Rasante Wiedergeburt des Buddhismus
In der Mongolei wurde der Buddhismus lange Zeit unterdrückt. Doch seit der Demokratisierung vor knapp 25 Jahren geht es mit dieser großen Religion wieder aufwärts. Mittlerweile gibt es in der Mongolei wieder rund 100 Klöster – und das bei einer Bevölkerung von gerade einmal knapp drei Millionen Menschen.
Im Kloster Erdene Zuu regnet es in Strömen. Die weiße Farbe blättert von den Wänden. Die wenigen Pilger hasten eilig von einem Gebetsmühlenunterstand zum nächsten. Durch die Nebelschwaden und die windigen Schauer kann man die weit entfernten Stupas auf dem großen Klostergelände kaum ausmachen. Vor dem Eingang sind Halterungen für Falken angebracht. Hier draußen in der mongolischen Steppe ist die Beizjagd weit verbreitet. Im Orchon-Tal, 350 Kilometer westlich von Ulan Bator leben viele Nomaden. Einer von ihnen hat seinen Falken vor dem Tempel angebunden. Jetzt guckt der Vogel bedröppelt in das verregnete Grasland und tritt auf dem schmalen Ständer ungeduldig von einer Kralle auf die Andere.
Das älteste Kloster des Landes
Erdene Zuu gilt als das wichtigste Kloster des Landes. In der schier endlosen Weite der Steppe wirkt es trotzdem klein. Nyam Taya ist Fahrer: An der Art, wie er an den Buddha-Statuen vorbeigeht, kann man nicht genau ausmachen, ob er betet oder sich nur mal die Beine vertritt. Als der 51-Jährige jung war, war Beten und Pilgern in der Mongolei verboten. Der Buddhismus war trotzdem immer Teil seines Lebens:
"Ich und meine Familie haben unsere Buddha-Statuen und Bilder immer in einer Kiste versteckt. Wir haben dann meistens nachts gebetet, wenn es keiner gemerkt hat. Für meine Eltern und Großeltern war das sehr schwer. Sie waren immer nervös und hatten Angst, von den Soldaten entdeckt zu werden."
Mehr als 60 Jahre lang war die Mongolei ein Vasallenstaat der Sowjetunion. Die Klöster wurden zerstört. Etwa 17.000 Lamas gefangen genommen, hingerichtet oder zur Heirat gezwungen. Noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts waren Orte wie Erdene Zuu große Kultur- und Machtzentren. 40 Prozent der Männer sollen vor der kommunistischen Zeit in Klöstern gelebt haben. Dann verschwand plötzlich etwa ein Viertel der männlichen Bevölkerung.
Nachwirkungen der Unterdrückung
Dem Kloster merkt man das bis heute an, sagt Baasansuren Khaudsuren, der hier Lama ist:
"Wir haben keine mittelalten Mönche. Ich bin vor 23 Jahren Mönch geworden. Kurz nach der Wende. Jetzt bin ich fast der Älteste. In den 50ern, 60ern, 70ern und so weiter konnte man ja nicht Mönch werden. Inzwischen ist von den Alten nur noch einer übrig geblieben. Er ist jetzt 95 Jahre alt."
Baasansuren sitzt im Schneidersitz vor einem kleinen Stapel Sutras, in dem er einige Stellen mit Textmarker angestrichen an. Neben sich eine volle Schale gegorener Stutenmilch. Das Getränk der Steppe. Der Raum um ihn herum füllt sich schnell mit jungen Mönchen in roten Roben und älteren Leuten aus der Umgebung, die hinter ihnen auf langen Holzbänken zusammenrücken. Zwei Mal in der Woche beten die Mönche zusammen mit den Laien. Der Raum ist mit dicken Teppichen ausgelegt. Bunte Stoffstreifen verhängen fast schon die Sicht auf die vielen Tankhas – den buddhistischen Bildern an den Wänden.
"Mein Großvater war auch Mönch. Ich erinnere mich, dass er einen geheimen Raum unter seinem Haus hatte. Darin hatte er viele Sutras und Statuen. Er ist 1994 gestorben, fünf Jahre nach der Demokratisierung. Ich weiß noch, er war so glücklich. Viele alte Mönche haben den Umbruch ja nicht mehr erlebt. Als ich ihm dann gesagt habe, dass ich Mönch werden will, war er sehr froh."
Milch für die Gottesdienstbesucher
Ein Nomade in Lederstiefeln und traditionellem Reitermantel verteilt zusammen mit seiner Frau Milch aus einem großen blauen Plastikfass an die Gottesdienstbesucher. Hier draußen in der Steppe leben die Menschen hauptsächlich von ihren Tieren. Ackerbau ist auf dem sandig, grasigen Boden kaum möglich. Heute wohnen Baasansuren und seine Mitbrüder in dem Ort neben dem Kloster. Erdene Zuu wird fast komplett als Museum genutzt. Es ist das älteste Kloster des Landes. Außerdem wurde es aus den Überresten von Dschingis Khans berühmter Stadt Karakorum gebaut. Direkt neben der einstigen Hauptstadt des mittelalterlichen Mongolenimperiums.
Das zeigt: Vor den Kommunisten war die Mongolei ähnlich theokratisch strukturiert wie früher Tibet. Regiert vom buddhistischen Gottkönig Bogh Khan. Die Klöster besaßen viel Land und Privilegien. Sie durften Steuern eintreiben und Geld verleihen. Eine geistliche Karriere war der einzige Weg, um zu Macht zu kommen. Viele Familien schickten mindestens einen Sohn in ein Kloster, um Einfluss zu gewinnen. Einige Forscher machten deshalb die Klöster für die Rückständigkeit des Landes verantwortlich. In dem riesigen, gering bevölkerten Land fehlten die Arbeitskräfte. Außerdem glaubten die Mongolen traditionell an Naturgeister. Angebetet wurde nicht Buddha, sondern der Himmel. Der Buddhismus ist sozusagen ein Importprodukt aus Tibet.
Aus dem heutigen China importiert
Mehr als tausend Kilometer vom Orchon-Tal entfernt liegt im heutigen China am Fuß der tibetischen Hochebene das Kumbum Kloster. Es ist das wichtigste tibetische Kloster nach Lhasa. Weil es eines von wenigen ist, die in der Kulturrevolution nicht zerstört wurden, drängeln sich heute neben tibetischen Pilgern vor allem scharenweise chinesische Touristen durch die Klosteranlage. Die jahrhundertealten, holzgeschnitzten Fassaden mit der bunten Bemalung sind eine Attraktion. Was fast in Vergessenheit geraten ist: Aus dieser Gegend kam der Buddhismus in die Mongolei.
Im 16. Jahrhundert traf sich hier der mongolische Herrscher Altan Khan mit Sonam Gyatso – einem wichtigen tibetischen Lama. Er lud ihn in die Mongolei ein und schaffte es so, den Buddhismus zur Staatsreligion zu machen. Dadurch konnte er seine eigene Herrschaft legitimieren. Im Gegenzug gab Altan Khan dem buddhistischen Abt den Titel Dalai Lama – mongolisch für "Meeres-Lama". Als dieser Dalai Lama in der Mongolei starb, wurde seine Wiedergeburt in einem Urenkel Altan Khans entdeckt. Damit war die Mongolei endgültig Teil des buddhistischen Netzwerks. Mongolische Mönche wurden an den Klosteruniversitäten in Tibet ausgebildet. In dem riesigen zentralasiatischen Land wurde tibetisch zur Liturgiesprache. Die starke Beziehung zwischen den beiden Ländern blieb über hunderte von Jahren bestehen. Als die Briten Anfang des 20. Jahrhunderts in Tibet einmarschierten, floh der Dalai Lama in die Mongolei.
Auch heute noch haben viele Mongolen tibetische Namen. So wie Rikzitpil, die im Kloster Erdene Zuu arbeitet. Ihr Name bedeutet wachsende Weisheit. Die junge Mongolin lässt die Besucher ein:
"Hier wurde in den 30er Jahren so viel von den Soldaten zerstört. Aber wir hatten Glück im Unglück. Der Parteichef Tschoibalsan kam hier her und stoppte die Zerstörung. Obwohl er ein Anhänger Stalins war. Ich glaube er wollte etwas von dem kulturellen Erbe und der Kunst erhalten."
Ein Schatten der früheren Glanzzeit
So wurde das Kloster im Orchon-Tal schon Mitte der 60er Jahre als Museum wiedergeöffnet. Zu einem religiösen Ort wurde es erst nach der Demokratisierung wieder. Von dem verregneten Innenhof aus kann man das Gold der Buddha-Statuen im Innern glitzern sehen. Trotzdem ist das Kloster heute nicht mehr als ein Schatten von dem, was es mal gewesen sein muss. Zwischen Dutzenden von Tempeln haben hier einmal um die tausend Mönche gelebt. Und doch könnte die Mongolei wieder zu einem buddhistischen Zentrum werden, sagt Lama Baasansuren:
"Nach 1990 wollten so viele Jungs Mönche werden. Es ist ein bisschen, wie wenn man lange nichts gegessen hat. Dann mag man das Essen mit einem Mal lieber, alles schmeckt besser. So war es auch mit dem Buddhismus. 60 Jahre lang war er verboten. Danach waren die Menschen umso interessierter und viele wollten Mönche werden."
Der mongolische Lama streicht sich über den kahlrasierten Kopf und sieht auf die Reihe seiner Schüler, von denen einige fast noch wie Kinder aussehen. Inzwischen gibt es in der einzigen Demokratie Zentralasiens wieder mehr als hundert Klöster. Und das obwohl im ganzen Land nur etwa so viele Menschen leben wie in Berlin. Auf einer Fläche, die viermal so groß ist wie Deutschland.
Während im Hauptteil des Steppenklosters Besucher und Geschichtsinteressierte an den Stupas vorbeiziehen, beten Baasansuren und seine Mitbrüder in den Räumen vor der Klostermauer. Zwischen den Gesängen ölen sie die Kehlen mit gegorener Stutenmilch von den Viehzüchtern aus der Umgebung. Und wer weiß, vielleicht werden sie in einigen Jahren wieder im Innern des Klosters singen.