Roberto Simanowski ist Kultur- und Medienwissenschaftler und lebt nach Professuren an der Brown University in Providence, der Universität Basel und der City University of Hong Kong als Medienberater und Buchautor in Berlin und Rio de Janeiro. Zu seinen Veröffentlichungen zum Digitalisierungsprozess gehören "Facebook-Gesellschaft" (Matthes & Seitz 2016) und "The Death Algorithm and Other Digital Dilemmas" (MIT Press 2018).
Das Ende der Geschichte ist vorerst Geschichte
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Hinter den Klimaprotesten stecke eine apokalyptische Angstlust, meinen viele. Doch etwas Besseres hätte uns gar nicht passieren können, meint Kulturwissenschaftler Roberto Simanowski: In die utopielose Konsumgesellschaft kommt endlich wieder Schwung.
Mit dem SUV zur Öko-Demo und danach mit dem Flieger in den Urlaub. Das ist nur eine der vielen Unterstellungen gegen die immer mächtiger werdende Klimabewegung.
Eine andere prophezeit, dass viele überzeugte Protestler ihre heutigen Forderungen später als lebensfern fallen lassen werden. Nach dem Motto: Wer mit 16 keine Öko-Aktivistin ist, hat kein Herz, wer es mit 30 noch immer ist, hat keinen Verstand.
Apokalyptische Angstlust
Es gibt begründetere Einwände. Zum Beispiel, dass sich dieser Klimaprotest zu einer säkularen Klimareligion entwickelt, die mit apokalyptischer Angstlust all jene verdammt, die gegen die zehn Gebote des umweltbewussten Lebens verstoßen. Hier spricht die Ahnung, dass das, was wir gerade erleben, mehr ist als ein Protest der unzufriedenen Jugend gegen ihre Regierung.
Man denke an die Beschwerdehefte, die Ludwig XVI. vor der Einberufung der Generalstände Anfang 1789 von seinen Untertanen erbat, um die Probleme zu kennen, die es zu lösen gilt. Die Revolution, die daraus entstand, sah bald im König selbst das größte Problem und köpfte nicht nur ihn, sondern fraß schließlich auch ihre Kinder, wenn die nicht Schritt hielten mit der Radikalisierung.
Steht uns ein neuer grand terreur bevor, ein Öko-Terror, der mit Flugscham beginnt und mit Fahrverboten nicht endet? Davon ist auszugehen nach Greta Thunbergs fulminanter "How-Dare-You"-Wutrede vor der UN. Aber zunächst zielt der Sturm auf die Bastille im Inneren, auf die Befreiung des Ich zu einer besseren Gegenwart.
Eine Generation ohne Utopien
Es ist keine zehn Jahre her, dass Meredith Haaf in ihrem Buch "Heult doch: Über eine Generation und ihre Luxusprobleme" das Leben im "Postoptimismus" beschrieb, in dem "der Glaube an große soziale oder politische Projekte verloren gegangen" sei. Die Autorin ist Jahrgang 1983 und damit mehr als doppelt so alt wie Greta Thunberg.
Sie gehört zur Generation Me, auch millenials genannt, die nicht nur ohne Probleme, sondern eben auch ohne Utopien aufwuchs. Denn noch ehe diese Generation in die Schule kam, fiel die Berliner Mauer und wurde das Ende der Geschichte ausgerufen. Im Angesicht des gescheiterten Realsozialismus erklärte sich die liberale Marktwirtschaft zum Sieger im Wettkampf der Gesellschaftssysteme. Wie es schien, völlig zu Recht.
Neuer Lebensmut aus Todesangst
Nach dem Siegesrausch kam die Katerstimmung der Ziellosigkeit. Man hatte ja auch das Lebensprojekt verloren, auf das sich die Elemente des Daseins orientieren ließen. Man lebte nicht mehr für ein besseres Morgen, sondern für die ewige Wiederkehr des Jetzt. Die Philosophie musste den Menschen nicht mehr zeigen, wohin sie unterwegs sind, sondern wie man damit lebt, nirgendwohin unterwegs zu sein.
Das ist das Gute am Unglück: Geht es auf den Abgrund zu, gibt es wieder ein Ziel: ins Steuer greifen. Genau das versucht nun die Generation Z, auch digital natives genannt. Diese Generation heult nicht, sondern schreit. Sie hat keine Luxusprobleme, sie fürchtet den Weltuntergang.
Das rüttelt auf, macht kreativ, macht Spaß. Eine solche Furcht tut unheimlich gut. Nachdem der Mensch den Glauben erst an Gott, dann an den Kommunismus verloren hatte und sich schon verdammt sah, dahin zu leben im Sinnverlust der kapitalistischen Konsumkultur, gibt ihm die Todesangst nun neuen Lebensmut.
Das neue Woodstock
Und wofür ließe sich besser kämpfen als fürs eigne Dasein! Dabei ist der Kampf selbst schon ein Sieg – als Ausgang aus dem postmodernen Postoptimismus. Deswegen geht es auch gar nicht darum, wie sehr der Klimawandel menschengemacht ist und ob er sich wirklich aufhalten lässt, wenn man zum Vegetarier, Radfahrer und Kaltduscher wird.
Es geht um die Aufbruchsstimmung. Darum, dass man im Kampf ums Überleben wieder eine Sache hat, für die es sich – perspektivisch gesehen und metaphorisch gesprochen – zu sterben lohnt, und, ja, auch zu töten. Man hat Greta Thunberg mit Jeanne d’Arc verglichen. Man sollte eher sagen: Fridays for Future ist das neue Woodstock zum 50. Jahrestag seines Geschehens. Eine Jugendbewegung, die gegen die Werte der Eltern aufbegehrt.
Zwar geht es nun ums Überleben statt nur um ein anderes Leben, unterm Strich läuft es aber aufs Gleiche hinaus: Es eröffnet sich eine Zukunft, die man dem Status Quo abtrotzt.
Was auch immer aus alledem werden wird, eines ist klar: Das Ende der Geschichte ist vorerst Geschichte.