Annette Jensen ist freie Journalistin und Buchautorin in Berlin. Sie studierte Politikwissenschaften und Germanistik an den Universitäten in Heidelberg und Hamburg. 1992 war sie Mitbegründerin des Ressorts „Wirtschaft und Umwelt“ bei der Tageszeitung „taz“. Ihre Schwerpunkte sind ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit sowie gesellschaftliche Transformation. Jensen engagiert sie sich im Ernährungsrat Berlin und hatte die redaktionelle Verantwortung für das Buch "Berlin isst anders – ein Zukunftsmenü für Berlin und Brandenburg", das als Open Source erschienen ist.
Krankenhaus-Essen
Dass Fertiggerichte nicht gerade gesund sind, wird im Krankenhaus selten berücksichtigt. © imago images / Joko
Möglichst billig und oft ungesund
Krankenhäuser machen manchmal nicht gesund, sondern erst recht krank. Das gilt meist auch für das Klinik-Essen, kritisiert die Autorin Annette Jensen. Die servierte Fertigkost mache Menschen anfälliger für Infekte und Wunden heilten schlechter.
Kranke brauchen gutes Essen, dann kommen sie rascher wieder auf die Beine. Allgemein bekannt. Ich habe Freunde nach ihren kulinarischen Erfahrungen im Krankenhaus gefragt. Weißbrot mit Scheiblettenkäse, erzählten sie. Glibberiges Hühnerfrikassee, selten mal ein Salatblatt.
Dabei geht es nicht nur darum, ob das Essen schmeckt oder nicht, sondern darum, dass Krankenhaus auch krank machen kann. Nicht wenige Menschen kommen bereits mangelernährt in die Klinik, ihnen fehlen Vitamine, Eiweiße und Spurenelemente. Das fällt aber häufig gar nicht auf. Dabei belegen wissenschaftliche Studien: Im Krankenhaus verstärkt sich Mangelernährung nicht selten weiter – und das hat Folgen. Die Menschen sind anfälliger für Infekte, ihre Wunden heilen schlechter.
Individuelle Kost, bessere Heilung
Manche Menschen bezahlen diese Ignoranz sogar mit dem Leben. Das belegt eine Studie aus der Schweiz mit über 2000 Patient*innen. Die Hälfte von ihnen bekam das übliche Essen, für die anderen stellten Ernährungsfachleute gezielt Speisepläne zusammen. Die Unterschiede waren enorm: Wer individuelle Kost erhielt, erlitt deutlich seltener Komplikationen. Die Todesrate in dieser Gruppe lag sage und schreibe 27 Prozent niedriger.
Auch bei Corona gibt es einen wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen Nährstoffmangel und Sterblichkeitsrate. Ausgerechnet in Krankenhäusern spielen diese Erkenntnisse offenbar keine Rolle.
Massenproduktion als Kostendrücker
Für die Essensversorgung sind Ärztinnen und Ärzte nicht zuständig – im Medizinstudium ist die Verpflegung auf den Stationen kein Lehrinhalt. Auch die Ausbildung des Pflegepersonals streift das Thema nur am Rande. Dagegen sind Diätassistentinnen in Krankenhäusern meist dem Küchenpersonal zugeordnet – und dafür sind die Geschäftsführungen verantwortlich. Aus deren Sicht muss das Essen vor allem eines sein: billig. Vier bis fünf Euro pro Tag und Person sollen für den Lebensmitteleinkauf reichen. Viele Krankenhäuser beziehen das Essen inzwischen von Caterern oder betreiben konzerneigene Großküchen. Massenproduktion als Kostendrücker.
Ob jemand tatsächlich isst, fällt häufig gar nicht auf: In vielen Kliniken werden die Teller unter einer Plastikhaube ans Bett gebracht und so auch wieder abgeräumt. Dass jemand das Essen nicht anrührt, muss nicht einmal mit schlechter Qualität zu tun haben. „Vielleicht kriegt jemand das Besteck nicht aus der Zellophantüte gefummelt oder ist zu schwach, die Gabel zu halten“, nennt Diana Rubin vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin weitere Gründe.
Ob jemand isst oder nicht – egal
Genau das berichtete mir eine Frau über ihrem 85-jährigen Vater. Während eines längeren Aufenthalts im Krankenhaus hat er 22 Kilo abgenommen. Weil die Tochter ihn wegen der Pandemie nicht besuchen durfte, konnte auch sie ihm nicht helfen. Personalmangel, permanenter Stress auf den Stationen, ungeeignetes Essen für die Genesung – all das sind Symptome eines kranken Systems, das Gesundheit als Markt begreift.
Dass Klinik-Essen im besten Fall trostlos, im schlechtesten Fall sogar tödlich ist, trifft nicht nur die Patient*innen selbst. Es ist auch volkswirtschaftlich Unsinn. Wenn Wunden langsamer heilen und die Infektionsrate steigt, dauern Genesungsprozesse länger – und das verursacht höhere Kosten für die Sozialversicherungen.
Essen kann die Gesundheit fördern
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat vor zwei Jahren Standards für die Verpflegung in Krankenhäusern herausgegeben. Die können sie anwenden – oder auch nicht. Bisher richten sich gerade einmal vier Prozent der Kliniken danach. Doch Essen, das Gesundwerden fördert, sollte im Krankenhaus selbstverständlich sein.
Im Prinzip muss das gesamte Gesundheitssystem umgebaut werden: Ins Zentrum gehört, was Kranke brauchen. Aber bis dahin wird noch viel Weißbrot mit Scheiblettenkäse serviert worden sein.