Mandarinenquark und Labskaus für die Seele
Viele ältere Männer haben nie kochen gelernt. Wenn ihre Ehefrau stirbt, sind sie aufgeschmissen. So ging es auch Dieter Wulff. Mittlerweile kocht er mit Begeisterung - und hat sogar an einem Rezeptbuch mitgearbeitet.
"Das muss ein bisschen gerührt werden, sonst könnte es sein, dass es ansetzt. Dann wird das nachher alles schön garniert, damit das richtig appetitlich aussieht – denn das Auge isst ja auch mit."
Man kann es kaum glauben, dass Dieter Wulff schon über 80 sein soll. Er wirkt sportlich, groß und schlank, seine blauen Augen leuchten verschmitzt, während er die rosafarbene Masse aus Corned Beef und Kartoffelpüree in einem kleinen Topf erhitzt.
Er kocht heute Labskaus – ganz traditionell mit Matjes, Roter Bete, Gurken und Spiegeleiern. Labskaus war das Lieblingsgericht seiner Frau Edith. Als sie todkrank wurde, hat er sich hingebungsvoll um sie gekümmert – hat sie gewaschen und eben auch gekocht.
"Das hat mir regelrecht gut getan, weil ich das sehr sehr gerne gemacht habe. Ich habe meine Frau nicht nur liebevoll gepflegt, sondern ich hab mich gefreut: Was machst du denn morgen, dann fiel mir dieses ein und das ein – ach guck, habe ich nicht drauf geachtet, ist zu heiß geworden – anfangs, als ich angefangen habe zu kochen, das war auch lachhaft, da habe ich mir aufgeschrieben – da wird das Gemüse gemacht, auf Schaltung soundso viel, aber jetzt hat man da ein Gespür für, wissen Sie?"
"Ich habe mich nur um das Geldverdienen gekümmert"
Bis es soweit war, musste sich Dieter Wulff erst einmal in die Hausarbeit reinfuchsen. Dieter Wulff war ein echter Macho, sagt er selber von sich – kochen und putzen war einfach nicht seine Baustelle.
"Ich habe mich ja nur um das Geldverdienen gekümmert und war auch nicht für ganz wenig verantwortlich. Hatte schon nen recht ordentlichen Posten und meine Frau hat das Essen gemacht, sich um die Kinder gekümmert, das Essen gemacht."
Ende vergangenen Jahres ist seine Frau Edith gestorben. Kurze Zeit später las er in der lokalen Presse den Aufruf des Lübecker Palliativnetzes Travebogen – ein Zusammenschluss von unter anderem Pflegediensten, Medizinern und Ehrenamtlern, die sich um todkranke Menschen kümmern. Die Einrichtung suchte einfache Rezepte für ein Kochbuch – unter anderem für Witwer. Initiatorin Claudia Sütfeld dachte dabei vor allem an Männer der Nachkriegsgeneration, die – anders als Dieter Wulff völlig überfordert damit sind, zu kochen, wenn die Frau es nicht mehr kann.
"Es ist wirklich entstanden aus den Erzählungen unserer Pflegekräfte, die gekommen sind und gesagt haben: Ich weiß überhaupt nicht, was ich jetzt essen soll, können sie mir nicht mal ein einfaches Rezept aufschreiben?"
Wulff: "Das hat durchaus einen therapeutischen Effekt"
Das Kochbuch eine Sammlung von mehr als 50 einfachen und schnellen Rezepten geworden, die man schnell nachkochen kann – von Eintöpfen wie Chili con Carne über Mandarinenquark bis hin zum Labskaus von Dieter Wulff. Dazu sind die Geschichten hinter den Rezepten und handgeschriebene Notizen der Einsender abgedruckt. "Pudding ist Seelsorge" heißt das Buch, denn schließlich geht es beim Kochen nicht nur darum, satt zu werden.
"Das hat durchaus einen therapeutischen Effekt. Es schmeckt lecker, aber man hat auch etwas getan, man hat sich beschäftigt, man hat sich selbst bewiesen: Man ist nicht stehen geblieben, man ist weitergegangen – und es macht natürlich auch Spaß."
Außerdem ist viel gesünder, selbst zu kochen, als sich von Fast Food und Fertigprodukten zu ernähren, sagt Claudia Sütfeld vom Palliativnetzwerk. Dieter Wulff hat es geholfen, ein gesundes Gewicht zu erreichen, sagt er. Als es seiner Frau so schlecht ging, hatten sich die Ärzte auch um ihn Sorgen gemacht, weil er so dünn war.
"Dieter, sieh zu, dass du nicht unter 80 Kilo kommst, und ich gurkte immer so bei 78 rum. Und seit Anfang dieses Jahres habe ich zugenommen und wiege 83 Kilo – und da bin ich richtig glücklich drüber."
Seine Frau Edith ist jetzt seit etwa einem Dreivierteljahr nicht mehr da. Dieter Wulff kocht nach wie vor leidenschaftlich gern. Für Freunde oder für sich allein.
"Es gibt kein Gericht, das ich nicht so mach, also herstelle. Ich hab mir neulich eine Putenkeule gemacht, das war so ein Kamerad! Da habe ich schon Speck drüber gelegt und die angebraten, damit die schön zart wird, und nicht so trocken – ich hab drei Tage davon gegessen und zwei Tage eingefroren."