Knut Bergmann: "Mit Wein Staat machen. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland"
Insel Verlag, Berlin 2018
366 Seiten, 25 EUR
Politik durchs Glas betrachtet
Etwas Alkohol sorgt auf dem politischen Parkett stets für etwas Schwung. In seiner etwas anderen Perspektive auf die Geschichte der Bundesrepublik plaudert der Politologe Knut Bergmann diesbezüglich munter aus dem Innern des politischen Betriebs.
Alkohol als Mittel der Diplomatie einzusetzen hat eine lange Tradition, mit dieser Feststellung stillt der Autor Knut Bergmann zumindest den Durst nach Wissen bei seiner Leserschaft. Schon im deutschen Kaiserreich räumte etwa dessen offensichtlich ebenso eiserner wie trinkfester Kanzler Bismarck ein, Wein aus den Lagen dieses Reiches sei im diplomatischen Dienst sein "bester Botschafter." In einem Brief an einen Freund gestand er zudem freimütig, dass er seine "Gäste mit freundlicher Kaltblütigkeit unter den Tisch trinke."
Bergmanns Buch, im Untertitel leicht vollmundig als "eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" etikettiert, ist voll von solchen Anekdoten über mehr oder minder trinkfeste Politiker und mehr oder minder nüchterne Bürokraten. Die Historie, die dabei herauskommt, ist eine, bei der das Land durch die unterschiedlichsten Wein-, Sekt und Champagnergläser betrachtet wird.
Im Abgang etwas ermüdend, aber dennoch lehrreich
Der Psychologe und Politikwissenschaftler Knut Bergmann dürfte dabei genau diese Perspektive aus eigener Anschauung mehr als nur zur Genüge kennen: Bevor er 2012 die Leitung des Hauptstadtbüros des Instituts der deutschen Wirtschaft übernahm, war er Grundsatzreferent im Bundespräsidialamt und einer der Redenschreiber des Bundestagspräsidenten. Dass er sich vermutlich nicht erst in diesen Positionen einen Ruf als Liebhaber edler Weine und mehr als nur gutbürgerlicher Küche erworben hat, darf man getrost annehmen. Gerade dieser Sachverstand sorgt allerdings auch für einen stellenweisen Säuremangel in der Assemblage seiner Ausführungen: Wortreiche Ausführungen über die Güte mancher Jahrgänge mancher Lagen mancher Winzer erzeugen im Abgang eher das Gefühl einer gewissen Ermüdung als das von Finesse und Frische.
Und dennoch: Wer mit Bergmann in die Gläser diverser Empfänge und Staatsbankette schaut, lernt einiges darüber, wie Politik manchmal eben auch funktioniert, und zwar diesseits wie jenseits der deutschen Grenzen. Interessant ist dabei nicht zuletzt ein vergleichender Blick auf die feierlichen Tafeln Frankreichs und Deutschlands.
Theodor Heuss sprach vom "Pathos der Nüchternheit"
Selbst wenn eine intensive Pflege der diplomatischen Gastrosophie angesichts der Proteste der Gelbwesten in Paris gegenwärtig eher kontraproduktiv wirken dürfte, scheint Bergmanns Bestandsaufnahme doch nach wie vor gültig: "In unserem Nachbarland ist der Präsident eine Art Nachfolger des Sonnenkönigs Ludwig XIV., in Deutschland steht er in der preußischen Traditionslinie als des Staates erster Diener."
So verlangte Theodor Heuss, erster deutscher Bundespräsident und privat vor allem schwäbischen Rotweinen durchaus zugetan, vor diesem Hintergrund in Bezug auf Staatsbesuche ein "Pathos der Nüchternheit" und wies mit dieser Forderung den Protokoll- wie den Küchenchefs der noch jungen Republik einen Weg, dem das staatliche Zeremoniell Deutschlands bis heute treu geblieben ist.
Kein "savoir vivre" in der deutschen Politik
Der Stil deutscher Staatsbankette war und ist ebenso wie der Aufwand dafür stets ein Spiegelbild der Gesellschaft, und über die resümiert Knut Bergmann: "Allzu großer Hedonismus, vor allem aus öffentlichen Kassen bezahlter, ist hierzulande verpönt. Die deutsche Öffentlichkeit reagiert bei allem Wohlstand auf vermeintliche Unbescheidenheit pikiert, nicht zuletzt was kulinarische Dinge angeht. Das Ungemach, das über Peer Steinbrück und seinen Fünf-Euro-Wein hereinbrach, reflektiert die Egalitätserwartung unserer Gesellschaft, gerade mit Blick auf seine politische Elite. Klassenunterschiede werden hierzulande viel weniger akzeptiert als in Frankreich, Großbritannien oder den USA. Insbesondere in Zeiten, in denen die vermeintliche Abgehobenheit gesellschaftlicher Eliten vielstimmig kritisiert wird, kann kein politisch Verantwortlicher ein Interesse daran haben, sich vom Volk abzugrenzen."
Knut Bergmanns unterhaltsamer Blick in die offiziellen Küchen und Keller unserer Republik zeigt damit vor allem eines: Wer uns von Staats wegen besuchen kommt, isst und trinkt bei uns sicher nicht schlecht. Manager mit gut gefüllten Spesenkonten dürften sich im Schloss Bellevue und auch im Kanzleramt aber trotzdem eher unterversorgt fühlen.