Knoblauch, die H2S-Bombe

Von Udo Pollmer |
Seit langem wird um die therapeutische Wirksamkeit von Knoblauch gestritten. Während die Naturheilmedizin in ihren Knoblauchpillen einen wahren Born der Gesund sieht, rümpft die Schulmedizin selbst bei geruchlosen Präparaten die Nase. Denn Metaanalysen bescheinigen den Knoblauchpillen aus der Apotheke in Sachen Herzinfarkt eine eher uneinheitliche Wirksamkeit. Doch nun nähren neuere Erkenntnisse den Verdacht, dass sich beide Seiten geirrt haben.
In welches Geheimnis will denn die Wissenschaft ihr neugieriges Näschen gesteckt haben? Die Experten haben endlich Lunte gerochen. Der Wirkstoff war ein ganz anderer als gedacht – noch dazu einer, den bisher nur Umweltschützer im Visier hatten, um ihn zu beseitigen: Schwefelwasserstoff – der typische Wirkstoff der klassischen Stinkbombe, einer der Hauptduftstoffe von Schweinegülle und Sinkgruben.

Ist jetzt Schweinemist herzgesund – statt Margarine? Beinahe. Es gibt durchaus nicht wenige Hinweise auf eine Herzschützende Wirkung von Knoblauch. Nur mit den Pillen wollte der Beweis nicht immer klappen. Nun zeigte sich, dass die roten Blutkörperchen diverse Polysulfide zur Bildung von H2S nutzen, um damit die Gefäße zu entspannen. Das erhöht den Blutfluss und senkt den Blutdruck. Vielleicht hat man bisher nicht immer die richtigen Stoffe im Visier und auf diese Weise bei früheren Studien nicht immer überzeugende Ergebnisse erzielt.

Was hat der Inhalt einer Stinkbombe im Körper verloren? H2S ist ein Botenstoff, der in geringer Konzentration im Körper Nachrichten vermittelt. Da er bisher als giftig galt und alle Welt damit beschäftigt war, dieser gefährlichen Substanz den Kampf anzusagen, wurde seine biologische Bedeutung lange nicht erkannt. Die gleiche Geschichte hatte sich vor einigen Jahren bei den Stickoxiden zugetragen. Auch sie sind ganz wichtige Botenstoffe, die im Mittelpunkt der immunologischen Forschung stehen. Dabei lernte man, dass der Körper selbst solche Substanzen herstellt – sogar einschließlich des allseits attackierten Nitrates, um immer ausreichend Stickstoffmonoxid zur Verfügung zu haben. H2S ist ein vergleichbarer Stoff mit ähnlich breit gestreuten Funktionen angefangen vom Magen bis zum Gehirn. Nun sind alle bemüht möglichst schnell die Möglichkeiten einer therapeutischen Nutzung auszuloten.

Muss ich Knoblauch essen, um genügend H2S bilden zu können? Sicher nicht – es gibt genug Menschen, die auch bei aktiver Meidung des anrüchigen Gemüses vorzüglich gedeihen. Außerdem enthalten Kohlgewächse wie Senf ebenfalls ähnliche Wirkstoffe. Nebenbei bemerkt: In geringer Dosis riecht H2S nicht etwa nach faulen Eiern, sondern nach gebratenem Hähnchen – da entsteht es nämlich beim Grillen. Die Ausgangsstoffe sind schwefelhaltige Aminosäuren, die im Grill oder im Körper in H2S umgewandelt werden. Unser Geruchseindruck hängt nicht nur vom Stoff, sondern auch von seiner Konzentration ab.

Ist Schwefelwasserstoff also gesund? Die niedrige Dosis im Körper ist lebenswichtig. In hoher Dosis ist der Stoff gesundheitsschädlich und deshalb suchen wir schlagartig das Weite, wenn es nach Stinkbomben riecht. Der Stoff ist ansonsten reichlich giftig und kann in ausreichender Dosis zum Tode führen. Da dabei zuerst die Geruchsnerven zerstört werden, riechen die Opfer nichts. Beim Umgang mit Gülle kommt es ja immer wieder zu Todesfällen.

Es ist also nur vorteilhaft, wenn Treibstoffe und Abgase endlich entschwefelt werden? Nicht immer: Die Landwirtschaft hat dadurch erhebliche Probleme, vor allem im Westen. Im Osten, wo die Umweltschutzmaßnahmen erst viel später wirksam wurden, sind noch ein paar Schwefelreserven im Boden. Der Landwirt im Westen Deutschland muss seit einigen zum Ausgleich seine Äcker mit Schwefel düngen, und bezahlen, was einst kostenlos per Luftpost auf seinen Flächen fein säuberlich verteilt wurde. Aber vermutlich ist es besser, den Stoff zum Düngen zu verwenden, als ihn ungewollt tagtäglich mit der Atemluft aufzunehmen.


Literatur:
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