Klimawandel und die Folgen

Die Medien versagen in der Berichterstattung

Illustration: Brennender Globus in einer Pfanne über Flammen.
Das Klima auf der Erde wird wärmer und wärmer und worüber berichten die Medien eigentlich gerade so? © imago / Ikon Images / Roy Scott
Ein Kommentar von Sieglinde Geisel · 16.05.2022
Die Arktis taut auf, Brände in Sibirien, Fluten in Deutschland. Der Klimawandel wird immer dramatischer, in den Schlagzeilen taucht er aber kaum auf. Die Medien werden in dieser Bedrohungslage ihrer Verantwortung nicht gerecht, meint Sieglinde Geisel.
Seit dem 4. Mai leben wir in Deutschland auf Pump: An diesem Tag, dem Overshoot-Day, hatte Deutschland so viele Ressourcen verbraucht, wie der Planet das ganze Jahr für unser Land hergeben kann, ohne Schaden zu nehmen. Vielleicht haben Sie davon gehört, vielleicht auch nicht.
Der neuste und verheerende Bericht des Weltklimarats sei „ein Aufruf zur Revolution“, so war immerhin in der „Zeit“ zu lesen, doch auch diese Nachricht verschwand aus den Medien so schnell, wie sie aufgetaucht war. Als kürzlich die NASA meldete, dass die Erderwärmung drei Mal so schnell voranschreite, wie bisher erwartet, zuckten die Medien nur kurz mit den Schultern.
Die Erderwärmung ist der sprichwörtliche Elefant im öffentlichen Raum: Das Phänomen ist in seiner Dringlichkeit unübersehbar, doch alle tun so, als wäre es nicht da. Dass es in Indien eine Woche fast 50 Grad heiß war, dass in Sibirien die Wälder brennen und der Regenwald im Amazonas im Rekordtempo abgeholzt wird – das alles ist nichts, was die Schlagzeilen bestimmt.

Selbst Greta sagt nichts mehr

Warum schlagen die Medien nicht Alarm? Drei Jahre ist es her, dass Greta Thunberg uns ihr: „I want you to panic!“ entgegenschleuderte, „ich will, dass ihr Panik bekommt!“, doch nun scheint sogar sie verstummt. Zuerst war es die Pandemie, nun ist es der Krieg, der das öffentliche Bewusstsein besetzt. Die Debatten über den Krieg rufen vertraute Denkmuster ab: Es gibt einen Feind, und der Krieg wird irgendwann zu Ende gehen.

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Der Klimawandel funktioniert ganz anders. Es gibt niemanden, mit dem man über ein Ende verhandeln könnte. Es gibt kein Ende, und es gibt keinen Feind, kein „Wir“ gegen „Sie“. Es gibt nur uns alle, und der gemeinsame Kampf richtet sich gegen Dinge, die uns selbstverständlich sind. Wir müssen unser Leben ändern, doch davon sind wir so weit entfernt wie vom netto null: Die Emissionen sind höher als je zuvor.

Wir leben in einer Scheinwelt

Es sieht nicht gut aus, sagt der Elefant im Raum. Wir leben in einer Scheinwelt, auch, weil die Medien ihre Verantwortung nicht wahrnehmen. Letztes Jahr erschien ein Buch mit dem Titel „Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“. Von den Leitmedien wurde es weitgehend ignoriert, dabei hätte es einschlagen müssen wie eine Bombe. Bei den Leser:innen zumindest hat es das: Das Buch ist ein Bestseller, auf Amazon gibt es über 300 Kundenrezensionen.
Zeitgenosse zu sein im Jahr 2022, das bedeutet, mit dem Bewusstsein zu leben, dass wir die Erde aufheizen und, vielleicht, verlieren. Ausgerechnet die Medien, die sagen sollen, was ist, verweigern sich dieser Zeitgenossenschaft. Vielleicht liegt es daran, dass sich nicht gut leben lässt mit dem, was ist.

Die Zukunft wird infrage gestellt

Wir Menschen brauchen Zukunft, um leben zu können – und zwar gerade, weil wir sterblich sind. Wir können das Wissen um unsere Sterblichkeit nur ertragen, wenn wir uns eine symbolische Unsterblichkeit erschaffen. Zum Beispiel in der Gewissheit, dass das Leben weitergehen wird, wenn wir tot sind, insbesondere das Leben unserer Kinder. Dass genau das infrage steht, ertragen wir nicht.
Dafür, dass der Klimawandel nicht nur da draußen, sondern auch in unserem Bewusstsein stattfindet, sind die Medien verantwortlich. Um unsere Erde zu retten, müssen wir wissen, wo sie gerade brennt, wo sie überschwemmt wird, wo sie austrocknet oder schmilzt. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Live-Ticker, wie bei der Pandemie? Nur würde dieser Live-Ticker statt Coronazahlen die aktuellen Klimanotstände verzeichnen. Dann müssten wir den Elefanten endlich zur Kenntnis nehmen.

Sieglinde Geisel studierte in Zürich Germanistik und Theologie und arbeitet als freie Journalistin. Sie ist für verschiedene Medien als Literaturkritikerin, Essayistin und Reporterin tätig und lehrt an der Freien Universität Berlin sowie an der Universität St. Gallen. Geisel ist Gründerin von „tell – Onlinemagazin für Literatur und Zeitgenossenschaft“ und schreibt dort regelmäßig.

Sieglinde Geisel posiert im Treppenhaus des RIAS-Gebäude in Berlin
© Deutschlandradio / Melanie Croyé
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