Stefan Liebich: Rot-Rot-Grün ist möglich
Der Linken-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich sieht Gemeinsamkeiten mit SPD und Grünen in Fragen der sozialen Umverteilung. Er zeigt sich aber skeptisch, was die aktuelle Regierungsfähigkeit mit den beiden anderen Parteien betrifft.
Korbinian Frenzel: Eine Mehrheit jenseits der Union, jenseits des bürgerlichen Lagers – Willy Brandt hat sich das gewünscht vor langer Zeit, 1983, als dieser Wunsch ferner schien denn je. Und das ist wahrlich heute anders. Wenn man es genau betrachtet, gibt es seit 1998, von einer kleinen Westerwelle-Pause mal abgesehen, eine linke Mehrheit im Bundestag, rechnerisch.
Denn diese linke Mehrheit, die geht nur so: Rot-Rot-Grün. Und das geht für viele gar nicht, gerade jetzt in der Ukraine-Krise. Einer, der nach wie vor unermüdlich dafür kämpft in seiner Partei, in der Linken, ist Stefan Liebich, Bundestagsabgeordneter aus Berlin und einer der Initiatoren einer Gruppe, die sich "R2G" nennt, zweimal Rot plus Grün – guten Morgen, Herr Liebich!
Stefan Liebich: Schönen guten Morgen!
Frenzel: Sie kommen doch seit ein paar Jahren schon mit Politkern von SPD und Grünen zusammen, um eines Tages das Realität werden zu lassen, was ja rechnerisch schon jetzt ginge. Herr Liebich, erst mal die Frage vorweg, treffen Sie sich überhaupt noch?
Liebich: Natürlich. Also die Runde existiert, und wir sind mit Beginn dieser Wahlperiode auch mehr geworden, aus allen drei Parteien. Das Interesse ist also nach wie vor vorhanden.
Frenzel: Aber die Idee Rot-Rot-Grün hat ja ganz schön gelitten unter den unterschiedlichen Meinungen zu dem, was da in der Ukraine gerade passiert. Vor allem über das, was aus Ihrer Partei, aus der Linken, kommt – da kann man ja schon den Eindruck kriegen, alle Wege des Sozialismus führen nach wie vor nach Moskau, oder?
Ernsthafte Gespräche über die Ukraine
Liebich: Den Eindruck kann man eigentlich nicht bekommen, und der wäre auch falsch. Was wir in den letzten Wochen erlebt haben, ist, dass sie vor allen Dingen über die Medien, und da mache ich gar keinem einen Vorwurf, die zur Kenntnis nehmen, die besonders laut sind, die besonders stark auf die Pauke hauen. Die hört man halt, aber das sagt noch lange nichts darüber, wer hier die Mehrheit ist, und auch über die Ukraine gibt es zwischen den drei Parteien sehr ernsthafte Gespräche.
Frenzel: Das heißt, eine rot-rot-grüne Bundesregierung würde jetzt in der Ukraine-Frage nicht anders stehen als diese Regierung Merkel?
Liebich: Doch. Also wir hätten da schon eine andere Position, wenn – es ist halt die Frage, worauf man sich verständigen könnte, wenn wir uns durchsetzen würden.
Frenzel: Das ist die Frage, in der Tat. Worauf könnten Sie sich verständigen?
Liebich: Na ja. Sie haben einen Punkt schon ganz richtig gemacht. Es gibt ganz ernsthafte inhaltliche Differenzen in der Ukraine-Frage zwischen den drei Parteien, aber auch innerhalb der Parteien. Die Frage, ob man jetzt eine gemeinsame Politik zustande bekäme, kann ich nicht positiv beantworten. Wir sind leider noch nicht so weit bei Rot-Rot-Grün, und das ist an dieser Frage auch offensichtlich geworden. Das ist für mich aber kein Grund, aufzugeben. Das Leben ist voller Herausforderungen, und das ist eine davon.
Frenzel: Aber das heißt, Sie wären jetzt de facto noch nicht regierungsfähig.
Gemeinsame Ziele in Sachen Umverteilung
Liebich: Ich glaube, jede Partei für sich würde das bestreiten, aber wir haben ganz offenkundig im Umgang mit der Krise zwischen Russland und der Ukraine kein gemeinsames Programm. Ich weiß nicht, ob wir vor dem Beginn der Großen Koalition bezogen auf CDU, CSU und SPD hätten annehmen können, dass sie ein gemeinsames Programm haben. Manchmal schweißt ja so eine gemeinsame Regierung auch zusammen und erzeugt gewisse Notwendigkeiten. Aber ich finde schon, wir müssen auch über Außenpolitik im Vorfeld von Rot-Rot-Grün miteinander reden und da nicht einfach reinstolpern.
Frenzel: Die Ukraine ist da ja ein Streitpunkt, aber selbst, wenn wir diesen Streitpunkt mal ausklammern – insgesamt klappt es ja nicht so richtig mit der linken Annäherung, das haben wir in den Jahren davor auch schon gesehen. Warum? Wer ist daran schuld?
Liebich: Ich würde gar nicht sagen, dass das nicht klappt. Wir haben eine Reihe von Punkten, die gehen im Moment ein bisschen unter, wo die Parteien diesseits von CDU und CSU eigentlich ein gemeinsames Ziel haben. Nehmen Sie mal das ursprünglich wirklich rein sozialdemokratische Ziel der Umverteilung, also einer Steuerpolitik, die die Reicheren in unserem Land stärker belastet, um die anderen zu entlasten.
Das stand ja im Wahlprogramm der SPD, im Wahlprogramm der Grünen, in unserem Wahlprogramm. Wir haben da eine unterschiedliche Schärfe, aber wir wollen in die gleiche Richtung. Wir wollen alle eine Bürgerversicherung, wir wollen ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht, wir wollen gleiche Rechte für Lesben und Schwule. Wir möchten gerne eine moderne Familienpolitik, statt dieses komische Betreuungsgeld, was es da jetzt gibt. Das sind alles Punkte, da sind wir uns eigentlich einig.
Annäherungen bislang an SPD gescheitert
Und gescheitert sind ernsthafte Gespräche letztlich an der SPD. Die SPD hat schon im Wahlkampf gesagt, sie schließt diese Möglichkeit aus und damit war es klar, dass Angela Merkel wieder Bundeskanzlerin wird. Die Frage war nur noch, mit wem. Und das ist jetzt die SPD, und es ist die Frage, ob die SPD das so auf Dauer weiter machen möchte.
Frenzel: Vielleicht scheitert es ja nicht nur an der SPD. Wenn ich zum Beispiel Sahra Wagenknecht höre, die ja immerhin Ihre stellvertretende Parteivorsitzende ist, dann sagt sie, das, was Sie da betreiben, ist eine Anbiederung an die SPD. Will Ihre Partei denn dieses Projekt überhaupt in Gänze?
Liebich: Ich möchte, glaube ich, schon, und ich weiß auch, dass Sahra Wagenknecht und alle relevanten Politikerinnen und Politiker unserer Partei vor allen Dingen das umsetzen wollen, was in unserem Programm steht. Und meine Meinung ist, man kann Dinge erreichen, wenn man in der Opposition ist, aber manchmal hat man eine bessere Chance, Dinge zu erreichen, wenn man in der Regierung ist.
Sehen Sie, wir haben zehn Jahre gebraucht, bis es in Deutschland endlich so eine Art Mindestlohn gibt. Als wir das damals vorgeschlagen haben, waren wir ganz einsam, da waren noch selbst die Gewerkschaften dagegen. Inzwischen ist das anders. Also, man kann auch aus der Opposition heraus was bewegen.
Aber ich habe mir hier in Berlin zehn Jahre zusammen mit der SPD regiert. Wir haben ja in Berlin einen gemeinsamen rot-roten Senat gehabt. Und ich kann Ihnen schon sagen, so Gemeinschaftsschulen einzurichten und das Ende von Privatisierungspolitik durchzusetzen, das geht in der Opposition deutlich schwerer als in der Regierung. In der Regierung haben wir das gemacht. Insofern bin ich da optimistisch.
Wunsch: Außenpolitik, die auf das Zivile setzt
Frenzel: Sie haben den Mindestlohn angesprochen. Man könnte das ja ergänzen. Es gibt die Rente mit 63, es gibt die Mütterrente. Die Auslandseinsätze laufen aus, und diese Bundesregierung gibt keine Anzeichen, dass sie das auch großartig ausweiten möchte in Zukunft. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man ja fast glauben, der aktuelle Bundeskanzler heißt Oskar Lafontaine. Wozu braucht es Sie?
Liebich: Na, da muss man schon eine sehr rosarote Brille auf haben, um das so zu sehen. Also, gerade, wo Sie den letzten Punkt ansprechen: Ja, der erfolglose Krieg in Afghanistan wird demnächst beendet, das wird auch Zeit. Aber ob wir bei den Auslandseinsätzen tatsächlich einen zurückhaltenderen Kurs einschlagen, das wollen wir erst mal sehen. Die Signale, die dort Ursula von der Leyen, auch Frank-Walter Steinmeier und vor allem auch unser Bundespräsident, Joachim Gauck aussenden, die finde ich schon bedrohlich.
Und was ich mir schon von Rot-Rot-Grün wünsche, ist, dass wir eine Politik machen, eine Außenpolitik, die auf das Zivile setzt, und nicht auf das Militärische. Auch das ist ein Punkt, über den wir bereits jetzt schon mit Politikern von SPD und Grünen reden, weil auch da macht es keinen Sinn, erst mal einen Koalitionsvertrag zu unterschreiben und sich hinterher zu wundern, wie die Welt aussieht. Also, da müssen wir schon reden über Details, und das tun wir auch.
Frenzel: Stefan Liebich, Bundestagsabgeordneter der Linken, der die Hoffnung auf Rot-Rot-Grün nicht begraben will. Ich danke Ihnen für das Interview!
Liebich: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.