Was wir aus der Coronakrise lernen können
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Die Infektionszahlen sinken und gleichzeitig steigt bei vielen Menschen die Hoffnung auf Normalität. Für das Klima wäre es aber besser, wenn wir einige der Verzichtsübungen aus den Lockdown-Monaten beibehalten würden – um so den CO2-Ausstoß nachhaltig zu reduzieren.
Noch ist wenig los am neuen Berliner Flughafen "Willy Brandt". Reisende stehen nur an einigen der Gepäckschalter an – so wie hier für einen Flug nach Izmir. Zehn- bis zwanzigtausend Passagiere täglich starten und landen zurzeit. Vor der Pandemie waren es zehn Mal so viele.
Sabine Deckwerth von der Berliner Flughafengesellschaft hofft auf Besserung: In zwei Wochen beginnen in der Region die Ferien.
"Wir rechnen vielleicht im Sommer am Tag mit 40.000 - also das wäre das Doppelte von jetzt. Und wenn alles gut geht, erreichen wir in diesem Jahr rund zehn Millionen Passagiere. Und wir hatten zu Vor-Corona-Zeiten 36 Millionen Passagiere", sagt sie.
Lockdowns lassen CO2-Ausstoß sinken
Ob Reise, Gastronomie oder Einzelhandel: Langsam kehrt das Leben zurück. Aber auch wenn die meisten die Corona-Einschränkungen satthaben – für den Klimaschutz haben die Lockdowns Zeichen gesetzt. Nach Berechnungen des "Global Carbon Projects" sank der weltweite CO2-Ausstoß 2020 im Vergleich zum Vorjahr um sieben Prozent.
Das gab es noch nie, sagt Julia Pongratz, Professorin für Physische Geografie und Landnutzungssysteme an der Universität München.
"Wenn man da jetzt in einzelne Regionen reinschaut, dann sieht man noch deutlich stärkere Einschnitte", erklärt sie. "In den USA beispielsweise ging es um zwölf Prozent zurück. In der EU auch um elf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Also regional noch mal ganz unterschiedlich - je nachdem, wann der Lockdown begann und wie stark er war."
Vor allem die erste Welle im Frühjahr 2020 zeigte Wirkung: Viel weniger Menschen pendelten zur Arbeit, Industriebetriebe drosselten die Produktion, kaum jemand reiste in den Urlaub. Entsprechend sank der CO2-Ausstoß am stärksten im Verkehr und bei der Stromerzeugung.
Emissionen langfristig reduzieren
Felix Creutzig vom Berliner Mercator-Institut für Klimaforschung weist aber darauf hin, dass dieser einmalige Effekt dem Klima wenig genutzt hat.
"Wir werden im Jahr 2021, spätestens 2022 mindestens wieder die Emissionen haben, die wir vorher hatten. Um Klimaschutz zu erreichen, bräuchten wir gleich große Emissionsreduktionen jedes Jahr durch strukturelle Effekte", erklärt er.
"Das kann im Elektrizitätsbereich ein sehr viel schnellerer Wechsel zu erneuerbaren Energien sein. Unter anderem auch mit CO2-Preisen, aber auch mit höheren Ausbauzielen und den Mechanismen dahinter. Das bedeutet aber auch, dass wir gerade im Verkehrsbereich und im Gebäudebereich ganz viel tun müssen."
Ein wichtiges Signal auf diesem Weg: Der Preis für CO2-Zertifikate ist in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen. Jedes Unternehmen, das Kohlendioxid ausstößt, muss diese Papiere kaufen. Das verteuert Strom aus Kohle oder Gas genauso wie fossile Kraftstoffe. Im Vergleich sind erneuerbare Energien mittlerweile billiger.
Aus Sicht von Klimaforschern wirkt das: "Wir sehen, dass Kohle sehr viel schneller aus dem Markt geht, als man noch vor ein paar Jahren erwartet hat. Und das ist natürlich eine signifikant positive Entwicklung."
Konsumenten haben gravierenden Einfluss
Aber nicht alle Vorschläge aus der Wissenschaft werden erhört. So haben die Staaten ihre Corona-Wirtschaftshilfen nur selten an Klimaschutzauflagen gekoppelt. Deshalb setzen manche Forschende auf die Verantwortung jedes Einzelnen.
Julia Pongratz von der Uni München nennt als Beispiel die Landwirtschaft: Dort hänge ein Viertel der Emissionen mit Rindfleischerzeugung zusammen, das aber decke nur ein Prozent des weltweiten Kalorienbedarfs.
"Das sind so Dinge, wo man gegensteuern kann. Wir können leicht auf ein Prozent Kalorien weltweit verzichten. Das, was man jetzt an Rinder füttert, könnte man direkt in menschliche Nahrungsmittel umsetzen", sagt sie.
"Man würde damit 25 Prozent der Landnutzungsemissionen einsparen. Und das heißt: Darüber hat der Konsument natürlich schon einen ganz gravierenden Einfluss auf die globalen Emissionen."
Hoffen auf Lerneffekte aus der Pandemie
Verzicht und weniger Wachstum – auch dafür werben Wissenschaftler. Die westlichen Industrieländer könnten bescheidener leben, ohne ihren Wohlstand zu gefährden, sagt Niko Paech.
Das klingt in den Ohren vieler utopisch – aber der Volkswirt von der Universität Siegen hofft auf Lerneffekte aus den Corona-Einschränkungen: "Dass zwar keine Mehrheit, aber dass doch ein gewisser Teil der Bevölkerung vielleicht etwas genügsamer lebt. Weil Menschen festgestellt haben, dass es ihnen schlicht und ergreifend guttut", sagt er.
"Denn die Mobilität und auch der Konsum und viele andere Aktivitäten haben ja auch Stress verursacht. Und das könnte ein Effekt sein, der nach der Corona-Pandemie bestehen bleibt."
Verfechter der Postwachstumsidee wollen weniger globalisierte Industrien und mehr Produktion vor Ort. Aus ihrer Sicht könnten die Menschen kürzer als bisher arbeiten: Wer weniger konsumiert, braucht weniger Geld. In der gewonnenen Zeit sollte jeder mehr für die eigene Versorgung tun – Kaputtes reparieren oder gemeinsam Probleme im Umfeld lösen zum Beispiel.
Verzicht statt ständiges Wachstum
Eine Gesellschaft, die so lebt, ist nach Paechs Meinung besser gerüstet für kommende Krisen. Die Impulse dazu müssten aus der Zivilgesellschaft kommen.
"Ich plädiere als Wirtschaftswissenschaftler dafür, endlich mal über Individualethik zu reden, und nicht nur über die Ethik der Institution oder des Governments oder der Politik", sagt er.
"Denn in einer parlamentarischen Demokratie werden wir nie das Kunststück erleben, dass Menschen mehrheitlich eine Politik wählen, die sie zu etwas zwingt, wozu sie freiwillig nie bereit wären oder was sie schlicht und ergreifend verlernt haben oder was sie gänzlich überfordert."
Aber ist unsere Gesellschaft wirklich zum Verzicht bereit? Zumindest der Berliner Flughafen setzt darauf, dass der Luftverkehr wieder so stark wird, wie er 2019 war. Auch wenn das noch dauern werde, sagt Sabine Deckwerth. "Nach unseren Berechnungen wird es vielleicht 2025 so weit sein, dass wir wieder das Vor-Krisen-Niveau erreichen."
Schon jetzt starten in Berlin-Schönefeld deutlich mehr Flugzeuge als vor einigen Wochen. Nach Verzicht klingt das nicht.