Die Corona-Pandemie hat die Malediven monatelang ihre Grenzen für Touristen schließen lassen. Das ist für ein Land, das wie kaum ein anderes abhängig ist vom Tourismus, eine Katastrophe – und hat den Klimawandel an Wichtigkeit etwas zurücktreten lassen. Doch seit Mitte Juli dürfen Touristen wieder auf die Malediven reisen. Korrespondentin Silke Diettrich im Gespräch mit Margarete Wohlan.
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Warum das Land nicht untergehen wird
22:22 Minuten
Wie kein anderer kämpft der Politiker Mohamed Nasheed für die Existenz seines Landes, die buchstäblich vom Untergang bedrohten Malediven. Doch der Ex-Präsident ist überzeugt: Mit der richtigen Politik wird der Inselstaat dem Klimawandel trotzen.
Gemurmel aus dem Untergrund. Dumpfe Geräusche aus dem Boden des Meeres. Männer in Taucheranzügen und mit Sauerstoffflaschen, Blasen steigen auf. Tauchen ist auf den Malediven nichts Ungewöhnliches, eine Art Nationalsport. Doch dieser Tauchgang vor der Küste der Inselhauptstadt Male ist einmalig. Hier taucht der Staatspräsident persönlich ab. Und das als eine politische Protestaktion.
"Wir versuchen, eine Botschaft an die Welt zu schicken, damit alle wissen, was hier draußen auf den Malediven passiert. Wenn es die Malediven nicht mehr gibt, wenn die Inseln untergehen wegen der Erderwärmung und dem Anstieg des Wassers, dann wird es auch den Rest der Welt nicht mehr allzu lange geben. Wir wollen, dass sich alle dieselben Sorgen machen wie wir, und wir wollen, dass endlich etwas geschieht."
Einen solch dramatischen Appell vor dem Hintergrund des Indischen Ozeans, eine solche Inszenierung als Signal für den globalen Kampf gegen den Klimawandel hatte man noch nie gesehen.
2009 war das, in einer Zeit, als es noch kein "Fridays for Future" gab und kein Instagram. Doch diese Bilder gingen viral um die Welt, viele erinnern sich heute noch daran. Der Initiator, Staatspräsident Mohamed Nasheed, brachte die Malediven damit auf die internationale Landkarte. Und natürlich auch sich selbst.
"Es ging darum, den Ernst der Lage aufzuzeigen"
Es hat sich viel verändert seit 2009 – auch für ihn persönlich. Er ist jetzt nicht mehr Staatspräsident, sondern Parlamentspräsident, doch davon später. Wie sieht er seine Aktion heute?
"Ach wissen Sie, es ging darum, den Ernst der Lage aufzuzeigen. Vor 40 Jahren gab es Menschen, die sehr pessimistisch waren und vorhersagten, die Malediven würden genau im Jahr 2020 untergehen – aber Sie sehen, es gibt uns noch."
Es war nicht einfach, ein Gespräch mit Mohamed Nasheed zu bekommen. Der Vollblutpolitiker und Ex-Präsident ist immer noch heiß gefragt. Er hält viele Fäden in der Hand und ist auch international in Sachen Klimaschutz unterwegs. Erst am Vorabend wurde der Interviewtermin bestätigt. Jetzt, beim Treffen im Parlamentsgebäude, erteilt Nasheed erstmal einen Grundkurs in Sachen Geopolitik.
"Die Portugiesen waren hier, die Holländer, die Briten und jetzt kommen neue Mächte wie China. Wir drohen, zerrieben zu werden."
Soll bedeuten: Die Malediven sind kein verlorener Flecken im Indischen Ozean, sondern eine Station der großen internationalen Handelsrouten.
Diskussionen im Parlament über Klimawandel
Der ehemalige Präsident, ganze 1,58 Meter groß, ist immer noch eine charismatische Erscheinung. Man sagt über ihn, er habe das Zeug, ganz allein eine Wahl zu gewinnen. Doch nicht alle mögen ihn. Er ist hier auch umstritten wegen seiner liberalen Ansichten und seiner direkten, manchmal polemischen Art. Und es geht gleich zur Sache: das Meer, die Inseln, die neuesten Veränderungen durch den Klimawandel.
"Wir haben heute Morgen im Parlament eine Diskussion über den Klimawandel gehabt. Es gibt beunruhigende Berichte, dass es in diesem Jahr besonders viel Erosion gab. Wenn der Monsun kommt, gibt es immer etwas Erosion, aber diesmal war es ganz besonders übel. Die Zerstörungen sind von einer Art, die es noch nie gab. Wir wollen untersuchen, ob ein Muster dahintersteckt, ob sich Winde verändert haben oder was da passiert ist."
Den Sachen auf den Grund gehen, das tut er gern, der gelernte Meeresbiologe Mohamed Nasheed, der früher auch einmal Journalist war. Gern arbeitet er auch mit den Ältesten der Inseln zusammen, im sogenannten Inselrat, da sei viel nützliches Wissen gespeichert.
"Für einen Großteil der Umweltzerstörungen sind wir selbst verantwortlich. Wir haben viele Hotels, Häfen und Flughäfen gebaut und so die Inseln und ihr Ökosystem unter Stress gesetzt. Aber die Bodenerosion betrifft auch unberührte Inseln. Wir untersuchen jetzt, ob das ein alljährlich wiederkehrendes Phänomen sein könnte – so wie die Waldbrände in Australien, die ja auch jedes Jahr wiederkehren."
Nasheed: Mandela des Indischen Ozeans
Als Nasheed noch Präsident war, galt er international als Hoffnungsträger. Man hat ihn mit Obama verglichen oder als Mandela des Indischen Ozeans bezeichnet – diesen kleinen, drahtigen Mann, der gern gestikuliert, argumentiert, überzeugt, lacht. 2011 wurde er von Newsweek in die Top Ten der Politiker des Jahres gewählt. Er hatte 2008 die Demokratie auf die Malediven gebracht, zusammen mit seiner Maldives Democratic Party. Löste eine korrupte Clique ab, einen mafiösen Familienclan, der das Land 30 Jahre lang regiert hatte. Und dann, 2012, der Putsch.
"Dieser Putsch konnte nur geschehen, weil ich mich weigerte, auf Menschen schießen zu lassen. Es begann mit einer Meuterei der Polizei, dann rebellierten Teile der Armee, ein gewisses salafistisches Element innerhalb der Streitkräfte. Plötzlich radikalisierten sich unsere Sicherheitsorgane."
Der Staatspräsident wurde von seinen korrupten Vorgängern abgesetzt und festgenommen. Man beschuldigte ihn absurderweise des Terrorismus und er verbrachte eineinhalb Jahre im Gefängnis. Dort wurde er brutal gefoltert – noch heute trägt er wegen seiner Schäden am Rücken ein Korsett. Schließlich durfte er zur medizinischen Behandlung nach Großbritannien ausfliegen und wurde mehrfach operiert.
2018 kam Nasheed zurück nach Malé, seine Partei gewann triumphal die Wahlen, seitdem ist er Parlamentspräsident. Der Staatspräsident heißt jetzt Ibrahim Mohamed Solih und ist ein treuer Mitstreiter und Parteifreund Nasheeds. Doch der ist immer noch der eigentliche Herrscher der Insel, derjenige, um den alle Diskussionen kreisen.
Radikale Islamisten auf den Malediven
Eines seiner Probleme: die Islamisten. Kein Land, heißt es, habe so viele Kämpfer zum IS geschickt wie die Malediven. Sie kämpften in Syrien und im Irak, jetzt sind viele von ihnen zurückgekehrt.
"Unser Polizeichef hat das ganz gut im Griff. 1400 radikale Islamisten leben auf den Malediven, gefährliche, zu allem bereite Leute. Wir haben viele von ihnen identifiziert und einige verhaftet. Wir kennen ihr Netzwerk, ihre Geldströme und ihre Absichten. Aber es sind nun mal sehr viele Menschen, die kann man nicht alle an einem Abend ins Gefängnis stecken."
Die Malediven sind das einzige 100-prozentige muslimische Land der Welt, als Staatsbürger leben dort tatsächlich nur Moslems. Der sunnitische Islam ist Staatsreligion.
Und Nasheeds Herzensthema, sein Kampf für die Umwelt? Das unberührte Tropenparadies der Luxusklasse mit weißem Puderzuckersand, türkisschimmerndem Wasser, Kokospalmen unter blauem Himmel – wie es der "Lonely Planet" in seinem Werbespot anpreist – das ist schon lange nicht mehr wahr. Hinzu kam, dass während Nasheeds Abwesenheit viele Inseln von der korrupten Regierung an westliche Unternehmen verscherbelt worden waren. Ökologie spielte damals keine Rolle. Jetzt arbeitet Nasheed mit Privatleuten zusammen und unterstützt deren innovative Ökokonzepte.
Mit Nachhaltigkeit gegen Klimawandel
Zum Beispiel das Luxus-Resort Soneva Fushi eine halbe Stunde per Wasserflugzeug nördlich von Malé. Das Resort umfasst eine ganze Insel und wird von dem Briten Sonu Shivdasani und seiner Ehefrau betrieben. Soneva macht Nachhaltigkeit zur absoluten Doktrin.
"Das große Problem auf den Malediven ist der Umgang mit Müll. Bisher wurde der meiste Müll einfach ins Meer geworfen oder verbrannt. Wir wollen Müll vermeiden oder verarbeiten, haben dazu ein Ökozentrum errichtet. Wir arbeiten auch mit den umliegenden Inseln zusammen. Unser Modell heißt Zero Waste."
"Null Müll", Zero Waste. Wasseranlagen werden installiert, Essensreste zu fast 100 Prozent kompostiert, eigenes Gemüse angebaut, das nicht mehr 10.000 Kilometer aus Dubai importiert werden muss. Die Boote und die Küche werden von Sonnenenergie betrieben. Sonu Shivdasani sieht darin die Gastronomie der Zukunft.
"In unserem Hotel gibt es kein Evian, kein Vittel. Anstatt Mineralwasser über die halbe Welt in Containern ankarren zu lassen, produzieren wir unser eigenes Wasser, haben unsere eigene Abfüllanlage. Wir haben Filter und Reinigungsanlagen. Plastik ist verboten, wir trinken aus Krügen. Das ist viel ökologischer."
Von dem aufbereiteten Wasser und den anderen ökologischen Innovationen werden auch die Nachbarinseln profitieren, das neue Know-how wird durch Videos verbreitet. Der Leiter der Wasseraufbereitungsanlage erklärt:
"Wir werden unser Produkt auf die anderen Inseln ausdehnen, sodass man dort keine Plastikflaschen mehr benutzt, Müll nicht mehr ins Meer wirft und alle ökologischen Maßnahmen, die hier bei uns entwickelt werden, auch dort praktiziert werden."
"Australien hat die härtesten Klimagegner"
Was für ein Unterschied zu 2009, als Nasheed seine spektakuläre Aktion vorführte! Damals bestand sogar der Plan, einen Fonds anzulegen, damit alle Malediver, wenn sie die Insel klimabedingt verlassen müssen, auswandern könnten.
"Wo sollten wir denn hin? Nach Australien? Die haben nichts vom Klimawandel verstanden, dort findet man die härtesten Klimaleugner mit ihrer Kohle, dieser steinzeitlich viktorianischen Energie. Und sie haben ihre Waldbrände. Die UNO sollte ihr gesamtes Geld zur Aufklärung über die Wirkungen von CO2 nach Australien schicken."
Für Mohammed Nasheed gibt es dennoch keinen Grund zum Pessimismus. Das hängt auch mit der Natur der Inseln selbst zusammen. Denn die Inseln wandeln sich, von Woche zu Woche und von Monat zu Monat. Sie sinken nicht immer nur ab, sie können auch ein Stück nach oben wachsen. Und damit könnten am Ende auch die ganzen Malediven gerettet werden.
"Es wird Veränderungen geben, das steht ohne jeden Zweifel fest. Vielleicht entstehen neue Inseln, und die Korallen werden sich erneuern oder es wird neue Korallen geben. Das ist entscheidend, denn die Korallenriffe um die Insel halten diese wie einen Ring zusammen. Jetzt haben wir bereits neue Arten von Korallen entdeckt, solche die sich dem Klimawandel widersetzen, die vielleicht gegenüber dem Klimawandel immun sind."
Korallen können sich in 15 bis 20 Jahren erholen. Parlamentspräsident Nasheed ist überzeugt, dass dies auch ein Bild für die Zukunft seines Landes sein kann.
"Ich bin Optimist. Ich bin es gewöhnt voranzugehen und Diskussionen auszulösen."