"Die Inuit sagen: Das Meer kommt näher"
In der Arktis schmilzt das Eis und es wird wärmer. Da die Menschen dort das nicht ändern können, passen sie sich an, erklärt der Journalist Klaus Scherer, der für ein Buchprojekt die Region mehrfach besucht hat.
Korbinian Frenzel: Ewiges Eis - das ist unser Bild von der Arktis, ein Bild, das irgendwann so dahinschmelzen wird, wie das Eis hoch im Norden selbst. Nirgendwo hat sich die Erde stärker erwärmt als dort in diesem abgeschiedenen Winkel. Was hat das für Folgen? Zu dieser Frage gibt es sicher viele spannende Studien. Seit heute gibt es eine wahrscheinlich sogar noch etwas spannendere Lektüre: Geschichten, was dieser Wandel mit den Menschen macht und was diese Menschen aus ihm machen. "Am Ende der Eiszeit - die Arktis im Wandel" - so heißt das Buch, das mein Gesprächsgast geschrieben hat, der Journalist Klaus Scherer. Guten Morgen!
Klaus Scherer: Guten Morgen!
Frenzel: Sie sind den ganzen Polarkreis entlanggereist, haben viele Menschen getroffen. Wenn man das jetzt mal biologisch betrachtet, ist das so, als würde man beobachten können, wie der Homo Sapiens sich auf seine neuen Klimaverhältnisse umstellt?
Klaus Scherer: Guten Morgen!
Frenzel: Sie sind den ganzen Polarkreis entlanggereist, haben viele Menschen getroffen. Wenn man das jetzt mal biologisch betrachtet, ist das so, als würde man beobachten können, wie der Homo Sapiens sich auf seine neuen Klimaverhältnisse umstellt?
Das Eis trägt nicht mehrScherer: Na ja, die Bewohner in der Arktis haben sich immer der Natur angepasst. Sonst hätten sie nicht überlebt. Und das tun sie jetzt wieder, schon länger als wir glauben, und während wir noch lange diskutieren, was wir tun müssen, ob es überhaupt Klimawandel gibt, finden Sie dort eigentlich tatsächlich Änderungen, die die Leute längst vorantreiben. Nehmen Sie Grönland, wo wir die Reise angefangen haben. Ich bin vor acht Jahren schon mal da gewesen und fragte einen Hubschrauberpiloten, warum denn auf seinem Flugplan so viele Kreuze sind. Ich dachte, der hätte sich die schönsten Stellen angekreuzt. Und er sagte damals schon: Das sind die Gletscher, die es nicht mehr gibt. Die gehen zurück, das Eis geht zurück.
Was heißt das? - Wir waren in einem Küstenort. Da sagten uns die Leute, wir können nicht mehr jagen. Wir können nicht mehr raus aufs Eis, es trägt nicht mehr, es geht früher zurück und es geht weiter zurück. Was machen wir? - Wir fangen Fische. Wir haben neue Arten von Fischen, die wir früher nicht hatten, und die Eisberge, die früher unsere Fangleinen zerrissen haben, die sind jetzt weniger. Deswegen bauen wir vielleicht eine Fischfabrik und setzen darauf. Das heißt wohl oder übel: Sie drehen das ins Positive und machen das beste daraus.
Nehmen Sie Schweden. Die Wintersaison ist kürzer geworden. Wintersport spielt nicht mehr die Rolle. Man muss es früher machen, zu Weihnachten, da ist es zu kalt. Sie haben jetzt eine größere Anzahl von Touristen, die kommen, um Fotos zu machen von Polarlichtern - das ist ein neuer Wirtschaftszweig.
Nehmen Sie Russland, eine Stadt wie Jakutsk, die kälteste Großstadt der Welt. Das war mal ein Verbannungsort, heute ist das eine Boom Town mit neuer Architektur, mit Hochhäusern, die aus dem Permafrost schießen, und mit viel Strukturhilfe aus Moskau, weil sie den Norden zum Boom-Gebiet erklären mit Blick auf neue Verkehrsrouten nördlich der Küste zum Beispiel.
Frenzel: Gab es bei dieser langen Reise, die Sie da gemacht haben, Erlebnisse, ein besonderes Erlebnis, das Ihnen in Erinnerung geblieben ist, im guten wie im schlechten?
Scherer: Es gab mehrere. Ich werde nie vergessen: Wir waren auf Island tauchen im zwei Grad kalten Wasser. Ich hatte noch nie einen Trockenanzug an, den Sie da brauchen. Und zwar in einer Spalte zwischen den Kontinentalplatten. Sie können dann auch unter Wasser auf der einen Seite Amerika in der Hand halten und auf der anderen Seite die eurasische Festlandplatte. Das ist ein tolles Gefühl und das zeigt auch: Leute kommen dahin, Tourismus ist ein boomender Sektor, sowohl in Grönland als auch in Island, das zugänglicher wird.
Oder wir haben viel Wildnis gesehen, Bären in Finnland, Rentierherden in Alaska, und die Flüge über Alaska, über Sibirien, über Grönland, das werde ich nie vergessen. Ich freue mich dann, guck aus dem Flugzeugfenster dieser kleinen Buschpiloten und freue mich allein, dass es das gibt.
Was war bedrückend? - In Alaska ein Außenposten am Polarkreis, Point Hope. Auch da war ich vor acht Jahren und man merkt da richtig, die Leute sind bedrückt. Die Inuit sagen: Das Meer kommt näher. Es ist Juli gewesen, es war über 30 Grad, sie sagen: Das ist uns "Zu heiß!". Das sind wir nicht gewohnt, es geht uns zu schnell. Früher konnten wir die Alten fragen, was zu tun ist; heute sind wir selber die Alten und wir haben keine Antworten.Chancen nutzen, die es gibtFrenzel: Wenn wir über den Klimawandel sprechen, dann sind wir es ja gewohnt, eigentlich immer apokalyptische Prognosen zu bekommen. Wenn man den Titel Ihres Buches hört, "Ende der Eiszeit", dann klingt das irgendwie gar nicht so bedrohlich, wenn ich jetzt Ihren Schilderungen zuhöre, die ja bis auf diesen letzten Eindruck auch eher positiv klingen. Wie wird das denn wahrgenommen von den Menschen, tendenziell eher als Chance auch, oder eher als Übel, an das man sich gewöhnen muss?
Scherer: Beides. Da ist natürlich ein Umbruch da, da ist sicherlich auch eine Generationenlücke da, jüngere Inuit wollen anders jagen als die älteren. Aber der Zwang, sich anzupassen, der ist sicherlich da. Und sie sagen natürlich auch, pragmatisch wie sie sind, in Grönland zum Beispiel: Was sollen wir jetzt weinen und warten, bis uns einer hilft, wir müssen überleben. Und wir überleben nicht mehr als Jäger, wir müssen was anderes machen und wir müssen die Chancen nutzen, die es da gibt.
Dann haben sie natürlich auch unabhängig vom Klimawandel einen Wandel durch Globalisierung, durch Internet. Da rückt uns der Norden auch im Alltag näher. Wir haben eine Frau porträtiert in Finnland, eine Sami, eine Ureinwohnerin, die studiert an der Uni in Ulu, die sagt: Jetzt reduziert uns nicht wieder auf dieses Klischee von Rentierzüchtern, wir machen auch andere Dinge. Die Frau macht Rockmusik in einer Band, die nimmt Platten auf in Ureinwohnersprache. Das höre ich jeden Morgen im Auto, seit ich wieder hier bin.
Das heißt, uns rückt da wirklich der Norden näher, weil die Welt zusammenrückt, und natürlich, weil sie auch auf Wirtschaftsweisen setzen, die sich jetzt bieten. Ob sie nun Autos testen auf Eisstrecken in Schweden, wo ich auch mal fahren durfte, oder ob sie in Norwegen oder in Schweden Datenserver kühlen mit den Temperaturen, die dort halt Stromkosten überflüssig machen, das sind Gewerbe, die wachsen, nicht nur Fischfang und andere Dinge. Das sind Wirtschaftszweige, die könnten überall auf der Welt sein, und die, die das vorantreiben, sagen: Wenn wir kalifornische Industrien in Lappland ansiedeln, dann müssen wir nicht auf Stockholm warten, die uns sowieso nur belächeln. Da rückt viel zusammen und da sind die Anwohner auch sehr findig, weil sie es immer sein mussten.
Frenzel: Und das sind in jedem Fall spannende Schilderungen, von denen Sie mehr haben können. Die können Sie ausführlicher haben, wenn Sie mögen. "Am Ende der Eiszeit - die Arktis im Wandel" kommt heute in die Buchläden. Im Gespräch dazu war der Autor Klaus Scherer. Ich danke Ihnen!
Scherer: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Was heißt das? - Wir waren in einem Küstenort. Da sagten uns die Leute, wir können nicht mehr jagen. Wir können nicht mehr raus aufs Eis, es trägt nicht mehr, es geht früher zurück und es geht weiter zurück. Was machen wir? - Wir fangen Fische. Wir haben neue Arten von Fischen, die wir früher nicht hatten, und die Eisberge, die früher unsere Fangleinen zerrissen haben, die sind jetzt weniger. Deswegen bauen wir vielleicht eine Fischfabrik und setzen darauf. Das heißt wohl oder übel: Sie drehen das ins Positive und machen das beste daraus.
Nehmen Sie Schweden. Die Wintersaison ist kürzer geworden. Wintersport spielt nicht mehr die Rolle. Man muss es früher machen, zu Weihnachten, da ist es zu kalt. Sie haben jetzt eine größere Anzahl von Touristen, die kommen, um Fotos zu machen von Polarlichtern - das ist ein neuer Wirtschaftszweig.
Nehmen Sie Russland, eine Stadt wie Jakutsk, die kälteste Großstadt der Welt. Das war mal ein Verbannungsort, heute ist das eine Boom Town mit neuer Architektur, mit Hochhäusern, die aus dem Permafrost schießen, und mit viel Strukturhilfe aus Moskau, weil sie den Norden zum Boom-Gebiet erklären mit Blick auf neue Verkehrsrouten nördlich der Küste zum Beispiel.
Frenzel: Gab es bei dieser langen Reise, die Sie da gemacht haben, Erlebnisse, ein besonderes Erlebnis, das Ihnen in Erinnerung geblieben ist, im guten wie im schlechten?
Scherer: Es gab mehrere. Ich werde nie vergessen: Wir waren auf Island tauchen im zwei Grad kalten Wasser. Ich hatte noch nie einen Trockenanzug an, den Sie da brauchen. Und zwar in einer Spalte zwischen den Kontinentalplatten. Sie können dann auch unter Wasser auf der einen Seite Amerika in der Hand halten und auf der anderen Seite die eurasische Festlandplatte. Das ist ein tolles Gefühl und das zeigt auch: Leute kommen dahin, Tourismus ist ein boomender Sektor, sowohl in Grönland als auch in Island, das zugänglicher wird.
Oder wir haben viel Wildnis gesehen, Bären in Finnland, Rentierherden in Alaska, und die Flüge über Alaska, über Sibirien, über Grönland, das werde ich nie vergessen. Ich freue mich dann, guck aus dem Flugzeugfenster dieser kleinen Buschpiloten und freue mich allein, dass es das gibt.
Was war bedrückend? - In Alaska ein Außenposten am Polarkreis, Point Hope. Auch da war ich vor acht Jahren und man merkt da richtig, die Leute sind bedrückt. Die Inuit sagen: Das Meer kommt näher. Es ist Juli gewesen, es war über 30 Grad, sie sagen: Das ist uns "Zu heiß!". Das sind wir nicht gewohnt, es geht uns zu schnell. Früher konnten wir die Alten fragen, was zu tun ist; heute sind wir selber die Alten und wir haben keine Antworten.Chancen nutzen, die es gibtFrenzel: Wenn wir über den Klimawandel sprechen, dann sind wir es ja gewohnt, eigentlich immer apokalyptische Prognosen zu bekommen. Wenn man den Titel Ihres Buches hört, "Ende der Eiszeit", dann klingt das irgendwie gar nicht so bedrohlich, wenn ich jetzt Ihren Schilderungen zuhöre, die ja bis auf diesen letzten Eindruck auch eher positiv klingen. Wie wird das denn wahrgenommen von den Menschen, tendenziell eher als Chance auch, oder eher als Übel, an das man sich gewöhnen muss?
Scherer: Beides. Da ist natürlich ein Umbruch da, da ist sicherlich auch eine Generationenlücke da, jüngere Inuit wollen anders jagen als die älteren. Aber der Zwang, sich anzupassen, der ist sicherlich da. Und sie sagen natürlich auch, pragmatisch wie sie sind, in Grönland zum Beispiel: Was sollen wir jetzt weinen und warten, bis uns einer hilft, wir müssen überleben. Und wir überleben nicht mehr als Jäger, wir müssen was anderes machen und wir müssen die Chancen nutzen, die es da gibt.
Dann haben sie natürlich auch unabhängig vom Klimawandel einen Wandel durch Globalisierung, durch Internet. Da rückt uns der Norden auch im Alltag näher. Wir haben eine Frau porträtiert in Finnland, eine Sami, eine Ureinwohnerin, die studiert an der Uni in Ulu, die sagt: Jetzt reduziert uns nicht wieder auf dieses Klischee von Rentierzüchtern, wir machen auch andere Dinge. Die Frau macht Rockmusik in einer Band, die nimmt Platten auf in Ureinwohnersprache. Das höre ich jeden Morgen im Auto, seit ich wieder hier bin.
Das heißt, uns rückt da wirklich der Norden näher, weil die Welt zusammenrückt, und natürlich, weil sie auch auf Wirtschaftsweisen setzen, die sich jetzt bieten. Ob sie nun Autos testen auf Eisstrecken in Schweden, wo ich auch mal fahren durfte, oder ob sie in Norwegen oder in Schweden Datenserver kühlen mit den Temperaturen, die dort halt Stromkosten überflüssig machen, das sind Gewerbe, die wachsen, nicht nur Fischfang und andere Dinge. Das sind Wirtschaftszweige, die könnten überall auf der Welt sein, und die, die das vorantreiben, sagen: Wenn wir kalifornische Industrien in Lappland ansiedeln, dann müssen wir nicht auf Stockholm warten, die uns sowieso nur belächeln. Da rückt viel zusammen und da sind die Anwohner auch sehr findig, weil sie es immer sein mussten.
Frenzel: Und das sind in jedem Fall spannende Schilderungen, von denen Sie mehr haben können. Die können Sie ausführlicher haben, wenn Sie mögen. "Am Ende der Eiszeit - die Arktis im Wandel" kommt heute in die Buchläden. Im Gespräch dazu war der Autor Klaus Scherer. Ich danke Ihnen!
Scherer: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.