Klischee ade in Thüringen

Von Michael Frantzen · 11.08.2009
Junge Vietnamesen liegen vorne - bei der Bildung im Osten der Republik, verglichen mit anderen Migrantengruppen. Einer Migrationsstudie nennt nüchterne Zahlen: In der zweiten Generation schafften 68 Prozent das Abitur, der Akademikeranteil ist sogar doppelt so hoch wie bei deutschen Kindern.
Dan: "In drei von vier Prüfungen hab ich ne Eins. Und Mathe hab ich einen Ausrutscher gehabt. Und hab da dann die 2. Aber, na ja: Es passiert mal."

Gwin: "Ich hab keine anderen Gedanken! Studieren! Was sonst? Das sagten meine Eltern immer: Du musst studieren! Studieren!"

Duc: "Ich will hier jede Chance nutzen."

Drei Jugendliche – eine Gemeinsamkeit: Ehrgeizig sind sie – die Kinder der ehemaligen vietnamesischen DDR-Vertragsarbeiter.

Duc Do Minh zum Beispiel. Ist zwar erst 18 – der Erfurter, doch sein Lebenslauf füllt jetzt schon zwei eng geschriebene DINA4-Seiten. Diverse Praktika, diverse Teilnahmen an Mathematik- und Physik-Olympiaden, diverse Hobbys.

"Erst die Arbeit, dann das Vergnügen" – lautet sein Motto.

Duc: "Ich bin sehr zufrieden mit dem Abitur, das ich jetzt bekommen hab. Ein Schnitt von 1,3. Wobei ich am Ende noch in die Nachprüfung gehen wollte – freiwillig, um von 1,4 auf 1,3 zu kommen. Ich wollte die Chance nutzen, um noch diesen Punkt zu gewinnen, um nen besseren Schnitt zu bekommen."

Sind mächtig stolz auf ihn zu Hause, dass er als erster aus der Familie das Abitur gemacht hat. Ducs Mutter arbeitet als Kellnerin in einem asiatischen Restaurant in Erfurt, der Vater hat sich aus dem Staub gemacht, als er noch klein war. Redet Duc nicht so gerne drüber.

War nicht einfach für seine Mutter – ihn und seine zwei jüngeren Geschwister über die Runden zu bringen. Noch heute schuftet sie von früh bis spät. Den Ehrgeiz, meint Duc, hat er von ihr.

Duc: "Wenn ich schlechte Noten nach Hause gebracht habe, da hatte ich da schon nen bisschen Angst; auf ne Disziplinarmaßnahme. Dass ich vielleicht noch mehr lernen müsste. Oder so ne Art vietnamesische Strafe: Zwei Stunden vor der Wand stehen. Das wirkt sich auch dahingehend aus, dass sie vieles, was son normaler Jugendlicher machen darf, ... dass es mir verboten wird. Weil sie eben befürchten, dass ich mich daraufhin weniger auf die Schule konzentriere. So beispielsweise ne Freundin zu haben. Oder mit Freunden auszugehen. Die Strenge hat mir dieses Gefühl oder diese Motivation gegeben, unbedingt besser zu werden."

Dan: "Fleiß?! Na ja. Ich denke jetzt, dass es wichtig ist, dass man sich anstrengt."

Findet er hier:

"Tuan Le Da. 17 Jahre. Ich geh jetzt in die 10. Aufs Gymnasium. Ich gehöre schon mit zu den Leistungsstärksten in der Klasse. Hier in Bleicherode."

Hat schon mal bessere Zeiten gesehen – die ehemalige Bergbaustadt am Fuße des Harzes. Die Arbeitslosigkeit liegt jenseits der zehn Prozent, viele der verschieferten Fachwerkhäuser in der verwinkelten Altstadt sind verfallen – oder stehen leer. So wie das schräg gegenüber von Tuans Elternhaus oben am Hang, wo sich abends, wenn die Bürgersteige hoch geklappt werden, ein paar Typen an der Bushaltestelle auf ein Bier treffen. Kann schon mal laut werden.

Macht Tuan meist einen Bogen rum, wenn er abends aus dem Altenheim nach Hause kommt, wo seine Mutter arbeitet und er manchmal aushilft. Freiwillig. Geld bekommt er dafür nicht. Gehört sich einfach so. Meint der ernste 17jährige, dem es nie in den Sinn kommen würde, am helligten Tage in der Öffentlichkeit herumzulungern und Alkohol zu trinken.

"Vielen ist es nicht gleich offensichtlich, dass sie sich anstrengen müssen. Ich hab’s in der Vergangenheit gesehen, wie sich meine Eltern für uns angestrengt haben. Und da denke ich, dass ich mich da gerade auch anstrenge. Da ich weiß, dass ich ihnen gute Noten schuldig bin. Ich komme ja aus einer relativ finanziell schwachen Familie. Und ich denke, dass bei mir der Wunsch viel größer ist, aus diesen Verhältnissen raus zu kommen."

Ung: "Das ist auch schon nen Stückchen Konfuzianismus."

Erklärt Sozialarbeiterin Lee Thi Ung. Kennt sie aus eigener Erfahrung; von ihrer Familie in Vietnam. Hat einiges erlebt - die 52-Jährige: Zu DDR-Zeiten war sie Dolmetscherin für vietnamesische Vertragsarbeiter – bis es nach der Wende nichts mehr zu dolmetschen gab. Hat sie also umgesattelt auf Sozialarbeit. Heute betreut die lebenslustige Frau für die evangelische Kirche in Erfurt Ausländer. Meist Vietnamesen.

Sehr traditionell seien die, nicht so "liberal" wie sie. Anstand, Höflichkeit, Respekt vor Älteren – in den meisten vietnamesischen Familien würden diese konfuzianischen Werte auch fern der Heimat hochgehalten.

Ung: "Ein Stückchen Dankbarkeit. Beziehungsweise Respekt. Also ich erwarte: Ich möchte dir alles geben und möchte schon, dass du das anerkennst. Da begründet man auch, dass die Kinder da so nen bisschen Druck spüren. Du musst das und das machen!"

Dürfte Le Thanh Tu bekannt vorkommen. Auch so eine Einser-Kandidatin. 16 Jahr alt, schwarzes Haar, wache Augen. Auf dem Gymnasium, in ihrer Klasse, ist sie die beste. Ist ihr fast ein bisschen peinlich, damit herauszurücken.

Le lebt in Sonneberg – zusammen mit ihren Eltern und ihrer sechs Jahre alten Schwester. Früher verlief hier gleich in der Nähe die innerdeutsche Grenze, bis ins fränkische Coburg mit seiner herausgeputzten mittelalterlichen Altstadt und der Burg sind es keine 30 Minuten.

Kann Sonneberg nicht mithalten. Doch Le ist das egal. Ist nun mal ihr zu Hause – seit zehn Jahren; seitdem die Eltern in der zügigen Innenstadt ihr "Asia Bistro" aufgemacht haben. Waren vorher Fliegende Händler. Aber das war auf Dauer zu anstrengend: Das ständige Herumfahren – bei Wind und Wetter. Das frühe Aufstehen. Dann lieber ein Restaurant.

Le: "Ich denke, in vietnamesischen Familien – da ist der Leistungsdruck höher als vielleicht bei Deutschen. Was mir aufgefallen ist, dass in deutschen Familien: Man sagt: Man möchte das machen. Oder möchte kein Abitur machen. Möchte nicht studieren. Dann akzeptieren das die Eltern und sagen: Ja, Okay. Wenn du’s machen möchtest, dann machst du’s so. Bei uns, denke ich schon, dass das den Eltern sehr wichtig ist, dass man zumindest Abitur macht. Und dann etwas Gutes studiert."

Rund 85.000 Vietnamesen leben in Deutschland. Sind hauptsächlich zwei Gruppen: Zum einen im Westen die Boatpeople, die nach dem Ende des Vietnamkriegs in den 70ern und 80ern in die Bundesrepublik kamen, und ihre Kinder.

Und dann sind da noch die vietnamesischen Vertragsarbeiter. Seit Mitte der 80er wurden sie von der DDR angeworben, um "im sozialistischen Bruderland die Wirtschaft zu unterstützen", wie es offiziell hieß. Galten ja damals schon als zuverlässig. Und fleißig – die südostasiatischen Gastarbeiter. Nur: Richtig heimisch werden sollten sie nicht, sondern nach ein paar Jahren wieder verschwinden.

Ist nur bedingt aufgegangen, die Rechnung der DDR-Oberen. 60.000 Vietnamesen lebten zwischen Rügen und Karl-Marx-Stadt, als der DDR Ende der 80er die Puste ausging. Ein Drittel blieb – trotz aller Probleme nach der Wende: Den Massenentlassungen, ausländerfeindlichen Übergriffen nicht nur in Rostock-Lichtenhagen, den Versuchen der Kohl-Regierung, sie irgendwie aus dem Land zu schaffen.

"Viele Vietnamesen", meint denn auch Thüringens Ausländerbeauftragter Eckehard Peters, "hätten jahrelang in einer Art rechtlichem Niemandsland gelebt." Von Integration keine Spur. War aber schon zu DDR-Zeiten so.

Peters: "Ich hab selbst in der DDR-Zeit zuletzt als Deutschlehrer gearbeitet. Und vorzugsweise Vietnamesen in Deutsch unterrichtet. Und was sie dort lernen konnten, war ausgesprochen gering. So dass erst mal die sprachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse Anfang der 90er im Durchschnitt gering waren. Die Generation, die damals hier geblieben ist, die ehemaligen Vertragsarbeiter, hatte also schwer zu tun, auch ihr persönliches Überleben zu organisieren. Viele sind fliegende Händler geworden: Markthändler. Also die Ausgangsbedingungen waren schwierig."

War bei Ducs Mutter genauso. Die Zeit direkt nach der Wende, als sie sich als Reinigungskraft durchschlug. Und zusehen musste, wie sie Duc und seine zwei jüngeren Schwestern durchbringt – allein, in einem fremden Land, ohne richtig Deutsch zu können.

Blieb nicht viel Zeit für Duc. Den schickte sie schon früh in eine Kindertagesstätte, damit er nicht den ganzen Tag alleine ist. Und Deutsch lernt.

Duc: "Ich musste sehr, sehr oft schon im Alter von sieben Jahren auf irgendwelche Geschäftsstellen, mich daneben setzen und meiner Mutter das dann übersetzen. Und ich war eben auch das erste Kind im Kindergarten. Ich weiß ganz genau: Als wir das erste Mal son Zettel bekommen haben für nen Wandertag, wusste meine Mutter damit nichts anzufangen. Hat mir irgendetwas in den Rucksack rein gesteckt: Ne leere Brotbüchse, ohne Brot, ohne Verpflegung. Mittlerweile wird mir klar, dass ich auf diese Weise nen bisschen mehr Verantwortungsgefühl entwickeln konnte. Und mich besser reflektieren kann. Weil: Schon als kleines Kind solche Verpflichtungen zu tragen, fördert einen."

Findet Duc. Macht schon seit längerem Bodybuilding. Früher, meint der 18-Jährige, hätten sich seine Verwandten über ihn lustig gemacht – über das "Pummelchen". Haben aufgehört die Hänseleien.
Keine Schwäche zeigen, Verantwortung übernehmen, eigenständig sein - das hat auch Than verinnerlicht. Stand schließlich auch von klein an auf eigenen Beinen.

Than: "Wir sind natürlich bei unseren Hausaufgaben ziemlich selbst auf uns angewiesen gewesen. Und das sind wir auch heute noch. Mutti spricht etwas unzureichend Deutsch. Aber schon von Anfang an haben sich unsere deutschen Nachbarn um uns gekümmert. Sie haben uns Deutsch erzogen, mit den ganzen Sitten und Moralvorstellungen. Sie haben uns auch bei unseren Hausaufgaben geholfen."

"20 Jahre nach dem Fall der Mauer schreiben die Nachkommen der ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter eine bislang wenig bekannte Erfolgsgeschichte" – urteilte vor kurzem "Die Zeit". Haben sie recht, die Zeitungsmacher aus Hamburg. Tatsächlich schneidet keine andere Einwanderergruppe in der Schule besser ab als die Vietnamesen. Mehr als jeder Zweite schafft den Sprung aufs Gymnasium. Ihr Akademikeranteil ist doppelt so hoch wie bei einheimischen Deutschen. Ist in Thüringen nicht anders.

Passt nur so gar nicht zum Bild, das normalerweise in der öffentlichen Diskussion über Kinder mit Migrationshintergrund gezeichnet wird. Den "Problemkindern". Stellt ein paar vermeintliche Wahrheiten der Integrationsdebatte in Frage – der Erfolg von Than, Duc und Co: Dass beispielsweise Kinder aus armen Verhältnissen – oder wie es immer heißt: bildungsfernen Schichten - partout Schulversager sein müssen. Oder Eltern von Migranten selbst gut integriert sein müssen, damit ihre Kinder in der Schule zu recht kommen.


Peters: "Ich will’s mal negativ formulieren: Bestimmte Erscheinungen der Desintegration, wie sie in westlichen Ländern oder im ehemaligen Westberlin mit bestimmten Gruppen und da sind ja – nun braucht man nicht drum herum zu reden – es sind nun vor allen Dingen die türkische Community, die da Schwierigkeiten macht - die können wir hier in Thüringen nicht so verzeichnen. Das hängt ganz sicher auch mit der relativ geringen Zahl zusammen. Denn: Es entsteht natürlich ein hoher gesellschaftlicher Integrationsdruck durch die kleine Zahl. Man kann sich hier nicht in ethnische Zirkel zurückziehen."

Erklärt Eckehard Peters, der thüringische Ausländerbeauftragte. Ist generell gering der Ausländeranteil in den neuen Bundesländern. In Thüringen liegt er bei etwas mehr als zwei Prozent.

Sonderlich viele Ausländer gibt es in Sonneberg auch nicht. In Les Klasse geht noch eine andere Vietnamesin, die restlichen zwanzig Mitschüler sind waschechte Deutsche. Nicht immer einfach, die "Exotin" zu sein. Gibt aber keinen Stress. Meint Le. Sonneberg ist nicht besonders groß. Da kennt jeder jeden.

Auf den Urlaub bei ihren Verwandten in Vietnam freut sie sich aber trotzdem jedes Mal. Endlich eine unter vielen. Nur mit ihren Cousinen und Cousins tauschen, das möchte sie dann doch nicht.

Tu: "Nach der Schule haben die meisten Nachhilfeunterricht. In den Ferien kann man auch nicht ausspannen, weil da auch wieder Nachhilfe ist. Ist schon sehr schwer dort. Sie haben auch jedes Jahr Prüfungen. Also, es sind eigentlich ständig Prüfungen. Sie müssen ständig lernen."

Ung: "Und ich denke, die vietnamesischen Schüler hier, sprich die zweite Generation: Sie besuchen auch ab und zu Vietnam. Und sie sehen auch, also zum Beispiel mein Sohn, der würde nicht in Vietnam in die Schule gehen, der würde vielleicht irgendwann später da arbeiten. Aber Schule dort will er nicht. Weil er seine Cousine und Cousin gesehen hat, wie fleißig sie lernen müssen. Also Tag und Nacht. Die Konkurrenz ist immens hoch."

In Vietnam. "Nur Bildung führt weg vom Reisfeld", heißt es dort. Es sind Aufstiegsweisheiten wie diese, die einen irgendwie an die Wirtschaftswunderzeit der alten Bundesrepublik erinnern. Und die den Vietnamesen in ihren Nachbarländern den Ruf eingebrockt haben, die "Preußen Asiens" zu sein.

Könnte Duc, der Einser-Abiturient aus Erfurt, ganz gut mit leben mit dem Etikett. Gibt Schlimmeres. In Punkto Lerneifer jedenfalls steht er seinen Verwandten in Vietnam in nichts nach. Hat er wohl verinnerlicht – von wegen: "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen". Meint er und lacht. Nachhilfe brauche er da nicht, auch wenn es ihm manchmal ganz gut tue, wenn er seine 95-jährige Großmutter in Vietnam besucht und die anderen.

Duc: "Dass ich weiß, dass meine Verwandten in Vietnam, ich war ja in meinem Leben zwei Mal dort, dass sie dort in sehr, sehr armen Verhältnissen leben. Das ist auf dem Dorf. Viel Dreck, viel Schmutz, unreines Essen. Geringe medizinische Versorgung. Nicht ausreichende Versorgung mit Wasser. Als ich dort war, wurde versucht, dass ne Wasserpumpe aufgebaut wird. Das hat auch nicht funktioniert. Und diese Lebensbedingungen, die ich mir jedes Mal vor Augen halte, geben mir in gewisser Hinsicht die Motivation, die Chancen hier in Deutschland zu nutzen, die mir hier gegeben sind."

Ihre Chancen nutzen, das will auch Gwin Truc Tren. Ähnlicher familiärer Hintergrund wie bei Duc: Vater ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter, die Mutter ist vor zehn Jahren nachgekommen, zusammen führen beide ein asiatisches Bistro in Ilmenau, der Universitätsstadt am Rande des Thüringer Walds.

Ist die erste Akademikerin in ihrer Familie – die Anfang 20-Jährige. Dass Bildung mit das höchste Gut ist, haben ihr ihre Eltern von klein an eingetrichtert. Kann sich noch gut daran erinnern, wie sie einmal mit einer Drei nach Hause kam. Eine mittlere Katastrophe. Und ein potentieller Gesichtsverlust für die Eltern. Schließlich sind die schulischen Leistungen der Kinder in der vietnamesischen Community oft Gesprächsthema Nummer eins.

Ist ihr nicht noch einmal passiert so ein "Ausrutscher". Gwin studiert jetzt in Jena Deutsch als Fremdsprache. Viertes Semester. Ist Okay für ihre Eltern. Medizin wäre noch besser gewesen, weil prestigeträchtiger. Aber Lehrerin werden, damit können sie leben. Büffelt deshalb auch eine ganze Menge. Freizeit, sagt die zierliche Frau, Freizeit habe sie kaum.

Gwin: "Wissen Sie: Wenn ich Freizeit hab, muss ich nach Hause gehen und arbeiten. Ich hab keine Zeit für mich. Na ja: Ich helfe meinen Eltern gerne. Aber: Immer, wenn ich Freizeit hab, dann arbeite ich. Fast jede Woche fahre ich nach Hause. Und ich hab auch nicht viel Seminare. Immer schon Donnerstag fahr ich nach Hause. Und arbeite. Und dieses Semester: Die Hälfte der Woche bin ich zu Hause und helfe. Meine Eltern denken schon viel an uns und sagen: Ja, du kannst Urlaub machen. Wochenlang. Aber sie sagen das nur. Das machen wir auch nicht. Sie arbeiten sehr viel. Den ganzen Tag. Obwohl sie jetzt schon alt sind und nicht so gesund sind."

Helfen tut auch Tuan – nicht nur seiner Mutter im Altenheim. Mit einigen Mitstreitern hat er vor kurzem an seinem Gymnasium in Bleicherode einen Nachhilfezirkel ins Leben gerufen.

Tuan: "Es gehört einfach so dazu – als Verpflichtung für die Gesellschaft. Wir hören es ja immer wieder: Zweiklassen-Gesellschaft. Und nicht jeder kann sich eben privaten Nachhilfeunterricht leisten. Wir machen die Nachhilfe kostenlos. Und ich denke, dass ich damit wirklich auch einen Beitrag dazu leiste, dass eben die Gesellschaft stabil bleibt."

Ganz so altruistisch ist Duc nicht. Will ja auch "seinen Beitrag leisten". Aber eher in der Familie. Medizin will er studieren, um später einmal als Arzt zu praktizieren. Ist schließlich ein gut bezahlter Job.

Duc: "So ist die Einstellung der Vietnamesen: Viel Geld zu schöffeln. Das muss ich ehrlich sagen: Viel, viel Geld schöffeln. Aber nicht im Vordergrund, um reich an sich zu sein, sondern mit dem Geld Menschen helfen zu können. Ich weiß, dass meine Mutter viel aufgeopfert hat. Und ich weiß, dass meine Mutter viel arbeitet, um uns viel zu ermöglichen. Und dementsprechend will ich da ne Antwort zurückgeben. Oder mich revanchieren."

"Die Sorgen müsste man haben". Gwin seufzt. Reichtümer wird sie nach ihrem Studium wohl nicht gerade verdienen als Deutschlehrerin. Aber ist ja noch eine Weile hin. Nach ihrem Bachelor will sie noch ihren Master dran hängen.

Hat auch schon eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wo: Möglichst weit weg von ihren Eltern.

Gwin: "Ich will eine größere Stadt kennenlernen. Kleine Städte reichen mir. Jetzt endlich die große Stadt."

Weg will auch Duc. In die USA. Als Au-Pair für ein Jahr. Seiner Mutter ist die Vorstellung zwar nicht ganz geheuer, dass er bald nicht mehr unter ihren Fittichen ist und Gott weiß was anstellen könnte. Doch die Vereinigten Staaten – das geht in Ordnung. Alles eine Frage des Prestiges.

Duc: "Wenn ein Vietnamese in den USA war, vor allen Dingen für einen jungen Schüler oder jemand, der noch in der Ausbildung macht, hat man Ansehen in gewisser Hinsicht in der Familie und auch im Bekanntenkreis."

Spätestens im September soll es los gehen. Vorher will Duc noch auf die Schnelle den Führerschein machen. Wird er auch noch schaukeln.