Knallrote Pavillons mit Bildern aus 40 Jahren

Von Barbara Wiegand · 22.09.2005
Zu seinem 60. Geburtstag wird der Künstler Jörg Immendorff in der Neuen Nationalgalerie mit einer knallroten Rauminstallation geehrt. Ab Freitag präsentiert die Ausstellung unter dem Titel "Male Lago - Unsichtbarere Beitrag" über 140 Werke des schwer kranken Malers. Zu sehen sind unter anderem Gemälde, Collagen und Plastiken in eigens dafür geschaffenen Pavillons.
Es ist, als ob der schwerkranke Jörg Immendorff sagen will: Ich bin noch da. Und wie! Denen, die gedacht haben, dass er seinen Geburtstag im letzten Juni nicht mehr erleben würde. Ich male, obwohl ich nicht mehr ohne Hilfe malen kann. Ich male und hänge diese Bilder nicht einfach an die Wand. Nein, ich lasse gleich eine ganze Stadt für mich errichten in der Neuen Nationalgalerie. "Male Lago" nennt Immendorff diese Stadt. Male, als Aufforderung zu malen, und Lago nach der Stadt in einem Western mit Clint Eastwood. Eine Stadt, knallrot gestrichen, mit Häusern, Straßen, Plätzen, ja sogar einem Jungbrunnen.

Vorbei am Cafe Flores, in dem Beuys auf einem Esel, Heiner Müller an einem Tisch sitzen, an romantisch düstren Wäldern und geisterhaft leuchtenden auf die Leinwand gestempelten Wesen flaniert der Besucher durch die Straßen dieses beeindruckenden Immen-Dorfes. Geht von Haus zu Haus, entlang der Stationen seines künstlerischen Lebens.

Denn während die Bilder des 1945 nahe Lüneburg geborenen Künstlers außen an den Fassaden nicht chronologisch gehängt sind und damit gleichermaßen zeitlos wirken, findet sich in den Räumen zusammen, was während einer Schaffensphase entstand.

Angefangen mit dem schwarz-rot-gold bemalten Holzklotz, den er sich 1969 bei seinen so genannten Lidl-Aktionen ans Bein band, um damit vor dem Bundeshaus in Bonn auf- und abzuspazieren. Bis hin zu teils deutlich von seiner unheilbaren Nervenkrankheit geprägten Gemälden, in denen Tod und Düsternis einzieht. Dazwischen das berühmte Gemälde mit dem Spruch "Hört auf zu malen" und Agitprop der frühen achtziger Jahre. Dann natürlich Einiges aus dem Cafe Deutschland Zyklus. Mit unmissverständlicher Symbolik und dem typischen Stilmix aus comicalartiger, expressiver und realer Malerei macht Immendorff darin die deutsche Geschichte zum Thema. Malt den deutschen Adler als zerzausten Geier, durchbricht die Berliner Mauer mit einer Spitzhacke.

"Wie Sie sagen, das waren klare Aussagen. Hinter den klaren Aussagen, die damals keine klaren Aussagen waren, außer, dass ne Spitzhacke eben eine klare Angelegenheit ist und die Mauer die habe ich mir dann eben zerschlagen gemalt, also wie es ja dann eins zu eins stattgefunden hat. Also das ist so eine Fähigkeit, wo wir eben nicht begreifen, wozu Kunst in der Lage ist. Kunst ist einmal das harmloseste Medium vielleicht. Mit einem Bild können sie doch nicht ernsthaft glauben die Welt zu verändern. Trotzdem bleibt die Frage doch interessant, warum Stalin, Honecker und Hitler so Schiss hatten. Also vor dem freien Geist. "

Immer wieder hat man Immendorff als politischen Künstler bezeichnet. Dabei sei doch alle Kunst politische … irgendwie.

"Sie kennen doch die Frage: Ach sie sind ein politischer Künstler. Die letzte Katze von Picasso und die letzte Blumenvase von Gauguin, das war alles politisch. Das Pissoir von Duchamps war natürlich politisch. Aber nicht propaganda-politisch oder parteipolitisch. Sondern menschen-politisch. "

Nicht nur die Kunst, auch Jörg Immendorffs Leben hatte immer mit Politik zu tun. Als ehemaliges KPD- und Grünen-Mitglied begleitete er Gerhard Schröder später immer mal wieder auf Dienstreisen. Zuletzt pikanterweise nach dem Kokainskandal zur Überreichung einer Nase genannten Skulptur an das Russische Museum in St. Petersburg. Dem Kanzler immer noch zugeneigt, ist er heute eher wütend auf die Lügen vieler Politiker und appelliert an deren soziales Gewissen. Vielleicht auf Grund seiner Krankheit noch dringlicher als früher. Auch seine Kunst ist eine andere geworden. Schon deshalb, weil der einstige Malerfürst sie nicht mehr allein erschaffen kann. Er kann seine linke Hand nicht mehr bewegen. Die vitale Wucht der früher übervollen Bilder ist inzwischen leereren Leinwänden gewichen. Mit rätselhaft surrealen Wesen darauf.

"Was die neuen Dinge angeht, so sehe ich das eher in eine Richtung Komponist und Dirigent. Das ist meine Linie und ich erstelle Partituren. Also früher waren die Vorgaben vielleicht eindeutiger. Heute bürde ich den Leuten immer mehr auf. Weil ich gelernt habe, gerade die härteste Prüfung ist eine Art Gradmesser dafür, wie hoch mein Respekt demgegenüber ist. Und ich traue eben Allen das Schwerste zu. "

Auch wenn diese jüngeren Arbeiten bisweilen schwerer lesbar sind, als die früher so eindeutig gemalten Botschaften, wenn sie zunächst weniger stark im Ausdruck scheinen: Es gibt keinen Bruch in Jörg Immendorffs Werk. Die Bilder, die Skulpturen, die Architektur sind gemeinsam Teil dieser ungewöhnlichen Retrospektive in einer rot getünchten Stadt. Deren Modell von oben betrachtet einer Herzmaschine gleicht. Mit Straßen als wahre Verkehrsadern, den Menschen darauf als rote und weiße Blutkörperchen, den Räumen als Kammern. Voll gepumpt mit Kunst. Und so wie diese pulsierende Herzmaschine steht diese Stadt für Immendorffs offensive Art, mit seinem Schicksal umzugehen. Mit einer tückischen unheilbaren Krankheit, die diejenigen Nervenzellen im Rückenmark zerstört, die für die Steuerung der Muskulatur zuständig sind. Was zu Lähmungserscheinungen führt. Bis hin zum Ersticken. Bei glasklarem Verstand.

"Ich nehme, so weit es geht, und nur unfreiwillig Rücksicht auf meine Krankheit. Weil ich fühle mich in ruhigen Minuten gar nicht krank. Verstehen sie mich. Ich ertappe mich dabei, also gerade wenn ich Mittagsruhe gemacht habe oder morgens aufwache, dann bin ich wie aus dem Traum erwacht und die ersten noch verschlafenen Sekunden habe ich vergessen, dass ich krank bin.
Ja und dann will ich aufstehen und das geht nicht.
Ja ich mal mir das so aus, im wahrsten Sinne des Wortes, dass ich mit jedem weiteren Bild dieser Tristesse, dieser drohenden möglichen Perspektive, dass ich mich jeweils um einen kleinen Schritt davon entferne. "

Die Ausstellung "Male Lago - Unsichtbarere Beitrag" ist vom 23.09.2005 bis zum 22.01.2006 in der Neuen Nationalgalerie Berlin zu sehen.
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