Jörg Reuter und Manuela Rehn: "Unser kulinarisches Erbe"
Becker Joest Volk Verlag, 2019
320 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 29,95 Euro
Lebensweisheiten aus Omas Küche
07:32 Minuten
Senioren erinnern sich an ihre Lieblingsgerichte aus der Kindheit: Mit "Unser kulinarisches Erbe" ist aus diesen Gesprächen ein nostalgisches Kochbuch entstanden. "Ein Stück aktive Erinnerungsarbeit" nennt das die Autorin Manuela Rehn.
Wer im Zuge des Corona-Lockdowns die eigene Lust am Kochen wiederentdeckt hat, suchte dabei vielleicht auch in den traditionellen Rezepten aus Großmutters Zeiten nach Inspiration. Schon lange vor der Pandemie haben sich Jörg Reuter und Manuela Rehn auf eine kulinarische Reise durch Deutschland begeben und dabei das Gespräch mit Seniorinnen und Senioren gesucht. An welche Rezepte aus ihrer eigenen Kindheit erinnern diese sich noch besonders gern? Entstanden ist daraus das Kochbuch "Unser kulinarisches Erbe".
Ein Gefühl von Geborgenheit
Mit der Küche ihrer Oma verbindet sie "Heimeligkeit, Wohlfühlen, Umsorgt-Werden - dass es immer gut duftet in der Küche", erzählt Manuela Rehn. Kurz: "ein Geborgenheitsgefühl und Vertrauen." Und dieses nostalgische Gefühl wecken solche Erinnerungen auch bei den befragten Senioren.
Im Buch finden sich zum Teil auch obskure Gerichtenamen: "Das errötete Mädchen", "Knisterfinken" oder auch das "Nonnenfürzle". Dahinter "verbergen sich recht tradtionelle, sehr regionale Gerichte. Oft heißen die im nächsten Dorf schon wieder ganz anders. Die 'Knisterfinken' zum Beispiel sind eine Art Schmalzgebäck, das beim Reinbeißen auch einfach knistert."
Erinnerungen an festliche Sonntagsgerichte
Vegetarier und Veganerinnen haben mit diesem Buch vielleicht eher wenig Freude. Viele Gerichte sind fleischlastig, haben lange Garzeiten. Oft stehen Kartoffeln, Butter und Milch auf der Zutatenliste. Gemüsegerichte sind eher selten. Zu heutigen Essgewohnheiten scheint das eher quer zu stehen - essen wir heute wirklich so anders als früher?
Rehn wägt ab: "Die hohe Zahl an Bratengerichten hat auch damit zu tun, dass dies die Sonntagsgerichte sind, an die sich die Senioren heute noch am liebsten erinnern. Das war was Besonderes. Aber die Realität sah natürlich ganz anders aus. Da wurde viel mit Gemüse gekocht, einfach mangels Verfügbarkeit von Fleisch. Was immer ein bisschen rankam, war, wenn sie denn da war, Butter oder ein Stückchen Speck."
Einen Vorteil in den hier versammelten Rezepten sieht Rehn daher auch darin, dass man die Zutaten oft eh zu Hause hat oder sie sich leicht beschaffen lassen, ohne dass man sie sich in spezialisierten Läden zusammenkaufen müsse. "Das gibt uns in dieser komplexen Welt, in der wir heute leben, auch etwas Vertrautes."
Lebensweisheiten vom Herd
Damals wie heute steht Essen, vor allem wie man es aus seiner Kindheit kennt, für Erinnerungen. Oft reicht schon ein Geruch, um Nostalgie zu wecken. Beim Gespräch mit den Seniorinnen und Senioren habe sie das auch beobachten können, erzählt Rehn. Da seien Erinnerungen "aufgeploppt, die die Senioren fast schon verschütt geglaubt haben. Da kamen ganz viele emotionale Geschichten auf den Tisch, die man sich sonst vielleicht gar nicht erzählt hätte. Das ist aktive Erinnerungsarbeit."
Nicht nur an zahlreiche Tipps und Kniffe erinnerten sich die Senioren dabei - etwa dass man eine gute Mehlschwitze immer so lange rühren muss, bis sie braun wird, und dass man ein Ei an fast alles rangeben kann. Sondern auch Lebensweisheiten, etwa "dass man nie besser als die eigene Schwiegermutter kochen soll."
Gemeinsames Schnippeln im Seniorenheim
Sollte man die Senioren in den Heimen also einfach häufiger wieder selbst an den Herd lassen? In einigen Heimen sei dies tatsächlich schon der Fall, sagt Rehn. Es komme allerdings auf die Ausstattung an. Nicht jede Einrichtung sei darauf ausgelegt.
Ein Koch aber habe tatsächlich "eine Schnippelgruppe ins Leben gerufen. Der lässt die Senioren das Gemüse vorschnippeln. So finden sich in fast allen Einrichtungen Möglichkeiten, wie man das integrieren kann."