Es gibt weder Ostdeutsche noch Menschen mit Einwanderungsgeschichte in erster und auch nicht in zweiter Reihe. Man könnte auch sagen: Mehr Mittelfinger geht nicht.
Koalition ohne Vielfalt
Westdeutsche weiße Männer in Führung: Auf dem Gruppenbild mit Koalitionsvertrag vermisst Anh Tran die vollmundig angekündigte Vielfalt. © dpa/ Michael Kappeler
Das Märchen von der Diversität
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Die Ampelkoalition hat sich Vielfalt auf die Fahnen geschrieben: Mehr Ostdeutsche in Führungspositionen, mehr Repräsentation für Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Doch das Ergebnis sei enttäuschend, so die Journalistin Anh Tran.
Ein Bild sagt manchmal mehr als tausend Worte. In der Mitte stehen Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck. In ihren Händen halten sie stolz den Koalitionsvertrag. Getreu dem Motto: alle für den einen.
Alle? Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben wieder drei Männer im Mittelpunkt gestanden, dahinter als grün, lila, rote Farbtupfer ein paar Frauen.
Ambitionierte Ziele im Koalitionsvertrag
Aber reicht das, wenn nun wieder drei westdeutsche, weiße Männer den Kanzler, Vize-Kanzler und den Vorsitzenden des dritten Koalitionspartners stellen? Ich bin gespannt, ob in vier Jahren der Abtreibungsparagraf 218 komplett abgeschafft ist, wie weit die Regierung in Sachen doppelter Staatsbürgerschaft gekommen ist und welchen Posten Ostdeutsche gleichberechtigt übernommen haben werden.
Im Koalitionsvertrag steht: „Wir verbessern die Repräsentation Ostdeutscher in Führungspositionen und Entscheidungsgremien in allen Bereichen.“ Und: „Uns verbindet das Verständnis von Deutschland als vielfältige Einwanderungsgesellschaft.“
Ende der Geschichte. Endlich! Sie haben es kapiert. Bei Politik geht es auch immer um Interessensvertretung und dafür braucht es Repräsentation auf allen Ebenen. Könnte man zumindest meinen.
Die große Unbekannte: Diversität
Nun. Nicht alle Märchen gehen gut aus und die Gebrüder Scholz, Habeck und Lindner mussten bei der Besetzung ihres Kabinetts feststellen: Da steht sie wieder die große Unbekannte: Diversität.
Der designierte Kanzler Olaf Scholz hat ein geschlechter-paritätisches Kabinett versprochen. Dieses Versprechen hat er gehalten, zumindest, wenn er sich selbst herausrechnet.
Die Grünen streiten eine Nacht darüber, wie sie einen kompetenten Außenpolitiker ins Kabinett hieven, um zumindest einen anatolischen Schwaben als Token in der Regierung zu zählen. Der FDP ist ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei der Besetzung der Ministerien egal.
Das geschriebene Wort über die Repräsentation Ostdeutscher und die vielfältige Einwanderungsgesellschaft ward also wieder vergessen. Gerade so funktioniert die Besetzung der Ämter für Frauen und Männer. Damit soll sich die Bevölkerung zufriedengeben bis zur nächsten Wahl.
Vielfalt nur auf dem Papier?
Na ja und deswegen stehe ich jetzt also wieder hier, die ostdeutsche Frau mit Einwanderungsgeschichte, und frage: Ist das euer Ernst?
Ich habe selbst keine Lust mehr, solche Kommentare zu schreiben. Ich habe auch keine Lust mehr, mal wieder vorzurechnen – über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, im Jubiläumsjahr des Anwerbeabkommens mit der Türkei: Ja, es gibt Ostdeutsche, sie machen circa 20 Prozent unserer Gesellschaft aus. Über ein Viertel der Deutschen kommt aus einer Familie mit Einwanderungsgeschichte – und oh Schreck: Sie sind gekommen, um zu bleiben, gehen nicht mehr weg.
Wie wäre es, sich beim Thema Diversität und Repräsentation das nächste Mal an den eigenen Worten zu messen? Mehr Fortschritt wagen.