Zerstörte Inseln, zerstörtes Paradies
Weggeschwemmte Strände, zerstörte Häuser, abrasierte Palmen – im Herbst verwüsteten zwei Monsterstürme die Trauminseln vieler Karibikurlauber: die Antillen. Zweieinhalb Monate später sind die Sandstrände menschenleer. Aufgeben wollen die Bewohner aber nicht.
Ivy Joseph hat Herzklopfen, als sie von der Fähre klettert, die die beiden Schwesterinseln des kleinen Karibikstaates Antigua und Barbuda verbindet. Die alte Dame hat die Reste ihres Häuschens auf Barbuda seit sieben Wochen nicht gesehen. So lange schon ist die 1700 Einwohner zählende Insel evakuiert. Zuerst machte Monstersturm Irma die Menschen obdachlos und nicht einmal zwei Wochen danach drohte der zweite Hurrikan der höchsten Kategorie fünf Barbuda zu treffen. Deshalb die Flucht. Heute will Ivy Joseph aufräumen und am Abend mit der Fähre nach Antigua zurückkehren. Fassungslos betrachtet sie die Trümmerlandschaft, die einst Barbudas Zentrum war. Mittendrin: die Ruinen der Häuschen ihrer Kinder und ein Teil ihres eigenen.
"Der Mangobaum ist auf die eine Seite meines Hauses gekracht, ich muss ihn wegräumen, damit ich das reparieren kann. Meerwasser war im Haus. Die Küste ist 200 Meter entfernt, es kam aber bis hierher."
Menschen bewohnen die winzige flache Insel mitten im Meer noch nicht wieder, Tiere schon: Tausende Fregattvögel nisten in den vom Sturm entlaubten Mangroven. Die Männchen plustern ihre Hälse knallrot auf um die Weibchen zu beeindrucken. Neben den strahlend weißen Stränden und dem schillernden türkisen Wasser sind sie die größte Attraktion Barbudas. Umweltschützer Kelly Burton ist erleichtert, die Vögel zu wieder zu sehen, weil das zeigt, wie schnell sich die Natur von Hurrikan Irma erholt. Der hatte Windgeschwindigkeiten von bis zu 300 Kilometern pro Stunde. So etwas wurde auf Barbuda noch nie registriert.
"Es ist erstaunlich, welche Zerstörung Irma an unseren Mangroven angerichtet hat. Mir ist schon vorher aufgefallen, dass die Sommer heißer geworden sind und wir einen trockneren, kürzeren Winter haben. Beides begünstigt heftigere Stürme. Klimawandel, globale Erwärmung, Anstieg des Meeresspiegels - das alles sehe ich in Barbuda. Die steigende Meerestemperatur führt zur Korallenbleiche, die Korallen sterben. Ohne sie gibt es weniger Fische, das ganze Ökosystem bricht zusammen. Auch die stärkeren Stürme zerstören Korallen, das lässt die Küste erodieren und die großen Wellen werden nicht mehr aufgehalten."
So liegt Barbuda immer schutzloser im Ozean. Es sei nicht die Frage ob, sondern wann es das nächste Mal einen Wirbelsturm dieser Stärke geben wird, meint Kelly. Die Menschen haben in dieser Hurrikan-Saison zwar alles verloren, wollen aber trotzdem zurück.
Die Menschen haben alles verloren
"Es ist eine berechtigte Frage, ob Barbuda besser evakuiert bleiben sollte. Manche sagen: Bringt die Leute an sichere Orte. Aber wir sind hier aufgewachsen, das ist unsere Heimat. Eine Umsiedlung würde unser ganzes Leben ändern. Das doch keine Option. Die Alternative ist, hier bleiben und uns an die Veränderungen anpassen."
Die Menschen werden sich an den Klimawandel anpassen müssen, stabiler bauen, zäher werden. Aber niemand wird den überwiegend armen Fischerfamilien von Barbuda Hausdächer aus Beton spendieren, Bunker, die den Fluten standhalten. Hilfe von den Nationen, die am meisten CO2 ausstoßen, sei bislang nicht gekommen, klagt Premierminister Gaston Browne im ARD-Interview.
"Klimawandel respektiert keine Grenzen. Er ist real. Wir in der Karibik können uns den Luxus nicht leisten, ihn zu leugnen. Wenn entwickelte Länder sich darauf zurückziehen, dass Klimawandel ein Schwindel sei und sie keine Pflicht hätten, die Klimaziele zu erfüllen, dann ist das eine sehr ignorante Position. Durch das Wüten von Irma auf Barbuda haben wir zum ersten Mal in unserer Geschichte Binnenflüchtlinge auf Antigua! Wir wissen, dass die Stürme stärker werden, wir wissen, dass der Mensch daran schuld ist. Die entwickelten Länder haben eine Verantwortung. Sie müssen anerkennen, dass der Klimawandel real ist und seine Folgen enorm sind. Sie müssen uns helfen, ein resilientes, ein widerstandsfähiges Barbuda zu schaffen."
Resilienz ist das Schlagwort: Anpassen und aushalten, weil es unmöglich ist, sich gegen einen 5er- Hurrikan zu wappnen. Aber wie das gehen soll, weiß auf Barbuda noch niemand.
Die 68-jährige Ivy Joseph putzt indessen gegen die Hoffnungslosigkeit an.
"Ich weiß nicht, wer mir helfen wird. Es heißt, die Regierung werde etwas für uns tun, damit wir durchhalten können."
Sie hat beschlossen, die Abend-Fähre ziehen zu lassen und erst am folgenden Tag nach Antigua zurückzukehren. Und räumt weiter Trümmer beiseite ohne die Gewissheit, hier jemals wieder etwas aufbauen, hier jemals wieder leben zu können.
Menschenleer ist der Strand von Philipsburg, dem Hauptort von Sint Maarten. Die von Hurrikan Irma umgeworfenen Yachten rosten. Kaum eine Palme ist übrig geblieben. Vor dem Sturm kippten täglich Kreuzfahrtschiffe ihre Passagiere an den weißen Strand, es gab günstigen Karibik-Massentourismus. Jetzt stehen die zollfreien Geschäfte leer. Keine Flasche Rum ließen die Plünderer übrig. Die Schaufenster sind noch nicht wieder eingesetzt. Das einzige von Sturmschäden verschont gebliebene Restaurant ist das der Peruanerin Carmen. Sie hat wieder geöffnet, aber Kundschaft gibt es keine.
"Es war so, als wären die Leute dem Krieg entkommen. Zuerst hat der Hurrikan alles zerstört. Dann kamen die zwei Tage, bevor die Armee eintraf: Es gab Plünderungen, Gewalt, und auch Vergewaltigungen, von denen keiner spricht. Ich habe von vielen Leuten gehört, die die Insel verlassen haben und sagten: Nach Sint Maarten komme ich nie mehr zurück!"
Der Sturm nach dem Sturm
Die Plünderungen waren der Sturm nach dem Sturm – auch ein Ausdruck der sozialen Probleme und Ungleichheit: Während europäische Besucher Karibik-Luxus genießen, verdienen die gerade mal 34.000 meist schwarzen Einheimischen wenig Geld im Tourismus. Nächtelang herrschte Anarchie in den Straßen des winzigen Inselstaates. Erst als 700 niederländische Soldaten eintrafen, kehrte Ruhe ein.
Die Niederländer brachten Ingenieure mit, die hunderte Dächer, vor allem öffentlicher Gebäude und Schulen, reparierten. Irma ließ fast nichts unbeschädigt. Die meisten Hotels können deshalb in der bevorstehenden Hauptsaison zu Weihnachten nicht öffnen. Das ist die Katastrophe nach Irma: 80 Prozent der Einwohner von Sint Maarten arbeiten im Tourismus. Viele haben ihre Jobs verloren. Auch die Eltern der beiden Cousinen Josette und Aciliana:
Die 15-jährigen Schülerinnen verbringen eine Freistunde auf dem Schulhof, weil die Turnhalle zerstört ist. Mittags gab es belegte Brote vom Roten Kreuz. Es versorgt die Schüler für einige Monate mit Essen, damit die Eltern entlastet werden und sich um den Wiederaufbau kümmern können. Josette und Aciliana sagen, im Unterricht seien Hurrikan Irma und der Klimawandel jetzt ein großes Thema. Die Risiken, mit denen die Einwohner von Sint Maarten leben müssten: Tod, Obdachlosigkeit und Hunger…
"Ich habe mein Haus verloren, und ich hatte große Angst. Ich hoffe einfach, dass das nie wieder passiert, denn das war schrecklich."
"Ich habe die ganze Zeit Angst: dass wir wieder aufbauen und dann aber nächstes Jahr vielleicht ein noch viel schlimmerer Wirbelsturm kommt, der Sint Maarten noch mehr zerstört."
Ihre Familien können sich nicht leisten, woanders hinzugehen – in Hurrikan-sicheres Gebiet. So wie die meisten, die geblieben sind, können sie nur hoffen, dass die nächsten Stürme Sint Maarten verschonen und dass die Touristen zurückkehren.
Nur Einheimische tanzen am Sonntagnachmittag im Schatten der vom Sturm verschont gebliebenen Bäume. Kein Tourist fotografiert sie dabei oder tanzt mit. Das historische Zentrum von San Juan, sonst überlaufen von Kreuzfahrt- und anderen Touristen, ist zwei Monate nach den Hurrikans Irma und Maria immer noch leer.
Viel karibische Lebensfreude ist der Hauptstadt abhanden gekommen. In einem Café im Zentrum schenkt der Wirt ungekühlte Getränke aus, weil es keinen Strom gibt. Fast alle Restaurants und Geschäfte sind immer noch vernagelt – auch aus Angst vor Plünderungen. Mit Einbruch der Dunkelheit ist die sonst quirlige Gegend wie ausgestorben.
Im Hafen liegt ein US-Lazarettschiff, davor steht eine lange Schlange von Kranken. Die Kliniken auf der Insel können ohne Strom kaum arbeiten. Die Wirbelstürme haben Masten und Leitungen umgeworfen. Das US-Territorium verfügt nicht über die nötigen Mittel, den Schaden schnell zu reparieren. Auf den Brettern vor einem Schaufenster steht: "Puerto Rico wird wieder aufstehen – kommt herein und kauft". Luz Garcia hat für ihren Souvenirshop einen Stromgenerator. Das wichtigste funktioniert, aber Kundschaft kommt keine.
"Wir mussten vieles stornieren, weil wir im Moment einfach kein Geld haben. Gott sei Dank unterstützen uns die Banken. Noch bis Januar müssen wir Darlehen nicht zurückzahlen. Wir haben kein Geld für Gehälter, es reicht nur für das allernötigste, fürs Essen, aber für Miete oder das Auto reicht es nicht. Nur zum Überleben."
Dank Stromgeneratoren kann eine Handvoll Hotels arbeiten. Die Chilenin Mariesol Moris hat in ihrem Bed & Breakfast am Abend für einige Stunden Licht und ihre Gäste können die Ventilatoren gegen die brütende Hitze einschalten.
Kein Strom, kein Wasser
"Wenn bloß der Strom wieder funktionieren würde! Ich habe Anfragen von Leuten aus der ganzen Welt, und das erste, was die mich fragen ist: Hast Du Strom? Weil ich das immer noch verneinen muss, stornieren dann viele. Das ist fast wie im Krieg: Kein Strom, oft kein Wasser."
Zuerst traf Hurrikan Irma Puerto Rico: Mariesol Moris musste danach einen Teil ihres Terrassendachs reparieren. Kaum war sie damit fertig, kam der noch stärkere Wirbelsturm – Maria – und riss das Dach wieder fort. Maria zerstörte die Insel und den Tourismus, von dem 80 Prozent der Jobs abhängen. Schon vorher litt die Insel unter einer Wirtschaftskrise. Arbeitsminister Carlos Saavedra meint, gerade erst seien Silberstreifen am Horizont erkennbar gewesen – leicht sinkende Arbeitslosenzahlen. Aber dann kamen die beiden Hurrikans und die Hoffnung löste sich in stürmischer Luft auf:
"Noch gibt es keine Statistiken, die die Hurrikan-Folgen belegen. Aber wir können jetzt schon sagen, dass viele tausend Puerto Ricaner ihre Arbeit verloren haben. Wir wissen erst einmal nur von denjenigen, die bei uns Unterstützung beantragt haben. Viele sind noch gar nicht gekommen, und viele haben Puerto Rico bereits verlassen."
Mehr als 70.000 Puertoricaner gingen allein im Oktober in den US-Bundesstaat Florida – weil sie können: sie haben US-Pässe, ihre Insel gehört zu den USA. Die beiden Hurrikans haben die Migration beschleunigt: Sie könne Ausmaße erreichen wie in den 1950er Jahren, als hunderttausende in die USA gingen, meint Demograf Raúl Figueroa. Heute leben dort mehr Puerto Ricaner als auf der Insel selbst.
"Einige, die heute gehen, können wir als Flüchtlinge bezeichnen. Sie verlassen Puerto Rico, weil sie ohne Wasser und Strom einfach nicht durchhalten können. Und dann die Tausenden, die wegen Hurrikan Maria ihre Arbeit verloren haben, weil ihr Geschäft zerstört wurde oder weil auf ihrer Arbeit kein Strom und somit auch kein Internet funktioniert. Viele suchen sich außerhalb der Insel einen Job, gehen mit ihren Familien in die USA. Anders als in den 1950er Jahren haben heute viele Verwandte auf dem Festland - das erleichtert den Umzug."
Puerto Rico hat etwa dreieinhalb Millionen Einwohner. 2020 könnte es schon eine halbe Million weniger sein, schätzt Raúl Figueroa. Die Zahl derjenigen, die die Insel in Richtung US-Festland verlassen, werde sich sturmbedingt verdoppeln. Er selbst hat derzeit weder Strom noch Internet, will aber bleiben.
Und auch Gastgeberin Marisol Moris will nicht aufgeben, sich künftig aber besser auf Katastrophen vorbereiten
"Ich habe schon zehn Hurrikan-Saisons miterlebt, aber so etwas noch nie. Ich dachte immer: die Puerto Ricaner übertreiben, wenn sie vor jeder Hurrikanwarnung Lebensmittel und Wasser horten. Das war so wie das Märchen vom bösen Wolf, der dann doch nie auftauchte. Aber dieses Mal kam er."