"Kobani" von Ferhat Tunc

Eine Sami trifft einen kritischen Kurden

Die norwegische Sängerin und Musikerin Mari Boine auf einem Festival in Mexiko.
Die norwegische Sängerin und Musikerin Mari Boine auf einem Festival in Mexiko. © Imago / Zuma Press
Ferhat Tunc im Gespräch mit Martin Risel |
Kobani ist die kurdische Stadt, "Kobani" heißt auch Ferhat Tunc neues Album. Tunc ist der norwegischen Künstlerin Mari Boine begegnet und gemeinsam haben sie Parallelen zwischen der kurdischen und der samischen Kultur Skandinaviens entdeckt.
Dieses Lied ist drei kurdischen Aktivistinnen gewidmet, die vor drei Jahren in Paris erschossen wurden. Und so haben fast alle der 12 Titel auf dem neuen Album von Ferhat Tunc einen politischen Bezug. Es ist sein 23. in 30 Jahren. Keine Frage: Der Mann ist fleißig und bleibt seiner Linie treu, politische Lieder mit hohem künstlerischem Anspruch zu verbinden.
Die Ursprünge dazu liegen in seiner frühen Biografie: Als Kind lernt er die alevitischen Lieder seiner Großeltern, singt selbst gerne, wird schon als Schüler zur regionalen Größe in der kurdisch dominierten Provinz Dersim im Osten der Türkei. Mit 16 zieht die Familie nach Rüsselsheim, der Vater ist 40 Jahre lang Opelianer, der Sohn wird hier zum Musiker. Ferhat geht Mitte der 90er zurück in die Türkei, fühlt sich in Deutschland aber noch irgendwie zuhause. Als Deutsch-Türke, Kurde, Alevit?
"Das tut mir weh, wenn ich über Grenzen nachdenke. Aber das System hat das geschafft und wir wollen das wegschaffen. Das ist nicht menschlich, denke ich, weil die Türken und Kurden und die anderen Völker haben zusammen gelebt. Und um das weiterzuführen, dafür brauchen wir jetzt eine richtige Freiheit, richtige Gerechtigkeit, das ist wichtig."

15 Jahre im türkischen Gefängnis

Die Anerkennung der Kurden in der Türkei ist sein Lebensthema. Als Musiker musste Ferhat Tunc zunächst Türkisch singen, um überhaupt etwas veröffentlichen zu dürfen. Kurdisch war verboten, die Sprache der größten ethnischen Minderheit in der Türkei, etwa 20 Millionen Kurden leben dort. Mit dem Krieg im benachbarten Syrien werden es immer mehr. Die Grenzstadt Kobani gibt dem neuen Album und einem der Lieder darauf seinen Titel. Der Ort des Sieges kurdischer Truppen über die IS-Milizen vor einem Jahr.
"In dieser Kriegszeit war ich auch in Kobani, ich hab alles erlebt und dann angefangen, dieses Lied zu machen. Ich war mit Journalisten und Menschenrechtsaktivisten zusammen eine Woche lang dort, wir waren überall und haben alles miterlebt."
Die Leiden des Krieges, ein IS-Attentat auf Kurden, 15 Tage im türkischen Gefängnis wegen angeblich staatsfeindlicher kurdischer Aktivitäten - Ferhat Tunc hat als politischer Sänger vieles miterlebt. Und wird seitdem unterstützt durch Freemuse, der internationalen Organisation für Musiker, die nicht frei arbeiten können.

Sami haben ähnliches erlitten wie Kurden

So kam es zum Kontakt zu den norwegischen Musikern und Produzenten, mit denen das Album in Oslo und Istanbul entstanden ist. Und zu Mari Boine, dieser norwegischen Sängerin, die sich vor allem für die Sami-Kultur einsetzt. Denn zwischen der langen leidvollen Geschichte dieses indigenen Volkes in Nordskandinavien und den Kurden sieht Ferhat Tunc viele Parallelen.
"Ich habe Mari kennengelernt und sie hat mir ihre Geschichte erzählt – und ich weiß ja, dies Sami-Geschichte – ich hab ihr gesagt: Wir haben ja wirklich dieselbe Geschichte und wir müssen zusammen was machen. Das hab ich vor fünf Jahren gesagt bei einem Konzert zusammen in Oslo. Und jetzt haben wir das gemacht, das ist eine sehr gute Zusammenarbeit."
Mari Boine setzt ihre eigenen samischen Akzente in diesem kurdischen Liebeslied aus Ferhat Tuncs Heimat Dersim. Zum Thema seines vorherigen Albums und eines Liedes auf dem neuen machte er die tragische Geschichte dieser Stadt, als vor 78 Jahren die türkische Armee ein Massaker an der kurdisch-alevitischen Bevölkerung beging. Tunc ist aber kein Sprachrohr der Kurden, es geht ihm auch um andere ethnische Minderheiten wie Aleviten und Armenier.
"Es ist nicht gute Zeiten für die Völker in der Türkei. Wir haben jetzt keine Demokratie, wir sind in einem undemokratischen System, und wir kritisieren das sehr. Dadurch haben die etwas gegen Musiker und gegen Intellektuelle und gegen viele, die das kritisieren, sie gehen sehr hart dagegen vor."

Türkische Regierung engagiert Trolle

Und so sieht Ferhat Tunc in der Türkei auch ein vergiftetes kulturelles Klima, in dem die Behörden manchmal ganz schlicht mit Verboten und Gerichtsverfahren vorgehen. Oft aber auch viel subtiler:
"Ich werde sehr bedroht. Zum Beispiel im Internet, in den sozialen Medien machen die das sehr öffentlich. Zum Beispiel in Twitter schreiben die ganz offen: 'Du musst sterben', sagen die. Und diese AKP-Regierung organisiert diese Internet-Trolle, und dann passiert das alles."
Auch wenn er Liebeslieder singt wie dieses armenische – die Musik hat bei Ferhat Tunc schon von Kindesbeinen an eine tragische Note. Und so klingt’s auch auf seinem Album für unsere Ohren manchmal etwas pathetisch. Aber mit Hilfe der über 40 Musiker aus Norwegen und der Türkei auch vielseitig, manchmal erfrischend rockig, wenn Bluesgitarrist und Arrangeur Knut Reiersrud mal aus sich herausgeht. Tragisch bleiben allerdings die Zeiten für den Kurden Ferhat Tunc:
"Ich kann mich nicht freuen über dieses Album. Weil auf der anderen Seite gibt es einen großen Krieg und du kannst dich so nicht wirklich gut fühlen, das ist sehr schlimm."
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