Kluge Köpfe lassen Porträts sprechen
Gesichter erzählen Geschichten: 50 Porträts aus 500 Jahren Kunstgeschichte werden von prominenten Intellektuellen interpretiert. Während der Besucher sich die Porträts anschaut, hört und liest er dazu deren Deutung. Das ergibt ein sinnliches Experiment - das glückt.
Sie blicken uns an mit Gesten und Gebärden, mit Mienen, Masken und Posen – 50 Gesichter aus fünf Jahrhunderten, 50 Porträts vom Bildnis eines mittelalterlichen Gelehrten bis zu einem fotorealistischen Frauenbild des Schweizer Künstlers Franz Gertsch von 1982.
Das Porträt ist eine Bildgattung, die für den Dialog gemacht ist – als Blickwechsel zwischen Maler und Modell, aber auch zwischen dem Dargestellten und dem Betrachter. Die Gesichter zum Sprechen bringen, sie zum Leben zu erwecken und zu deuten mit den Augen eines anderen, das ist die Idee dieser wunderbaren Schau, sagt die Kuratorin Kirsten Voigt:
"Wenn wir Bilder fruchtbar machen können, sie produktiv machen können, in Innenwelten eindringen, die uns die Bilder vielleicht nicht zeigen, wenn wir die Sprache nicht bemühen, dann wollen wir das aber versuchen durch Sprache, und wir wollen kluge Köpfe ansetzen auf diese Bilder."
Die klugen Köpfe sind prominente Schriftsteller und Kunstwissenschaftler, die uns die Porträts aus ihrem ganz persönlichen Blickwinkel erschließen.
"Einige Autoren waren doch bei uns, Ursula Krechel, Olga Martynova, Eva Menasse, Herta Müller, und haben sich die Bilder im Original angeschaut und haben dann darauf reagiert."
Der Philosoph Peter Sloterdijk etwa öffnet uns den Blick für ein barockes Porträt seines antiken Kollegen Seneca; ausgewiesene Spezialisten wie der Kunsthistoriker Hans Belting, der gerade eine "Geschichte des Gesichts" vorgelegt hat, erforscht das Bildnis eines höfischen Würdenträgers und deutet all das, was dem Dargestellten das Gesicht verleiht: Haltung, Kleidung und Kostümierung, Hände und deren Gebärden, die Beleuchtung, Hintergründe und Anspielungen, Bildtraditionen, Posen und Pathosformeln.
Die Schau ist in kleinen Räumen intim inszeniert, so dass intensive Blickwechsel möglich sind; und der Besucher, ausgerüstet mit einem Audiogerät, kann wählen, zu welchen Bildern er sich jeweils den Text vorlesen lassen will. Rund acht Stunden dauert der ganze Parcours. Das kürzeste Stück stammt von Herta Müller, die ihren Text als bildhafte Collage neben das Porträt gehängt hat, ein ebenso unscheinbares wie anrührendes Mädchenbildnis eines Georg Philipp Schmitt aus dem Jahr 1838:
"Als hätten alle Tage dieselben "Marionetten". Das Gesicht der Mutter war ein Wasserfleck. An der Wand ein Spitzentuch. Ihre Hand und ihr Fuß eine Vase in der Flieder stand. Einmal als das Fenster offen war ist sie sogar mit einem Arm voll Luft durch den Spiegel gerannt."
Das Porträt ist eine Bildgattung, die für den Dialog gemacht ist – als Blickwechsel zwischen Maler und Modell, aber auch zwischen dem Dargestellten und dem Betrachter. Die Gesichter zum Sprechen bringen, sie zum Leben zu erwecken und zu deuten mit den Augen eines anderen, das ist die Idee dieser wunderbaren Schau, sagt die Kuratorin Kirsten Voigt:
"Wenn wir Bilder fruchtbar machen können, sie produktiv machen können, in Innenwelten eindringen, die uns die Bilder vielleicht nicht zeigen, wenn wir die Sprache nicht bemühen, dann wollen wir das aber versuchen durch Sprache, und wir wollen kluge Köpfe ansetzen auf diese Bilder."
Die klugen Köpfe sind prominente Schriftsteller und Kunstwissenschaftler, die uns die Porträts aus ihrem ganz persönlichen Blickwinkel erschließen.
"Einige Autoren waren doch bei uns, Ursula Krechel, Olga Martynova, Eva Menasse, Herta Müller, und haben sich die Bilder im Original angeschaut und haben dann darauf reagiert."
Der Philosoph Peter Sloterdijk etwa öffnet uns den Blick für ein barockes Porträt seines antiken Kollegen Seneca; ausgewiesene Spezialisten wie der Kunsthistoriker Hans Belting, der gerade eine "Geschichte des Gesichts" vorgelegt hat, erforscht das Bildnis eines höfischen Würdenträgers und deutet all das, was dem Dargestellten das Gesicht verleiht: Haltung, Kleidung und Kostümierung, Hände und deren Gebärden, die Beleuchtung, Hintergründe und Anspielungen, Bildtraditionen, Posen und Pathosformeln.
Die Schau ist in kleinen Räumen intim inszeniert, so dass intensive Blickwechsel möglich sind; und der Besucher, ausgerüstet mit einem Audiogerät, kann wählen, zu welchen Bildern er sich jeweils den Text vorlesen lassen will. Rund acht Stunden dauert der ganze Parcours. Das kürzeste Stück stammt von Herta Müller, die ihren Text als bildhafte Collage neben das Porträt gehängt hat, ein ebenso unscheinbares wie anrührendes Mädchenbildnis eines Georg Philipp Schmitt aus dem Jahr 1838:
"Als hätten alle Tage dieselben "Marionetten". Das Gesicht der Mutter war ein Wasserfleck. An der Wand ein Spitzentuch. Ihre Hand und ihr Fuß eine Vase in der Flieder stand. Einmal als das Fenster offen war ist sie sogar mit einem Arm voll Luft durch den Spiegel gerannt."
Einige Autoren präsentieren sich selbst
Schriftsteller gelten ja als Experten der Empathie, und also schlüpfen manche von ihnen in die Haut der Porträtierten, wie etwa Martin Walser, der aus der Person der im Selbstbildnis dargestellten Marie Ellenrieder zu uns spricht. Und manche der Autoren porträtieren sich in der dargestellten Person gewissermaßen selbst, sagt die Kuratorin:
Kirsten Voigt: "Es gibt einen Text von Friederike Mayröcker, die in einem Mädchen in einem Bild von August Macke sich selbst erkennt."
Angeregt durch die Darstellung einer Schwangeren von Otto Dix aus dem Jahr 1930 erzählt die Schriftstellerin Juli Zeh mit bitterer Ironie die Geschichte einer jungen Frau von heute aus sozial schwachem Milieu: "Die Ärztin kann mich auf den ersten Blick nicht leiden. Schon wie ich in die Praxis komme und zu ihr sage, guten Tag, ich bin trächtig, da antwortet sie nicht herzlichen Glückwunsch oder schön oder aha, sondern: Wollen Sie es behalten? Und wie ich sie angucke und frage, was das heißen soll, fügt sie hinzu: In Ihrem Alter?"
So weit ein kurzer Ausschnitt. Das Spektrum der Texte ist so breit wie das der Bilder. Gedichte, lyrische Monologe und kurze Erzählungen wechseln sich ab mit Essays, Charakterstudien und Bildbetrachtungen, und während Markus Orths ein atemberaubendes Psychogramm des Malers Ernst Ludwig Kirchner entwirft, interpretiert Angelika Overath Peter Paul Rubens’ Bildnis der Marchesa Veronica Spinola Doria von 1607 als Opfer einer höfischen Inszenierung:
"Sitzt hier eine Puppe oder eine Königin? Oder eine Elfe, die sich uns gleich entziehen wird? So lang kann kein Hals sein. Was für ein wundersam geköpftes Geschöpf!"
Bilder sehen, lesen, hören. All das macht die Karlsruher Ausstellung zu einem sinnlichen Erlebnis und einem sehr geglückten Expertiment.
Kirsten Voigt: "Ich glaube, dass diese Art des Herangehens an Bilder eine Schwellenangst enorm abbaut, dass sie zeigt, wie unglaublich reich das ist, wenn man die Perspektiven wechselt, wie reich man Bilder betrachten kann. Und das finde ich so das Interessante daran: Man kommt zu den Dingen selbst, also den Inhalten auch sehr stark zurück, weil natürlich auch narrativ veranlagte Betrachter, die Schriftsteller sind, nach der Geschichte im Bild fragen, nach Geschichten hinter Menschen. Und das finde ich einfach auch mal wieder schön und wichtig."
Die Ausstellung "Unter vier Augen. Porträts sehen, lesen, hören" ist in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe bis zum 20. Oktober 2013 zu sehen.
Kirsten Voigt: "Es gibt einen Text von Friederike Mayröcker, die in einem Mädchen in einem Bild von August Macke sich selbst erkennt."
Angeregt durch die Darstellung einer Schwangeren von Otto Dix aus dem Jahr 1930 erzählt die Schriftstellerin Juli Zeh mit bitterer Ironie die Geschichte einer jungen Frau von heute aus sozial schwachem Milieu: "Die Ärztin kann mich auf den ersten Blick nicht leiden. Schon wie ich in die Praxis komme und zu ihr sage, guten Tag, ich bin trächtig, da antwortet sie nicht herzlichen Glückwunsch oder schön oder aha, sondern: Wollen Sie es behalten? Und wie ich sie angucke und frage, was das heißen soll, fügt sie hinzu: In Ihrem Alter?"
So weit ein kurzer Ausschnitt. Das Spektrum der Texte ist so breit wie das der Bilder. Gedichte, lyrische Monologe und kurze Erzählungen wechseln sich ab mit Essays, Charakterstudien und Bildbetrachtungen, und während Markus Orths ein atemberaubendes Psychogramm des Malers Ernst Ludwig Kirchner entwirft, interpretiert Angelika Overath Peter Paul Rubens’ Bildnis der Marchesa Veronica Spinola Doria von 1607 als Opfer einer höfischen Inszenierung:
"Sitzt hier eine Puppe oder eine Königin? Oder eine Elfe, die sich uns gleich entziehen wird? So lang kann kein Hals sein. Was für ein wundersam geköpftes Geschöpf!"
Bilder sehen, lesen, hören. All das macht die Karlsruher Ausstellung zu einem sinnlichen Erlebnis und einem sehr geglückten Expertiment.
Kirsten Voigt: "Ich glaube, dass diese Art des Herangehens an Bilder eine Schwellenangst enorm abbaut, dass sie zeigt, wie unglaublich reich das ist, wenn man die Perspektiven wechselt, wie reich man Bilder betrachten kann. Und das finde ich so das Interessante daran: Man kommt zu den Dingen selbst, also den Inhalten auch sehr stark zurück, weil natürlich auch narrativ veranlagte Betrachter, die Schriftsteller sind, nach der Geschichte im Bild fragen, nach Geschichten hinter Menschen. Und das finde ich einfach auch mal wieder schön und wichtig."
Die Ausstellung "Unter vier Augen. Porträts sehen, lesen, hören" ist in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe bis zum 20. Oktober 2013 zu sehen.