Klischees über jüdisches Leben in Deutschland aufbrechen
In dem Sommerkurs an der Humboldt Universität Berlin haben sich die Studenten in den vergangenen Wochen mit dem Thema "Jüdisches Leben im Nachkriegsdeutschland" beschäftigt und dabei auch Biografien von Leuten besprochen, die nach dem Krieg nach Deutschland zurückkehrten. Ein brisantes Thema.
Dor hat eine klare Meinung. Der israelische Student findet: Wer als Jude den Nationalsozialismus erleben musste und dann in Deutschland geblieben ist, der müsse doch krank gewesen sein.
"Meiner Meinung nach muss man das psychologisch untersuchen und erforschen, wenn jemand 1945 nach Deutschland zurückgekommen ist: dieser Entschluss, an einen Ort zurückzukehren, den man liebt, aber wo man zurückgewiesen wurde, von dem aus das ganze jüdische Volk getötet werden sollte - das ist doch problematisch."
Viel vernünftiger wäre es gewesen, in die USA oder nach Israel zu gehen, findet Dor. Er könne zum Beispiel jüdische Sozialisten nicht verstehen, die nach Ostdeutschland zurückkehrten. Seine Thesen rufen Widerspruch hervor unter den Studenten aus dem Ausland, die gerade das Themenfeld "Jüdische Identitäten im neuen Deutschland" bearbeiten. Doch am stärksten protestiert Anna aus Frankfurt, ebenfalls jüdisch:
"Mein Standpunkt war einfach, dass es sehr schwer ist, diese Leute zu beurteilen oder verurteilen, die nach Deutschland zurückgekommen sind, weil es einfach eine sehr persönliche Erfahrung ist, wo man den Holocaust erlebt hat. Ich glaube, dass man auch an Orte zurückkehrt, zu denen man eine Verbindung hat, dass man auch nach Hause kommt, und dass man nicht vergessen darf, dass es nicht nur schlechte Nachbarschaftsbeziehungen gab, sondern auch gute."
Dor kann sich kaum auf seinem Stuhl halten, will Anna ins Wort fallen, hält sich doch zurück und erwidert dann, dass die allerwenigsten Verfolgten im Nationalsozialismus Hilfe von ihren Nachbarn erfahren hätten.
Kontroverse Diskussionen entfachen sich schnell und häufig unter den Studenten. Heftiges Pro und Contra gibt es zur Frage: Soll man dem türkischen Gemüsehändler in Berlin-Kreuzberg sagen, dass man Israeli ist, oder hat man Bedenken, weil er Moslem ist und es Konflikte geben könnte? Den Hang zur Kontroverse bekommen auch die vielen Gesprächspartner zu spüren, die die Studenten in Deutschland kennen lernen: Jüdische Interessenvertreter, etwa vom American Jewish Comittee oder auch von der Gemeinde, Künstler und Rabbiner kommen nicht mit unverbindlichen Antworten davon und müssen sich harte Nachfragen gefallen lassen. Auch die Liste der Gesprächspartner liest sich wie eine Anleitung zur Kontroverse: Die Studenten besuchten das liberale Rabbinerkolleg und das orthodoxe, befragten die Gemeindevorsitzende und ihren Opponenten.
Michelle Piccirillo, Geschäftsführerin der Leo Baeck Summer University: "Also wenn wir das schaffen, dann sind wir unserem Ziel sehr nahe gekommen. Es geht genau darum, diese vorgefertigten Meinungen oder Ideen über jüdisches Leben in Deutschland aufzubrechen. Da ist es eben wichtig zu sehen, es gibt diese Meinung aber auch die andere, die dazu in scheinbarem Widerspruch steht."
Die Teilnehmer selbst kennen sich sehr gut mit jüdischem Leben in Deutschland aus, doch in ihren Herkunftsländern gibt es häufig Unwissen und Vorbehalte. Für manche amerikanische Juden ist Deutschland ein Land, das man besser meidet, erzählt Rachel Cole aus Denver, Colorada:
"Ich bin in einer Familie aufgewachsen, wo Deutschland wirklich tabu war. Mein Vater hat mir immer gesagt: "Geh nicht nach Deutschland, es lohnt nicht". Er reist beruflich nach Deutschland, aber es ist das Land, das er am allerwenigsten mag. Das hat er Kopf. Für Amerikaner ist es wirklich wichtig, dieses Gefühl zu überwinden."
In Israel wird Deutschland seit etwa zehn Jahren positiver wahrgenommen. Dor Glick spricht davon, wie sehr sich Deutschland verändert habe - heute könnten Juden definitiv hier leben, findet er. Außerdem schwärmt er davon, wie multikulturell Berlin sei, dass jeder seinem Interesse nachgehen könne und wie preiswert die Mieten seien - ganz im Gegensatz zu Tel Aviv, wo viele Menschen wegen horrender Mietpreise protestieren. Dor Glick überlegt sogar, selbst nach Berlin zu ziehen - trotz der Erfahrungen, die seine Großeltern in der Stadt gemacht haben.
"Als ich das erste Mal 2007 nach Berlin kam, war das, als ob ich nach Hause komme, in eine Heimat, die ich nicht kenne. Ich höre am U-Bahnhof "Zug nach Rathaus Spandau", und denke daran, dass meine Großmutter dort gegen Ende des Krieges in einem Arbeitslager war. Ich liebe die Stadt, sie gefällt mir, ich gehe abends etwas trinken oder tanze. Und tagsüber beschäftige ich mich mit Geschichte, mit tragischer Geschichte, aber mit meiner Geschichte. Und diese Verbundenheit spüre ich in keiner anderen Stadt auf der Welt."
"Meiner Meinung nach muss man das psychologisch untersuchen und erforschen, wenn jemand 1945 nach Deutschland zurückgekommen ist: dieser Entschluss, an einen Ort zurückzukehren, den man liebt, aber wo man zurückgewiesen wurde, von dem aus das ganze jüdische Volk getötet werden sollte - das ist doch problematisch."
Viel vernünftiger wäre es gewesen, in die USA oder nach Israel zu gehen, findet Dor. Er könne zum Beispiel jüdische Sozialisten nicht verstehen, die nach Ostdeutschland zurückkehrten. Seine Thesen rufen Widerspruch hervor unter den Studenten aus dem Ausland, die gerade das Themenfeld "Jüdische Identitäten im neuen Deutschland" bearbeiten. Doch am stärksten protestiert Anna aus Frankfurt, ebenfalls jüdisch:
"Mein Standpunkt war einfach, dass es sehr schwer ist, diese Leute zu beurteilen oder verurteilen, die nach Deutschland zurückgekommen sind, weil es einfach eine sehr persönliche Erfahrung ist, wo man den Holocaust erlebt hat. Ich glaube, dass man auch an Orte zurückkehrt, zu denen man eine Verbindung hat, dass man auch nach Hause kommt, und dass man nicht vergessen darf, dass es nicht nur schlechte Nachbarschaftsbeziehungen gab, sondern auch gute."
Dor kann sich kaum auf seinem Stuhl halten, will Anna ins Wort fallen, hält sich doch zurück und erwidert dann, dass die allerwenigsten Verfolgten im Nationalsozialismus Hilfe von ihren Nachbarn erfahren hätten.
Kontroverse Diskussionen entfachen sich schnell und häufig unter den Studenten. Heftiges Pro und Contra gibt es zur Frage: Soll man dem türkischen Gemüsehändler in Berlin-Kreuzberg sagen, dass man Israeli ist, oder hat man Bedenken, weil er Moslem ist und es Konflikte geben könnte? Den Hang zur Kontroverse bekommen auch die vielen Gesprächspartner zu spüren, die die Studenten in Deutschland kennen lernen: Jüdische Interessenvertreter, etwa vom American Jewish Comittee oder auch von der Gemeinde, Künstler und Rabbiner kommen nicht mit unverbindlichen Antworten davon und müssen sich harte Nachfragen gefallen lassen. Auch die Liste der Gesprächspartner liest sich wie eine Anleitung zur Kontroverse: Die Studenten besuchten das liberale Rabbinerkolleg und das orthodoxe, befragten die Gemeindevorsitzende und ihren Opponenten.
Michelle Piccirillo, Geschäftsführerin der Leo Baeck Summer University: "Also wenn wir das schaffen, dann sind wir unserem Ziel sehr nahe gekommen. Es geht genau darum, diese vorgefertigten Meinungen oder Ideen über jüdisches Leben in Deutschland aufzubrechen. Da ist es eben wichtig zu sehen, es gibt diese Meinung aber auch die andere, die dazu in scheinbarem Widerspruch steht."
Die Teilnehmer selbst kennen sich sehr gut mit jüdischem Leben in Deutschland aus, doch in ihren Herkunftsländern gibt es häufig Unwissen und Vorbehalte. Für manche amerikanische Juden ist Deutschland ein Land, das man besser meidet, erzählt Rachel Cole aus Denver, Colorada:
"Ich bin in einer Familie aufgewachsen, wo Deutschland wirklich tabu war. Mein Vater hat mir immer gesagt: "Geh nicht nach Deutschland, es lohnt nicht". Er reist beruflich nach Deutschland, aber es ist das Land, das er am allerwenigsten mag. Das hat er Kopf. Für Amerikaner ist es wirklich wichtig, dieses Gefühl zu überwinden."
In Israel wird Deutschland seit etwa zehn Jahren positiver wahrgenommen. Dor Glick spricht davon, wie sehr sich Deutschland verändert habe - heute könnten Juden definitiv hier leben, findet er. Außerdem schwärmt er davon, wie multikulturell Berlin sei, dass jeder seinem Interesse nachgehen könne und wie preiswert die Mieten seien - ganz im Gegensatz zu Tel Aviv, wo viele Menschen wegen horrender Mietpreise protestieren. Dor Glick überlegt sogar, selbst nach Berlin zu ziehen - trotz der Erfahrungen, die seine Großeltern in der Stadt gemacht haben.
"Als ich das erste Mal 2007 nach Berlin kam, war das, als ob ich nach Hause komme, in eine Heimat, die ich nicht kenne. Ich höre am U-Bahnhof "Zug nach Rathaus Spandau", und denke daran, dass meine Großmutter dort gegen Ende des Krieges in einem Arbeitslager war. Ich liebe die Stadt, sie gefällt mir, ich gehe abends etwas trinken oder tanze. Und tagsüber beschäftige ich mich mit Geschichte, mit tragischer Geschichte, aber mit meiner Geschichte. Und diese Verbundenheit spüre ich in keiner anderen Stadt auf der Welt."