Koalitionsverhandlungen

"Nicht fortsetzen, was Schwarz-Gelb gemacht hat"

Im Koalitionsvertrag müsse sich eine deutliche sozialdemokratische Handschrift wiederfinden, betont Ralf Stegner. Das gelte vor allem für die Bereiche Arbeit, Gerechtigkeit und Bildung, sagt der SPD-Landeschef in Schleswig Holstein.
André Hatting: Heute trifft sich die große Verhandlungsrunde von CDU/CSU und SPD zum finalen Schlagabtausch im Willy-Brandt-Haus. Schon morgen soll der Koalitionsvertrag unterschriftsreif sein, eigentlich – aber das Timing ist optimistisch, denn mindestens zwei große Brocken liegen da noch im Weg: die doppelte Staatsangehörigkeit und der gesetzliche Mindestlohn, beides Kernforderungen der Sozialdemokraten. Ralf Stegner ist Chef des SPD-Landesverbandes in Schleswig-Holstein, Mitglied im Bundesvorstand und er mischt auch bei den Koalitionsverhandlungen mit, heute zum Beispiel. Schönen guten Morgen, Herr Stegner!
Ralf Stegner: Guten Morgen!
Hatting: Herr Stegner, Sie haben immer klare Kante gezeigt. Zum Beispiel mit diesem Satz: "Wir wollen einen substanziellen Politikwechsel!" Das ist eine klare Ansage von Ihnen. Gehört dazu neben einem gesetzlichen Mindestlohn auch eine Reichensteuer?
Stegner: Na ja, eigentlich würde es dazu in der Tat gehören, weil das vernünftig wäre, wenn die mit den höchsten Einkommen und Vermögen sich beteiligen würden daran, die Aufgaben unseres Gemeinwesens stärker zu finanzieren. Aber wir haben natürlich auch gesehen in den Verhandlungen, dass das ein Punkt ist, bei dem die Union sehr festgelegt ist, dass sie da was anderes will, und das ist offenkundig bei denen jedenfalls, so ähnlich wie bei uns beim Thema gute Arbeit, flächendeckende Mindestlöhne, und insofern ist meine Erwartung, dass wir da die Union noch bewegen können in diesem Punkt, nicht so besonders optimistisch.
Hatting: Das haben Sie jetzt sehr diplomatisch formuliert. Also: große Koalition ohne Reichensteuer?
Stegner: Na ja, wir reduzieren unser Wahlprogramm ja nicht darauf. Wenn ich gesagt habe, wir brauchen substanziellen Politikwechsel, dann heißt das, dass wir insbesondere bei den Themen, die mit guter Arbeit und die mit Gerechtigkeit was zu tun haben, Stärkung der Bildung und der Kommunen, dass wir dabei etwas bewegen müssen. Es kann nicht so sein, dass wir quasi fortsetzen, was Schwarz-Gelb gemacht hat. Wenn die SPD den Eindruck erweckt, für ein paar Ministerposten opfern wir unsere Glaubwürdigkeit, dann würden wir nicht nur das Mitgliedervotum verlieren. Insofern muss schon unterm Strich genug rauskommen, an dem man erkennen kann, das wird anders und da ist sozialdemokratische Handschrift drin. Aber ich bin da durchaus optimistisch, dass das noch gelingen kann, auch wenn uns noch harte Stunden bevorstehen.
Hatting: Herr Stegner, lassen Sie mich das Wort glaubwürdig aufgreifen. Das Betreuungsgeld, so sieht es zumindest im Augenblick aus, darf die Union auch fortführen, obwohl gerade die SPD das immer gern lächerlich gemacht hat.
Halte gar nichts von Betreuungsgeld
Stegner: Ich halte von dem Betreuungsgeld gar nichts, weil es letztlich dafür Geld ausgibt, Kinder von der Kita fernzuhalten, anstatt das Gegenteil zu tun, was wir dringend brauchen, nämlich mehr Lebenschancen für alle Kinder, indem wir was tun für Kinderbetreuung und die beste Bildung. Aber nun muss man natürlich auch zur Kenntnis nehmen, wir haben leider nicht 45 Prozent als SPD, wir stehen nicht kurz vor der absoluten Mehrheit, sondern wir stehen in der schwierigen Situation, womöglich eine Koalition mit einer Partei zu machen, die die Gegenpartei gewesen ist, mit der wir uns auseinandergesetzt haben im Wahlkampf. Und es wird schon dazu gehören, dass man auch ein paar Kröten schlucken muss, so wird das wohl sein. Ich sage aber hinzu, da muss auch genug SPD drin sein, sonst werden wir das nicht tun. Aber dass unser komplettes Wahlprogramm umgesetzt wird, dazu hätten wir die absolute Mehrheit gebraucht – die haben wir leider nicht.
Hatting: Auf der Regionalkonferenz am Wochenende musste sich Parteichef Gabriel solche Sätze anhören wie, dass die SPD mit ihrem Stimmanteil in der Opposition eigentlich besser aufgehoben wäre. Sehen Sie das auch so?
Stegner: Im Prinzip ist das ja auch so, und das Unbehagen, was die Basis bei uns hat, teile ich doch auch. Denn normalerweise sagt man nach so einer Niederlage, wir gehen in die Opposition. Aber so einfach ist es natürlich nicht, weil, wenn Sie sich die Verhältnisse im Deutschen Bundestag angucken: Frau Merkel hat zwar ein sehr gutes Ergebnis, aber sie hat keine Mehrheit, um zur Kanzlerin gewählt zu werden. Und die FDP ist rausgewählt worden, also gibt es da nur noch die Grünen, die Linkspartei und die SPD. Und was die Union nur verstehen muss, ist, wenn sie mit uns eine Koalition bilden muss, dann muss es einen substanziellen Politikwechsel geben. Wir sind nicht die FDP. Also, ob das gelingen kann, das wird man noch sehen. Da sind noch schwierige Fragen zu diskutieren, aber dass unsere Basis sozusagen hadert damit, das teile ich ja vollständig. Und noch mal: Die werden auch nur zustimmen, wenn unterm Strich genug SPD drin ist.
Hatting: Auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall hat SPD-Chef Gabriel einem Zwischenrufer entgegengeschleudert: "Ich will nicht, dass die SPD unter 20 Prozent fällt!" Könnte nicht gerade eine große Koalition genau das verursachen?
Gegengewicht in der Regierung – mit der Perspektive selbst zu führen
Stegner: Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Es ist ja kein Naturgesetz, dass man eine Koalition hinterher sozusagen als Verlierer verlässt, sondern wir müssten mit unseren Themen, mit unseren Frauen und Männern, die dann in eine solche Regierung gehen, natürlich sozialdemokratisches Profil zeigen. Man darf nicht braver Juniorpartner sein, auch nicht Opposition in der Regierung, aber Gegengewicht mit der Perspektive, die nächste Regierung selbst zu führen. Und der Maßstab, schauen Sie, ist auch ein anderer. Der Maßstab ist, ob die Menschen, die auf uns setzen, die sich einen flächendeckenden Mindestlohn erhoffen, die hoffen, dass es besser wird bei Rente und Pflege; die drauf setzen, dass das mit der Gesundheit nicht unsolidarischer wird; die um die Ausbildung ihrer Kinder sich Sorgen machen, die die Miete bezahlen wollen – die setzen auf uns. Und nur, wenn das eine Verbesserung für die Menschen bedeutet, darf man es tun. Oder, um es anders zu sagen, es geht nicht darum, dass wir uns das jetzt einfach machen, sondern dass wir was für die Menschen tun, die es schwer haben. Das ist unser Politikverständnis. Und daran wird so ein Vertrag auch gemessen. Das haben wir im Übrigen bei unserem Parteikonvent vor ein paar Wochen genau so festgelegt, und da sind wir ja immerhin mit 86 Prozent Zustimmung auf die Reise geschickt worden, diese Verhandlungen ernsthaft zu führen, und genau das machen wir.
Hatting: Und ob nachher genügend SPD drin ist im Koalitionsvertrag, das entscheiden sowieso die Mitglieder, nämlich mit einem Votum Mitte Dezember. Dazu hat die CSU-Landesgruppenchefin Hasselfeldt scharfzüngig bemerkt: "Wir wollen einen Koalitionsvertrag für Deutschland, nicht für die Basis der SPD." Und Sie, Herr Stegner, für wen wollen Sie regieren?
Stegner: Ja, das ist aber doch Polemik. Schauen Sie, im Grunde genommen ist es doch so, dass bei uns die Mitglieder darüber entscheiden, ob die SPD sich an der Regierung beteiligen soll. Das, finde ich, ist das, was Willy Brandt "Mehr Demokratie wagen!" genannt hat, und ich gebe Ihnen Brief und Siegel, das werden andere Parteien auch noch machen in der Zukunft, dass man die Basis mitentscheiden lässt, was die eigene Partei tun soll. Natürlich machen wir einen Koalitionsvertrag für Deutschland, aber ob die SPD sich an einer Koalition mit der Union beteiligen soll, ob da genug Sozialdemokratie drin ist, in einem solchen Vertrag, das entscheiden bei uns die Mitglieder mit, das finde ich sehr fortschrittlich. Wer soll das eigentlich sonst entscheiden? Wir haben kluge Mitglieder, und insofern, dass das den anderen Parteien nicht gefällt, das ist nicht unser Kernpunkt. Wir wollen nicht anderen Parteien gefallen, sondern vernünftige Politik machen.
Hatting: In Wiesbaden verhandelt gerade Ministerpräsident Bouffier mit den Grünen über ein Bündnis. Ausgerechnet, denn die hat er früher oft und gern belächelt. Diesen Sinneswandel verfolgen einige von der Union in Berlin ganz genau. Macht Sie das nervös?
Stegner: Nein. Es zeigt aber auf der einen Seite, dass die Grünen eben auch eine ganz normale Partei sind. Hier gehen die mit einem ganz besonders konservativ-rechten Landesverband der CDU zusammen offenkundig. Das ist eine interessante Entwicklung, aber für die Grünen gilt natürlich das Gleiche wie für uns auch. Die sind frei darin zu entscheiden, mit wem sie koalieren wollen, und wir haben auch gesagt, künftig gibt es bei uns kein Ausschließen mehr vor Wahlen, also auch die Option, eine Mehrheit diesseits der Union zu nutzen, wird in Zukunft möglich sein. Das normalisiert die Verhältnisse in Deutschland. Außer mit Rechtsparteien muss man mit demokratischen Parteien im Grundsatz kooperationsfähig sein, und insofern verfolge ich das mit Interesse, ob das was Gutes raus kommt für die Menschen in Hessen. Da habe ich meinen Zweifel. Die bisherigen Grün-Schwarzen Verbindungen in Hamburg oder auch Jamaica im Saarland haben nicht viel getaugt.
Hatting: Ralf Stegner, Landesvorsitzender der SPD in Schleswig-Holstein. Er verhandelt heute in Berlin wieder mit CDU und CSU über eine gemeinsame Regierung. Herr Stegner, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Stegner: Sehr gerne, tschüss!
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