter von unserem Fleischkonsum. Inzwischen sagt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung ja auch tatsächlich, dass sie eine vegetarische Ernährung als Dauerkost empfiehlt, eben vor allem aus gesundheitlichen Gründen.

Meyer: Nach der neuesten nationalen Verzehrstudie, die wir haben, sind in Deutschland etwa 1,6 Prozent aller Deutschen Vegetarier. Das ist noch eine ganz schön kleine Minderheit, die wir hier haben.

Keller: Das sind die Ergebnisse der nationalen Verzehrstudie, das ist richtig. Eine Forsa-Umfrage aus dem Jahre 2006 hat einen Vegetarieranteil von etwa acht Prozent der Bevölkerung ermittelt. Wir gehen davon aus, dass die Zahlen wohl irgendwo in der Mitte liegen dürften.

Was unverkennbar ist, ist zumindest der Trend, weniger Fleisch zu essen, also diese Gruppe der Flexitarier, so ein neuer Begriff für Menschen, die eben sich überwiegend vegetarisch ernähren, nicht vollständig, aber immer öfter auf Fleisch, wir sagen nicht verzichten, sondern eben Fleisch meiden und dafür eben sich mit vegetarischen Gerichten ernähren und pflanzliche Lebensmittel bevorzugen. Und auch das ist natürlich der richtige Schritt. Nur als Beispiel: Mit einer vegetarischen Ernährung können Sie eben Ihre Klimagase im Ernährungsbereich um bis zu 50 Prozent reduzieren. Und das ist doch recht ordentlich.

Meyer: Mit dem radikalen Verzicht ist es vielleicht auch schwierig, denn wir sind ja menschheitsgeschichtlich gesehen eben doch Allesfresser, das heißt, das Fleischessen gehört sozusagen zu unserem natürlichen Programm.

Keller: Ja, das ist immer eine Frage, wo Sie ansetzen bei der Evolution. Wenn wir ganz weit zurückgehen, dann waren unsere Vorfahr eben ein spitzmausähnliches Lebewesen, das Insekten gegessen hat.

Meyer: Das ist aber sehr weit zurück.

Keller: Das ist sehr weit zurück, aber das ist unser gemeinsamer Vorfahr, den auch die Menschenaffen und wir gemeinsam haben. Es ist natürlich richtig, dass wir im Laufe der Evolution gewisse Phasen hatten, wo wir sehr viel Fleisch gegessen haben. Der Mensch ist aber sehr flexibel, was sein Nahrungsmittelangebot betrifft, das heißt, er kann sich sehr gut anpassen an seine Umgebung, auch heute sehen wir ja, dass es eine große Bandbreite gibt von Naturvölkern, die im tropischen Regenwald leben, die eben zu über 90 Prozent vegetarisch leben. Dann gibt es Bewohner der arktischen Regionen, die zu einem sehr großen Teil von tierischen Lebensmitteln leben.

Was aber viel wichtiger ist als die Evolution ist ja: Was ist für die heutigen Umstände unserer Lebensbedingungen die optimale Ernährung? Und da wir uns ja in den Industrieländern sehr wenig bewegen, viel zu wenig bewegen, eine unheimliche Fülle an Nahrungsmittelangebot vorfinden, wir auch nicht mehr, wie unsere Vorfahren das gemacht haben vor Millionen von Jahren, jeden Tag 20 Kilometer zu Fuß unterwegs waren, um Nahrung zu beschaffen – das fällt ja alles weg. Und unter diesen heutigen zivilisatorischen Bedingungen kann man sagen, dass eine vegetarische Ernährung die optimale Ernährung ist, was die Nährstoffversorgung, aber auch die Energieversorgung betrifft.

Meyer: Und Herr Keller, was kommt bei Ihnen nun zu Weihnachten auf den Teller statt Gänsebraten?

Keller: Bei uns gibt es wieder ein schönes indisches Menü, das rein pflanzlich gestaltet wird. Da sehen Sie auch, es gibt viele Kulturen, die jetzt nicht traditionell vielleicht das Weihnachtsfest feiern, aber die eben auch eine sehr schöne alte vegetarische Kultur haben wie beispielsweise in Indien, wo man überhaupt nicht auf den Gedanken kommt, den Braten zu vermissen.

Meyer: Über die Folgen des Fleischessens haben wir geredet mit dem Ernährungswissenschaftler und Vegetarier Markus Keller. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Keller: Dankeschön!
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