Klimawandel in Panama

Insel geht unter, Volk zieht um

24:57 Minuten
Mitten im Meer liegen dichtgedrängte windschiefe  Holzhütten dicht aneinander. Das Wasser steht fast schon auf der Höhe der Hütten, einige Boote liegen an den Stegen.
Gardi Sugdub ist wohl als erste Insel Panamas vom Untergang betroffen. In den nächsten Jahrzehnten könnten weitere der 350 Inseln der Region überspült werden. © Anne Demmer, ARD-Studio Mexiko
Von Anne Demmer · 07.11.2022
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Drei Kilometer vor der Küste Panamas liegt die kleine Insel Gardi Sugdub. Aber wohl nicht mehr lange. Wissenschaftler prophezeien ihren Untergang bis 2050, weil klimabedingt der Meeresspiegel steigt. Wohin mit den Bewohnerinnen und Bewohnern?
Wenn sie aus ihrem Haus heraustritt, blickt Erika auf das türkisfarbene Meer, die Wellen glitzern im Sonnenlicht. Ein selbst gezimmerter Einbaum schaukelt auf dem Wasser an der kleinen Anlegestelle.
„Ich liebe das Leben auf der Insel. Den Fischfang, die Delfine, die man hier regelmäßig sieht“, sagt sie.
Auf einem schmalen Gang zwischen Holzhütten sitzen und laufen Menschen.
1500 Menschen leben auf Gardi Sugdub. Die winzige Insel platzt aus allen Nähten.© Anne Demmer, ARD-Studio Mexiko
Erika bewohnt eine einfache Hütte, die auf nacktem Lehmboden gebaut wurde, das Dach besteht aus Palmblättern und Zuckerrohr – auf der kleinen Insel Gardi Sugdub, das heißt übersetzt so viel wie Krabbeninsel, rund drei Kilometer vor der Ostküste Panamas.

Kaum Empfang, Strom nur manchmal

Empfang gibt es hier kaum, Strom nur manchmal. Die 30-Jährige gehört der indigenen Gemeinde der Guna an. Vor rund vier Tagen, als dunkle Wolken und ein Sturm über die Insel hinwegfegten, wurde ihre Hütte überschwemmt.
„Das war ganz schön heftig. Aber Gott sei Dank, wir schlafen in Hängematten“, erzählt sie.
Immer wieder bahnen sich bei Unwettern, bei Ausläufern von Wirbelstürmen, die riesigen Wellen ihren Weg. Davon ist auch Javila Apreciado betroffen, obwohl die 44-Jährige im Zentrum der Insel lebt.
„Die Flut kommt sogar bis hierher. Dann stehen wir im Wasser. Das dauert dann so einen Tag bis es zurückgeht. Immer wieder werden unsere Häuser beschädigt, dann müssen wir sie reparieren“, sagt sie.
„Der Meeresspiegel steigt, weil die Gletscher schmelzen, wegen dem Klimawandel. Es kommt regelmäßig zu Überschwemmungen, die Häuser laufen voll Wasser. Das ist normal geworden.“
Eine Frau mit Dutt und T-Shirt rührt in einer Hütte in einem großen Topf.
"Es ist normal geworden, dass die Häuser voll Wasser laufen": Javila Apreciado lebt im Zentrum von Gardi Sugdub.© Anne Demmer, ARD-Studio Mexiko
Zehn Mal im Jahr steht das Wasser mittlerweile bei Javila im Haus. Das Wohnzimmer, die Feuerstellen, das Brennholz, die schmalen Inselwege versinken.

Nur 40 Zentimeter über dem Meeresspiegel

Gerade jetzt zwischen November und Januar, wenn der Nordwind vom Meer kommt, wachsen die Wellen, werden mehrere Meter hoch, fluten die einfachen Hütten, die dicht an dicht stehen. Nur 40 Zentimeter ragt die Insel aus dem Golf von Guna Yala heraus.
Es ist Mittagszeit in Gardi Sugdub: In einer schmalen Gasse spielen Kinder Fußball. Eine Frau in traditioneller Bluse der Guna und einem roten Kopftuch sitzt auf einem Holzbrett an eine Hauswand gelehnt und näht an einem Stoff. Ihre Beine und die Arme sind mit langen bunten Perlenketten umwickelt.
Eine Frau in Volkstracht und einer Stickerei in der Hand schaut über ihre Schulter.
Ungewisse Zukunft auf den Inseln: Die Regierung in Panama hat bislang keinen systematischen Plan für die zu erwartenden Klimaflüchtlinge des Landes.© Anne Demmer, ARD-Studio Mexiko
1500 Menschen leben auf Gardi Sugdub. Die Insel platzt aus allen Nähten. Sie ist winzig: 300 Meter lang und 150 Meter breit. Die Bevölkerung hat sich in den letzten drei Jahrzehnten mehr als verdoppelt. Freiflächen gibt es hier längst nicht mehr. Wenn die Insel geflutet wird, gibt es keine Ausweichmöglichkeiten.
Die regelmäßigen Überschwemmungen sind nur der Vorgeschmack dessen, was die Inselbewohner erwartet. Wissenschaftler prognostizieren den Untergang bis 2050.

Extremwetterereignisse werden häufiger

So auch Steve Paton vom Smithsonian Tropical Research Institute. Der Wissenschaftler dokumentiert die Entwicklungen in der Region. Das Meer könnte in den nächsten Jahrzehnten die ersten der rund 350 kleinen Inseln vor der Küste von Panama komplett überspülen, rund 50 davon sind bewohnt.

Auf der Grundlage der besten Satelliteninformationen schätzen wir, dass der Meeresspiegelanstieg derzeit etwa 3 bis 3,5 Millimeter pro Jahr beträgt.

Steve Paton, Wissenschaftler

Und das bekommen die Bewohner von Gardi Sugdub bereits zu spüren. Auch wenn sich nicht jede Sturmflut, jede hohe Welle, auf den Klimawandel zurückführen lässt: Darin, dass Extremwetterereignisse wegen der menschgemachten Erderwärmung insgesamt häufiger werden, sind sich Forscher einig. In Panama gebe es eine Besonderheit, sagt Steve Paton.
„Wir verfügen über Niederschlagsdaten, die über 140 Jahre zurückreichen. Das ist in ganz Mittelamerika und der Karibik einmalig. Niemand verfügt über eine so gute Dokumentation über den Niederschlag wie Panama“, erklärt er.
„Und warum ist das wichtig? Wenn ich sage, dass in diesem Jahr etwas Ungewöhnliches passiert ist, ich aber nur Daten der letzten 50 Jahre habe, könnte es sich um einen Zufall handeln. In den letzten 25 Jahren gab es acht der zehn stärksten Stürme aller Zeiten.“
Am Eingang eines Hauses am Wasser türmen sich vor dem Eingang viele Steine und unter ihnen Korallen auf.
Korallen werden am Inselrand unter den Steinen aufgeschüttet, um den steigenden Meeresspiegel abzudämpfen - und fehlen woanders als Schutz gegen die Gezeiten.© Anne Demmer, ARD-Studio Mexiko
Nimmt man die gesammelten Daten der letzten 140 Jahre, sieht man klar, dass dies ein neues Phänomen ist, das auf den Klimawandel zurückzuführen ist. In ihrer Not haben die Bewohner von Gardi Sugdub ihre Insel künstlich erweitert.
Um sich vor den Überschwemmungen zu schützen und für die stetig wachsende Bevölkerung Platz zu schaffen, haben sie in den letzten Jahren Korallen am Inselrand aufgeschüttet, auch vor dem Haus von Eliot. Der Biologe zeigt die künstliche Befestigung, er wohnt am äußersten Inselrand.
„Hier, unter diesen Flusssteinen finden wir Korallen und auf den Korallen liegen Kieselsteine. Auf diese Weise wird es zumindest ein bisschen höher und dämpft den steigenden Meeresspiegel ab“, erklärt er.

Erste Insel Lateinamerikas wird 2023 umziehen

Eliot Brown hat auf dem Festland, in Panama-Stadt, Biologie studiert. Er weiß um die Folgen, die diese Form der Notfalllösung hat.
„Korallen wegzunehmen macht uns langfristig anfälliger für die Gezeiten, den Wellengang und jeden Tsunami, der uns vielleicht treffen könnte. Im Jahr 1882 gab es im Norden ein Erdbeben, zwei kleine Inseln wurden überflutet, und zu diesem Zeitpunkt gab es noch viele Korallenbänke, die das abgefedert haben“, sagt er.
„Doch heute werden diese Korallen genommen und auf die Inseln gebracht. Wir werden also diesen Puffer nicht mehr haben.“
Der Klimawandel und das, was er für die Zukunft von Gardi Sugdub bedeutet, wurde im Rat der Guna in den letzten Jahren immer intensiver diskutiert – bis sich an einem Tag die Inselbewohner im Gemeindezentrum versammelt, auf den Holzbänken Platz genommen und ihren Umzug beschlossen haben, erinnert sich Blas López Morales.
Er trägt eine beigefarbene Shorts, ein graues T-Shirt, eine Schirmmütze und Badelatschen. Die erste Insel Lateinamerikas soll im nächsten Jahr umziehen. Blas López ist Teil des Komitees, das den Umzug der Klimaflüchtlinge koordiniert.
Helle einstöckige Häuser bergauf nebeneinander aufgereiht am Rande einer Lehmlandschaft.
Leben nach der Insel: 40-Quadratmeter-Häuser auch für mehrköpfige Familien aus Gardi Sugdub.© Anne Demmer, ARD-Studio Mexiko
Mit dem Handy am Ohr läuft er über das Gelände der neuen Siedlung auf dem Festland. Die ersten Häuserreihen sind auf der kaminroten Erde bereits entstanden. Es ist Sonntag, die Bagger stehen still.

Zwei kleine Räume mit nacktem Betonboden

Es sind kleine beigefarbene Häuser mit Wellblechdach, nicht mehr als 40 Quadratmeter groß. Getrennt sind sie durch breite Wege.
„Das ist hier das Territorium der Guna. Wir haben hier einige Hektar Land von unseren Vorfahren. Sie haben hier Yucca-Pflanzenknollen angebaut. Das heißt dieses Land gehört der Gemeinde. Deswegen können wir hier unsere Siedlung bauen“, erzählt er.
„Es ist Land, das bereits von unseren Ältesten, unseren Vorfahren bewirtschaftet wurde. Seit langer Zeit, seit 70, 80 Jahren. Das Land gehört also der Gemeinschaft. Und dann hat es die Gemeinde für den Bau einer Siedlung zur Verfügung gestellt.“
Den Guna gehört der gesamte Küstenstreifen des Golfs von Guna Yala, den sie seit einer Rebellion 1925 gegen Panamas Regierung verwalten. Ursprünglich lebten sie auf dem Festland an der Grenze zu Kolumbien.
Blas López betritt eines der Häuser. Direkt am Eingang gibt es eine Spüle. Es sind zwei kleine Räume mit nacktem Betonboden, sie wirken modern und steril. Laut Plan soll pro Haus eine Familie einziehen.

300 Häuser werden hier gebaut. Aber wir haben große Familien, sie bestehen normalerweise aus zwölf Personen. Das wird schwierig.

Blas López Morales vom Umzugskomitee der Guna

Auch wenn die Insulaner von Gardi Sugdub beengte Verhältnisse gewohnt sind, in den neuen Häusern kommen nur mit viel Mühe sechs Personen unter.

"Diese Häuser passen nicht zu unserer Kultur"

Die Familien werden auseinandergerissen und die Dächer werden sich in der Mittagssonne schnell aufheizen, befürchtet Blas.
„Diese Häuser sind nicht auf unsere Kultur zugeschnitten. Wie man sieht, sind diese Wände aus Kunststoff und dann kommt noch die Wärme hinzu, die diese Wände erzeugen, wenn die Sonne auf das Dach brennt“, kritisiert er.
„Wir selbst, das technische Team der Guna, das für den Umzug von Gardi Sugdub von der Regierung konsultiert wurde, hatten von Anfang an ein Haus im Sinn, das mehr oder weniger unserer Kultur entspricht. Wir wollten die Materialien nutzen, die uns die Natur zur Verfügung stellt und zu unserem Alltag passen. Aber diese Häuser hier sind nicht im Einklang mit dem täglichen Leben der Guna-Gemeinde.“
Frauen in bunter Kleidung stehen und sitzen gemeinsam um einen Tisch, Kind inclusive, im Hintergrund das Meer.
Wie werden sie den Umzug von ihrer Insel aufs Festland verkraften? - Frauentreffen auf Gardi Sugdub.© Anne Demmer, ARD-Studio Mexiko
Die Meinungen darüber gehen auseinander. Einige Inselbewohner freuen sich auf die modern anmutenden Häuschen, und dass sie mehr freien Platz haben werden. Andere befürchten, dass ihre traditionelle Lebensweise leiden wird.
Denn dem Volk der Guna ist der Zusammenhalt, die Solidarität unter den Bewohnern wichtig, das Leben im Kollektiv.
Auf dem Festland, in einer nach westlichen Kriterien gebauten Siedlung, drohe die Individualisierung, weil die Menschen gezwungen sein würden, mehr Geld zu verdienen, weil sie in Zukunft Strom bezahlen müssten und nicht mehr von dem überleben könnten, was sie fischen oder ernten.

"Form des Zusammenlebens wird sich verändern"

Auch der Soziologe Florencio Díaz, Experte für Umweltkonflikte, hat Bedenken.

Ihre Lebensweise, ihre Solidaritätsmechanismen, ihre Form des Zusammenlebens, ihr Verhältnis zum Konsum und zum Meer werden sich verändern. Denn man wird sie auf das Festland umsiedeln, wo das Leben durch das klassische Arbeitsmodell - das heißt ich verkaufe meine Arbeitskraft, um leben zu können - vorherrscht. Während es in den angestammten Guna-Gemeinschaften diesen Mechanismus der Solidarität, der gegenseitigen Hilfe zwischen den Mitgliedern der Gemeinde und natürlich dem Meer gibt, was die Gemeinschaft der Guna prägt.

Florencio Díaz, Soziologe

Laut dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen haben im letzten Jahr rund 23,7 Millionen Menschen ihre Heimat aufgrund von Naturereignissen, wie Dauerregen, lang anhaltenden Dürren, Hitzewellen und Stürmen sowohl kurz- als auch langfristig verlassen müssen. Die Vereinten Nationen schätzen, dass in den kommenden 30 Jahren bis zu 200 Millionen Menschen wegen der Folgen des Klimawandels aus ihrer Heimat flüchten werden.
Verlässt man den kleinen Hafen von Gardi Sugdub mit dem Boot, fährt man vorbei an kleinen paradiesischen Inseln mit weißen Sandstränden und Palmen à la Robinson Crusoe. Auf Diadup stehen nur vier kleine türkisfarbene Holzhütten. Die Insel ist nur so groß wie ein Fußballfeld, gehört den Vorfahren von Adrián.

Meer verschluckt Insel

An dieser Insel sieht man sehr deutlich, was auf die Region zukommt. Der 45-jährige Adrián zeigt auf eine Kokospalme am Rande der Insel, deren Wurzeln von der Brandung freigelegt wurden.
„Jedes Jahr verliert die Insel drei Meter Land. Ein Viertel ihrer Fläche hat das Meer bereits verschluckt. Früher war hier Platz für zwölf Häuser, jetzt überspült das Wasser mehr und mehr das Land“, erzählt er.
Die Kokosinsel, wie sie genannt wird, wird abwechselnd von Familienmitgliedern betreut. Vor allem internationale Tagestouristen zieht sie an. In diesem Moment ist Sevaldo Sanguién verantwortlich.
„Hier kommen immer wieder schwimmende Hotels, Boote mit Touristen vorbei. Sie kaufen unsere Handarbeiten, Fisch, Langusten, Kokosnüsse. Manchmal kommen sie auch und übernachten hier“, sagt er.
Kleine flache Insel mit vielen Palmen unter blauem Himmel.
Schön, aber bedroht: Bis zu 200 Millionen Menschen werden laut UN in den nächsten 30 Jahren wegen der Folgen des Klimawandels aus ihrer Heimat flüchten.© Anne Demmer, ARD-Studio Mexiko
Es dämmert bereits. In der Ferne sind nur die Lichter einer Luxusjacht zu sehen. Regelmäßig fährt der 84-jährige Sevaldo raus zum Fischen.
„Wir beobachten hier nun, was in den Nachrichten, im Radio und im Fernsehen vor langer Zeit schon prophezeit wurde. Wir sehen hier, wie der Klimawandel auch uns betrifft. Ich sehe das nicht nur auf unserer kleinen Insel, sondern auch bei anderen Inseln, die in einigen Jahren verschwinden werden. Ich selbst werde nicht mehr erleben, wie die Inseln gänzlich verschwinden. Sie sind ein Erbe unserer Vorfahren“, sagt er.
„Wir können hier gut überleben, mit dem Tourismus und dem Fischfang. Aber wenn die Inseln nun verschwinden, woher bekommen wir dann das Geld? Kokosnüsse können wir schon nicht mehr verkaufen, es sind nur noch zwei Palmen übrig. Früher war das Klima anders, jetzt spielt es verrückt, der Regen, der Wind.“
Adrián macht das wütend. Er lebt eigentlich auf der benachbarten Insel Digir und bringt immer mal wieder Besucher auf die kleine Kokosinsel.

Wir Gunas wissen, dass der Klimawandel und die Auswirkungen der Treibhausgase, die jeden Tag freigesetzt werden, von den Industrieländern verursacht werden. Deshalb sagen einige von uns Gunas, dass nicht wir es sind, die die Umwelt verschmutzen, sondern die entwickelten Länder. Darum sagen wir, dass die fortschrittlicheren Länder auf internationaler Ebene auch die Umwelt schützen und nach Wegen suchen sollten, die Welt nicht zu sehr zu schädigen.

Adrián, Inselbewohner

Panama emittiert laut den Vereinten Nationen nur 0,02 Prozent der globalen Treibhausgase, ist neben Surinam und Buthan eines der einzigen karbon-negativen Länder.
Die Guna würden im Einklang mit der Natur leben, verbrauchten kaum Energie, sagt Adrián. „Mit unserer ursprünglichen Lebensart schützen wir die Natur. Bei uns ist die Viehzucht beispielsweise verboten, das heißt, wir fällen nicht die Bäume, um Weideland zu gewinnen, das dann austrocknet.“

"Wir schmeißen alles ins Meer"

Die Guna leben vom Fischfang, einige betreiben Ackerbau am Festland, bauen dort vor allem Yuca für den eigenen Bedarf an, für den Verkauf im großen Stil ist weder der Fischfang noch die Ernte gedacht. Doch der Einklang mit der Natur hat Grenzen. Wenn man sich am Ufer der Insel umschaut, schwimmt überall Müll: Plastikflaschen und Verpackungen. Die Bewohner leiten ihre Fäkalien direkt ins Meer.
Ein Abwasser- und Müllsystem habe die Insel nicht. Die Regierung in Panama-Stadt interessiere das nicht.
„Wir schmeißen alles ins Meer. Es gab immer wieder Recycling-Projekte, aber es fehlt die Umwelterziehung. Wir müssen die Jugend aufklären, um sie zu sensibilisieren. Und mit dem Müll schaden wir der Umwelt, den Menschen, dem Meer.“
Das hat sich Adrián zur Aufgabe gemacht. Er will bei den Inselbewohnern Bewusstsein für das Thema schaffen. An diesem Tag besucht er eine Klasse mit zehn- und elfjährigen Kindern. Sie schauen ihn mit großen Augen an. Ein Anfang, sagt Adrián.
Ein Mann steht an einer Tafel und gestikuliert vor einer Klasse von Kindern, die in Reihe vor ihm an kleinen Tischen sitzen.
"Die Jugend aufklären, um sie zu sensibilisieren": Umwelterziehung mit Adrián in einer Schule auf der Insel Digir.© Anne Demmer, ARD-Studio Mexiko
Drei Autostunden dauert es über eine kurvige Straße, die mit Schlaglöchern übersät ist, bis Panama-Stadt. Dort sitzt José Batista im vierten Stock an seinem Schreibtisch. Er ist der stellvertretende Minister für Bau und Territoriale Angelegenheiten. Aus seinem Büro hat er durch eine komplette Fensterfront einen Panorama-Blick über die Hauptstadt.

"Umzug kostet uns zwölf Millionen Dollar"

Hier scheint der Klimawandel fern. Einen richtigen Plan zur Prävention der Folgen des Klimawandels auf die Region der Guna habe die Regierung bislang nicht. Aber er sei stolz auf das erste Pilotprojekt, das bereits seit zehn Jahren auf dem Papier existiert, während der Pandemie noch mal brach lag und nun schon bald Realität werde. Der Umzug von Gardi Sugdub stehe im nächsten Jahr bevor, betont Batista zuversichtlich.
„Es ist das erste Projekt seiner Art in Lateinamerika: der Umzug einer kompletten Insel. Wenn uns dieser erste Schritt gelingt, können wir über weitere derartige Projekte nachdenken. Aber die größte Herausforderung ist sicherlich der wirtschaftliche Aspekt“, sagt er.
„Allein dieser erste Umzug, diese 300 Häuser, kosten uns zwölf Millionen Dollar. Wir müssen uns mit diesem Thema intensiv auseinandersetzen und auch über Alternativen nachdenken, denn es wird nicht möglich sein, dass wir alle Familien von den rund 50 bewohnten Inseln umsiedeln.“

Inseln mit Sand auffüllen – eine Alternative?

Der stellvertretende Minister für Bau hat eine weitere Möglichkeit im Sinn: „Die Inseln mit Sand auffüllen. Im Pazifik wurden bereits verschiedene Inseln so künstlich konstruiert. Auch in Dubai gibt es Beispiele dafür. Wir könnten Sand vom Meeresgrund nehmen und damit die Insel befestigen und erhöhen.“
Ob das ein nachhaltiges und rentables Konzept ist, bleibt allerdings fraglich. Durchgerechnet haben es Batista und sein Ministerium noch nicht. Bislang sind es nur Gedankenspiele.

Glücklicherweise schreitet der Klimawandel langsam voran. Bis 2050 – bis der Meeresspiegel derart ansteigt, ist es ja noch lange hin. Wir haben also Zeit noch etwas zu unternehmen.

José Batista, stellvertretender Minister

Währenddessen haben sich an diesem Tag vor der deutschen Botschaft in Panama eine Gruppe Demonstranten versammelt. Es sind nur rund 40 Aktivistinnen und Aktivsten, eine größere Bewegung wie etwa Fridays for Future in Europa gebe es nicht, sagt Julianis, die für den Protest extra von der Karibikküste, aus der Provinz Colón, angereist ist.
Die Studentin der Kriminologie will der internationalen Gemeinschaft, Industriestaaten wie Deutschland, Druck machen. Es sei Zeit zu handeln und zwar sofort. Die Extremwetterereignisse hätten spürbar zugenommen.
„Zuletzt im vergangenen Monat hat eine befreundetet Familie ihr zu Hause verloren. Das waren die Ausläufer des Wirbelsturms Julia. Sie stehen vor dem Nichts. Ein Kind ist fast ertrunken. Zum Glück gab es viele Menschen, die geholfen haben. Jetzt leben sie in einer Notunterkunft“, sagt sie.
Und das sei nur der jüngste Vorfall. „Vor zwei Jahren ist die kleine Tochter eines sehr engen Freundes ertrunken. Auch da waren die Fluten, die Wellen und die Überschwemmungen sehr stark. Der nahe gelegene Fluss ist schnell angewachsen, die mächtige Strömung hat das Mädchen mitgerissen. Sie war noch nicht einmal drei Jahre alt.“
Gruppenbild mit Dame - eine Frau in rotem T-Shirt umgeben von drei Männern stehen an einer Wand.
In Panama für die Umwelt aktiv: die österreichische Biologin Renate Sponer und die Klimaaktivisten von Scientist Rebellion© Anne Demmer, ARD-Studio Mexiko
Die Demonstranten tragen Transparente mit der Aufschrift „Wir fordern eine Klimarevolution“. Auf einem anderen steht „Klimagerechtigkeit“. Eine der Initiatorinnen des Protests ist Renate Sponer. Die gebürtige Österreicherin lebt seit 22 Jahren in Panama.
Die Biologin gehört der Bewegung Scientist Rebellion an – ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern. Sie fordern, dass die Auslandsschulden gestrichen werden müssen. Die Länder des Nordens müssten Verantwortung übernehmen.

Weil erstens die Länder im Norden also wirklich den Hauptanteil der Emissionen bewirkt haben. Ich könnte es vergleichen damit, dass ich zum Beispiel dein Haus anzünde und sage, okay ich gebe dir jetzt einen Kredit, damit du dein Haus wieder aufbauen kannst. Also erst zerstöre ich dein Haus und zweitens gewinne ich dann noch Geld damit, dass ich dir einen Kredit leihe, damit du das wieder aufbaust. Und noch dazu zünde ich ja dein Haus jeden Tag wieder an, weil es geht ja immer weiter.

Renate Sponer, Biologin

Aber auch die Regierung in Panama müsse entschlossen handeln. So wie es zu Beginn der Pandemie eine schnelle Aufklärungskampagne gegeben habe, müssten nun auch über die Folgen des Klimawandels aufgeklärt, informiert und präventive Maßnahmen ergriffen werden, so Sponer.

"Wir sind nicht gegen Entwicklung"

Zurück auf der Insel Digir: Auch hier macht sich Adrián Sorgen um die Zukunft. Denn auch hier steht fest: Ein Umzug ist unausweichlich – das wissen die Bewohner. Adrián hat Bilder der neuen Siedlung gesehen, die auf dem Festland entsteht. Ihm scheint ein Umzug nicht unattraktiv.
„Diese neuen Häuser haben viele Vorteile. Die Familien haben ihr eigenes Haus. Sie haben Strom. Wir sind hier nicht gegen Entwicklung. Aber es gibt auch einen Nachteil“, sagt er.
„Viele von uns haben keinen richtigen Job. Die Mehrheit lebt von der Subsistenzwirtschaft, sie bauen Nahrungsmittel für den eigenen Bedarf an. Wir haben kein richtiges Einkommen. Wenn die Regierung Strom gratis zur Verfügung stellt, dann ist alles gut. Aber aufgrund der Architektur werden Klimaanlagen nötig, das sorgt für einen erneuten CO2-Ausstoß und das ist wiederum schlecht fürs Klima.“ Und teuer für die Anwohner.
Ein Mann lehnt an einen Baumstamm, im Hintergrund Strand und Meer.
Auch seine Insel wird umziehen müssen. Jedes Jahr beobachtet Adrián, wie das Meer einen Teil von Digir verschlingt.© Anner Demmer, ARD-Studio Mexiko
Doch ob je eine Siedlung auch für die Bewohner von Digir gebaut wird, steht in den Sternen. Adrián blickt aufs Meer hinaus. "Jedes Jahr können wir sehen, wie ein Teil unserer Insel vom Meer verschlungen wird, als ob das Meer es zurückfordern würde."
Die Baustelle der neuen Siedlung auf dem Festland steht derweil still, heißt es in diesen Tagen aus Gardi Sugdub. Ein Baustopp wurde veranlasst. Es fehlt die weitere Finanzierung.
Ob es daher tatsächlich zum Umzug im nächsten Jahr kommt, ist derzeit nicht abzusehen. Sicher ist nur, dass der Klimawandel voranschreitet, der Meeresspiegel stetig steigt, wenn nicht von allen Ländern ambitioniertere Maßnahmen als bisher ergriffen werden.
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