Koch, die CDU und Hessen

Von Gudula Geuther |
Als Roland Koch mit der CDU bei der Landtagswahl 2003 die absolute Mehrheit erreicht hatte, lautete seine neue Zielvorgabe: Die hessische CDU soll die Hessenpartei werden. Und der Chef der Staatskanzlei präzisierte: "Das bedeutet, die Themen zu erörtern, die die Menschen beschäftigen; es bedeutet, in allen Regionen Ansprechpartner für alle Gruppen der Bevölkerung zu sein." Zur Halbzeit der zweiten Wahlperiode stellt sich also die Frage: Ist die Landes-CDU auf dem Weg zur "Hessenpartei"? Und: Hat sich der Ministerpräsident als "Landesvater" profilieren können?
Koch: "Wir arbeiten an allen Stellen mit Information, wir haben einen unzweideutigen Text formuliert, und ich bin deshalb sehr sicher, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger diese Aktion so auffassen wird, wie sie von uns gemeint ist: Ein Widerstand gegen eine unvernünftige Gesetzesinitiative, von der wir überzeugt sind, dass sie der Integration nicht dient, sondern ihr schadet. Es beginnt eine machtvolle Demonstration des Willens von Bürgern zu werden, und genau das wollen wir organisieren, denn wir sind in der Frage der Anwalt der Bürger. "

Scharfe Töne im Wahlkampf 1999. Mit der Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft will der Oppositionspolitiker Roland Koch die Landtagswahl gewinnen.

Kindergarten: "Wer sind die Freunde vom Bär? Wer wohnt im Wald? – Ein Wolf! – Ein Wolf, wer noch? - Eine Fuchs – ein Fuchs, wer noch? – Ein Teddybär... "

Wenig später geht auch das auf Roland Koch zurück: Die Landesregierung legt ein Programm zur Integration von Zuwanderern auf. Sprachunterricht im Kindergarten inbegriffen. Koch selbst beschreibt nach einer Amtsperiode den Wandel von der Opposition in die Regierung für sich und seine Partei so:

Koch: "Die CDU ist in den vergangenen vier Jahren natürlich zunehmend in die Rolle einer Regierungspartei hineingewachsen. Das heißt, man ist nicht mehr so sehr dabei, nur theoretische Konzepte zu erörtern und die Regierung anzugreifen, sondern tatsächlich zu wissen, dass in den Gesprächen mit gesellschaftlichen Gruppen, in den Diskussionen vor Ort Entscheidungen getroffen werden, die dann große Chancen haben auch Regierungspolitik zu werden. Das ist eine andere Art des Gesprächs mit Bürgermeistern, mit Vereinen, mit Unternehmen. …"

Eine Bestandsaufnahme, die Koch mit einem anspruchsvollen Ziel verbindet:

Koch: "Und ich denke, die CDU hat sich sehr stark auch zu einer Hessenpartei damit entwickelt, sehr stark identifiziert mit der Landespolitik. Und was die Mitglieder der Union angeht auch sehr stolz auf die hessische Landespolitik. "

In der ersten Legislaturperiode koaliert Kochs CDU noch mit der FDP. Dann – im Februar 2003 - gewinnt die Union die absolute Mehrheit. Aus einer Hessenpartei soll in der Diktion Kochs nun die Hessenpartei CDU werden. So etwas wie die hessische CSU? Was immer das heißen mag – zumindest steckt in dem bestimmten Artikel auch ein Anspruch auf Wähler-Mehrheiten. Und so vergisst die Opposition im Landtag nie, die CDU nach Wahl-Niederlagen daran zu erinnern. So der Fraktionschef der Grünen, Tarek Al-Wazir, nach einer Serie von für die CDU verlorenen Direktwahlen von Oberbürgermeistern und Landräten.

Al-Wazir: "Was uns auch freut ist die Tatsache, dass das Vorhaben der CDU, Hessen auch bei den Kommunalwahlen schwarz einzufärben und dieses Gerede von der Hessenpartei CDU, einen deutlichen Dämpfer erlitten hat, weil sowohl in Kassel wie auch im Rheingau-Taunus-Kreis die beiden Amtsinhaber ja sicher waren im ersten Wahlgang bestätigt zu werden und beide eine deutliche Klatsche bekommen haben. "

Eine Relativierung, die nach der Bundestagswahl 2005 deutlich verstärkt wird. Die CDU wurde hessenweit zweitstärkste Kraft – hinter der SPD. Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Frank-Peter Kaufmann:

Kaufmann: "Und deswegen: Bildungsland Hessen ist so ne ähnliche Floskel wie Hessenpartei, das stimmt eben beides nicht. Nur mit knapp oder rund einem Drittel der Stimmen kann man sich allerhöchstens noch als He-Partei, aber gewiss nicht mehr als Hessenpartei, weil zwei Drittel sind futsch. "

Und SPD-Generalsekretär Norbert Schmitt legt tags darauf nach:

Schmitt: "Sie sind von der Hessenpartei genauso weit entfernt wie die Landesregierung vom ausgeglichenen Haushalt. "

Wie viel Wahrheit hinter solchen Aussagen steckt, muss sich noch erweisen – wie weit sich aus den Mehrheitsverhältnissen im Bund auf die nächste Landtagswahl schließen lässt, ist offen. Dasselbe gilt für Direktwahlen. Denn Entscheidungen für einen Landrat oder Oberbürgermeister sind auch in Hessen vor allem Persönlichkeitswahlen. In jedem Fall hat sich Koch die Latte hoch gelegt. Denn die vor zweieinhalb Jahren gewonnene absolute Mehrheit grenzt historisch gesehen an eine Sensation: Schon die bloße Wiederwahl einer CDU-geführten Regierung wäre im ehemals roten Hessen eine Premiere gewesen. Dass es zu mehr als der Wiederwahl kam, mag manche Gründe haben. Darunter auch die der Person Roland Koch. Der nicht zum Landesvater geworden ist – eine Rolle, die dem 47-Jährigen mit eher jungenhaftem als väterlichem Auftreten wenig liegen würde. Der sich aber aus der Rolle des scharfen Oppositionsführers mehr und mehr in eine Moderatorenposition begeben hat. Eines Moderatoren, der die Angriffe auf den politischen Gegner eher mal Fraktionschef Franz Josef Jung überlässt. Koch, der sich am Rednerpult oder im Einzelgespräch wohler zu fühlen scheint als beim Bad in der Menge, hat nach Umfragen in Hessen zwar höhere Sympathiewerte als bundesweit. Auch im Land scheint der Jurist aber Zustimmung eher über Kompetenzzuschreibung denn über Persönlichkeitsnoten zu bekommen. Und durch die Projekte der ersten Legislatur. Als bestimmendes Thema der Wahl und der zweiten Amtszeit Koch nennen zufällig Befragte vor allem eines:

Umfrage: "Schulpolitik. Dass in den Schulen nicht mehr so viel Stunden ausfallen. – Indem man also auch mehr Betreuung und so weiter für die Kinder auch hat. Damit vielleicht auch Frauen wieder ins Berufsleben zurückgehen können. – War einmal die Schulpolitik, die Umstellung auf das achtjährige Gymnasium und Durchsetzen von einigen gewichtigen Baumaßnahmen. Ich denke jetzt mal an den Flughafen Frankfurt. "

Auch der Kasseler Politologe Eike Hennig, der sich mit politischer Kulturforschung und insbesondere hessischer Wahlforschung beschäftigt, glaubt, dass die CDU Geschick bei der Wahl ihrer Themen bewiesen hat – in einem etwas breiteren Spektrum.

Hennig: "Das Thema Struktur, sozusagen Nordhessen – Südhessen, ist schon ein dominantes Thema. Das Thema Bildung ist in Hessen, wenn Sie es mit anderen Bundesländern und mit dem Bund insgesamt vergleichen, ja das ist sozusagen unser hessisches Wirbelthema. Da geht immer die Post ab. Thema Struktur in Südhessen, Flughafen, ist auch ein Dauerbrenner. Und gleichzeitig der Versuch, innere Sicherheit, Polizei auch aufzubauen – also die Themen sind, glaube ich, richtig gesetzt. Oder es sind Themen, die sozusagen für Hessen wichtig sind. Aber gleichzeitig sind es auch immer die Themen, die Hessen auch immer zwischen den beiden Parteien oder zwischen den Lagern Rot-Grün und Gelb-Schwarz auch immer zerrieben haben. "

Welche Erfolge die Landesregierung in diesem breiten Fächer an Themen und Zielen vorzuweisen hat, ist zwischen Regierung und Opposition selbstverständlich umstritten. Für die Bildung, einen der Kernbereiche von Landespolitik allerdings muss man bilanzieren: Unter der Regierung Koch sind die Schulen dem hochgesteckten Ziel einer Strukturreform näher gekommen; vorerst etwa mit weniger Unterrichtsausfall.

Umfrage: "Schulsystem, denk ich, da hat sich einiges getan, wie unser Sohn gesagt hat, die sind mit Computern ausgerüstet worden, oder besser ausgerüstet worden als vorher. – Ja, es sind wieder so viel Lehrer, wo noch fehlen. Kommen wieder so sieben Schüler zu ner Klasse, und da wird sie immer noch größer. – Es ist wahrscheinlich nicht so gut, dass es nicht mehr besser werden könnte, aber der Vergleich ist so, dass es besser geworden ist. Die Schulausfallstunden sind also doch erheblich zurückgegangen. "

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft bemängelt allerdings, die Schulen würden allein gelassen mit Fragen wie der Organisation von Ersatzstunden bei krankheitsbedingten Ausfällen. Scheinbar kleinliche Kritik. Die aber ein wiederkehrendes Thema trifft, das der Kommunikation. Beispiel Universitäten, Beispiel Fusion der Uni-Kliniken in Gießen und Marburg. Ein Projekt, das als solches wenig umstritten ist. Anders sieht es mit der Privatisierung aus, die nun folgen soll. Möglicherweise, weil die Folgen vielen nicht klar sind. Der Gießener Physiologe und Bezirksvorsitzende des Marburger Bundes, Andreas Scholz, etwa, bemängelte noch kurz nach der Fusion der Kliniken:

Scholz: "Wir fragen halt natürlich auch nach: Wie sieht das aus beispielsweise, dass Lehre, Forschung sichergestellt wird. Und dann bekommen wir die Antwort: Das werden wir schon sicherstellen, ohne dass konkret gesagt wird: Wie wird das sichergestellt... "

Der Politologe Eike Hennig hält solche Unsicherheiten für ein allgemeines Problem der Regierung. Zumindest dieser Legislatur. Ein Problem, das in Zeiten knapper Kassen verschärft wird. Die Notwendigkeit von Einsparungen, glaubt Hennig, sei den Betroffenen oft nicht ausreichend vermittelt worden.

Hennig: "Insbesondere das Kommunizieren. Das Zusammenarbeiten von Unten und oben. Auch sozusagen das Abholen. Da würde ich kritisieren, dass also im Bereich Polizei, im Bereich Schule, auch im Bereich der Universität doch die hessische Landesregierung zu stark von oben nach unten Appelle und Einbindungen gegeben hat. Also mit ihrem Anspruch, sozusagen das zu moderieren, das hat sie nicht gemacht. Sie hat es eigentlich doch von oben nach unten delegiert. "

Auf besonderes Unverständnis stieß dieser Regierungsstil bei den Betroffenen Ende 2003. 30 Millionen Euro wurden in diesem ersten Jahr der Alleinregierung im sozialen Bereich bei Initiativen und Sozialverbänden gekürzt. Die davon zum Teil erst aus dem Internet oder aus der Zeitung erfuhren – nachdem Sozialministerin Silke Lautenschläger die Streichliste ins Netz gestellt hatte.

Demo: "Hier demonstrieren heute nicht die Blockierer und die Sozialromantiker, sondern hier demonstriert das soziale Gewissen des Bundeslandes Hessen! "

45.000 Demonstranten brachte der Protest gegen die Kürzungen im November nach Wiesbaden. Auch wegen einer wenig sensiblen Verteilung der "Grausamkeiten": Während bei Erziehungsberatung, Obdachlosenprojekten, bei Beratungsorganisationen wie dem Landesverband Pro Familia gekürzt wurde, blieb etwa der Landesverband der Vertriebenen außen vor. Außerdem auch etwa der Betreiber der Frankfurter Galopprennbahn. Das wurde zwar revidiert, aber der Eindruck blieb bei manchen hängen:

Demo: "Die Menschen können nicht nachvollziehen, wieso Roland Koch in teure Papierkörbe und Gäule auf Rennbahnen investiert, Frauen, Kinder und Jugendliche alleine lässt! "

Die Kritik an seinem Regierungsstil ist Roland Koch bewusst. Dagegen stellt er das Argument der Berechenbarkeit des Regierungshandelns. Etwa – wieder - im Fall der Privatisierung der Universitätskliniken Gießen – Marburg. In seiner Zwei-Jahres-Bilanz im Frühjahr sagte Koch, er könne Ängste der Mitarbeiter um den Arbeitsplatz verstehen. Es gebe nun einmal die Befürchtung, bei einem privaten Träger gehe es den Mitarbeitern schlechter, auch wenn er das für falsch halte.

Koch: "Aber das hat keinen Sinn, darüber endlos zu diskutieren. Es ist auch in meinen Augen müßig zu glauben, dass Politiker in der Lage sein werden, in einer Projektphase alle Beteiligten davon zu überzeugen, dass das am Ende schon gut wird. Sondern wir haben am Ende nur eine Chance, einen Weg auch gegen Bedenken und Widerstände, wenn wir ihn für richtig halten, einzuschlagen. Durchzuhalten, zu entscheiden. – Ich behaupte mal, es gibt eine große Zahl von Landesregierungen, die bei diesem konkreten Projekt und den Diskussionen, die darüber sind, jeden Morgen erst einmal gucken würden, ob die Landesregierung immer noch bei dem Konzept bleibt, das sie vor einigen Monaten verkündet hat. In Hessen fragt uns das niemand mehr. "

Koch hat unterm Strich Akzente gesetzt, durchgesetzt. Im Bildungsbereich, in der Verkehrspolitik oder im vergleichsweise harten Strafvollzug. Gleichzeitig allerdings – Hessen ist nicht Bayern – hat die Regierung Koch trotz aller Sparanstrengungen mit den Herausforderungen des Haushalts zu kämpfen.

Der Sozialwissenschaftler Hennig sieht im Verhalten der Landesregierung im Vergleich der ersten und zweiten Legislaturperiode ein deutliches Gefälle. Inzwischen allerdings auch wieder ohne die Polarisierung des ersten Jahres.

Hennig: "Die große Strahlkraft, oder ja, der Bann, das Mystische, das Geheimnisvolle, was ja die hessische CDU beansprucht hat, aus einer Schwäche der SPD heraus, das glaub ich ist im Amtsalltag doch verhältnismäßig trivial geworden und schwach. Also die Strahlkraft ist weg. Ich kritisier jetzt zwar auch nicht den großen Konflikt, also den Affront. Aber sozusagen aus dem hohen Anspruch ist ein doch relativ biederer, handwerklicher Alltag geworden. Mit Haushaltsproblemen und mit diesem ganzen Klein-Klein... "

Eine herbe Kritik, die sich auch aus dem fulminanten Start und dem daraus folgenden Anspruch von Partei und Regierung erklären mag. Und auch aus der allgemeinen Schwierigkeit, die eine zweite Legislatur stellt: Die großen Themen wurden zuvor gesetzt, jetzt geht es ums unspektakulärere und undankbarere Abarbeiten. Hinzu kommt die Verschärfung der finanziellen Situation. Allerdings vor dem Hintergrund, dass auch Koch, der nun mit einem konsequenten Sparkurs antritt, in der ersten Legislatur vergleichsweise bereitwillig verteilte.

Keine ganz einfache Ausgangsbasis also für das Ziel nun "Hessenpartei" zu werden. Für einige – etwa auf den Internetseiten von Ortsverbänden der Partei – ist der Anspruch jetzt schon Wirklichkeit. Andere – wie CDU-Generalsekretär Michael Boddenberg schieben die "Hessenpartei" CDU auf das Jahr 2015. Freilich nicht in der Form eines bloßen Mehrheitsanspruches: Der Begriff Hessenpartei ziele vor allem auf die Verankerung im Land.

Boddenberg: "Wir verbinden mit dem Begriff Hessenpartei nicht etwa den Anspruch, Hessen zu vereinnahmen, sondern verbinden mit diesem Begriff eine dringend notwendige Identifikation mit den Themen dieses Landes. Aber wir verbinden mit dem Begriff insbesondere sehr viel Arbeit in der Partei auf allen Ebenen. "

Konkret soll das die Mitgliederwerbung sein, die Förderung des politischen Nachwuchses. Vor allem aber der Auftrag an die Untergliederungen der Partei zu regelmäßiger Einbindung gesellschaftlicher Gruppen – jenseits der CDU:

Boddenberg: "Wir müssen im permanenten Gespräch sein und bleiben mit allen gesellschaftlich relevanten Gruppen. Die Kreisvorstände sind aufgerufen und haben sich auch dazu verpflichtet, jährlich regelmäßig mit Gruppen wie den Vereinen, den Kirchen, den Gewerkschaften, den Arbeitgeberverbänden und anderen mehr vor Ort zu sprechen. "

Für den Generalsekretär der SPD, Norbert Schmitt, sind das Selbstverständlichkeiten, für alle Parteien. Er deutet das Schlagwort von der Hessenpartei so:

Schmitt: "Es war der Versuch, das Land Hessen, das ja wirtschaftsstark ist, wenn auch ein bisschen zurückgefallen ist, das früher sehr finanzstark war, das ne tolle Infrastruktur hat, mit einer Partei, nämlich mit der CDU zu verbinden. Und das ist grandios aus unserer Sicht misslungen. Und das zeigt, dass die Einvernahme einer Partei für ein Land nicht gelingt in diesen Zeiten. Und das ist aus unserer Sicht auch gut so. "

Tatsächlich war Hessen lange Zeit von einer Partei geprägt – von der SPD, weit in die Verbände hinein, mit einer starken regionalen Verwurzelung in ihren Hochburgen. Den langen Weg, den die CDU dabei schon bisher in Hessen gegangen ist, beschreibt der Sozialwissenschaftler Eike Hennig so:

Hennig: "Sie startet in Hessen als eine ganz klare Nachfolgerin der Weimarer Tradition, also des Zentrums, auch mit allen regionalen Schwerpunkten, die dazu gehören – also in Nordhessen gab's außer der katholischen Enklave Fritzlar so gut wie gar nichts für die CDU und ansonsten hatten wir Limburg und Fulda, also die beiden katholischen Bistümer als starke Hochburgen. Und dann in Südhessen, wo die Konfessionslandschaft anders gewesen ist, hatten wir immer auch schon CDU. Das bricht erst in der Tat also ab den 60er Jahren auf, da ist Dregger zu nennen und Wallmann. Also insofern wird die hessische CDU eine sagen wir jetzt mal Volkspartei – wir nennen das Crossover oder Catch-all. Also eine – ja, sozusagen in dem Fall jetzt nicht mehr religionsspezifisch zugeschriebene Partei, gleicht sich an. – In dem Maße, wie die SPD sich abschleift, also wie sie sich sozusagen entwurzelt, wie auch das traditionelle sozialdemokratische Milieu abnimmt, wird die CDU eine gleiche unter den beiden Großparteien. Und dann haben wir oft Dominanz der CDU... "

Eine Dominanz, die teilweise selbst den Landtag erreichte: Schon früher als das bundesweit ins Bewusstsein rückt, war die CDU zeitweise stärkste Fraktion im Landtag. Allerdings stellte sie mangels Koalitionspartner nicht die Regierung – von einer Legislatur unter Führung Walter Wallmanns abgesehen.
Trotz dieser schon seit langem bestehenden Stärken hält Eike Hennig den Begriff der Hessenpartei für parteiensoziologisch überholt.

Hennig: "Die Zeiten, wo eine der beiden Volksparteien, der großen Parteien wirklich dominant war im Land, die Zeiten sind meines Erachtens vorbei. Und von daher würde es sich eigentlich verbieten, einen doch eigentlich sehr umfassenden, hoch beladenen Begriff zu verwenden. Und die Wahlen zeigen uns jetzt – die letzte Bundestags- z.B. zeigt uns – im Grunde genommen haben wir in Hessen eine verkleinerte Basis beider großer Parteien. Gemessen an den Altzeiten ist das also sehr dünn geworden. Und wir haben sozusagen einen offenen Wechsel, der gerade nicht von Hessen abzuhängen schient, sondern doch auch stark von bundespolitischen Trends, von Trendeinschätzungen überhaupt: Also wie soll die Ökonomie gestaltet werden. Und Hessen mischt sich da – also Koch – auch nur als eine Variable ein, aber eben nicht als Hessenpartei. "

Auch Roland Koch beschreibt die Aufgabe der CDU jetzt weit bescheidener als es der große Begriff Hessenpartei vermuten ließe.

Koch: "Da gibt es keine Zeit ohne Baustellen. Denn Wahlkampf, das sehen wir ja wieder, Wähler überzeugen auf der Basis von Regierungsarbeit oder Oppositionsarbeit ist ein permanenter neuer Prozess. Und heute wird sicherlich eine Zeit eher eingeleitet werden, in dem die Erarbeitungsprozesse sehr viel komplizierter werden, weil die Loyalitäten sehr viel kürzer sind in der Zeit. Man entscheidet nicht mehr als junger Mensch: Das wählt man, und man wählt es bis zum Alter. Sondern man wählt von Wahl zu Wahl wieder. "

Eine Außenwirkung, eine Aussage für die Rolle im Bund, soll mit dem Begriff der Hessenpartei nur am Rand verbunden sein, so Generalsekretär Michael Boddenberg:

Boddenberg: "Natürlich verbinden wir mit dem Begriff Hessenpartei durchaus auch die Aussage, dass Hessen ein starkes Land ist, und die hessische CDU eine wichtige Rolle in der CDU Deutschland spielt. Das ist ein weiterer Hintergedanke gewesen bei dieser Überschrift. Aber zunächst einmal geht es uns um die Arbeit nach innen und um die klare Aussage, dass wir uns sehr, sehr nah mit den Themen in diesem Land beschäftigen wollen und müssen. "

Dazu passt, dass Roland Koch selbst im Bund in den vergangenen Monaten, vor der Wahl, weniger als Bundespolitiker, als Mitglied des CDU-Präsidiums aufgetreten ist: Schlagzeilen machte er eher als prominenter Landespolitiker, als Kämpfer für die Eigenstaatlichkeit der Länder im Föderalismus. Wie mit der Klage Hessens gegen eine Bundes-Finanzierung der Förderung von Bachelor- und Masterstudiengängen, die in seinen Augen eine Grenzüberschreitung darstellt. Oder auch als Bundesratspolitiker, wenn er etwa mit dem SPD-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück Kompromissmöglichkeiten im Steuerrecht auslotet. Mag diese Akzentverschiebung weiter in Richtung Landespolitiker nach dem verlorenen Kräftemessen Kochs – und anderer - mit Angela Merkel auch nicht ganz freiwillig gewesen sein – der hessische Wählerforscher Hennig hält sie – bezogen auf die Wirkung im Land Hessen – für positiv.

Hennig: "Wenn er so wahrgenommen wird mit sozusagen heimlichen Stellvertreterpositionen und sich sozusagen auf Bundesebene aufbaut – ich glaube, das bekommt der Landeswertung nicht gut. Also wenn man den Eindruck hat: Der Ministerpräsident ist eigentlich im Land nur auf Absprung und möchte gern woanders hin und braucht das Land nur, um sozusagen seine Position zu haben – das glaube ich bekommt nicht gut. Wenn er aber wahrgenommen wird als jemand: Ja, den hört man, der ist wichtig und er hat das Land sozusagen als Basis – aber dann muss er auch im Land präsent sein – dann, glaube ich, wäre das eine gute Mischung. "

Koch hat sich vor der Wahl im Bund klar als Landespolitiker positioniert. Auf die immer konkreteren Fragen von Journalisten, ob er sich einen Bundestags-Wahlkreis gesichert habe, ob er in einer CDU-geführten Bundesregierung mitwirken wolle, sagte Koch in seiner 2-Jahres-Bilanz:

Koch: "Ich habe eine klare Perspektive für die Landespolitik, und an der Perspektive at sich nichts geändert, und deshalb gibt’s dazu nicht weiter was zu kommentieren. – Ich kandidier nicht zum Bundestag. Also jetzt könnt ihr dann die Fassung nehmen, wie das geordnet ist, ja? – Ja, ja, es gibt sieben Varianten, wie man versuchen kann, mich loszuwerden. Aber ich bleibe hier. "

Auch nach der Wahl wiederholte Koch, er bleibe im Land. Trotzdem: Dass Koch sich am und seit dem Wahlabend oft als erster und mit am häufigsten als Kommentator für das CDU-Präsidium präsentierte, durchweg mit Loyalitätsbekundungen für Angela Merkel, sehen manche als Zeichen einer neuerlichen Verschiebung der Gewichte. Ebensogut kann es aber das Gegenteil sein, eben der derzeitige Verzicht auf Bundes-Ambitionen. Zumal unter einer möglichen Bundeskanzlerin Merkel.

Kochs Wirkung im Land wird sich vielleicht erst bei den nächsten Landtagswahlen in zweieinhalb Jahren erneut messen lassen. Das Projekt Hessenpartei dagegen, die Verankerung der CDU im Land, wird schon im März seinen Testfall erleben. Bei den Kommunalwahlen.