Vielleicht steht hier bald keine Fichte mehr
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Seit vier Jahren ist das bei Wanderern beliebte untere Morgenbachtal in Rheinland-Pfalz gesperrt. Klimawandel und sauerer Regen setzen dem Wald stark zu. Der Förster fordert nun, endlich die Ursachen zu bekämpfen, statt Symptome zu kurieren.
Der Binger Wald am Oberen Mittelrhein: Tiefe Kerbtäler, steile Klammen und schroffe Felswände wirken fast alpin. Bis auf eine Ausnahme: "Das Morgenbachtal ist keine Klamm, weil es breiter ist als die klassischen Klammtäler, die diesen alpinen Charakter vermitteln, wie beispielsweise die benachbarte Kreuzbachklamm. Das Morgenbachtal ist sanfter, die Hänge sind nicht ganz so steil, aber es gibt in diesen Hängen auch spektakuläre Felsen. Es gibt Kletterfelsen bei Trechtingshausen im Morgenbachtal", so der Biologe Thomas Merz, Quarzitfelsen wie die Regensburger Wand.
2016 verwüstete einer der zunehmenden Starkregenfälle den unteren Talbschnitt. Er blieb aus Sicherheitsgründen bis heute gesperrt. Klimaopfer unteres Morgenbachtal – der wegen seiner feuchten Kühle begehrte Ort ist ein verbotener, seit vier Jahren. Nur unter der Hand tauschen sich Wanderer darüber aus, dass man trotzdem irgendwie durchkommt: "Unter uns: Es ist nicht so schlimm."
Trockenschäden auf der Höhe
Wer die Bedrohung des Morgenbachtals und der anderen idyllischen Seitentäler des Oberen Mittelrheins bei Bingen verstehen will, muss sich die Trockenschäden im Wald auf der Höhe anschauen, findet Axel Henke. Und genau das tut der Leiter des Forstamts Boppard und Waldbau-Dozent gemeinsam mit Umwelt- und Klimaschutz-Studierenden. Die künftigen Wald-Klimabotschafter der TH Bingen führt Henke von einem Laubwald zu einer sogenannten Windwurffläche, auf der ein Sturm ausgetrocknete Fichten flachgelegt hat.
"So, was meint ihr, wie ist so euer Empfinden im Vergleich Eichen-Buchen-Bestand hier zu der Kahlfläche." – "Direkte Sonneneinstrahlung" – "Ja. Was noch?" – "Alles kaputt." – "Im Wald haben wir, das habt ihr ja auch gesagt, deutlich mehr Luftfeuchtigkeit, es ist angenehmer zu atmen. Hier – auf der Kahlfläche – ist es trockener, haben wir mehr Klimaextreme, Sonneneinstrahlung, Wind. Aber wenn es kalt ist, ist es hier kälter als im Wald, weil der Wald dann wieder die Wärme bindet. Es ist im Wald ausgeglichener."
Das Mikro-Klima, meint Henke. Aber nicht nur binnenklimatisch wirkt der Wald ausgleichend.
"Ganz wichtig hier für das Rheintal ist die Schutzfunktion des Erosionsschutzes, insbesondere Wassererosion. Bei den vermehrt auftretenden Starkregen aufgrund des Klimawandels ist es sehr wichtig, dass der Wald einen Rückhalt bietet für den Boden, und die Durchwurzelung des Waldes hilft dagegen, dass der Boden abgetragen wird. Die zweite wichtige Funktion hier in den Tälern ist der Wasserrückhalt. Dass man bei Regenereignissen wirklich viel Wasser in der Fläche zurückhält, bevor es in die großen Flüsse und Bäche gerät und dort zu Überschwemmungen führt."
Der Borkenkäfer, ein Gewinner des Klimawandels
Beim Starkregen 2016 versagte der Erosionsschutz im Morgenbachtal. Der Premiumwanderweg überm Bachufer sackte samt Stützmauer auf weiten Abschnitten weg, von den Regenfluten unterspült. Vielleicht ein Vorgeschmack auf das, was häufiger werden könnte, wenn ein angeschlagener Wald den Boden nicht mehr gegen Erosion schützt. Fichten sind hier in Höhen unter 400 Metern eigentlich fehl am Platz, verkraften Wärme und Trockenheit nicht.
Dem Borkenkäfer bekommt der Klimawandel dagegen, er vermehrt sich explosiv und zerstört die Baumart, die vor rund hundert Jahren erstmals im Binger Wald angepflanzt wurden – als Bauholzlieferant. Doch die Borkenkäfer als sogenannte "Klimafolgeschädlinge" haben dem Geschäftsmodell Fichtenforst den Garaus gemacht. Verdorrte Bäume bilden zu wenig Harz, um die Käfer abzuwehren.
"Wenn wir hier in fünf Jahren lang wandern, garantiere ich, ist hier keine Fichte mehr zu sehen." An diesem sonnigen Sonntag ist Axel Henke nicht mit Studierenden unterwegs, sondern erklärt einer Wandergruppe den Waldklimawandel bei einer Tour rund ums Morgenbachtal ehrenamtlich. Den Mischwald oberhalb des Tals würden Laien bis auf die Fichtenbestände als gesund beurteilen. Weit gefehlt.
"84 Prozent unserer Wälder sind geschädigt. Und wenn Sie jetzt mal hier hoch gucken: Normalerweise, wenn Sie in eine Eichenkrone, eine gesunde Eichenkrone gucken, dürften Sie keine Äste oben mehr sehen, die müssten von den Blättern verdeckt sein."
"Mindestens Schadstufe drei"
Doch die Eichenkrone ist licht, Äste sind gut erkennbar. Im Forst-Jargon: "Dieser Baum ist auch mindestens Schadstufe drei. 84 Prozent der Bäume sind krank. Das ist deutlich mehr als damals in den achtziger Jahren, und das geht in der öffentlichen Wahrnehmung unter, momentan."
Die Fotosynthese-Leistung, die zur mikro- und makro-klimatischen Kühlung sommers so dringend gebraucht wird, ist eingeschränkt, ergänzt Mitwanderin Daniela Eilers. Damit auch die Speicherfunktion für das Treibhausgas Kohlendioxid.
Der Wald stirbt, aber bislang hält sich das Entsetzen darüber in Grenzen. Mitte der 1980er-Jahre war das anders, da waren der "saure Regen" und seine tödlichen Effekte für den Wald Dauerthema.
Ursachen bekämpfen statt Symptome kurieren
"Wir Deutschen insbesondere hatten Angst um unseren Wald. Da prägte sich der internationale Begriff 'Waldsterben', also den haben andere Länder ja auch übernommen. Da war die Problematik: Luftschadstoffe, die dem Wald stark zugesetzt haben. Insbesondere Schwefel. Durch dieses Aufmerksam-machen aufs Waldsterben, durch diese emotionale Bindung auch der Leute – 'unser Wald stirbt' – konnten wir politisch viel erreichen: das heißt die ganzen Luftreinhaltemaßnahmen beim Schwefel, die Industrieanlagen haben Schwefelfilter bekommen, es gibt kein bleihaltiges Benzin mehr – solche Dinge haben gegriffen."
Außerdem kalkte man die übersäuerten Böden, um die Symptome zu kurieren. Heute versuchen Förster das, indem sie trockenverträgliche Bäume nachpflanzen. Doch der Waldumbau dauert zu lange, gemessen am Tempo des Sterbens. Die Ursachen zu bekämpfen, hieße zu tun, was Klima-Aktivisten fordern: die globale Erwärmung so schnell und so stark wie möglich zu bremsen.
Im unteren Morgenbachtal herrscht die feuchte Kühle, die Wanderer an heißen Tagen ersehnen. Aber sie bleibt ihnen auch in diesem Sommer versagt.
"Für die überregionalen Verbindungen des Rheinburgenweges ist das natürlich eine Katastrophe, dass man den idyllischsten Teil des Morgenbachtals nicht begehen kann", bedauert Thomas Merz, Natur- und Landschaftsführer im Nebenberuf. Mit schwerem Gerät lässt sich das betroffene untere Bachtal nicht befahren, auch wenn es breiter ist als die Nachbar-Klammen. Wege in Handarbeit wiederherzustellen, das dauert. Doch zum kommenden Saisonende im Herbst könnten die Arbeiten abgeschlossen sein, mutmaßt ein Gebietsförster, der im Binger Wald unterwegs ist. Die Stützmauer am Ufer wird aus technischen Gründen nicht wieder aufgebaut. Künftig verläuft der Weg direkt am Bach, teilweise mit Trittsteinen im Wasserlauf.
Ein Wald voller Raritäten
Von der Hunsrückhöhe talwärts gehend stößt man vorerst noch auf einen Bauzaun am Eingang ins untere Morgenbachtal. Doch eine andere Wandergruppe, die am Ende ihrer Tour die Bahn von Trechtingshausen aus nehmen will, lässt sich davon nicht beirren, quetscht sich am Zaun vorbei.
Wanderer Holger Scheel wundert sich laut. Für Ausländer ist offen, witzelt eine Frau mit spanischem Akzent. Scheel schüttelt den Kopf. Doch an diesem sonnigen Sonntag ist der Frankfurter Förster privat unterwegs, am Schluss der Wandergruppe von Forstamtsleiter Henke. Sein Revier ist der Frankfurter Stadtwald, nicht der Binger Wald. Also lässt er die Gruppe weiter ins verbotene Tal gehen, biegt selbst bergwärts nach rechts ab.
Den Morgenbach hört er bald nur noch aus der Ferne gluckern, findet aber: der Weg lohnt sich. "Man muss immer mal stehen bleiben. Jetzt haben wir einen ganz seltenen Baum, wenn ich nicht irre. Dafür klettre‘ ich sogar mal hier hoch. Könnte ein Speierling sein. Ja, die beiden dicken hier: zwei Speierlinge, und das ist noch eine Elsbeere. Wo es so flachgründig ist, alles voller Steine, trocken, da haben die ihre Nische. Ist ja toll, was man alles noch sieht heute hier!"
Mehr Ruhe für Eisvögel und Wasseramseln
Holger Scheel, in olivfarbener Wanderkluft mit breitkrempigem Hut, ist begeistert von den Raritäten im Binger Wald. Vielleicht die Zukunftsbäume für trockenen, erosionsgefährdeten Boden: gedrungen, eher strauchartig, kommen sie mit wenig Wasser und Nährstoffen aus. Diese Genügsamkeit, macht sie in Zeiten des Klimawandels überlebensfähig. Nur: Für Bauholz und hohe Einnahmen taugen sie nicht.
Der Frankfurter hält erneut inne: ein Waldlaubsänger.
"Das ist wie so ein Motor, der startet, so hab ich mir das immer gemerkt. So Anlasser betätigen: puttputputtputtbrrrr."
Das untere Morgenbachtal liegt wieder still in der Abendsonne, die Wandergruppe, die den Bauzaun als Sperre ignoriert hatte, ist längst weitergezogen. Bei allem Bedauern über die unterbrochene Route sieht der Biologe Thomas Merz auch diesen Aspekt der absoluten Ruhe.
"Da der gesperrte Weg auch in der Nähe des Gewässers verläuft, kommt das vor allen Dingen den Tieren zugute, die am Gewässer zuhause sind. Tiere wie Eisvogel oder Wasseramsel, die werden jetzt ein bisschen weniger Störung haben als in üblichen Zeiten, wenn viele Leute unterwegs sind. "
Frisches Quellwasser und alte Laubwälder, Eisvogel und Wasseramsel – die vom Klimawandel bedrohte Idylle bleibt vorerst noch verboten.