Alle gegen Trump?
Der Klimaschutz gilt als großes Reizthema des G20-Gipfels in Hamburg. Doch der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen birgt nicht nur für Europa, sondern auch für Schwellen- und Entwicklungsländer Potenzial, sagt der Ökologe Uwe Schneidewind.
Deutschlandfunk Kultur: In Hamburg kommen Freitag und Samstag nächster Woche die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer sowie die Spitze der EU zum G20-Gipfel zusammen. Mehrere tausend Teilnehmer werden erwartet. Und wie es sich für so eine Mammut-Veranstaltung gehört, ist auch die Tagesordnung üppig: Sie reicht vom Welthandel über die Digitalisierung bis hin zur Entwicklung Afrikas.
Für das Tacheles haben wir uns ein besonders brisantes Gipfelthema herausgepickt, die Klimapolitik. Darüber rede ich jetzt mit Professor Uwe Schneidewind. Er ist Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. – Herr Schneidewind, guten Tag nach Wuppertal.
Uwe Schneidewind: Guten Tag, Herr Garber.
Deutschlandfunk Kultur: Ihr gemeinnütziges Institut, Herr Schneidewind, beobachtet das Auf und Ab internationaler Verhandlungen zum Klimaschutz nun schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. – Erwarten Sie vom Hamburger G20-Gipfel Fortschritte im Kampf gegen die Erderwärmung oder eher einen Rückschlag?
Uwe Schneidewind: Wir erwarten auf jeden Fall wichtige Signale. Denn die große Frage wird ja sein: Wie genau verhält sich die USA und wie verhalten sich die anderen 19, gerade wenn das mit der US-amerikanischen Klimapolitik so weitergeht? Das ist eben das Interessante. Was passiert eigentlich mit den Ländern jenseits der USA? Finden die zu einer gemeinsamen Linie auch gegen den aktuellen amerikanischen Kurs?
Die USA sind gewaltig isoliert
Deutschlandfunk Kultur: Das ist ein komischer Gipfel, bei dem die Gastgeberin Angela Merkel völlig andere Vorstellungen von Klimaschutz hat als ihr wichtigster Gast, als US-Präsident Donald Trump, der ja sein Land aus dem Klimaabkommen von Paris herausführen will, wie er schon verkündet hat. Glauben Sie denn, dass die USA am Ende isoliert dastehen werden in der Frage Klimapolitik – allein gegen eine geschlossene Front der anderen 19 Gipfelteilnehmer?
Uwe Schneidewind: Ich glaube, sie tun es ja heute schon. Denn dieser Austritt auch in seiner Symbolkraft hat ja auch unmittelbar danach eher zu einer gewaltigen Solidarisierung der restlichen Weltgemeinschaft geführt, weil ja Ende 2015 mit dem Pariser Klimagipfel und den ja kurz vorher verabschiedeten großen nachhaltigen Entwicklungszielen die Weltgemeinschaft ja gemeinsam auf dem Weg war, dieses Epochen-Projekt anzugehen.
Dass die USA, die ja nun immer eine auch globale Führungsrolle in den wichtigen zivilisatorischen Prozessen auf diesem Planeten über die letzten Jahrzehnte beansprucht hat, sich dort so rückwärtsgewandt raus wendet, das hat sie, glaube ich, gewaltig isoliert.
Jetzt muss man eben sehen, ob vielleicht das eine oder andere Land dann in dem Windschatten auch die Chance nutzt, sich ein Stück stärker zurückzuziehen, als man das vielleicht in Paris noch bekannt hat. Das wird interessant zu sehen sein. Aber ich glaube, die Isolation der USA ist heute schon da.
Deutschlandfunk Kultur: Aber man kann ja schon Absetzbewegungen beim einen oder anderen Land erkennen. Die Kanadier zum Beispiel, die Frau Merkel bisher als Verbündete auf der Liste hatte in der Klimapolitik, wollen sich vielleicht doch nicht so sehr anlegen mit ihrem mächtigen Nachbarn USA. Die Briten hoffen auf amerikanische Unterstützung beim Brexit. Die Japaner brauchen Trump im Konflikt mit Nordkorea, Saudi Arabien gegen den Iran. Es gibt also etliche unsichere Kantonisten. – Sind die USA am Ende nicht vielleicht ganz einfach zu mächtig, als dass der Rest der Welt Klimapolitik gegen Washington machen könnte?
Uwe Schneidewind: Das macht die beiden Tage eben so interessant, weil sie uns zeigen werden, ob diese Jahrhundertaufgabe Klimawandel, zu der sich die Weltgemeinschaft gerade im Jahr 2015 in einem solch beeindruckenden gemeinsamen Kraftakt durchgerungen hat, wie stark das ist gegen all diese anderen Politikgebiete, die Sie angesprochen haben.
Ich glaube und bin da eigentlich auch sehr zuversichtlich, dass es nicht zu breiten Abwendungsbewegungen kommen wird. Denn inzwischen ist ja auch das, was mit dem Klimawandel verbunden ist, durchaus eher ein ökonomischer Hoffnungsträger für sehr, sehr viele Länder. Wir haben das ja auch in den USA selber gesehen, dass ja selbst die Ölindustrie Trump gedrängt hat, nicht auszutreten, weil eben letztlich auch ökonomisch klar ist, der Zug wird und muss in Richtung mehr Klimaschutz gehen. Und der Tod und das Gift für jeden ökonomischen Prozess ist, wenn keine Erwartungssicherheit mehr besteht.
Genau das droht jetzt. Jeder weiß, diese Weltgemeinschaft muss den Klimawandel bekämpfen. Und wenn das jetzt aufgrund solcher taktischen Überlegungen wieder über mehrere Jahre oder vielleicht sogar einen längeren Zeitraum Unsicherheiten gibt, wann wird das auch der klare Kurs, ist das auch ökonomisch eine große Katastrophe. Ich glaube, das haben viele Länder erkannt. Da bin ich ganz optimistisch, dass die Absetzbewegungen, wenn sie denn zu beobachten sind, doch überschaubar bleiben werden.
Deutschlandfunk Kultur: Aber taktische Überlegungen spielen ja auch bei der Regie eines Gipfels große Rollen. Da kommt natürlich eine besondere Verantwortung dem Gastgeber zu, in dem Fall der Bundesregierung. Die Kanzlerin hat ja einerseits vorgestern in ihrer Regierungserklärung gesagt, vom Gipfel solle ein Signal der Entschlossenheit im Klimaschutz ausgehen. Das klang sehr schön. Andererseits hat aber ihr Regierungssprecher gesagt: Na ja, die Gipfelabschlusserklärung soll auf jeden Fall von allen Teilnehmern getragen werden. Und wenn es strittige Themen gibt, dann kommen die eben nicht ins Kommuniqué. – Das klingt ein bisschen so, als würde das Klimathema notfalls der Gipfelharmonie geopfert werden. Wäre das nicht ein fatales Signal? Oder ist so ein Gipfel gar nicht so wichtig?
G20-Gipfel wichtig aber nicht entscheidend
Uwe Schneidewind: So ein Gipfel ist ein Baustein, ein wichtiger, auch symbolischer Baustein natürlich in den Klimaprozessen. Insofern wäre es erfreulich und wünschenswert, dass auch von den Gipfeln ein kraftvolles Signal in Richtung mehr Klimaschutz ausgeht, aber man – glaube ich – sehen muss, dass das, was ja dieser Prozess Klimawandel und Umgang mit dem Klimawandel bedeutet, weit mehr ist als Gipfelsignale und die große globale Politik. Sondern dass die eigentliche Dynamik heute viel mehr läuft in den einzelnen Branchen und Sektoren. Heute sind viele Städte, Bundesstaaten, Bundesländer intensiv auf dem Weg, so dass die Signale auch eines solchen G20-Gipfels durchaus eine wichtige, aber schon längst vermutlich nicht mehr die entscheidende Bedeutung haben, was die Stabilität des Prozesses angeht.
Das lässt einen dann auch mit gewisser Gelassenheit auf die einzelnen taktischen Raffinessen und vielleicht auch diplomatischen Finten schauen, die wir da in der kommenden Woche sehen werden.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben die ökonomischen Aspekte schon angesprochen. Es sind ja auch gewaltige Geldsummen, über die wir da reden, wenn das zentrale Klimaziel der Pariser Abschlusserklärung, nämlich die Erderwärmung unter 2 °C zu halten, erfüllt werden soll.
Es gibt diese Woche eine neue Studie. Die ist von der Allianz-Versicherung und zwei Nichtregierungsorganisationen herausgegeben worden. Die beziffert den jährlichen Finanzbedarf für die Erreichung dieses Klimaziels auf 700 Milliarden Dollar weltweit. Im Jahr, wie gesagt. Das ist doppelt so viel wie bisher geschätzt. – Wie soll das denn bezahlt werden? Ist da nicht für den einen oder anderen Staat die Versuchung, na ja, wir ziehen uns dann doch lieber zurück und setzen weiter auf Kohle und Öl?
Uwe Schneidewind: Einmal ist es ist wichtig, solche Zahlen – die klingen ja zu Recht im ersten Moment gewaltig und kaum leistbar – immer wieder in Beziehung zu setzen. Natürlich sind 700 Milliarden Euro jedes Jahr durchaus viel Geld, aber wir haben ja ein weltweites Bruttosozialprodukt, das bei 50 Billionen liegt, also bei 50 000 Milliarden. Da wird dann schon deutlich, im Hinblick auf die Gesamtwirtschaftsleistung ist das durchaus ein leistbarer und überschaubarer Betrag.
Gleichzeitig, wie Sie das ansprachen, geht es hier um Investitionen. Das heißt, es geht um Geld, das wir jetzt in die Hand nehmen, das uns aber auf lange Sicht hilft, sehr, sehr viele künftige Kosten erheblich zu reduzieren. Sowohl die Kosten, die entstehen für den Energieverbrauch, den wir erhaben. Wenn der sich erheblich reduziert, macht sich das für jeden Staat, auch für jeden Bürger im Portemonnaie auf lange Sicht durchaus spürbar. Und viele Energieinvestitionen, regenerative Energien zum Beispiel, lohnen sich heute schon. Und zum anderen vermeiden wir insbesondere die massiven und sehr viel größeren Kosten, die entstehen, wenn wir uns an die erhöhten Temperaturen anpassen müssen.
Regenerative Energien günstiger als Kohlekraftwerke
Daher ist das zwar ein hoher Betrag, aber gerade aus ökonomischer Sicht – das haben viele Studien in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder gezeigt – ist das vermutlich eine der klügsten Investitionen, die die Weltgemeinschaft und auch jeder einzelne Staat tun kann.
Deutschlandfunk Kultur: Aber wenn zum Beispiel ein großes Schwellenland wie Indien vor Investitionsentscheidungen steht, die wollen in den nächsten Jahren viel Geld in die Elektrifizierung ihrer ländlichen Gebiete stecken, die Inder, warum sollen sie dafür nicht einfach Kohlekraftwerke bauen, was billiger ist und sich schneller amortisiert, wenn die USA vormachen, dass es auch so geht?
Uwe Schneidewind: Ich glaube, da ist es wirklich interessant in die einzelnen Sektoren hineinzuschauen. Das Mut machenden Signal ist ja, dass heute die Investitionen in regenerative Energien, gerade in Wind und auch in Solarenergie gerade in sonnenreichen Regionen, wie das ja nun die meisten Regionen in Indien sind, sich sogar als sehr, sehr viel günstiger darstellen als Kohlekraftwerke zu bauen – insbesondere dann, wenn man für die Versorgung mit den fossilen Rohstoffen auf Importe angewiesen ist. Denn da haben Sie ja – weil so eine Kraftwerksinvestition ist ja eine, die Sie auf mehrere Jahrzehnte bindet – mit erheblichen ökonomischen Risiken zu tun.
Deswegen ist es heute durchaus auch so, dass für die meisten Länder der regenerative Energiepfad durchaus der ökonomisch günstigere ist. Und insbesondere, wenn es um die Versorgung großer ländlicher Gebiete geht, wo Sie ja dann nicht nur das eine Kraftwerk bauen müssen, sondern auch über eine entsprechende Energieverteil-Infrastruktur nachdenken müssen, da können dann dezentrale Lösungen auch unter dem Aspekt sehr viel vorteilhafter sein.
Aber keine Frage: Es gibt heute immer noch Weltregionen, Gebiete und gerade Länder, die selber über sehr viele fossile Rohstoffe verfügen, wo Investitionen in ein fossiles Kraftwerk sich vermeintlich noch günstiger darstellen. Nur, auch dort müssen die Länder natürlich sicher sein, dass es im Hinblick auf die Entwicklung der nächsten zwanzig, dreißig Jahre vielleicht nicht doch noch vielleicht global zu einem sehr viel engagierteren Klimaschutz und dann auch eine CO2-Bepreisung kommt. Also, auch dort unter Risikoaspekten ist es eigentlich jetzt schon die vernünftigere Lösung, auf den regenerativen Pfad zu setzen.
Deutschlandfunk Kultur: Da liegt ja auch einige Hoffnung auf Afrika. Da gibt es gerade südlich der Sahara viele Länder, die ihre großen Entwicklungen von Infrastruktur und Industrie gerade erst anfangen, und wo es ja eigentlich aus Sicht des Klimaschutzes schön wäre, wenn sie Kohle und Erdöl überspringen würden und gleich auf erneuerbare Energien setzen. Das ist aber teuer und viele dieser Länder sind arm, brauchen finanzielle Unterstützung. Die sollen sie nach dem Pariser Klimaabkommen bekommen. – Kann man schon absehen, ob das funktioniert?
Solidarischer Transfer in Entwicklungsländer
Uwe Schneidewind: Ich meine, da sprechen Sie einen ganz wichtigen Punkt an. Das ist für die weiteren internationalen Klimaprozesse vermutlich die entscheidende Nagelprobe. Sind gerade die reicheren Industrieländer bereit, sich auch mit relevanten Finanzvolumina an diesem solidarischen Transfer zu beteiligen? Das ist ja genau einer der Eckpunkte auch des Pariser Klimaabkommens gewesen, dass solche Fonds aufgebaut werden, die sich jetzt insbesondere entwickelnden Ländern die Chance geben, ihren Aufbau von Industrie, von Energieinfrastrukturen möglichst klimagerecht zu unternehmen.
Da ist dieses amerikanische Signal "America first" natürlich absolut fatal. Wenn das zu einer Dynamik führt, dass selbst die Industrieländer, auch die, die ja dafür verantwortlich sind, dass wir heute überhaupt mit der Klimaherausforderung zu tun haben, sich komplett aus der globalen Solidarität stehlen, dann wird es extrem schwer, diese Fonds aufzubauen.
Deutschlandfunk Kultur: Und die USA fahren ihre Entwicklungshilfe – mal abgesehen vom Klimaschutz, sondern auch ganz generell – ja zurzeit stark zurück.
Uwe Schneidewind: Absolut. Da sind sie ganz konsequent. Nur ich glaube, dass wir in Europa, zumindest im Kerneuropa, und auch in anderen Teilen der Welt, wenn man an China denkt, einen differenzierteren Blick darauf haben, weil wir uns ja nichts vormachen dürfen. Wir spüren es natürlich in Europa in den letzten Jahren ja sehr intensiv. Dieses Praktizieren einer Nichtsolidarität mit dem Rest der Welt ist natürlich etwas, was dann in sehr unschöner Form auch wieder auf uns zurückschlägt.
Man muss sich ja immer wieder versetzen in die Länder des Südens. Die spüren, dass sie hier mit den Folgen von klimatischen Entwicklungen konfrontiert sind, die die reichen Industrieländer durch ihre Form der Wirtschaftsentwicklung verursacht haben. Und wenn sich diese Länder jetzt komplett aus der Solidarität zurückziehen, dann darf man sich nicht wundern, dass radikale Strömungen und ein gewaltiger Hass auf das westliche Entwicklungsmodell auf einen gewaltigen fruchtbaren Boden in anderen Teilen der Welt stößt.
Also, auch dort müssen wir einfach sehen, es kann nur diesen einen Weg in die kommenden Jahrzehnte geben. Und der heißt, in einer angemessenen Form auch diese globale Solidarität zu organisieren. Denn sonst wird das auch massive Folgen auf Freiheit und gesellschaftliche Entwicklungen in unseren Ländern haben. – Und einen kleinen Vorgeschmack davon, was das heißen kann, ich glaube, das haben wir nun gerade in den letzten Jahren gespürt.
Ökologisch sinnvoll gegen ökonomische Interessen
Deutschlandfunk Kultur: Es geht ja in den Ländern des Südens nicht nur ums Geld, das nicht da ist, sondern auch um den politischen Willen, etwas zu ändern. Da gibt es häufig Konflikte zwischen dem, was ökologisch eigentlich sinnvoll wäre, und handfesten ökonomischen Interessen. – Mal ein Beispiel: Einem argentinischen oder brasilianischen Vieh-Baron ist es wahrscheinlich ziemlich egal, ob seine riesigen Rinderherden Unmengen von Methan ausstoßen, die das Weltklima schädigen. Und solche Konflikte gibt’s ja wahrscheinlich reichlich.
Uwe Schneidewind: Da gibt es viele. Das macht ja das Thema so herausfordernd, dass – je nach dem, in welches Land Sie hineinschauen – die Konflikte dann immer eine etwas unterschiedliche Sicht haben. Da haben Sie Länder, die eventuell auf sehr günstigen Kohlevorkommen sitzen, für die dann der Weg in einen regenerativen Energiepfad sehr viel schwieriger ist. Sie haben das argentinische Beispiel angesprochen. Ich glaube, und das ist ja auch ein wichtiges Ergebnis der letzten Jahre, dort geht es darum, angemessene Lösungen zu finden.
Nehmen Sie Ihr Beispiel der erheblichen Klimafolgen der Rindfleischwirtschaft in Argentinien, das ja unmittelbar zusammenhängt mit unseren Lebensstilen, die auf einer stark fleischbasierten Ernährung ihre Grundlage haben. Da sind natürlich gerade die entwickelten Länder auch gefordert, an neuen Wohlstandsmodellen zu arbeiten, an Diskussionen über Lebensstile, die dazu führen, dass wir auch unser Ernährungsverhalten weiterentwickeln.
Das ist ja eines der wichtigen Ergebnisse dieser Verabschiedung der nachhaltigen Entwicklungsziele in New York im Jahre 2015 gewesen mit der Grundaussage: Auch wir als entwickelte, als vermeintlich entwickelte Länder wie Deutschland, in Europa, USA, sind in vielerlei Hinsicht wahre Entwicklungsländer. Das gilt zum Beispiel im Hinblick auf besonders CO2-intensive Lebensstilformen.
Aber ganz klar, das sind die richtig harten Nüsse, die es zu knacken gilt. Da tritt es plötzlich in die zweite Reihe, wie jetzt genau so ein Signal auf dem G20-Gipfel aussieht, sondern da geht’s in tiefe kulturelle Veränderungsprozesse. Die brauchen Zeit und die sind eine Riesenherausforderung. Aber letztlich wird sich da entscheiden, ob uns diese Epochenherausforderung Klimawandel wirklich gelingt.
Deutschlandfunk Kultur: Herr Schneidewind, kommen wir nochmal auf die USA zurück. Der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen wird wegen vertraglicher Übergangsfristen erst in vier Jahren rechtlich richtig vollzogen. Solange sind die Amerikaner also noch Vertragspartner. – Ist das gut oder schlecht für die Verwirklichung der Klimaziele, dass da einer mit am Tisch sitzt, dem die ganze Linie nicht passt?
Uwe Schneidewind: Das war im Vorfeld eine intensive Diskussion. Was ist eigentlich besser – wenn die USA sehr klar Farbe bekennen und auch ihren Austritt erklären, selbst wenn der jetzt auch dann noch bis zum Herbst 2020, bis er in Kraft tritt, dauert? Oder eine USA, die zwar formal in den Prozessen bleiben, aber ihre weitere Mitgliedschaft zu einem erheblichen Widerstand und Obstruktion des gesamten Prozesses nutzen?
Sie haben natürlich absolut Recht. Auch durch diese lange Austrittsphase sitzen die Amerikaner mit am Tisch und haben in den Verhandlungsprozessen durchaus Möglichkeiten, Verhandlungen und Prozesse zu verzögern. Aber das Gute ist eben, ihre Ansage ist klar. Das macht es dann auch den anderen Nationen leichter, letztlich damit umzugehen, als eine USA, die immer noch suggeriert, eigentlich sind wir ja dabei, wir wollen ja, wenn ihr uns nur entgegen kommt. – Also, unsere Einschätzung ist es schon, dass das letztlich vermutlich die produktive Dynamik der anderen Länder fast sogar noch schwerer gemacht hätte.
Deutschlandfunk Kultur: Hoffen wir das. – Was bedeutet der Ausstieg aus dem Weltklimaabkommen denn eigentlich für die USA selbst? Sie schreiben, am Ende könnten die USA als größter Verlierer dastehen. Warum?
Uwe Schneidewind: Man muss eben sehr deutlich sehen einmal auf einer ökonomischen Ebene, dass ja im globalen Maßstab dieser Umbau unserer Energiesysteme in Richtung regenerativer Energie, neue Mobilitätsformen, die sehr viel stärker auch durch Elektromobilität geprägt werden, aber auch die Art und Weise, wie wir künftig unsere Städte bauen, all das läuft in Richtung von klimagerechten Formen der Wirtschaft.
Wo sind die globalen Innovationsstandorte?
Und jetzt macht sich ja in den nächsten Jahren fest, wo sind eigentlich global die Standorte, die Innovationsstandorte, die genau diese neue Form der Weltwirtschaft bedienen können? Die Chinesen haben das sehr, sehr deutlich erkannt. Wenn Sie sich die ökonomischen Planungen Chinas anschauen, dann ist das mit einem klaren Blick auf die Entwicklung der Weltmärkte in dieser Richtung.
Und wenn Sie jetzt einer amerikanischen Automobilindustrie suggerieren, mit den ganz klassisch Benzin und Diesel betriebenen Fahrzeugen geht das noch sehr, sehr viel länger weiter so, Sie nicht dafür sorgen, dass Sie eine Energiewirtschaft auf die neuen Formen dezentraler und regenerativer Energien umstellen, dann bringt das natürlich eine Volkswirtschaft erheblich ins Hintertreffen – gerade eine amerikanische, die ja dann ihre Wettbewerbsfähigkeit oft aus ihrer starken Stellung im Heimatmarkt mit entwickelt hat.
Und wenn dieser Heimatmarkt aber den globalen Entwicklungen plötzlich zehn und mehr Jahre hinterher hinkt, wird sich das irgendwann auch ökonomisch rächen. Und ich glaube, das ist der sehr viel größere Schaden, der liegt eigentlich auf einer politisch-kulturellen Ebene. Denn die Amerikaner sind im 20. Jahrhundert die Nation gewesen, die für den zivilisatorischen Fortschritt auf diesem Planeten stand, die mit hohem Einsatz als Nation für Werte einer aufgeklärten demokratischen Entwicklung gekämpft haben und jetzt sich plötzlich hinten anstellen, nicht mehr Motor sind für diesen nächsten, jetzt anstehenden Zivilisationsschritt, sondern sich in einer Form auf sich selbst zurückbesinnen, wie wir das zum Teil in den dunklen Phasen des 20. Jahrhunderts auch hatten.
Diese zivilisatorische Führungsrolle aufzugeben, also das Vertrauen, das da verloren geht, dass man weiß, Amerika ist nicht mehr die sichere Bank, so etwas wie Trump und eine solche Administration kann immer wieder passieren, wird dazu führen, dass berechenbare Führungsrollen auch im globalen Maßstab vermutlich in den nächsten Jahren sehr, sehr viel stärker Europa oder vielleicht sogar auch Asien zugeschrieben werden. Inwiefern dieser Schaden heilbar ist, ist heute noch ganz, ganz schwer abzuschätzen.
Deutschlandfunk Kultur: Das ist ja ein interessanter Aspekt, denn wir reden ja viel darüber, dass die Verlässlichkeit der USA als Weltpolizist, als Führer der Nato infrage gestellt wird. Aber jetzt sehen Sie auch, gerade im Feld Klimapolitik, Kampf gegen die Erderwärmung, dass die USA drohen, ihre Führungsposition in technischer Innovation, auch in demokratisch legitimierter Umsteuerung zivilisatorischer Prozesse verliert?
Uwe Schneidewind: Das ist auch weltpolitisch natürlich eine große Gefahr. Man darf sich ja nichts vormachen. Die Dynamik und die Kraft vieler der populistischen und autoritären Bewegungen in großen Teilen der restlichen Welt basiert ja letztlich auf der Erzählung und der Annahme, dass sozusagen dieses dekadente westliche ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungsmodelle an seine Grenzen kommt.
Und das, was wir in USA erleben, ist ja geradezu Wasser auf die Mühlen derjenigen, die sagen, "dieses Modell, und das dann in der radikalen Form, die aus der Perspektive vieler dieser politischen Kräfte massiv bekämpft gehört, ist jetzt endgültig am Ende." Und die Trump-Administration steht genau für das. Der zivilisatorische Abgesang des westlichen Erfolgsmodells des 20. Jahrhunderts findet sozusagen seinen bildlichsten und deutlichsten Ausdruck aus der Sicht vieler derjenigen, die solche Stimmungen anheizen, natürlich in dem, was wir in den USA beobachten.
Deutschlandfunk Kultur: Wird jetzt China die globale Vorreiterrolle zum Beispiel im Klimaschutz übernehmen?
Uwe Schneidewind: Ich glaube, China hat diese Chance, die diesem Land durch diese Veränderung zukommt, sehr deutlich erkannt. China ist natürlich auch nochmal in der Situation, dass es nicht nur inzwischen der Hauptverursacher des Klimawandels ist, wenn man die jährlichen Emissionen nimmt, sondern natürlich auch eines der hauptbetroffenen Länder. Die jetzt zu beobachtenden Folgen der Klimaerwärmung zeigen sich in vielen chinesischen Regionen ganz massiv.
Und dann kommt natürlich hinzu, dass gerade im Rahmen der Urbanisierungsprozesse, also der Herausbildung von immer größeren Städten in China, China ja auch von Umwelteffekten stark belastet ist. Denken Sie an die unmittelbaren lokalen Luftbelastungen, deren Lösung oft sehr positiv zu verbinden ist auch mit dem aktiven Klimaschutz. Insofern ist China eben auch einer der größten Gewinner weltweit eines engagierten Klimaschutzes. Das macht, glaube ich, eine chinesische Klimaschutzpolitik letztlich sehr, sehr viel berechenbarer. Weil man weiß, für dieses Land zahlt es sich heute auch ökonomisch und politisch-gesellschaftlich aus, den konstanten Klimaschutzkurs auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu fahren.
Deutschlandfunk Kultur: Sehen Sie das auch so optimistisch für die Europäische Union? Die spricht ja in der Klimapolitik nicht unbedingt mit einer Stimme – zum Beispiel bei der Frage Ausstieg aus der Kohle, wann und wie.
Eine innereuropäische Herausforderung
Uwe Schneidewind: Ja, absolut. Wir haben natürlich gerade in Europa, wenn man auch an einzelne Staaten in Osteuropa, wie Polen, denkt, erhebliche Interessenskonflikte, von heimischen Rohstoffen, die die Grundlage des heutigen Energiesystems darstellen. Plus eben auch eine Tendenz des Herausbildens ganz eigener nationaler Identität und Souveränität, die einen dann noch weniger sich fügen lassen einer Energiepolitik, wo man den Eindruck hat, dass sie von Deutschland und anderen vorgegeben wird.
Insofern bleibt das Klimathema auch innereuropäisch eine Riesenherausforderung. Auf der europäischen Ebene gilt es natürlich jetzt zu schauen, ob das, was wir auch global brauchen, nämlich Klimafortschritt, auch mit anderen Politikaspekten und Themen noch stärker zu integrieren, ob das auf der europäischen Ebene gelingt, eben deutlich zu machen: Auch am Klimaschutz macht sich letztlich fest, ob eine Europäische Union in der Lage ist, diese Federführungsrolle, die man gerade nach den Entwicklungen in den USA ihr zuschreibt, auch wirklich auszufüllen.
Man muss sehen, auch aus dieser vermutlich gestärkten französisch-deutschen Achse, was eine fortschritts- und zukunftsgewandte Politik in Europa angeht, ob es gelingt, es so zu organisieren, dass man auch die anderen Länder der europäischen Gemeinschaft mitnimmt. Das ist eine Herkulesaufgabe, aber ich glaube, diejenigen, die das vorantreiben, wissen, dass an dem Gelingen auch ein Stück die Zukunft der europäischen Frage insgesamt hängt. Das ist vermutlich auch einer der Gründe, warum die Kanzlerin das zu so einem starken Thema macht.
Deutschlandfunk Kultur: Damit sind wir wieder bei Deutschland. Gefühlt sind wir ja ein Vorreiter beim Klimaschutz. – Sind wir das auch in Wirklichkeit?
Uwe Schneidewind: Es ist ja immer die Frage, wie man da drauf schaut. Auch im Hinblick auf die Ziele, die wir uns vorgenommen haben, liegen wir nicht ganz im Plan. Da würde man sich an einigen Stellen einen engagierteren Klimaschutz wünschen.
Auf der anderen Seite ist Deutschland natürlich das Land, das als erstes großes Industrieland den mutigen Schritt gegangen ist, zu sagen: Ja, auch ein wettbewerbsfähiges, auf starken industriellen Strukturen basierendes Land kann den Weg in eine komplett regenerative und CO2-freie Zukunft gehen. Dass das mit dieser Klarheit in den letzten Jahren auf den Weg gebracht wurde und letztlich ja auch parteienübergreifend von den relevanten Parteien geteilt wird, das setzt natürlich ein ganz wichtiges Signal an die Weltgemeinschaft, da würde ich das stärker, wenn es jetzt um diese globalen Perspektiven geht, das mehr auf der Ebene betrachten – unabhängig von der Detailkritik, die man vielleicht an der einen oder anderen klimaschutzpolitischen Maßnahme auch in der aktuellen deutschen Politik haben kann.
Deutschlandfunk Kultur: Es gibt ja auch die nationalen Klimaschutzziele. Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen um 40 Prozent zu senken. Und eine neue Studie, die von den Grünen in Auftrag gegeben worden ist, sagt: Das schaffen wir nicht, unter anderem, weil der Verkehr eben nach wie vor Zuwächse bei den Treibhausgasen verzeichnet.
"Wie schräg wart ihr denn damals drauf?"
Uwe Schneidewind: Ja. Der Mobilitätssektor, der ganze Bereich Verkehr ist eine der großen Herausforderungen der ganzen letzten zwanzig Jahre in der Klimadebatte gewesen. Da ist es interessant zu sehen, dass jetzt über diese Kopplung von Elektromobilität mit völlig neuen Mobilitätsmodellen – also wir erleben ja derzeit eine intensive Diskussion darüber, ob wir uns die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen in zwanzig Jahren, nicht völlig anders denken müssen, ob so etwas wie ein selbst besessenes Auto, das vielleicht dann in zwei- oder dreifacher Ausfertigung in der eigenen Garage steht, eigentlich unseren Enkelinnen und Enkeln gar nicht mehr zu vermitteln ist, weil die uns dann nur fragen: "Wie schräg wart ihr denn damals drauf, dass ihr eure ganzen Straßen mit diesen Blechkisten vollgepackt habt, die ihr nur eine Stunde am Tag benutzt habt und die dann auch noch gewaltig klimazerstörend waren?"
Wie gesagt, da kommt eine riesige Bewegung auf. Und das Ernüchternde ist, dass gerade Deutschland, obwohl führende Automobilnation, aber vermutlich gerade deswegen, in dieser Debatte aktuell keine Vorreiterrolle spielt, sondern es die Entwicklungen im Silicon Valley sind oder in China, die uns derzeit vormachen, wie der Umbau zu einer solchen dann ja auch sehr viel klimafreundlicheren Mobilität aussehen kann.
Insofern bin ich im Hinblick auf das Mobilitätsthema und die CO2-Effekte sehr optimistisch und bedauere umso mehr, dass hier in Deutschland diese Herausforderungen so zögerlich angegangen werden.
Deutschlandfunk Kultur: Im Herbst wird ein neuer Bundestag gewählt. Was würden Sie der nächsten Bundesregierung als Beobachter der Klimapolitik ins Stammbuch schreiben wollen, wenn Sie gefragt werden würden?
Uwe Schneidewind: Ich glaube, wichtig ist, auch aus der globalen Perspektive, dass Deutschland seine Vorreiterrolle behält. Und das ist jetzt nicht nur klimapolitisch von Bedeutung, sondern wird auch der besonderen Verantwortung Deutschlands in anderer Hinsicht gerecht. Denn diese besondere Kopplung des ökonomischen Erfolgsmodells Deutschland mit seinen hohen Exportanteilen, die ja nun auch erhebliche Diskussionen im europäischen und internationalen Maßstab auslösen, dies dann zu verbinden mit einer besonderen Verantwortung für ein Thema, das für die Weltgemeinschaft von vitaler Bedeutung ist, ich glaube, das ist eben nicht nur ein ganz wichtiges klimapolitisches, sondern auch ein außenpolitisches Signal, das Deutschland sehr gut ansteht.
Und außerdem ist es ein ökonomisch kluges Signal, weil Deutschland heute schon von einem fortschrittlichen Klimakurs in vielen Branchen und Sektoren profitiert und als eine Wirtschaftsnation, die ganz entscheidend davon lebt, dass sie immer wieder Innovationen vorantreibt, und darüber ihre dominante Stellung in den letzten Jahren behauptet hat, genau auf solche Zukunftsentwicklungen und Technologien, die damit verbunden sind, setzen sollte.
Es ist klimapolitisch, ökonomisch, aber – glaube ich – auch außenpolitisch eine kluge Strategie, Vorreiter im Klimaschutz zu bleiben.
Deutschlandfunk Kultur: Hoffen wir, dass das in Berlin auch so gesehen wird. Vielen Dank für das Gespräch.