Klimaschutz nicht auf Kosten der Ärmsten
Der Klimaschutz kann nach Ansicht des Globalisierungsexperten Johannes Wallacher das Wirtschaftswachstum in Entwicklungs- und Schwellenländern bremsen, das zur Überwindung von Armut beitrage. Es seien daher verschiedene Strategien nötig, so Wallacher.
Katrin Heise: Mehrmals hintereinander wurde Indonesien in den letzten Wochen von Unwettern und Überschwemmungen heimgesucht. Tote, Verletzte, Obdachlose, vernichtete Ernten sind die Folge gewesen. Man erahnt bei diesen Bildern, wie sehr die Folgen des Klimawandels gerade die Länder treffen wird, die ihre Bevölkerung nicht ausreichend schützen können - aus Armut. Die Klima schädigenden Emissionen weltweit zu verringern, ist Ziel der Klimakonferenz in Kopenhagen. Doch ist es eigentlich gerecht und überhaupt möglich, die Entwicklungsländer genauso in die Pflicht zu nehmen wie die Industrieländer? An der Hochschule für Philosophie in München ist in Zusammenarbeit mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ein Projekt angesiedelt, das den Titel trägt "Klima und Gerechtigkeit". Der Ethiker und Globalisierungsexperte Professor Johannes Wallacher ist daran beteiligt. Guten Tag, Herr Wallacher!
Johannes Wallacher: Grüß Sie!
Heise: Die Klima schädigenden Emissionen müssen weltweit reduziert werden, aber jetzt noch mal die Frage: Ist es gerecht, die Entwicklungsländer in gleichem Maße in die Pflicht zu nehmen wie die Industrieländer?
Wallacher: Das ist natürlich nicht gerecht. Wir müssen aber im Grunde da wirklich eine ausdifferenzierte Gerechtigkeitsperspektive einnehmen, die genau die verschiedenen Aspekte der Gerechtigkeitsfrage auch in den Blick nimmt. Wir haben im Grunde genommen zwei große Dimensionen der Gerechtigkeitsfrage. Das eine ist, was Sie bereits geschildert haben, es gilt, einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden, um nicht die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zu gefährden. Also wir müssen jetzt das Unbewältigbare für die Zukunft vermeiden. Wir müssen das aber so machen, dass die Emissionsminderungen nicht den Spielraum für die wirtschaftliche Entwicklung der Entwicklungsländer einschränken.
Heise: Dann kann man sagen, Klimaschutz kann auch mehr Armut bedeuten?
Wallacher: Wenn man es übertrieben und rapide für diese Entwicklungsländer macht, klar. Das Dilemma besteht ja darin, dass wirtschaftliches Wachstum für diese Länder eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für die Überwindung von Armut und breitenwirksamer Entwicklung ist. Und dementsprechend müssen wir diese Spielräume für diese Länder erhalten aus Gerechtigkeitsgründen, aber auch weil sie politisch sonst gar nicht dem zustimmen würden. Das heißt, wir brauchen eine differenzierte Strategie, absolute Reduktionsverpflichtungen für die Industrieländer, relative Verpflichtungen für die Schwellenländer und für die große Gruppe der ärmsten Länder, die ja nicht nur am stärksten betroffen sind, sondern auch am wenigsten zum Klimawandel bisher beigetragen haben, brauchen wir vor allen Dingen Unterstützung für Anpassungsmaßnahmen, weil die Folgen für diese Länder bereits jetzt sehr virulent sind.
Heise: Sie haben vorhin von Spielräumen gesprochen. Kann sich die Welt das überhaupt leisten, solche Spielräume einzuräumen? Werden da vielleicht dann auch Fehler der Industrieländer wiederholt?
Wallacher: Ja, es gilt im Grunde wirklich auch ein Gesamtsystem zu betrachten, wo wir die wenigen Spielräume, die wir haben – wir haben ein globales Gesamtbudget, um einen globalen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden, das sehr begrenzt ist, und das müssen wir so aufteilen, und das ist die Frage der Gerechtigkeit, dass diese Spielräume für die weniger entwickelten Länder erhalten bleiben. Die müssen möglichst schnell auch die Richtung einer kohlenstofffreien Wirtschaft gehen. Aber für den Übergang brauchen sie diese Spielräume und sie brauchen vor allen Dingen auch entsprechende Unterstützung in Technologien, damit sie schnell auch diesen Pfad in einer kohlenstofffreien Wirtschaft gehen können.
Heise: Ist das nicht eigentlich, was Sie sagen, auch schon Teil des Emissionshandels?
Wallacher: Ja, der Emissionshandel, würde ich sagen, ist ein wichtiger Aspekt. Der Emissionshandel ist also die wichtigste Maßnahme, um Klimaschutz wirksam, also zielgerecht und effizient durchführen zu können.
Heise: Denn da müssen die Länder, die viel in die Umwelt blasen, zahlen, und dieses Geld wird beispielsweise in Projekte gegeben, die dann wieder den Umweltschutz fördern?
Wallacher: Das ist der eine Mechanismus. Aber – und das sage ich gleich auch für die Gerechtigkeitsfrage – das allein reicht nicht aus. Wir brauchen begleitend zum Emissionshandel also diesen Aspekt des Technologietransfers, das ist eine ganz wichtige Frage, damit diese Länder, die einen großen Energiehunger haben, auch ihre Energienachfrage so befriedigen können, dass sie möglichst schnell auch ihre Energieeffizienz verbessern und auch möglichst schnell ihre Emissionen absenken können. Und dann dritter wichtiger Aspekt, der da noch gar nicht betrachtet ist: Wir brauchen einen nachhaltigen Schutz der Wälder, weil die fortschreitende Abholzung – der Regenwälder vor allen Dingen, aber auch der anderen Wälder – eine wichtige Quelle von Treibhausgasemissionen weltweit ist. Das heißt, wir müssen im Grunde auch einen Mechanismus finden, wie wir Länder wie Brasilien, wie Indonesien, aber auch in Afrika dafür entschädigen können, dass sie ihre Wälder erhalten, weil das eine wichtige Kohlenstoffsenke ist.
Heise: Gibt es so ein Modell bereits?
Wallacher: Wir sind dabei, in dem Projekt genau im Grunde auch so ein Gesamtpaket zu entwickeln. Also der Begriff der Global Deals fällt in diesem Kontext des Öfteren, Global Deal für Klima und Entwicklung. Das ist nämlich genau das, was wir brauchen: Eine Gesamtperspektive auf diese vielfältigen Probleme, die miteinander verbunden sind, die eben sowohl den Klimaschutz bekämpfen können, auf der anderen Seite aber auch Entwicklung ermöglichen, weil das ist die Forderung der Gerechtigkeit, die es einzulösen gilt.
Heise: Im Deutschlandradio Kultur geht es um Klima und Gerechtigkeit mit dem Ethiker und Globalisierungsexperten Johannes Wallacher. Herr Wallacher, Sie haben Ihr Projekt jetzt schon noch mal wieder eingeführt, Klima und Gerechtigkeit heißt es, das ist ein interdisziplinäres Projekt. Warum muss man sich mit Religion, mit interreligiösem Dialog beispielsweise beschäftigen, wenn es um Klimaschutz geht?
Wallacher: Gut, das ist ein wichtiger Aspekt, weil wenn es darum geht, entsprechende politische Forderungen zu formulieren, die weitreichenden Wandel im Bewusstsein, aber auch in der politischen Realität auch erfordern, muss man natürlich die Menschen irgendwie erreichen. Und weltweit – und das ist auch ein Ergebnis der politischen Philosophie, Theorie in den letzten Jahren – spielen die Religionen dabei eine wichtige Rolle. Da kommt dieser Aspekt sehr stark hinein. Wir müssen aber auch die verschiedenen Disziplinen zusammenbringen. Es reicht nicht mehr aus und das ist glaube ich inzwischen völlig klar, nur allein die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die wir natürlich brauchen, für die Ursachen und die Folgen zu betrachten, wir müssen auch entsprechend die Sozialwissenschaften mit ins Boot nehmen, die uns auch sagen, wie die Folgen konkret aussehen werden. Wir brauchen zum Beispiel Kenntnisse auch der Umweltmigrationsforschung, der Aspekt der Umweltflüchtlinge spielt eine große Rolle, und wir brauchen natürlich ökonomisches Fachwissen, um diesen Klimaschutz möglichst effizient durchführen zu können. Und nicht zuletzt, und das ist unser Part, vor allen Dingen brauchen wir eine integrierte ethische Perspektive eben nicht nur im Hinblick auf die Wertung der Lösungsansätze, sondern allein bei der Analyse glaube ich braucht es diesen ethischen Blickwinkel.
Heise: Und wenn Sie über die Analyse hinausgehen, wie konkret werden Sie, was Empfehlungen und Handlungsoptionen angeht?
Wallacher: Ja, ich denke, dass wir schon den Anspruch haben, relativ konkret zu werden. Also mein Bild ist, davor wirklich so etwas wie eine konkrete Utopie zu entwerfen, also konkret in diesem Sinne, dass sie nicht utopisch ist im Sinne von illusionär, sondern dass es wirklich ein Gesamtpaket ist, das nicht leicht umzusetzen sein wird, aber letztendlich, wenn man die Gerechtigkeitsfrage ernst nimmt, notwendig ist.
Heise: Können Sie dies an einem Beispiel klarmachen?
Wallacher: Ja, ich kann es an dem Beispiel klarmachen, dass wir zum Beispiel deutlich sagen müssen, wir brauchen den Emissionshandel, der ist aber eine erhebliche institutionelle Voraussetzung weltweit. Das heißt, wir brauchen klare Institutionen, wir brauchen aber auch faire Verfahren. Das heißt, die Länder müssen angemessen beteiligt werden, und in den Entwicklungsländern, wo die Armen ja oft meist keine Stimme haben, müssen die noch mal angemessen beteiligt werden, damit ihre Interessen gewahrt werden. Das heißt, wir brauchen ein Institutionensetting, das nach fairen Kriterien aufgestellt ist, um auch die Interessen darlegen zu können, und dann brauchen wir natürlich gleichzeitig die Anpassungsmaßnahmen, wo wiederum die zivilgesellschaftliche Beteiligung auch mit einzufordern ist, sonst besteht die Gefahr, wenn viel Geld in Entwicklungsländer fließt, dass die natürlich nur in Korruption und korrupte Regime gehen. Und im Grunde müssen wir da die zivilgesellschaftliche Beteiligung fördern und Mechanismen fördern, die es erlauben, dass diese Mittel auch wirklich zugunsten der Armen eingesetzt werden.
Heise: Und Klimaschutz, denke ich, muss ja auch in den Köpfen anfangen, also es nützt ja nichts, wenn das in irgendwelchen Institutionen dann tatsächlich da vor Ort vielleicht auch verortet ist, aber nicht die eigene Sache ist, denn dann, denke ich, wird es da auch wirkungslos sein.
Wallacher: Das ist richtig, aber – und das ist die Erfahrung, die wir auch in dem Projekt gemacht haben – ein wichtiger Part ist, dass wir sagen, wir wollen hier nicht aus dem Elfenbeinturm ein Konzept entwerfen, ein politisches, völlig losgelöst von der Wirklichkeit, sondern wir haben vor allen Dingen durch unsere Auftraggeber, die ja wichtige Akteure auch in der Entwicklungszusammenhalt sind, gesagt, wir müssen die Zwischenergebnisse, die Grundfragen auch mit den Partnern im Süden diskutieren, die Betroffenen. Und wir haben in diesem Jahr acht Dialogforen gemacht in verschiedenen Ländern – in Afrika, in Lateinamerika und Asien –, haben diese Dinge zur Diskussion gestellt und ihre Meinung dazu eingeholt. Das ist glaube ich ein ganz wichtiger Aspekt. Und die grundlegende Botschaft aller dieser acht Dialogforen war: Der Klimawandel dort für die Betroffenen ist angekommen. Das ist ein ganz reales Problem und für sie eine ganz große Herausforderung, die zusätzlich zu ihrer Armut eben noch hinzukommt.
Heise: Werden Sie denn im großen Kanon derjenigen, die sich jetzt melden in Sachen Klimaschutz, auch gehört?
Wallacher: Ja gut, das ist natürlich alles relativ, aber ich denke schon, da wir ja in Projekten Partner des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung auch mit Ottmar Edenhofer, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Weltklimarates, haben, sind wir natürlich auch politisch zumindest auch eine wichtige Stimme. Und ihm ist es immer ein großes Anliegen, auch diese ethischen Fragen in die Wissenschaft und darüber hinaus auch an die Politik zu bringen. Das ist glaube ich ein zentraler Aspekt, den die Klimafolgenforschung insgesamt in den letzten Jahren gelernt hat, dass diese Interdisziplinarität stetig auszuweiten ist. Es hat angefangen mit den Naturwissenschaften, dann wurden die Ökonomen hinzugenommen, und inzwischen sieht man ganz klar, dass die ethische Perspektive auch hier angemessen eingebracht werden muss.
Heise: Welche Hoffnung setzen Sie, was Ihr Thema betrifft, in die Konferenz in Kopenhagen?
Wallacher: Ja, ich bin bedingt optimistisch, in diesem Sinne, dass ich sagen würde, die internationale Staatengemeinschaft kann sich überhaupt nicht erlauben, ohne ein Ergebnis aus Kopenhagen zurückzukommen.
Heise: Sagt Johannes Wallacher von der Hochschule für Philosophie in München über Klima und Gerechtigkeit. Ich danke Ihnen, Herr Wallacher, für dieses Gespräch!
Wallacher: Bitte schön!
Johannes Wallacher: Grüß Sie!
Heise: Die Klima schädigenden Emissionen müssen weltweit reduziert werden, aber jetzt noch mal die Frage: Ist es gerecht, die Entwicklungsländer in gleichem Maße in die Pflicht zu nehmen wie die Industrieländer?
Wallacher: Das ist natürlich nicht gerecht. Wir müssen aber im Grunde da wirklich eine ausdifferenzierte Gerechtigkeitsperspektive einnehmen, die genau die verschiedenen Aspekte der Gerechtigkeitsfrage auch in den Blick nimmt. Wir haben im Grunde genommen zwei große Dimensionen der Gerechtigkeitsfrage. Das eine ist, was Sie bereits geschildert haben, es gilt, einen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden, um nicht die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zu gefährden. Also wir müssen jetzt das Unbewältigbare für die Zukunft vermeiden. Wir müssen das aber so machen, dass die Emissionsminderungen nicht den Spielraum für die wirtschaftliche Entwicklung der Entwicklungsländer einschränken.
Heise: Dann kann man sagen, Klimaschutz kann auch mehr Armut bedeuten?
Wallacher: Wenn man es übertrieben und rapide für diese Entwicklungsländer macht, klar. Das Dilemma besteht ja darin, dass wirtschaftliches Wachstum für diese Länder eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für die Überwindung von Armut und breitenwirksamer Entwicklung ist. Und dementsprechend müssen wir diese Spielräume für diese Länder erhalten aus Gerechtigkeitsgründen, aber auch weil sie politisch sonst gar nicht dem zustimmen würden. Das heißt, wir brauchen eine differenzierte Strategie, absolute Reduktionsverpflichtungen für die Industrieländer, relative Verpflichtungen für die Schwellenländer und für die große Gruppe der ärmsten Länder, die ja nicht nur am stärksten betroffen sind, sondern auch am wenigsten zum Klimawandel bisher beigetragen haben, brauchen wir vor allen Dingen Unterstützung für Anpassungsmaßnahmen, weil die Folgen für diese Länder bereits jetzt sehr virulent sind.
Heise: Sie haben vorhin von Spielräumen gesprochen. Kann sich die Welt das überhaupt leisten, solche Spielräume einzuräumen? Werden da vielleicht dann auch Fehler der Industrieländer wiederholt?
Wallacher: Ja, es gilt im Grunde wirklich auch ein Gesamtsystem zu betrachten, wo wir die wenigen Spielräume, die wir haben – wir haben ein globales Gesamtbudget, um einen globalen gefährlichen Klimawandel zu vermeiden, das sehr begrenzt ist, und das müssen wir so aufteilen, und das ist die Frage der Gerechtigkeit, dass diese Spielräume für die weniger entwickelten Länder erhalten bleiben. Die müssen möglichst schnell auch die Richtung einer kohlenstofffreien Wirtschaft gehen. Aber für den Übergang brauchen sie diese Spielräume und sie brauchen vor allen Dingen auch entsprechende Unterstützung in Technologien, damit sie schnell auch diesen Pfad in einer kohlenstofffreien Wirtschaft gehen können.
Heise: Ist das nicht eigentlich, was Sie sagen, auch schon Teil des Emissionshandels?
Wallacher: Ja, der Emissionshandel, würde ich sagen, ist ein wichtiger Aspekt. Der Emissionshandel ist also die wichtigste Maßnahme, um Klimaschutz wirksam, also zielgerecht und effizient durchführen zu können.
Heise: Denn da müssen die Länder, die viel in die Umwelt blasen, zahlen, und dieses Geld wird beispielsweise in Projekte gegeben, die dann wieder den Umweltschutz fördern?
Wallacher: Das ist der eine Mechanismus. Aber – und das sage ich gleich auch für die Gerechtigkeitsfrage – das allein reicht nicht aus. Wir brauchen begleitend zum Emissionshandel also diesen Aspekt des Technologietransfers, das ist eine ganz wichtige Frage, damit diese Länder, die einen großen Energiehunger haben, auch ihre Energienachfrage so befriedigen können, dass sie möglichst schnell auch ihre Energieeffizienz verbessern und auch möglichst schnell ihre Emissionen absenken können. Und dann dritter wichtiger Aspekt, der da noch gar nicht betrachtet ist: Wir brauchen einen nachhaltigen Schutz der Wälder, weil die fortschreitende Abholzung – der Regenwälder vor allen Dingen, aber auch der anderen Wälder – eine wichtige Quelle von Treibhausgasemissionen weltweit ist. Das heißt, wir müssen im Grunde auch einen Mechanismus finden, wie wir Länder wie Brasilien, wie Indonesien, aber auch in Afrika dafür entschädigen können, dass sie ihre Wälder erhalten, weil das eine wichtige Kohlenstoffsenke ist.
Heise: Gibt es so ein Modell bereits?
Wallacher: Wir sind dabei, in dem Projekt genau im Grunde auch so ein Gesamtpaket zu entwickeln. Also der Begriff der Global Deals fällt in diesem Kontext des Öfteren, Global Deal für Klima und Entwicklung. Das ist nämlich genau das, was wir brauchen: Eine Gesamtperspektive auf diese vielfältigen Probleme, die miteinander verbunden sind, die eben sowohl den Klimaschutz bekämpfen können, auf der anderen Seite aber auch Entwicklung ermöglichen, weil das ist die Forderung der Gerechtigkeit, die es einzulösen gilt.
Heise: Im Deutschlandradio Kultur geht es um Klima und Gerechtigkeit mit dem Ethiker und Globalisierungsexperten Johannes Wallacher. Herr Wallacher, Sie haben Ihr Projekt jetzt schon noch mal wieder eingeführt, Klima und Gerechtigkeit heißt es, das ist ein interdisziplinäres Projekt. Warum muss man sich mit Religion, mit interreligiösem Dialog beispielsweise beschäftigen, wenn es um Klimaschutz geht?
Wallacher: Gut, das ist ein wichtiger Aspekt, weil wenn es darum geht, entsprechende politische Forderungen zu formulieren, die weitreichenden Wandel im Bewusstsein, aber auch in der politischen Realität auch erfordern, muss man natürlich die Menschen irgendwie erreichen. Und weltweit – und das ist auch ein Ergebnis der politischen Philosophie, Theorie in den letzten Jahren – spielen die Religionen dabei eine wichtige Rolle. Da kommt dieser Aspekt sehr stark hinein. Wir müssen aber auch die verschiedenen Disziplinen zusammenbringen. Es reicht nicht mehr aus und das ist glaube ich inzwischen völlig klar, nur allein die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die wir natürlich brauchen, für die Ursachen und die Folgen zu betrachten, wir müssen auch entsprechend die Sozialwissenschaften mit ins Boot nehmen, die uns auch sagen, wie die Folgen konkret aussehen werden. Wir brauchen zum Beispiel Kenntnisse auch der Umweltmigrationsforschung, der Aspekt der Umweltflüchtlinge spielt eine große Rolle, und wir brauchen natürlich ökonomisches Fachwissen, um diesen Klimaschutz möglichst effizient durchführen zu können. Und nicht zuletzt, und das ist unser Part, vor allen Dingen brauchen wir eine integrierte ethische Perspektive eben nicht nur im Hinblick auf die Wertung der Lösungsansätze, sondern allein bei der Analyse glaube ich braucht es diesen ethischen Blickwinkel.
Heise: Und wenn Sie über die Analyse hinausgehen, wie konkret werden Sie, was Empfehlungen und Handlungsoptionen angeht?
Wallacher: Ja, ich denke, dass wir schon den Anspruch haben, relativ konkret zu werden. Also mein Bild ist, davor wirklich so etwas wie eine konkrete Utopie zu entwerfen, also konkret in diesem Sinne, dass sie nicht utopisch ist im Sinne von illusionär, sondern dass es wirklich ein Gesamtpaket ist, das nicht leicht umzusetzen sein wird, aber letztendlich, wenn man die Gerechtigkeitsfrage ernst nimmt, notwendig ist.
Heise: Können Sie dies an einem Beispiel klarmachen?
Wallacher: Ja, ich kann es an dem Beispiel klarmachen, dass wir zum Beispiel deutlich sagen müssen, wir brauchen den Emissionshandel, der ist aber eine erhebliche institutionelle Voraussetzung weltweit. Das heißt, wir brauchen klare Institutionen, wir brauchen aber auch faire Verfahren. Das heißt, die Länder müssen angemessen beteiligt werden, und in den Entwicklungsländern, wo die Armen ja oft meist keine Stimme haben, müssen die noch mal angemessen beteiligt werden, damit ihre Interessen gewahrt werden. Das heißt, wir brauchen ein Institutionensetting, das nach fairen Kriterien aufgestellt ist, um auch die Interessen darlegen zu können, und dann brauchen wir natürlich gleichzeitig die Anpassungsmaßnahmen, wo wiederum die zivilgesellschaftliche Beteiligung auch mit einzufordern ist, sonst besteht die Gefahr, wenn viel Geld in Entwicklungsländer fließt, dass die natürlich nur in Korruption und korrupte Regime gehen. Und im Grunde müssen wir da die zivilgesellschaftliche Beteiligung fördern und Mechanismen fördern, die es erlauben, dass diese Mittel auch wirklich zugunsten der Armen eingesetzt werden.
Heise: Und Klimaschutz, denke ich, muss ja auch in den Köpfen anfangen, also es nützt ja nichts, wenn das in irgendwelchen Institutionen dann tatsächlich da vor Ort vielleicht auch verortet ist, aber nicht die eigene Sache ist, denn dann, denke ich, wird es da auch wirkungslos sein.
Wallacher: Das ist richtig, aber – und das ist die Erfahrung, die wir auch in dem Projekt gemacht haben – ein wichtiger Part ist, dass wir sagen, wir wollen hier nicht aus dem Elfenbeinturm ein Konzept entwerfen, ein politisches, völlig losgelöst von der Wirklichkeit, sondern wir haben vor allen Dingen durch unsere Auftraggeber, die ja wichtige Akteure auch in der Entwicklungszusammenhalt sind, gesagt, wir müssen die Zwischenergebnisse, die Grundfragen auch mit den Partnern im Süden diskutieren, die Betroffenen. Und wir haben in diesem Jahr acht Dialogforen gemacht in verschiedenen Ländern – in Afrika, in Lateinamerika und Asien –, haben diese Dinge zur Diskussion gestellt und ihre Meinung dazu eingeholt. Das ist glaube ich ein ganz wichtiger Aspekt. Und die grundlegende Botschaft aller dieser acht Dialogforen war: Der Klimawandel dort für die Betroffenen ist angekommen. Das ist ein ganz reales Problem und für sie eine ganz große Herausforderung, die zusätzlich zu ihrer Armut eben noch hinzukommt.
Heise: Werden Sie denn im großen Kanon derjenigen, die sich jetzt melden in Sachen Klimaschutz, auch gehört?
Wallacher: Ja gut, das ist natürlich alles relativ, aber ich denke schon, da wir ja in Projekten Partner des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung auch mit Ottmar Edenhofer, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Weltklimarates, haben, sind wir natürlich auch politisch zumindest auch eine wichtige Stimme. Und ihm ist es immer ein großes Anliegen, auch diese ethischen Fragen in die Wissenschaft und darüber hinaus auch an die Politik zu bringen. Das ist glaube ich ein zentraler Aspekt, den die Klimafolgenforschung insgesamt in den letzten Jahren gelernt hat, dass diese Interdisziplinarität stetig auszuweiten ist. Es hat angefangen mit den Naturwissenschaften, dann wurden die Ökonomen hinzugenommen, und inzwischen sieht man ganz klar, dass die ethische Perspektive auch hier angemessen eingebracht werden muss.
Heise: Welche Hoffnung setzen Sie, was Ihr Thema betrifft, in die Konferenz in Kopenhagen?
Wallacher: Ja, ich bin bedingt optimistisch, in diesem Sinne, dass ich sagen würde, die internationale Staatengemeinschaft kann sich überhaupt nicht erlauben, ohne ein Ergebnis aus Kopenhagen zurückzukommen.
Heise: Sagt Johannes Wallacher von der Hochschule für Philosophie in München über Klima und Gerechtigkeit. Ich danke Ihnen, Herr Wallacher, für dieses Gespräch!
Wallacher: Bitte schön!