Mischmasch in den Töpfen
Die eine israelische Küche gibt es sowieso nicht. Stattdessen ist eine kulinarische Erkundung Israels auch ein Blick in viele andere Kulturen: armenische Brotsorten, marokkanische Pasten, italienische und griechische Fleisch- und Fischgerichte.
"Okay Guys, we start here…we are on the Rothschild Boulevard right now... this is the Champs Elysées, the 5thAvenue of Tel Aviv..."
Kann ein Tag besser beginnen als hier, am Rothschild-Boulevard? In der Mitte des Boulevards Palmen, Kaffeehäuschen und Denk-mäler, rechts und links davon Bistros, Restaurants, nun weit offen, es ist 9:00 Uhr Tel Aviver Ortszeit, Frühstück. Der Rothschild-Boulevard führt vom Trendviertel Neve Zdedek vorbei am Nationaltheater Habimah und ist vor allem Architekturinteressierten durch dessen 3500 weißen Bauhaus-Häusern bekannt. Die „weiße Stadt“, die von jüdischen Architekten in den 1930er Jahren erbaut wurde, zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Doch zum Schauen ist keine Zeit. Avi, der junge israelische Guide, drängt:
"(...) we going to meet Tom Franz eleven o clock."
Der Carmel Market ist Tel Avivs größter Obst-und Gemüsemarkt, fast 100 Jahre alt. Viele der dicht an dicht stehenden Bäckereien, Gemüse-, Obstläden, Käsegeschäfte und Imbisse werden in der dritten Generation geführt. Israel zeigt sich am Shuk Ha`Carmel von seiner orientalischen Seite. Am Marktanfang dann ein Hüne, fast 2 Meter groß, mit breitem Lächeln und offenen Armen: der aus Erfstadt bei Köln stammende Tom Franz.
Jüdischer Masterchef
Tom, von Beruf her Jurist, wanderte 2004 nach Israel aus, und konvertierte zum Judentum. Die Juristerei war so richtig nicht seine Sache, darum wurde aus seiner Leidenschaft, dem Essen, hier nicht nur der zweite Beruf, sondern eine Passion.
"Ich bin bekannt als Masterchef, und mache seit zwei Jahren alles, was mit Kulinarik zu tun hat, und der kulinarischen Brücke zwischen Deutschland und Israel."
Weil Kochshows wie überall weltweit auch im israelischen Fernse-hen boomen, bewarb sich Tom 2013 beim „Masterchef“-Wettbewerb, eine Art „Israel sucht den Superkoch-Show“.
"(...)ja, und dann bin ich Masterchef von Israel geworden.(…)"
Die daraus entstandene Bekanntheit macht es schwer, mit Tom Franz inkognito durch die Gassen zu laufen. Doch Tom lächelt sich frei, und zeigt, erklärt...
"(…)Alles kommt hier zusammen. Beispiel: hier ist ein Süßwarenladen, hier gibt’s
Obst, und daneben gibt es Strumpfhosen und dahinter ist eine Bar. (…) und hier gibt es eigentlich alles, was die Weltküche zu bieten hat. Hier sind so viele Nationen zusammen gekommen, über 60 Nationen leben hier, Menschen, die hierher gekommen sind in den letzten 100 Jahren, und die haben zum Einen ihre Küchen, also ihre Rezepte mitgebracht, und auch ihre Produkte zum Teil, weil die Nachfrage da war. Alles wird hier angeboten, was jede einzelne Küche braucht. (…)"
Auf dem „Carmel-Market“ kaufen Köche namhafter Restaurants ebenso ein wie Hausfrauen. Neben den Einkäufen werden Boure-kas genascht, Backwaren mit Käse, Tomaten oder Spinat gefüllt, und natürlich Falafel und Shawarma. Überall gibt es Nüsse und Trockengemüse, oft mit orientalischen Gewürzen wie Kardamon, Kreuzkümmel, Paprika, Rosmarin, Zimt und Anis durchmischt.
"Hier habe ich ein paar besondere Sachen gekauft, die man so in der Form (...) in Deutschland nicht bekommt, oder ich kenne das so nicht. (...) Hier sind gesalzene geröstete Mandeln, aber in der Schale geröstet und gesalzen, ganz wunderbar. Ich habe kandierte Pekanüsse geholt, die in Honig geröstet sind, ich habe Medjool Datteln geholt, die sind ganz frisch von den Palmen gepflückt worden, und wenn ich mich nicht irre, sind die aus dem Negev, aus der Wüste, eine unglaubliche Süße, die haben den Sommer der ganzen Wüste in sich, und ich habe getrocknete Tomaten geholt… ordentlich zugreifen, nicht nur eines nehmen..."
Ganz toller Fisch
Die köstlichen Tomaten und Nüsse kauend geht es weiter. Vor Tel Aviv ist das Mittelmeer fußläufig nah, darum verwundern die vielen Fische hier nicht.
"(...) wir haben ganz ganz tollen Fisch hier. Einerseits, wir haben das Mittelmeer vor der Tür, woher Fische kommen. Wir haben den See Genezareth, woher tolle Fische kommen. Heute werden sogar in der Wüste Fische gezüchtet, unglaublich (...)"
Die Fische für den berühmten „gefillten Fisch“ - für viele die jüdische Speise schlechthin – kommen in Tel Aviv von hier. „Gefillter Fisch“, eine Art gekochte Fischfrikadelle, wird an Schabbat und an Feiertagen wie Rosh Hashanah - dem jüdischen Neujahrsfest - oft als Vorspeise gegessen. Und vielleicht hier, am Beispiel des “gefillten Fisch“ wird deutlich, dass Religion hier mehr als anderswo auch durch den Magen geht.
"Es gibt eine religiöse Vorschrift, die am Schabbat einzuhalten ist, und die heißt, eine Ausformung davon, dass man aus einem Stück Fisch keine Gräten entfernen darf. Das hat zur Folge, dass man einerseits gerne Fisch isst, der wenig Gräten hat, und die meisten haben Gräten, und auf der anderen Seite haben sich daraus Gerichte entwickelt, wie zum Beispiel der „gefillte Fisch“, der überhaupt keine Gräten mehr hat und der durch den Fleischwolf gedreht worden ist, so dass man also dieses Problem der Gräten nicht hat. Also das ist ganz interessant, religiöse Vorschriften haben eine bestimmte Ausformung auf Gerichte gehabt und nicht nur, was man überhaupt essen darf und was nicht, sondern auf die Gerichte selber."
Jetzt biegt Tom rechts ab in eine kleine Gasse. Wenige Schritte, dann bleibt er vor einem fast unscheinbaren Restaurant stehen. Und lächelt...
"(...) hier am „Carmel-Market“ gibt es im jemenitischen Viertel einige Hummus-Restaurants, wo ich mit am liebsten Hummus in Israel esse. Das ist ein Restaurant, da wird jeden Tag, außer am Schabbat, Hummus gemacht, nichts anderes. (…) wenn ich mich nicht täusche, seit über 70 Jahren. Kein Mensch, und sei er auch noch so reich, kann einen besseren Hummus bekommen als da. Und der einfacher Straßenarbeiter geht da hin und isst seinen Hummus, und neben ihm sitzt ein Diamantenhändler oder ein reicher Anwalt, und der bekommt kein bisschen anderen, leckeren Hummus oder irgendwie anders serviert im gleichen Plastikgeschirr, und ja, alle sind zufrieden. Und das finde ich so toll an Hummus oder Falafel. Es ist so das gleiche wie Coca Cola. Selbst der Penner auf der Straße trinkt die gleiche Coca Cola wie Bill Gates."
In Israel, sagt Tom, gibt es etliche Hummusarten. Und man isst hier Hummus nicht nur mit dem Brot, der Pita oder dem jemenitischen Brot, Sallup, man wischt damit den Teller ab.
"Man sagt auch so in der Umgangssprache: “soll man Hummus aufwischen gehen“. (…) und das ist das größte Kompliment an den Chef hier, wenn Du am Schluss mit dem Brot den Hummus aufwischt und den Teller sauber machst. Sagt mehr als ein Stern."
"Also ich sag mal so, den Hummus kann man einerseits so essen mit Zitrone, die kann man so darüber auspressen. Zwiebeln, es gibt Leute, die essen den Hummus gern mit Zwiebeln, wer härter drauf ist, die bekommen ja auch die großen Chilischoten. Die essen die so weg, so wie Du vielleicht ne Gurke essen würdest. (...) Das hier ist einmal Hummus mit Fuul, einem gekochten Ei und einmal Hummus mit Trina, Trina ist angemachtes Tahini, Tahini ist der Rohstoff, hier heißt es Trina, also gemahlenes Sesam, (…) Und hier ist Massalachwa, das ist Hummus zusätzlich mit gekochten Kichererbsen (...) "
Hummus wie anderswo
"Ich kann nicht behaupten, das Hummus hier anders gemacht wird als woanders. Die Zutaten sind alle gleich. Es ist Kichererbsen, es ist Tahini, Wasser, Knoblauch, Salz und vielleicht hier noch einen Zitronensaft und ein paar Gewürze. Es ist die Erfahrung, es ist ein Gericht, was man oft machen muss, verstehen muss, um es richtig zu machen. Und die Leute hier haben es drauf."
Klar wird: die „Kashrut“, die jüdischen Essens-Reinheitsgebote, bestimmen heute wie seit Jahrtausenden das tägliche Mahl. Daher wird man kaum Schweinefleisch auf dem Carmel-Market finden. Dafür aber viel Geflügel. Und fragt man nach dem typischen israelischen Gericht, so hört man oft: alles zusammen, Fisch, Fleisch, Gewürze, Gemüse, Obst und Kräuter in den unendlichen Kochvariationen der vielen Einwanderer ergibt DAS israelische Essen. Dafür gibt es ein schönes jüdisches Wort: Mischmasch.
Ein Beispiel für den kulinarischen Mischmasch ist Knaffeeh, eine Süßigkeit, die am Ende des Carmel-Market angeboten wird. Avi, der junge israelische Guide, bittet in den Imbiss hinein und erklärt.
"Das wird aus Ziegenkäse gemacht mit Zucker. Manche machen es so, und andere manche so. Einer gibt Geranienblätter hinein, ein anderer Karottenraspeln mit Rosen-wasser oder Rosenöl, jeder macht es anders. Und wieder andere streuen Pistazien-raspel darüber. Klar ist, man kann überall in Israel ein gutes Knaffeh bekommen. Eigentlich stammt es aus der Türkei, und ist ursprünglich eine muslimische Speise."
Und als nach der Kuchengabel gesucht wird...
„Guys, eat with your Hands, this is Israel...”