Im Prinzip ist die Gesellschaft, die wir kennen, bis dahin zusammengebrochen. Mein Szenario zeigt, wie es im schlimmsten Fall kommt, wenn wir so weitermachen wie bisher. Wenn der Klimawandel galoppiert, wenn wir das Zwei-Grad-Ziel verfehlen, wenn der Zusammenbruch der Biodiversität fortschreitet, wir also weniger Bestäuber haben und so weiter. Das Leben für ihn ist viel härter, als es für mich gewesen ist.
Klimawandel und Insektensterben
Regenwald vs. Palmölplantage: Die Abholzung der tropischen Wälder zu stoppen, sei eine machbare Maßnahme gegen die Klimakatastrophe, sagt Insektenforscher Dave Goulson. © Getty Images / Nora Carol Photography
Zweifel am Fortbestand der Zivilisation
05:43 Minuten
Was wird passieren, wenn Insektensterben und Klimawandel weitergehen wie bisher? Der britische Insektenforscher Dave Goulson gibt einen düsteren Ausblick. Im schlimmsten Fall müsste sich die Menschheit auf Massenflucht und Massensterben einstellen.
Es ist tiefe Nacht. Ein alter Mann sitzt in seinem Garten, das Gewehr auf den Knien und kämpft gegen den Schlaf. „Er bewacht seine Obst- und Gemüsebeete, damit sich niemand in den Garten schleicht und die Ernte stiehlt“, erzählt Dave Goulson. „In diesem Zukunftsszenario ist das eine Frage auf Leben und Tod. Denn es gibt keinen Supermarkt, in dem er Lebensmittel kaufen könnte.“
Der Insektenforscher hat dieses dystopische Zukunftsszenario für sein neustes Buch „Stumme Erde“ erdacht. Und der alte Mann ist sein Sohn in 60 Jahren. Die Welt ist ausgesprochen unerfreulich geworden.
Goulson entwirft ein Szenario, in dem die Insekten, die dem Menschen schön und nützlich erschienen, verschwunden sind. Mücken, Schnecken und andere Quälgeister gedeihen weiterhin. Jedes Gramm organischen Materials kompostieren der alte Mann und seine Familie, um Dünger zu haben für das nächste Frühjahr.
Warnung vor Massenflucht und Massensterben
Millionen Menschen fliehen aus ihrer Heimat, weil sie unbewohnbar geworden ist. Noch mehr Menschen werden wegen der Klimakatastrophe sterben. Die Wirtschaft kollabiert.
„Ich weiß, das klingt schrecklich bedrückend, aber ich bezweifle, dass unsere Demokratien stark genug sind, das zu überleben, und ich erwarte, dass unsere Zivilisation zusammenbrechen dürfte. Ich stelle mir vor, dass wir zurückgezwungen werden in eine Existenz von Kleinbauern, wie die Menschen für die meiste Zeit der letzten 10.000 Jahre lebten“, sagt Dave Goulson.
„Wenn wir uns daran gewöhnen, muss das nicht zu schrecklich sein, aber es unterscheidet sich wirklich sehr von dem, was wir heute haben. Alles deutet darauf hin, dass wir darauf zusteuern.“
Dabei ist Dave Goulson alles andere als ein Untergangsprophet. Der Professor für Insektenkunde von der University of Sussex im englischen Brighton hat viel zu Bestäuberinsekten geforscht – vor allem Hummeln und anderen Wildbienen. Er hat zahlreiche wunderbare Bücher über Insekten und ihre Schönheit geschrieben.
Mit seinem aktuellen Buch ist sein Appell deutlich eindringlicher als zuvor. „Wenn wir das jetzt wirklich angehen, können wir die Katastrophe vielleicht noch verhindern. Aber ich sehe dafür kein Anzeichen. Die Klimakonferenzen kommen und gehen ohne nennenswerte Folgen. Bei der Artenvielfalt dasselbe“, sagt er.
Im Gegenteil: Wegen des Kriegs in der Ukraine haben viele Leute den Klimawandel offenbar vergessen und sprechen davon, neue Gas- und Ölfelder zu erschließen oder sogar Kohlebergwerke wieder zu öffnen. Der Krieg ist schrecklich, aber es dürfte nicht die jahrelange Arbeit gegen den Klimawandel zunichtemachen. Doch genau das geschieht.
Land- und Forstwirtschaft grundlegend verändern
Zum Glück ließen sich die Klimakatastrophe und das Artensterben mit denselben Mitteln bremsen, sagt Dave Goulson – durch einfache Maßnahmen, wie die Abholzung der tropischen Wälder zu stoppen.
Andere Maßnahmen mit großem Potenzial sieht er in der Landwirtschaft. Zu viele Pestizide würden allein vorsorglich eingesetzt, bevor Insekten, Pilze oder sogenannte Unkräuter überhaupt die Tracht bedrohten.
Und: “Wir vergeuden ein Drittel der Erträge, weil wir sie einfach wegwerfen. Grob ein weiteres Drittel verwenden wir, um Vieh zu füttern. Das ist eine wirklich sehr ineffiziente Methode, Menschen zu ernähren. Wenn wir also die Lebensmittelverschwendung angehen, können wir sie sicher nie ganz vermeiden, aber sicherlich sehr viel verbessern.“
„Wir könnten viel besser essen“
Dafür könne jeder Einzelne etwas unternehmen: „Die Leute müssten mehr regionale und saisonale Lebensmittel essen und weniger Fleisch. Ich sage nicht, dass die Menschen völlig auf Fleisch verzichten müssen.“
Wir könnten viel besser essen, indem wir frische lokale Waren wiederentdecken und wieder selbst kochen statt hoch verarbeitete Lebensmittel zu kaufen. Im Moment wird weltweit nicht einmal genug Obst und Gemüse angebaut, um jeden Menschen auf der Erde gesund zu ernähren.
Eigentlich einfache Maßnahmen. Doch der Insektenforscher Dave Goulson sieht auch die zahlreichen Widerstände – von Menschen, die an ihren Gewohnheiten hängen, von Unternehmen und ihren Lobbygruppen.
Darum hält er das Risiko für durchaus real, dass sein Sohn in 60 Jahren tatsächlich seine Gemüsebeete wird bewachen müssen. „Ich bin nicht optimistisch, muss ich sagen. Ich wünschte, ich wäre es. Ich möchte, dass meine Kinder ein ordentliches Leben haben, aber ich fürchte das, was sie tatsächlich bekommen werden.“