Klimawandel

Kommentar: Mit Plastik ins Verderben

04:49 Minuten
Gelbe Säcke mit Plastikmüll und Verpackungsmüll hängen an einem Zaun vor einem Mehrfamilienhaus.
Auch Plastik heizt das Klima an. © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Ein Kommentar von Fritz Habekuß · 07.02.2024
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Kunststoffe begegnen uns überall. Wir wissen um ihre Gesundheits- und Umweltrisiken. Und doch sind sie kaum wegzudenken. Was wenige wissen: „Plastik ist die Klimakrise in ihrer festen Form." Das jedenfalls meint der Journalist Fritz Habekuß.
In der Luft, die wir atmen: Plastik. Im Blut, das durch unsere Adern fließt: Plastik. In Bier – gebraut nach dem Deutschen Reinheitsgebot: Plastik. Am Boden des Marianengrabens, im Eis der Arktis, im Magen von Pottwalen: Plastik, Plastik, überall Plastik.
Der erste Kunststoff, Celluloid, wurde 1869 erfunden. Aus ihm wurden Billardbälle hergestellt, die zuvor aus Elfenbein geschnitzt wurden. Celluloid bewahrte Massen von Elefanten vor dem Tod – und Kunststoffe befreiten die Menschen von den Fesseln natürlicher Materialien. Plastik bedeutete Freiheit. 

Märkte für Plastik wurden erst geschaffen

Erwachsen wurde die Kunststoffbranche mit dem Zweiten Weltkrieg. In den USA etwa produzierte sie künstlichen Gummi. Dessen Hauptbestandteile Styrol und Butadien können wahrscheinlich Krebs auslösen. Die Industrie produzierte sie in Mengen, die ihr selbst “beinahe unglaublich” vorkamen.
Sie erfand Teflon – nicht als Beiprodukt der Raumfahrt, sondern beim Manhattan-Projekt, dem Bau der Atombombe. Nylon wurde zu Fallschirmen und Seilen verarbeitet, Plexiglas für Flugzeugfenster und Helme.
Als nach dem Zweiten Weltkrieg keine Munitionskisten und Treibstofftanks mehr benötigt wurden, brauchte es neue Märkte. Diese wurden regelrecht erfunden, genauso wie immer neue Kunststoffverbindungen. Wofür man sie einsetzen konnte, wurde später entschieden.

Erstes globales Plastikabkommen

Nun sollen in diesem Jahr die Verhandlungen zum ersten globalen Plastik-Abkommen überhaupt abgeschlossen werden. Das muss nicht nur die UN-typischen Kompromisse meistern, sondern auch eine Industrie in die Schranken weisen, die ein knappes Jahrhundert nichts kannte außer Wachstum. 
Die Kunststoffbranche wurde nach dem Krieg zu einem der größten Kunden der Werbung, sie übernahm einen Markt nach dem anderen. Plastik ersetzte Stahl in Autos, Papier in Verpackungen, Holz in Möbeln. Als das Wachstum langsamer war als erwartet, änderte sie Mitte der 50er-Jahre ihre Taktik.

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Sie produzierte keine Kunststoffe mehr, die in den Haushalten landeten – Huhu, Einladung zur Tupperparty! –, sondern konzentrierte sich darauf, Plastik durch Haushalte zu schleusen.
Die goldene Zukunft von Kunststoff war gefunden: Einmalplastik. 

Mogelpackung Recycling

Als dann in den 60er- und 70er-Jahren Plastik als massives Umweltproblem erkannt wurde, wehrte sich die Industrie dagegen, reguliert zu werden. Sie bot stattdessen selbst eine Lösung an: Recycling – und gab damit das Versprechen, einfach weiter konsumieren zu können. Kaufen, wegwerfen – und vergessen. Manchmal kann das Leben so einfach sein! 
Bislang sind nur neun Prozent aller jemals hergestellten Kunststoffe recycelt worden, die weltweite Recyclingquote liegt bei 14 Prozent. Plastik ist längst zum Signum des Anthropozäns geworden.

Plastik ist die Klimakrise in ihrer festen Form

Heute stehen bei Diskussionen um Plastik die Risiken für Umwelt und Gesundheit im Mittelpunkt. Dabei denken wenige daran, dass Plastik aus Erdöl oder fossilem Gas hergestellt wird. Beim gegenwärtigen Wachstum könnten Kunststoffe bis zur Mitte des Jahrhunderts 15 Prozent der globalen Emissionen ausmachen. Plastik ist die Klimakrise in ihrer festen Form.
Als einzelne:r Verbraucher:in ist der Einfluss darauf, wie viel Plastik man verbraucht, verschwindend gering. Mikroplastik etwa: Die größte Quelle sind weder Fleecepullover noch Kosmetik, sondern Autoreifen. 
Gesellschaften ersticken nicht deswegen in Plastik, weil sie es kaufen – sondern weil Kunststoffe Teil eines Geschäftsmodells sind, das besser läuft, je mehr Müll produziert wird. Die Kosten dafür werden ausgelagert: auf die Umwelt, ärmere Menschen, Staaten des Globalen Südens.
Kunststoffe haben eine 150 Jahre alte Geschichte. Sie haben das Leben vieler Menschen unendlich viel einfacher gemacht. Doch die Hälfte von allem jemals hergestellten Plastik wurde seit dem Jahr 2000 produziert. Die Plastikflut in den Griff bekommen, heißt also, sich zu fragen, wann Kunststoffe wirklich sinnvoll sind – und dort hart zu regulieren, wo nur einige profitieren.

Fritz Habekuß, Jahrgang 1990, ist Redakteur und Korrespondent der ZEIT. Er berichtet in seinen Reportagen weltweit über Umwelt- und Klimathemen, das Anthropozän sowie das Verhältnis von Mensch und Natur. Er ist außerdem Moderator und Gastgeber der Reihe „Entering the Anthropocene“, organisiert die „Lindenberger Frühlingskonzerte“ in seinem Heimatdorf in Brandenburg und ist Co-Autor des Sachbuch-Bestsellers „Über Leben“. 

Der Journalist Fritz Habekuß.
© Kasia Kim-Zacharko
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