Martin Ahrends, geboren 1951 in Berlin. Studium der Musik, Philosophie und Theaterregie. Anfang der 80er-Jahre politisch motiviertes Arbeitsverbot in der DDR. 1984 Ausreise aus der DDR. Redakteur bei der Wochenzeitung "Die Zeit" und seit 1996 freier Autor und Publizist.
Nachhaltigkeit mit Stil
04:15 Minuten
Segeln statt Motorboot fahren, den Sonnenuntergang daheim genießen statt in die Südsee zu jetten: Wer das Klima und die Umwelt schont, hat auch mehr Lebensstil, meint Autor Martin Ahrends.
Lebensstil hat auf den ersten Blick eher mit Würde zu tun als mit Kohlendioxid, abwegig ist der Zusammenhang aber durchaus nicht. Schwimmende Gartenlauben haben in diesem Sommer die Havelseen dominiert, mit "umpfenden" Boxen und röhrenden Motoren.
Vordem gab es da vor allem Segelboote von der Art, wie Einstein sie bevorzugte: Gutes Holz, gutes Tuch in ein kluges und stimmiges Verhältnis gesetzt. Nicht mehr und nicht weniger. Das hatte Stil und Maß, das entsprach in besonderer Weise der havelländischen Landschaft. Einsteins Segelboot gab der angemessenen Form Vorrang vor der Bequemlichkeit. Das Verhältnis hat sich inzwischen umgekehrt.
Segel- statt Motorboot
Als ich Kind war, hatten andere Segler schon einen Außenbordmotor. Mein Vater wollte keinen Motor am Boot haben, das sei stillos, sagte er. So hatten wir denn zu "pätscheln", wenn die Abendflaute gekommen war, und sich das letzte zarte Lüftchen zur Ruhe gelegt hatte. Erst dann, sonst nämlich hätten wir Rasmus, den Windgott beleidigt. Und nicht zu heftig, nicht zu laut, wir sollten die Abendstille nicht stören.
Wir Jungs hatten nun aber doch Hunger und Durst, nachdem alle Vorräte verzehrt waren. Und müde waren wir auch. So "pätschelten" wir, der Bruder und ich, andächtig in die Nacht hinein, von gierigen Mücken umsirrt. Mutter und Vater taten mit oder sie lauschten in die Nacht, flüsterten, lachten leise, schwiegen. Warum hab ich diese komfortfreien Abende in so bleibender Erinnerung? Als Entbehrungsreichtum?
Stil hat weniger mit Laufstegen zu tun als zum Beispiel damit, wie jemand über den Steg läuft: ob zu so einer schwimmenden Laube oder zu einem Boot. Ein Segelboot spiegelt die uralten Erfahrungen der Menschheit mit Wind und Wasser. Im Bootskörper und den darüber gestellten Segeln ist unsere geschickte Assimilation an die umgebende Natur zur ästhetischen Form geworden. Dies höher zu schätzen als die Annehmlichkeit eines Vehikels, das konstruiert wurde, um möglichst viele Bierkisten nebst möglichst vielen Betrunkenen nebst Boxen übers Wasser zu tragen. Diese Priorisierung ist entscheidend dafür, ob unsere Erde noch mehre von uns verkraften kann oder nicht. Unser Lebensstil ist es, auch in der Freizeit.
Das nahe liegende Schöne genießen
Entscheidend ist, ob wir fähig sind, den Mondaufgang am Ende der heimischen Radtour zu bewundern, oder ob wir dafür an einen fernen Strand jetten müssen, wo es dann, wie im Katalog versprochen, ein Sonnenuntergang sein muss. Ob wir uns unsere Freizeitansprüche von den Katalogen aufschwatzen lassen oder ob wir fähig sind, am nahe liegend Schönen unser Genüge zu finden.
Sich etwas herausnehmen, sich etwas erlauben – das ist der übliche Urlaubsmodus. Er wird quantitativ missverstanden: möglichst viel des knappen öffentlichen Raumes für sich zu beanspruchen, ein größtmögliches Stück Strand, ein breites Wohnmobil, ein lächerliches Laubenfloß? Derlei Ansprüche verbreiten Stillosigkeit, sofern man, pardon, "Breitärschigkeit" nicht als eine Art von Stil bezeichnen mag.
Sich etwas herausnehmen, sich etwas erlauben – das ist der übliche Urlaubsmodus. Er wird quantitativ missverstanden: möglichst viel des knappen öffentlichen Raumes für sich zu beanspruchen, ein größtmögliches Stück Strand, ein breites Wohnmobil, ein lächerliches Laubenfloß? Derlei Ansprüche verbreiten Stillosigkeit, sofern man, pardon, "Breitärschigkeit" nicht als eine Art von Stil bezeichnen mag.
Wir haben die Wahl
Man vergleiche die Anmut eines Pétanque-Spielers mit der kauernden Haltung eines Passagiers im Aeroplan. Oder im Automobil, mag sein, auf dem Weg zum Golf. Golfplätze werden in Brandenburg an mindestens zwei mir bekannten Orten so aufwendig bewässert, dass dadurch zwei nahe liegende Badeseen in ihrer Existenz gefährdet sind. Ein Bouleplatz wäre zu Fuß erreichbar, er bräuchte einen Bruchteil an Fläche und kein Wasser. Boule oder Golf? Radeln oder Jetten? Lautlos Segeln oder lautstark Abhängen? Wir haben die Wahl.