Auch ohne die Feuer hat Australien eine der höchsten Aussterberaten der Welt, mehr als 500 einheimische Arten gelten als gefährdet oder stehen kurz davor, für immer zu verschwinden. Die Gründe: Waldrodungen, Buschfeuer oder der Vormarsch der Städte, aber auch Katzen, Füchse und die Bedrohung durch eingeschleppte Tierarten. Ein Feature über den mangelnden Artenschutz auf dem Fünften Kontinent von unserem Korrespondenten Andreas Stummer.
Wie Australien seine Wildtiere ausrottet
23:10 Minuten
Die Brände in Australien wüten weiter. Eine Fläche größer als die Niederlande ist abgebrannt. Und es leiden Mensch und Tier. Tausende Koalas und hunderte Millionen weitere Tiere sind verbrannt. Doch für sie ist das Feuer nur eine von vielen Gefahren.
Die Waldbrände rauben den Menschen den Atem – und diese Woche könnte es in Australien wieder sehr heiß werden. Bis zu zwölf Kilometer weit fliegen derzeit Funken und Asche – und entzünden neue Brände im knochentrockenen Unterholz. Es hat mancherorts leicht geregnet, aber das ist wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Boden. 170 Feuer wüten noch in New South Wales, 50 im Nachbarstaat Victoria.
Stimmung in der australischen Bevölkerung scheint zu kippen
Die australische Hauptstadt Canberra ist durch dichten Rauch quasi lahmgelegt. Geschäfte, Museen und Universitäten blieben geschlossen, Atemmasken wurden knapp, die Stadtverwaltung rief die Bürger auf, drinnen zu bleiben.
Premier Morrison hat einen Buschfeuer-Wiederaufbaufonds angekündigt – umgerechnet 1,3 Milliarden Euro in den nächsten zwei Jahren. Von Klimawandel spricht Scott Morrison immer noch nicht – obwohl dieser für die meisten Wissenschaftler und auch viele Brandschutzexperten als die Hauptursache der Extremwetterlagen im weltgrößten Kohleexportland gilt. Die Stimmung der australischen Bevölkerung wendet sich vor dem Hintergrund der monatelangen Brände sowohl gegen den Premier und als auch gegen die Kohle.
Und es leiden nicht nur die Menschen, es leiden auch die Tiere auf dem Fünften Kontinent. Nicht nur aber auch der Koala, der laut Angaben des WWF vom Dezember, ohnehin schon zu den gefährdeten Arten gehört. Nur noch 50.000 von ihnen leben in freier Wildbahn. Statt vor den Feuern wegzulaufen, klettern sie hoch auf die Bäume, wo sie jämmerlich verbrennen. Es gibt Bilder von verkohlten Kängurus, die auf der Flucht nicht schnell genug waren, und von Kakadus, die tot von den Bäumen stürzen, weil sie Temperaturen von fast 50 Grad nicht mehr ertragen können.
Showtime im Featherdale Wildlife Park im Westen von Sydney, Phototermin mit einem australischen Wahrzeichen. Mausgraues Fell, flauschige Micky Maus-Ohren, Knopfaugen und eine schwarze Stupsnase – für ein Selfie mit Gary warten Touristen geduldig eine halbe Stunde in der Mittagssonne. Denn wer einmal ein Koala aus nächster Nähe sieht, für den ist es meist Liebe auf den ersten Blick.
"So adorable, so cute. They really look like teddy bears not real. And even their movements are so slow, they are so fluffy, so adorable."
Gary sitzt seelenruhig in einer mannshohen Astgabel und kaut an einem Zweig mit Eukalyptusblättern. Das Protokoll ist immer dasselbe: ja – streicheln ist erlaubt, aber, nein: niemand darf Gary auf den Arm nehmen. Lächeln für ein Photo und der Nächste bitte.
"The koala is one of Australia’s most iconic species, it is a true ambassador for Australia."
Mensch und Koala auf Kollisionskurs
"Jeder kennt Koalas, sie sind weltweit Botschafter für Australien". Wildtierpfleger Mike Drinkwater tut sein Bestes damit die Parkbesucher mehr über Koalas mit nach Hause nehmen als nur einen Urlaubsschnappschuss: dass sie Beuteltiere sind und keine Bären, dass sie 20 Stunden am Tag schlafen – und dass sie gefährdet sind. Nach Zahlen der australischen Koalastiftung leben nunmehr etwa 50.000 Tiere in freier Wildbahn. Es werde immer seltener einem Koala in seiner natürlichen Umgebung zu begegnen, bedauert Mike Drinkwater. Denn Menschen und Koalas sind in Australien auf Kollisionskurs.
"Der Lebensraum von Koalas lag schon immer in den Wäldern entlang der Ost-Küste, in den am dichtesten besiedelten Regionen Australiens. Doch dort ist über die Hälfte des Baumbestandes verschwunden. Große, zusammenhängende Wälder gibt es kaum mehr. Koalapopulationen geraten dadurch immer mehr unter Druck."
Je öfter ganze Wälder für die Schaf- und Viehzucht abgeholzt wurden, je mehr Australiens Städte wuchsen, desto kleiner wurde der Lebensraum für Koalas. Vor 100 Jahren gab es noch Millionen der Tiere in Australien, bis sie, wegen ihres dicken, weichen Fells, gnadenlos gejagt und beinahe ausgerottet wurden. Erst nach einem Aufschrei der Öffentlichkeit wurde der Fellhandel verboten, die Koalabestände erholten sich wieder. Heute aber drohen ihnen nicht Gewehre sondern Bulldozer.
500 Tierarten in Australien gelten als gefährdet
Koalas sind in Australien allgegenwärtig. In der Schokoriegelwerbung, als Plüschsouvenirs und in jeder Tourismuskampagne. Trotzdem gibt es keinen gezielten, nationalen Plan um ihr Überleben langfristig zu sichern. Fast 20 Prozent Australiens ist durch Nationalparks geschützt, es werden Millionen zum Erhalt von Ökosystemen bereitgestellt aber nicht einzelner Arten. Der Ökologe Tim Flannery nennt das "kurzsichtig und politisch bequem". Denn PR-wirksam Naturreservate einzurichten sei eine Sache, aber sich auch wirklich um sie zu kümmern eine völlig andere.
"Wir haben nicht begriffen, dass diese Nationalparks auch verwaltet werden müssen. Es gibt 72 Arten eingeschleppter Wirbeltiere in Australien, die verheerenden Schaden anrichten. In vielen Parks sind alle einheimischen Säugetiere, die größer als eine Ratte und kleiner als ein Känguru sind, verschwunden. Schuld daran sind Füchse, Katzen, Wildschweine, Ziegen und andere Eindringlinge."
Tim Flannery ist der Tausendsassa unter den australischen Naturschützern. Er ist Paläontologe und Säugetierkundler, Ökologe, Forscher, Autor und Hochschuldozent, er sitzt im australischen Klimarat und setzt sich seit Jahrzehnten für bedrohte Arten ein. Flannery kann wie ein Wasserfall über Australiens beschämende Bilanz in Sachen Tierschutz reden, die nackten Zahlen aber sprechen für sich: Alle zehn Jahre verliert Australien ein bis zwei Säugetierarten, soviel wie kein anderer Kontinent.
Seit der weißen Besiedelung des Landes vor 230 Jahren sind 27 Säugetier-, 24 Vogel- und sieben Froscharten für immer verschwunden, mehr als 500 Tierarten gelten als gefährdet. Bedroht durch den Menschen, durch Buschfeuer, Temperaturveränderungen und eingeschleppte Fressfeinde.
Seit der weißen Besiedelung des Landes vor 230 Jahren sind 27 Säugetier-, 24 Vogel- und sieben Froscharten für immer verschwunden, mehr als 500 Tierarten gelten als gefährdet. Bedroht durch den Menschen, durch Buschfeuer, Temperaturveränderungen und eingeschleppte Fressfeinde.
Die Zahl wilder Katzen, Hunde und Füchse in Australien liegt bei gut 40 Millionen. Es wird geschätzt, dass sie täglich die unglaubliche Menge von 75 Millionen einheimischer Tiere vertilgen: Vögel und Reptilien, Insekten, Mäuse, Ratten oder Beuteltiere bis zu kleinen Kängurus. Kein Wunder, dass es von mindestens zehn Säugetierarten in Australien nur noch weniger als tausend Exemplare gibt. Tiere wie das scheue Gelbfuß-Felskänguru, das in den Gebirgszügen Südost-Australiens beheimatet ist oder der nördliche Haarnasenwombat, ein ferkelgroßer, höhlengrabender Pflanzenfresser, der aussieht wie ein auf vier Füßen watschelnder Teddybär. Tiere, die fernab der Städte leben und langsam aussterben – auch weil sich viele Australier des Problems gar nicht bewusst sind.
"Menschen schätzen nur das, womit sie auch vertraut sind. Aber die große Mehrheit der Australier weiß sehr wenig über die meisten einheimischen Arten. Deshalb haben die Tiere für sie auch keinen Wert. Je besser wir unsere eigenen Arten kennen, desto größer ist auch die Chance, dass jedem daran liegt, sie langfristig zu erhalten."
"Menschen schätzen nur das, womit sie auch vertraut sind. Aber die große Mehrheit der Australier weiß sehr wenig über die meisten einheimischen Arten. Deshalb haben die Tiere für sie auch keinen Wert. Je besser wir unsere eigenen Arten kennen, desto größer ist auch die Chance, dass jedem daran liegt, sie langfristig zu erhalten."
The Highway to Hell – Die Liste der bedrohten Arten
Die Naturschutzbiologin Rosie Cooney berät seit 20 Jahren Institutionen, Regierungen und Organisationen in Sachen Tierschutz. Doch sie hat die Erfahrung gemacht: Ist eine Spezies erst einmal auf der Liste der bedrohten Arten, dann bleibt sie dort auch – bis sie ausstirbt. Raubtiersichere, umzäunte Schutzgebiete sind nur Notlösungen, jetzt soll mit dem regierungsfinanzierten Zentrum für bedrohte Arten alles besser werden. Ökologe Tim Flannery ist skeptisch, "das Budget müsste zehnmal so hoch sein", moniert er. Denn ob bei Kahlschlägen für Farmer oder beim Abholzen uralter Wälder durch die Forstindustrie: Da wo wirtschaftliche Interessen auf Tierschutz treffen, ziehen Australiens Arten in der Regel den Kürzeren.
"Wir brauchen klare Richtlinien für den Artenschutz. Eine unabhängige, anständig finanzierte Behörde, die dafür gerade stehen muss gefährdete Tiere auch wirklich zu schützen. Jemand muss verantwortlich sein. Im Moment sterben Arten aus und wir fragen uns, wer schuld hat. Wir müssen dieses Problem endlich ernst nehmen."
Das Wiedereinführen von gezüchteten Tieren einer bedrohten Art in ihren ursprünglichen Lebensraum ist oft die letzte Hoffnung für ihr Überleben. Sogenannte Auswilderungsprojekte sind langwierig, teuer und riskant. Denn seltene Wildtiere sind eine begehrte Ware. Je weniger Exemplare einer bedrohten Art noch existieren, desto wertvoller sind sie auf dem internationalen Schwarzmarkt. Australien, mit seinen fast 7400 Wirbeltierarten, die es nur auf dem fünften Kontinent gibt, ist ein Mekka für organisierte Wilddiebe, die zu oft zu leichte Beute haben.
Schmuggler und Wildtier-Paparazzi gefährden die Tiere
Erfolgsmeldung in den australischen Abendnachrichten. Den Zollbehörden in Perth sind zwei Tierschmuggler ins Netz gegangen, in ihrem Gepäck: seltene, einheimische Eidechsen, zehntausende Euros wert, bestimmt für den Wildtierschwarzmarkt in Japan. Forscher brauchten Monate, um die letzten Lebensräume der gefährdeten Arten in einer der entlegensten Gegenden Australiens aufzuspüren, den Wilddieben aber genügten ein paar Minuten am Computer. Denn zu oft ist zu viel Information über seltene Tiere mühelos nur mit ein paar Mausclicks online verfügbar.
"Das Problem ist, dass Forscher genaue Ortsangaben veröffentlichen wo sie seltene, gefährdete oder neu entdeckte Tierarten gefunden haben. Das führt immer wieder dazu, dass an diesen Stellen ganze Populationen ausgerottet werden."
Ben Scheele ist Biologe an der australischen Nationaluniversität in Canberra und hadert mit der modernen Informationsgesellschaft. Ob in einem virtuellen Wildtieratlas oder in Forschungspapieren: Was früher in kaum gelesenen Fachzeitschriften und Universitätsbüchereien verstaubte, steht heute für jeden im Internet zu lesen. Mit Folgen. Wird eine Fundstelle einer extrem bedrohten Spezies bekannt dauert es oft nur Tage bis sie geplündert wird – und Wilderer sind nicht die Einzigen, die gefährdete Tierarten und ihre letzten Zufluchtsstätten heimsuchen.
"Neben global organisierten Wildtierdieben gibt es auch Leute, die seltene Tiere nur sehen oder für ihre private Sammlung fotografieren wollen. Für ein paar Likes auf Facebook bedrängen diese Wildtier-Paparazzi gefährdete Arten, stören ihr Fress- oder Brutverhalten und zertrampeln ihren Lebensraum."
Je gefährdeter eine Art desto mehr versuchen Tierschützer quer zu denken. Statt Giftköder gegen wilde Hunde, Katzen und Füchse auszubringen, an denen auch Wildtiere verenden: warum nicht einheimische Dingos oder den Tasmanischen Teufel als natürliche Schädlingsbekämpfung einsetzen ? Greg Miles hat einen noch radikaleren Vorschlag. Jahrelang sah er als Wildhüter im Kakadu-Nationalpark wie kleine Säuge- und Wirbeltiere immer weniger wurden und schließlich ganz verschwanden. Jetzt setzt er sich dafür ein, gefährdete Arten zu Haustieren zu machen.
"Ich kann die Proteste und das Gejammer schon hören: "Wie kann man nur Tiere in Käfige sperren, wenn sie doch in die freie Natur gehören." Das Problem ist: Im Busch sind sie nicht sicher. Wenn wir sie dort lassen, werden sie verschwinden."
Australiens Tierwelt ist einzigartig, die Spezies des Landes sind Teil des nationalen Selbstverständnisses. Ein Emu und ein Känguru halten das Landeswappen, die Rugby-Nationalspieler werden "die Wallabies", die Schwimmer Dolphins genannt. Trotzdem werden Gelder zum Schutz bedrohter Arten weiter nicht koordiniert, sondern wie mit der Gießkanne verteilt.
Weitermachen wie bisher wäre eine Bankrotterklärung
"Die Regierung, Tier- und Naturschutzverbände müssen an einem Strang ziehen und Unkonventionelles wagen", fordert Ökologe Tim Flannery. So weiterzumachen wie bisher wäre eine moralische Bankrotterklärung.
"Wir würden mit den Tieren unsere Selbstachtung verlieren, den Blick für das Wesentliche im Leben. Diese Arten sind ein Geschenk, sie teilen Australien seit über 40.000 Jahren mit uns. Was würden künftige Generationen von uns denken, wenn wir sagen: Diese Tiere sind den Aufwand nicht wert? Oder noch schlimmer: Wenn wir zu bequem wären, etwas gegen ihr Aussterben zu unternehmen."