Klimaschutz

"Wenn wir so weitermachen, ist das Ende programmiert"

Ein Schild mit der Aufschrift "Pray for Rain" (Bete für Regen)
Eine dauerhafte Dürre trocknet Kalifornien schon seit drei Jahren aus - eine Folge der Klimaveränderung? © picture alliance / dpa
Am 1. Dezember beginnt die Klimakonferenz in Lima. Tun wir genug, um die Erderwärmung zu stoppen? Nein, sagt der ehemalige Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Michael Müller. Der SPD-Politiker zieht ein desillusionierendes Fazit.
Der ehemalige Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Michael Müller, sagte im Deutschlandradio Kultur, im Hinblick auf den Klimaschutz sei der Widerspruch zwischen Wissen und Handeln dramatisch. "Wenn wir so weitermachen, ist das Ende programmiert", betonte er. Es sei jetzt nötig, über die Hintergründe der Handlungsunfähigkeit zu reden.
Dazu zählte Müller das kapitalistische System und die Fixierung auf Wachstum, aber auch Erscheinungen wie Nationalismus, "Hyperindividualismus" und eine "Verlängerung des kolonialen Denkens". Klimaschutz sei nicht nur eine umweltpolitische Frage, sagte Müller: "Hier haben wir es mit einem gesellschaftlichen Zusammenhang zu tun."
Viele Fragen würden einfach verdrängt, kritisierte Müller. "Das hat viel damit zu tun, dass wir nur noch im Hier und Jetzt denken." Zudem würden die Konsequenzen aus der Einsicht, dass man mehr für das Klima tun müsse, individualisiert. "Ich habe nichts dagegen, wenn man weniger Fleisch isst, nicht mehr mit dem Flugzeug fliegt oder Car-Sharing macht, aber es geht um eine Systemfrage, nicht nur um individuelles Handeln", so der Vorsitzende der Naturfreunde Deutschlands.

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Naomi Klein ist ein Star, eine Ikone der Globalisierungsgegner, mit Ihren Büchern "No Logo!" und "Die Schock-Doktrin" hat sich die Kanadierin an die Spitze der Anti-Globalisierungsbewegung gesetzt. Jetzt hat sie ein neues Buch veröffentlicht, "This changes everything. Capitalism versus the Climate". An dem englischen Titel merken Sie schon, das gibt es bisher erst auf Englisch. Auf Deutsch also "Kapitalismus versus Klima. Das ändert alles". Echten Klimaschutz, schreibt sie darin, gebe es nur, wenn der Kapitalismus grundlegend verändert wird.
Über die Thesen des Buches und die aktuelle Klimapolitik wollen wir reden vor der Klimakonferenz in Lima – die fängt nämlich am 1. Dezember an –, und wir tun das mit dem Sozialdemokraten Michael Müller. Der war einst Staatssekretär im Bundesumweltministerium von Sigmar Gabriel und hat zudem 2013 die Delegation beim Weltklimarat geleitet. Heute ist er Vorsitzender der Naturfreunde Deutschlands. Grüß Sie, Herr Müller!
Michael Müller: Guten Morgen!
von Billerbeck: Naomi Klein schreibt, echten Klimaschutz gebe es nur, wenn der Kapitalismus grundlegend verändert wird. Das heißt doch, dass man auf einer Weltklimakonferenz gar nicht mehr über CO2-Ausstoß reden muss, sondern über Macht.
Müller: Na gut, das war von Anfang an so. Die These selbst ist ja nicht neu, wiewohl man schon ergänzen muss, auch die anderen Systeme, also beispielsweise der zusammengebrochene Realsozialismus, waren nicht weniger klimafeindlich. Aber trotzdem ist es richtig, dass man einen Systemzusammenhang und die Zerstörung des Klimas sehen muss.
von Billerbeck: 1992, da hieß das Klimaziel ja noch, dass sich die Erdatmosphäre nicht mehr als 1,5 Grad erwärmen darf, dann waren es schon zwei Grad, mit denen man sich bescheiden wollte. Heute setzen viele den Wert noch höher an. Es gab gerade eine Studie des Instituts für Klimafolgenforschung in Potsdam. Die warnen davor, dass es mehr als vier Grad werden könnten. Bereitet sich die Politik inzwischen auf ein Ziel vor, das eben genau so was akzeptiert, dass die Erdatmosphäre sich eben noch mehr aufheizt?
"Die Politik bereitet sich auf gar nichts vor"
Müller: Ich habe persönlich den Eindruck, die Politik bereitet sich auf gar nichts vor, sondern sie redet drüber. Die Konsequenzlosigkeit von Einsichten oder der Widerspruch zwischen Wissen und Handeln, der ist schon dramatisch, sodass man, da bin ich auf der Seite von Naomi Klein, mal zu Recht über die Hintergründe dieser Handlungsunfähigkeit reden muss.
Ich glaube nur, dass es weit mehr als nur der Kapitalismus im klassischen Sinne ist, dazu gehört auch der Nationalismus, dass man beispielsweise Angst hat, gegenüber anderen Ländern zu verlieren. Dazu gehört die Fixierung auf Wachstumsfragen. Dazu gehört ein Hyperindividualismus. Es gehören sehr viele Fragen dazu.
Da gehört auch eine Verlängerung des kolonialen Denkens letztlich dazu, und, was aus meiner Sicht viel zu selten gesehen wird: Die beiden Grundlagen des europäischen Denkens, also das Freiheitsverständnis bei John Locke und das Wirtschaftsverständnis bei Adam Smith, beruhen beide auf der These, die Natur ist nichts wert.
von Billerbeck: Das heißt, wir verheizen im Wortsinn das Leben der übernächsten Generation und schreiben einen Teil der Erde wider besseres Wissen ab.
Ökonomie: Eine große Verwertungsmaschine, die man nicht stoppen kann
Müller: Das ist leider eine der Problematiken, die übrigens schon Max Weber in "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" am Beginn des letzten Jahrhunderts beschrieben hat, wo er ja sagt, die Ökonomie ist diese große Verwertungsmaschine, die wir kaum in der Lage sind zu stoppen, bis der letzte Zentner Kohlenstoff verglüht sei.
Die Frage ist, ob das tatsächlich so sein muss. Und darüber nachzudenken, das, finde ich, ist die interessante Frage, und deshalb finde ich es auch richtig, dass man Klimaschutz nicht nur eben als eine umweltpolitische Frage im engeren Sinne sieht, sondern begreift, hier haben wir es mit einem gesellschaftlichen Zusammenhang zu tun, und wir müssen endlich die Naturvergessenheit, die eigentlich die gesamte europäische Moderne geprägt hat, überwinden.
Einer der Väter der Aufklärung, Francis Bacon, dessen berühmter Satz "Wissen ist Macht" ja allgemein bekannt ist, fügt dann ja kurze Zeit später hinzu, "und deshalb müssen wir die Natur auf die Folterbank spannen". Das kann nun wirklich nicht ein ökologisches Denken sein.
von Billerbeck: Sie haben an einer Stelle vorhin gesagt, da bin ich auf ihrer Seite oder da ist das Buch von Naomi Klein richtig. Ist denn das tatsächlich ein Manifest für den Wandel?
Müller: Na ja, es ist eines der vielen Bücher zu dem Thema, das sehr viel härter beschreibt, dass es um die Existenz der Menschheit geht, und dass da nur ein Wandel die Dramatik abwenden kann. Wahrscheinlich wird im nächsten Jahr die Erde anders eingeteilt oder die Erdeinteilung anders bestimmt als bisher. Im Augenblick reden wir ja noch vom Holozän, der gemäßigten Warmzeit, und möglicherweise wird im nächsten Jahr der Vorschlag des Nobelpreisträgers Paul Crutzen aufgegriffen, unsere Erdgeschichte Anthropozän zu nennen, also "Menschenzeit".
von Billerbeck: Das heißt ja, das Ende ist programmiert.
Viele Fragen zum Klimaschutz werden dramatisch verdrängt
Müller: Das heißt, dass es sich zuspitzt. Auf der einen Seite, wenn wir so weitermachen, ist das Ende programmiert, aber auf der anderen Seite, dass der Mensch eine viel größere Verantwortung hat, als er bisher wahrnimmt. Also beispielsweise der größte geologische Faktor zur Veränderung der Erde ist in der Zwischenzeit die Art und Weise, wie wir Städte haben, also die Verslummung der Welt beispielsweise. Oder auch ein ganz wesentlicher Faktor ist, dass wir den Höhepunkt der Ölförderung erreicht haben 2006, aber beispielsweise in Asien die Massenmotorisierung gerade erst begonnen hat.
Das sind alles Fragen, die wir einfach verdrängen, dramatisch verdrängen. Und das hat viel damit zu tun, dass wir nur noch im Hier und Jetzt denken. Deshalb wäre meine Antwort eher auf diese Herausforderung, wir müssen endlich wieder anfangen, Zusammenhänge wirklich zu begreifen.
Michael Müller, Mitglied der Endlagerkommission
SPD-Politiker Michael Müller: "Dramatischer Widerspruch zwischen Wissen und Handeln"© dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
von Billerbeck: Es ist alles so naheliegend. Da fragt man sich, warum passiert es nicht?
Müller: Das hat natürlich was mit Gewohnheiten zu tun, mit Interessen zu tun, dass man sich auch Alternativen oft gar nicht vorstellen kann. Und ich sehe eigentlich die Problematik heutzutage darin, dass die Konsequenzen aus dieser Einsicht individualisiert werden.
Ich habe nichts dagegen, das ist auch gut, wenn man weniger Fleisch isst, nicht mehr mit dem Flugzeug fliegt oder beim Auto eben Car-Sharing macht. Aber es geht, und da hat Naomi Klein nun wirklich recht, es geht um eine Systemfrage, nicht nur um ein individuelles Handeln. Beides muss zusammenkommen.
von Billerbeck: Interessant ist ja, dass Naomi Klein in dem Buch auch auf die deutsche Energiewende setzt, sie spricht da von der inspirierenden Bewegung, die im Energiesektor Selbstbestimmung und eine gemeinschaftliche Kontrolle anstrebt und hofft auf eine Energiedemokratie. Herr Müller, überschätzt sie da nicht so ein bisschen die bisherigen Erfolge der deutschen Energiewende?
Müller: Ja – es kommt darauf an, was man da nimmt. Wenn man die Debatte über die Energiewende nimmt, überschätzt sie es nicht. Wenn man die Realität ansieht ...
von Billerbeck: Die meine ich.
Müller: ... überschätzt sie es. Also, das Problem ist, dass natürlich Deutschland mit den ganzen Debatten seit 1980 – das ist ja nicht erst eine Erfindung nach der Katastrophe von Fukushima, sondern das Öko-Institut hat ja 1980 die erste Energiewende herausgebracht. Und beispielsweise, es war die Politik, die 1990 das erste große Energiewendeszenario für den Klimaschutz dargelegt hat, damals mit einer Reduktion um 33 Prozent, in den alten Bundesländern. Also die Fakten kennen wir alle. Das Problem ist, dass die Einsichten nicht so sind, wie sie sein müssten, denn die Energiewende wird weitgehend reduziert auf den Strommarkt und auf erneuerbare Energien.
von Billerbeck: Der einstige sozialdemokratische Politiker Michael Müller, heute Vorsitzender der Naturfreunde Deutschlands, über die Thesen im neuen Buch der kanadischen Globalisierungskritikerin Naomi Klein. Auf Deutsch wird das Buch übrigens am 26. März 2015 erscheinen, dann unter dem Titel "Die Entscheidung. Kapitalismus versus Klima". Herr Müller, ganz herzlichen Dank!
Müller: Kein Problem!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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