Steinberg: Keine Annäherung zwischen Türkei und PKK
Die türkische Regierung hat kurdische Kämpfer über ihr Staatsgebiet nach Kobane reisen lassen - doch der Friedensprozess mit der PKK wird nach Ansicht des Nahost-Experten Guido Steinberg dadurch nicht gestärkt: "Da zeigen sich im Moment keine Fortschritte."
Nana Brink: Die kurdischen Peschmerga-Kämpfer aus dem Nordirak sind nun in Kobane angekommen, und wir wollen mal nachfragen, ob das jetzt die Wende im Kampf um diese nordsyrische Stadt bedeutet. Ein Kenner der Lage ist der Islamwissenschaftler Guido Steinberg, er arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik, die berät unter anderem auch die Bundesregierung. Guten Morgen, Herr Steinberg!
Guido Steinberg: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Werden die Peschmerga die Wende bringen?
Steinberg: Also, es könnte durchaus sein, dass die Wende ohnehin schon, ohne die Peschmerga, geschehen ist, allerdings ist die Situation in Kobane doch immer noch sehr unübersichtlich. Was diese 150 Mann nun mit sich bringen, sind vor allem schwere Waffen, das ist etwas, was die kurdischen Kämpfer dort in Kobane noch nicht gehabt haben. Also insofern können sie durchaus auch eine militärische Rolle in der Stadt spielen.
Brink: Sie haben gesagt, die Lage ist weiterhin unübersichtlich. Was wissen Sie – die Informationen sind ja spärlich oder schwierig einzuschätzen.
Um Kobane tobt auch eine große Propagandaschlacht
Steinberg: Ja, das gilt für mich allerdings genauso wie für Sie und für die Hörer: Es ist eine große Propagandaschlacht im Gange. Man hat zum Beispiel in den letzten Tagen ein Video des IS gesehen, in dem behauptet wurde, dass große Teile der Stadt weiterhin unter ihrer Kontrolle sind. Die Bilder, die wir präsentiert bekommen, die sprechen eine andere Sprache, aber deswegen kann man auch tatsächlich nicht sicher sein, was sich nun vor Ort abspielt.
Ganz sicher ist, dass es amerikanische Luftangriffe gibt und auch Angriffe der Verbündeten, dass der IS stark geschwächt ist. Sie haben wohl hundert Mann verloren, und der eigentlich auch von mir schon prophezeit der Fall der Stadt, der wurde dadurch noch einmal abgewendet.
Da hat sich etwas in der Einschätzung vor allem der Amerikaner verändert. Die waren ja eigentlich der Meinung, dass das eine isolierte Schlacht des syrischen Bürgerkrieges ist, in die sie sich nicht weiter einmischen sollten. Diese Auffassung haben sie revidiert, wahrscheinlich weil sie begriffen haben, wie wichtig diese Stadt für IS ist. Und das hat wahrscheinlich dazu geführt, dass die Stadt jetzt zunächst doch nicht fällt.
Brink: Sie haben gesagt, es ist eine Propagandaschlacht, gehören dazu auch die Peschmerga, kann man das so sagen?
Steinberg: Ja, das gehört auch dazu. Das Interessante an den Peschmerga ist aber vor allem, dass wir es da ja mit irakisch-kurdischen Truppen zu tun haben, unter der Kontrolle der beiden Parteien, die auch den Nordirak beherrschen, also die Patriotische Union Kurdistans von Dschalal Talabani und die Demokratische Partei Kurdistans unter der Kontrolle von Masud Barzani.
Das wirklich Bedeutende ist, dass diese Truppen nun gemeinsam mit Einheiten der syrischen PED, also des Ablegers der PKK kämpfen, während wir eigentlich in den letzten Jahren einen großen Kampf zwischen diesen beiden Lagern gesehen haben, also irakische Kurden vor allem unter der Führung von Masud Barzani einerseits und dann die eher der PKK zugeneigten Kurden in Syrien in der Türkei unter dem Kommando von Abdullah Öcalan, der im türkischen Gefängnis sitzt.
Dass diese beiden Gruppen zusammen kämpfen, ist eine ganz neue Entwicklung, und es gibt so etwas Hoffnung, dass vielleicht dieser Konflikt unter den Kurden in Zukunft etwas abgeschwächt wird und dass es dadurch möglich wird, IS zumindest von kurdischer Seite etwas entschlossener zu bekämpfen.
Brink: Es ist ja interessant, diese Waffenbrüderschaft, Sie haben es erwähnt, auf der einen Seite sind da jetzt auch oppositionelle Vertreter der syrischen Armee in Kobane eingetroffen, zusammen mit den Peschmerga, bislang hat der Westen ja immer nur die eine Seite unterstützt, nämlich die Peschmerga aus dem Nordirak – muss das jetzt geändert werden oder ändert sich das gerade?
Die Türkei will auf keinen Fall, dass der syrische Flügel der PKK gestärkt wird
Steinberg: Nein, ich denke, dass dieser Schritt gerade anzeigt, dass sich das nicht ändert. Es wäre ja durchaus logisch gewesen, wenn man nun auf der syrischen Seite diese PKK-affinen Kurden unterstützen will, ihnen Waffen zu schicken oder zumindest zu erlauben, dass PKK-Kämpfer aus dem Nordirak oder auch Freiwillige aus der Türkei dort hingehen.
Das hat die Türkei aber verhindert – sie will auf gar keinen Fall, dass der syrische Flügel der PKK gestärkt wird – und es war wahrscheinlich der Kompromiss zwischen den USA und Ankara, dass kurdische Kämpfer geschickt werden, aber nur irakisch-kurdische Kämpfer.
Das wird militärisch wahrscheinlich nicht so effektiv sein, weil die sich vor Ort nicht auskennen und weil ich mir doch vorstelle, dass es schwierig wird zu koordinieren den Kampf zwischen diesen Freischärlern der syrischen PKK und den irakischen Kurden. Aber es ist der kleinste gemeinsame Nenner, das war alles, was die Türken geduldet haben, weil ihr Verhältnis zu den irakischen Kurden nun einmal viel besser ist als zu der Organisation, die sie für eine sehr viel größere Bedrohung als IS halten, nämlich die PKK.
Brink: Genau da möchte ich noch mal einhaken. Wenn wir jetzt aus Kobane herausblicken und Richtung Türkei, dort herrschte ja, wie Sie es gesagt haben, lange der Glaubenssatz, dass der Kampf gegen die PKK wichtiger ist als der Kampf gegen den Islamischen Staat, also die PKK die schlimmere Terrororganisation ist. Ist das jetzt auch ein Richtungswechsel in der türkischen Politik?
Die Peschmerga in Kobane: Ein kleiner Kompromiss für die Türkei, der ihr nicht wehtut
Steinberg: Nein, ich sehe da noch keinen Richtungswechsel. Die Türken sind in gewisser Weise erfolgreich mit ihrer Politik der letzten Monate, mussten jetzt diesen kleinen Kompromiss akzeptieren, der ihnen allerdings nicht wehtut.
Sie haben ihre Beziehungen zu Irakisch-Kurdistan seit 2009 enorm verbessert, sie haben überhaupt keine Probleme mit den Truppen der kurdischen Regionalregierung, und insofern ändert sich für die Türkei nichts.
Die Lage würde sich erst dann verändert, wenn die Türkei ihre Beziehungen zur türkischen PKK und damit dann auch zur syrischen PED – das ist dieser Ableger dort – normalisieren würde, und da zeigen sich im Moment keine Fortschritte. Es wäre ungeheuer wichtig ...
Brink: Also den Friedensprozess sozusagen zwischen der Türkei und der PKK sehen sie jetzt nicht auf einem besseren Weg?
Wenn Kobane fällt, werden die kurdischen Städte im Osten Syriens angegriffen
Steinberg: Nein, überhaupt nicht. Zumindest haben die Türken jetzt zugelassen, dass dort etwas geholfen wird in Kobane, aber nicht in der Form, wie die PKK das hat haben wollen. Also da sehe ich keine Fortschritte.
Ich weiß natürlich nicht, was sich da im Hintergrund tut. Es wäre ungeheuer wichtig, dass sich dort einige positive Dinge abspielen, um die Lage etwas zu entschärfen und um damit vielleicht zu ermöglichen, dann auch den syrischen Kurden insgesamt zu helfen.
Wir dürfen ja nicht vergessen, dass das jetzt nur die Auseinandersetzung um eine Schlacht ist. Wenn sie vielleicht doch noch fallen sollte, dann wird es sehr schnell gegen die kurdischen Bevölkerungszentren im Osten des Landes, in Qamischli beispielsweise gehen, und da sind dann Hunderttausende Menschen betroffen, nicht wie hier nur Zehntausende.
Es ist ungeheuer dringlich, dass die Türkei da politisch weiterkommt. Sie stehen unter dem Druck der Amerikaner und der Europäer, aber sie scheinen sich so stark zu fühlen, dass sie ihre bisherigen Ziele zunächst einmal prioritär weiterverfolgen, nämlich Sturz des Assad-Regimes und Eindämmung der syrischen PKK. Der Kampf gegen IS ist für die Türken weiterhin nicht so wichtig.
Brink: Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik, danke für Ihre Zeit und Ihre Einschätzung!
Steinberg: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.