Kluft zwischen Anspruch und Auftritt
Manche feierten Julian Assange im Berliner ICC als Popstar und Robin Hood des World Wide Web. Für andere kämpft er gerade um sein Lebenswerk WikiLeaks. Assange, der Transparenz von Politik und Wirtschaft fordert, hatte bei der Veranstaltung vor Journalisten alle Mitschnitte verbieten lassen.
Es war schon eine skurrile Szene, die sich heute im Berliner ICC zutrug: 200 Journalisten lauschten andächtig den Ausführungen von Julian Assange und durften anschließend selbst keine Fragen stellen. Sie mussten mit den Fragen der Moderatorin vorliebnehmen, und die waren teils doch recht zahm.
Manche der Journalisten und Medienmacher applaudierten ihm trotzdem: Julian – der Popstar, der Internetfreiheitskämpfer, der Robin Hood des World Wide Web. So sahen es offenbar einige. Man kann es auch anders sehen: Assange will die Kontrolle über sein Projekt WikiLeaks nicht verlieren und kämpft um sein Lebenswerk. Dazu passt auch, dass heute keinerlei Audio- oder Videomitschnitte erlaubt waren.
Dieser Widerspruch ist Kern des Problems, der Widerspruch zwischen absoluter Transparenz, die Assange von Politik und Wirtschaft einfordert, Zitat: "Jeder diplomatische Akt ist potenziell ungerecht, und darf daher veröffentlicht werden" – und seiner Geheimniskrämerei über das eigene Projekt. Denn künftige Informanten werden sich kaum an eine Organisation wie WikiLeaks wenden, wenn sie nicht sicher sein können, ob sie hinterher auffliegen.
Der US-Soldat Bradley Manning hat teuer dafür bezahlt, WikiLeaks Informationen zu schicken – er sitzt für mindestens 20 Jahre im Gefängnis. Für Assange sind das offenbar Petitessen: "We are part of shaping this history", zu gut deutsch: "Wir schreiben Geschichte" und: Wenn es WikiLeaks damals schon gegeben hätte, dann wäre der Prager Frühling und der Einmarsch der Sowjettruppen wohl anders verlaufen. Eine bemerkenswerte Aussage. Julian Assange hat es an Selbstbewusstsein noch nie gemangelt – das ist bis zum heutigen Tag so.
Assange bestritt heute alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe: Weder sei er rücksichtslos in seinem Vorgehen noch wendeten sich Unterstützer von ihm ab, noch verliere er Rückhalt bei den Medien. Nur vom "Guardian" und von der "New York Times" habe er sich abgewendet, da diese angeblich sein Vertrauen missbraucht hätten. Hintergrund ist ein Buch des britischen Guardian-Journalisten David Leigh, der im Februar das Passwort verriet, mit dem man 250.000 US-Dokumente einsehen konnte, darin die Klarnamen von Quellen und Informanten in aller Welt. Das Ganze sei ein Angriff auf seine Organisation und eine Art weltweite Verschwörung, ausgehend von den USA und anderen westlichen Staaten. Diese hätten zum Beispiel dafür gesorgt, dass man auf herkömmlichem Wege, per Kreditkarte oder Banküberweisung WikiLeaks keine Gelder mehr überweisen kann. Das Thema nahm breiten Raum ein, woraus man schließen kann, dass es WikiLeaks finanziell nicht gut geht.
Überhaupt: Man weiß heute nur sehr wenig über WikiLeaks: Wer unterstützt das Projekt noch? Wer arbeitet noch daran mit? Wie schlagkräftig ist die Organisation noch? Das alles blieb auch heute im Dunkeln – und Julian Assange konnte und wollte nichts dazu beitragen, dieses Dunkel aufzuhellen. Stattdessen Beschimpfungen der ehemaligen Mitstreiter um den Deutschen Daniel Domscheit-Berg (das sei "dark business" – schmutzige Geschäfte, die in Deutschland laufen). Assange gefällt sich in der Pose des Freiheitskämpfers, der für Transparenz und Pressefreiheit in aller Welt kämpft – gleichzeitig aber die Medien als korrupt und regierungsnah beschimpft.
Doch trotz alledem: Assange ließ keinen Zweifel daran, dass er weitermachen will, und seine Organisation schlagkräftig ist. Die Frage ist nur, wie glaubwürdig diese Aussage ist. Assange kündigte an, man arbeite an einem ganz großen Ding, das in den nächsten Wochen veröffentlicht werden soll. Das hat er schon mehrere Male angekündigt, unter anderem hatte er vor Monaten gesagt, man wolle neue Dokumente einiger Großbanken veröffentlichen, das kam aber niemals zustande.
Insofern ist all dies anzuzweifeln und die entscheidende Frage bei WikiLeaks und anderen Whistleblowing Seiten ist, man muss es noch einmal betonen, an welche Materialien man noch kommt, wenn Informanten Angst um ihre Anonymität haben müssen. Momentan scheint es sowohl bei WikiLeaks als auch bei einigen anderen Whistleblowing- Seiten eine Reihe von Problemen zu geben, struktureller und technischer Art, und das gefährdet derlei Projekte insgesamt.
Man kann wohl sagen: Der Zenit von WikiLeaks ist überschritten, die großen Veröffentlichungen sind zumindest in der nächsten Zeit nicht zu erwarten. Assange ist nur beschränkt handlungsfähig durch seinen Hausarrest – doch man weiß bei WikiLeaks nie, was als Nächstes kommt.
Links bei dradio.de:
Vom Idol zum Idioten
Julian Assange und Wikileaks sind am Wahn totaler Transparenz gescheitert
Beißende Satire und Biografie, Polit-Krimi und Revue
Ein Theaterstück über Julian Assange in Sydney
Manche der Journalisten und Medienmacher applaudierten ihm trotzdem: Julian – der Popstar, der Internetfreiheitskämpfer, der Robin Hood des World Wide Web. So sahen es offenbar einige. Man kann es auch anders sehen: Assange will die Kontrolle über sein Projekt WikiLeaks nicht verlieren und kämpft um sein Lebenswerk. Dazu passt auch, dass heute keinerlei Audio- oder Videomitschnitte erlaubt waren.
Dieser Widerspruch ist Kern des Problems, der Widerspruch zwischen absoluter Transparenz, die Assange von Politik und Wirtschaft einfordert, Zitat: "Jeder diplomatische Akt ist potenziell ungerecht, und darf daher veröffentlicht werden" – und seiner Geheimniskrämerei über das eigene Projekt. Denn künftige Informanten werden sich kaum an eine Organisation wie WikiLeaks wenden, wenn sie nicht sicher sein können, ob sie hinterher auffliegen.
Der US-Soldat Bradley Manning hat teuer dafür bezahlt, WikiLeaks Informationen zu schicken – er sitzt für mindestens 20 Jahre im Gefängnis. Für Assange sind das offenbar Petitessen: "We are part of shaping this history", zu gut deutsch: "Wir schreiben Geschichte" und: Wenn es WikiLeaks damals schon gegeben hätte, dann wäre der Prager Frühling und der Einmarsch der Sowjettruppen wohl anders verlaufen. Eine bemerkenswerte Aussage. Julian Assange hat es an Selbstbewusstsein noch nie gemangelt – das ist bis zum heutigen Tag so.
Assange bestritt heute alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe: Weder sei er rücksichtslos in seinem Vorgehen noch wendeten sich Unterstützer von ihm ab, noch verliere er Rückhalt bei den Medien. Nur vom "Guardian" und von der "New York Times" habe er sich abgewendet, da diese angeblich sein Vertrauen missbraucht hätten. Hintergrund ist ein Buch des britischen Guardian-Journalisten David Leigh, der im Februar das Passwort verriet, mit dem man 250.000 US-Dokumente einsehen konnte, darin die Klarnamen von Quellen und Informanten in aller Welt. Das Ganze sei ein Angriff auf seine Organisation und eine Art weltweite Verschwörung, ausgehend von den USA und anderen westlichen Staaten. Diese hätten zum Beispiel dafür gesorgt, dass man auf herkömmlichem Wege, per Kreditkarte oder Banküberweisung WikiLeaks keine Gelder mehr überweisen kann. Das Thema nahm breiten Raum ein, woraus man schließen kann, dass es WikiLeaks finanziell nicht gut geht.
Überhaupt: Man weiß heute nur sehr wenig über WikiLeaks: Wer unterstützt das Projekt noch? Wer arbeitet noch daran mit? Wie schlagkräftig ist die Organisation noch? Das alles blieb auch heute im Dunkeln – und Julian Assange konnte und wollte nichts dazu beitragen, dieses Dunkel aufzuhellen. Stattdessen Beschimpfungen der ehemaligen Mitstreiter um den Deutschen Daniel Domscheit-Berg (das sei "dark business" – schmutzige Geschäfte, die in Deutschland laufen). Assange gefällt sich in der Pose des Freiheitskämpfers, der für Transparenz und Pressefreiheit in aller Welt kämpft – gleichzeitig aber die Medien als korrupt und regierungsnah beschimpft.
Doch trotz alledem: Assange ließ keinen Zweifel daran, dass er weitermachen will, und seine Organisation schlagkräftig ist. Die Frage ist nur, wie glaubwürdig diese Aussage ist. Assange kündigte an, man arbeite an einem ganz großen Ding, das in den nächsten Wochen veröffentlicht werden soll. Das hat er schon mehrere Male angekündigt, unter anderem hatte er vor Monaten gesagt, man wolle neue Dokumente einiger Großbanken veröffentlichen, das kam aber niemals zustande.
Insofern ist all dies anzuzweifeln und die entscheidende Frage bei WikiLeaks und anderen Whistleblowing Seiten ist, man muss es noch einmal betonen, an welche Materialien man noch kommt, wenn Informanten Angst um ihre Anonymität haben müssen. Momentan scheint es sowohl bei WikiLeaks als auch bei einigen anderen Whistleblowing- Seiten eine Reihe von Problemen zu geben, struktureller und technischer Art, und das gefährdet derlei Projekte insgesamt.
Man kann wohl sagen: Der Zenit von WikiLeaks ist überschritten, die großen Veröffentlichungen sind zumindest in der nächsten Zeit nicht zu erwarten. Assange ist nur beschränkt handlungsfähig durch seinen Hausarrest – doch man weiß bei WikiLeaks nie, was als Nächstes kommt.
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