Klischees in Filmen und Romanen

Ist es rassistisch, wenn fiktive Muslime böse sind?

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Porträt des Autoren und "Tagesschau"-Sprechers Constantin Schreiber.
Im Roman "Die Kandidatin" von Constantin Schreiber entspricht jede Gruppe ihrem jeweils plattesten Klischee, meint Jasamin Ulfat-Seddiqzai. © imago / Future Image / C.Hardt
Ein Kommentar von Jasamin Ulfat-Seddiqzai |
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Ob im Film oder im Roman, einer muss der Schurke sein. Dass dies auch Muslime treffen kann, findet die Anglistin Jasamin Ulfat-Seddiqzai richtig. Was sie an Constantin Schreibers "Die Kandidatin" jedoch stört: die Eindimensionalität der Figuren.
Constantin Schreiber hat einen Roman über Deutschland in 30 Jahren geschrieben. Das Land ist vom Diversitätswahn zerfressen. Die Polizei gibt es nicht mehr, weiße Menschen müssen im Namen des Antirassismus ihre Jobs an Minderheiten verschenken. Während Deutsche den Namen Kaufmann gesetzlich in das genderneutrale Kaufix ändern, haben Chinesen die Weltherrschaft an sich gerissen.
Die Protagonistin heißt Sabah Hussein und ist die erste deutsche Kanzlerkandidatin, die Muslima ist. Dass Schreiber gerade sie zur verlogenen Politikerin mit geheimer "migrant supremacy"-Agenda macht, kritisieren Rezensenten als rechtspopulistisch. Schreiber kontert, das Buch sei doch Fiktion. In einem "Zeit"-Gespräch fragt er zurück: "Darf eine Romanfigur nicht machthungrig sein, weil sie Muslima ist?"

Die Frage ist berechtigt: Ist es rassistisch, wenn fiktive Muslime böse sind?
"Die Kandidatin" ist kein gesichtsloser Nebencharakter. Sie ist schön, sportlich – und größtenteils talentfrei. Außer Modebewusstsein und der Fähigkeit zur Polarisierung hat sie nichts zu bieten. Ihre Motivation ist vorhersehbar, die Person, die sie am Ende verraten wird, übrigens auch.
Sabah trägt meist rot, mag aber grün, weil das "die Farbe des Islam" ist. Sie kann das Lied Ave Maria nicht würdigen, weil für sie nur Allah göttlich ist. Als Flüchtlingskind hatte sie nichts, jetzt will sie alles – so weit, so küchenpsychologisch.

Jede Gruppe entspricht ihrem plattesten Klischee

Es ist nicht rassistisch, einem nicht-weißen Charakter eine fragwürdige Moral anzudichten. Literatur lebt von Intrigen und Boshaftigkeit. Dabei schaffen es gute Autoren, ihren Lesern sogar die Gedankenwelt von Orks näher zu bringen.
Bei der Darstellung von Muslimen klappt das leider selten. So erschafft auch Schreiber keine glaubwürdigen Migranten.
Vielleicht liegt es daran, dass er das Buch in nur drei Wochen geschrieben hat. Wie sonst entsteht eine schwarze Rapperin namens BooB Dash, die "Kill all the Whites" rappt und als minderjährige Prostituierte von Feministinnen gefeiert wird?
Auch Schreibers Nazis sind eigentlich nur ostdeutsch und wütend. Der Rechtspopulist Sven Birn hasst enge Hemden, weil ihn das an das "Engegefühl" der sächsischen Provinz erinnert. Rechte Gruppen verabreden sich "auf geheimen Partys zum Blackfacen". Haben sie auch andere Hobbys? Man weiß es nicht.
Im Roman entspricht jede Gruppe ihrem jeweils plattesten Klischee.

Interessante muslimische Bösewichte sind selten

Dabei wäre eine raffinierte muslimische Schurkin so spannend. Interessante muslimische Bösewichte gibt es viel zu selten.
Die Comedy-Serie "Ramy" ist eine Ausnahme. Sie zeigt den Alltag eines jungen, amerikanischen Muslims. Es geht um Sex, Drogen und Geschlechtertrennung. Während Ramy anfangs nur etwas wehleidig durchs Leben spaziert, mutiert er bald zum Egoisten, der aktiv das Leben anderer zerstört.

Obwohl die Serie mit Stereotypen spielt, ist Ramy ein widersprüchlicher, aber glaubwürdiger Charakter. Auch weniger differenzierte Charaktere können unterhaltsam sein. Der indische Blockbuster "Padmavaat" zeigt mit dem afghanischen Eroberer Khilji einen Tyrannen ohne Tischmanieren.
Der Film strotzt vor anti-muslimischen Klischees. Während der gute indische König weiß trägt und seine Prinzessin liebend verabschiedet, trägt Khilji schwarz und kippt seiner unterwürfigen Frau zum Abschied gelangweilt Parfüm über den Körper. Khiljis übertriebene Boshaftigkeit ist ein Spektakel, seine Szenen die besten des Films.

Wo bleibt die spannende muslimische Schurkin?

"Game of Thrones"-Autor George R. R. Martin hat einmal augenzwinkernd erzählt, seine weiblichen Charaktere seien so spannend, weil er Frauen als Menschen sehe.
Dieser Ansatz täte auch muslimischen Charakteren gut. Vielleicht erhalten wir so auch mal eine spannende muslimische Schurkin, statt der üblich langweiligen Islam-Roboter.
Nur muss man sich dafür ein bisschen mehr Zeit zum Schreiben nehmen als nur drei Wochen.

Jasamin Ulfat-Seddiqzai lehrt und forscht an der Universität Duisburg-Essen zu britischer Literatur im 19. Jahrhundert. Ihre Schwerpunkte sind Orientalismus, Stereotypenbildung und Männlichkeitsbilder, insbesondere im Kontext der Anglo-Afghanischen Kriege, über die sie derzeit ihre Dissertation schreibt. Ihre journalistischen Texte behandeln Xenophobie, Frauen im Islam und erschienen in der "taz" und der "Rheinischen Post".

Jasamin Ulfat-Seddiqzai posiert für ein Pressebild.
© privat
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