Kochkunst

Einfach, aber perfekt

Küchenchef Thomas Bühner steht am 07.11.2011 in seinem Restaurant "La Vie" in Osnabrück. Der Koch wurde mit dem dritten Michelin-Stern ausgezeichnet. Damit gehört seine Gaststätte zu den besten der Welt.
Den Ausdruck "Arme-Leute-Speise" kann Spitzenkoch Thomas Bühner nicht leiden. © picture alliance / dpa / Friso Gentsch dpa
Von Alexander Budde |
Mit seinen drei Michelin-Sterne zählt das "La Vie" in Osnabrück zu den besten der Welt. Inhaber Thomas Bühner setzt nicht nur auf exotische Kreationen, sondern tüftelt auch mal bis zur Perfektion an einem Hühnerfrikassee. Manchmal fehlen ihm aber für traditionelle Gerichte die Zutaten.
An diesem Spätsommertag in Osnabrück steht Thomas Bühner ganz entspannt im Trubel seiner Küche, lässt sich in die Töpfe schauen. Der hochgewachsene Westfale ist eine sportliche Erscheinung, weißes Hemd, Jeans, Turnschuhe. Bühner schaut zu, wie sein Souschef auf der beheizten Anrichte eine Bolognese, satt orange, mit Hummerfleisch dekoriert. Auf einer Marmorplatte trocknen Fenchel, Sellerie und eine tintenschwarze Paste.
Bühner: "Wir machen gerade ein neues Hummergericht. Und dazu brauchen wir Sepia-Paste. Die ist praktisch gemacht aus der Tinte vom Tintenfisch …"
… freut sich Bühner über den fragenden Blick des Reporters. Auch viele Zutaten sind weit gereist, bevor sie dem Sternekoch und seiner vielköpfigen Küchen-Crew unter die Messer gerieten.
"Wir haben Fische aus Frankreich, aus der Bretagne, weil es da sehr gute Qualitäten gibt. Bison aus Kanada . Aber da wo es Sinn macht, kommt es eben auch hier aus der Ecke. Weil ein Blumenkohl wird nicht besser, wenn er einmal um die Welt fliegt. Wir haben hervorragenden Spargel, tolle Beeren. Die Pilze sammelt gerade einer für uns. Die Milch kaufen wir von einem Bauern."
Bühner mag die deftige regionale Kost
Als stolzer Westfale ist Bühner mit den Zumutungen der regionalen Küche vertraut. Ihm schmeckt Möpkenbrot, eine Blutwurst-Spezialität im Osnabrücker Land, mit reichlich Speck und Schwarte vom Schwein. Oder Töttchen: Ein Restessen aus Innereien wie Lunge, Herz und Hirn. Das gekochte Kalbfleisch badet in einer Zwiebel-Senf-Sauce. Zum Nachtisch werden im Münsterland Struwen aufgetischt: pralle Hefepfannkuchen.
"Das sind ja sehr deftige Gerichte! Das war hier schon eine von Arbeit geprägte Region. Das sieht man auch an den Gerichten. Das ist heute manchmal schwer umzusetzen - auch für uns. Ich mag das zwar, aber wenn jemand zu uns kommt, dann möchte er gern etwas ganz Besonders erleben. Wo ich dann ehrlich sage: ein Gericht, das jeder beherrscht, das gibt es. Das brauche ich nicht machen!"
In der Küche des "La Vie" faltet ein Mitarbeiter geduldig Avocado-Röllchen, mit einem Tartar von Langoustine und Taschenkrebs. Nudeln und Algen liegen bereit. Bühner prüft die Temperatur vom Wasserbad, genau 65 Grad zeigt das Thermostat. Zu lange Garzeiten, zu hohe Temperaturen: für den preisgekrönten Küchenchef sind das die kulinarischen Kardinalfehler. Präzision ist alles, sagt Bühner und schiebt sich eine blonde Strähne aus dem schmalen Gesicht. Seine Philosophie:
"Es gibt meiner Meinung nach keine schlechten Produkte. Es gibt schlechte Zubereitungen für Produkte! Die Kunst eines Koches muss sein, eben aus jedem Grundprodukt etwas Leckeres machen zu können."
Wochenlanges Grübeln und Probieren fürs passende Rezept
Es gibt Speisen mit Lokalkolorit, die sind auch für Bühner eine Herausforderung. Der norddeutsche Labskaus zum Beispiel, ein Fleischgericht mit langer maritimer Tradition.
"Da kann man hervorragende Rote Beete, tolle Kartoffeln und sicher auch besseren oder schlechteren Hering nehmen. Aber was soll ich da wirklich anders dran machen? Und dass es bei so vielen Leuten mit schlechten Erinnerungen besetzt ist – da kämpft man ja auch noch gegen an!"
Den Begriff "Arme-Leute-Speise" kann Bühner jedoch nicht leiden. Auch im "La Vie" experimentieren sie gern mit vermeintlicher Armenspeise und sogenannter Hausmannskost. Ein Hühnerfrikassee stand hier zuletzt auf der Karte, jedoch besonders sanft gegart und dekoriert mit frittiertem Wildreis und einer Erbsencreme. Es kann vorkommen, dass Bühner und seine Leute vier bis fünf Wochen grübeln und solange ausprobieren, bis alle im Team mit der Kreation zufrieden sind.
"Jeder, der schon mal ein Frikassee gemacht hat, weiß, das Huhn wird gekocht. Man hat eine Menge Brühe und das Huhn. Aber der Geschmack verdoppelt sich ja nicht: Entweder schmeckt die Brühe gut oder das Huhn gut. Wir haben für jedes Teil, die Haut, die Flügel, die Keulen, die Brüste, die Innereien, optimale Zubereitungen gesucht. Am Ende ist ein sehr kompliziertes Gericht entstanden."
Lammschwanz vergeblich gesucht
Eine weitere Herausforderung für den ganzheitlich denkenden Sternekoch: Viele Zutaten volkstümlicher Gerichte sind heutzutage kaum mehr aufzutreiben. Einem bösen Zeitgeist folgend, fordert der gewöhnliche Verbraucher das Filet. Dabei besteht zum Beispiel ein Lamm aus vielen weiteren essbaren Körperteilen:
"Allein die Suche nach dem Lammschwanz hat Wochen gedauert. Weil hier die meisten Lämmer kupiert werden, wenn sie auf die Welt kommen. Also mussten wir den aus Spanien besorgen."
Es duftet schon verführerisch. Doch freundlich geleitet Bühner den Gast aus seiner Küche. Er denke nämlich stets an den nächsten Service, sagt er. Drei Sterne zieren das "La vie". Die muss er sich an jedem Abend neu verdienen.
"Hohe Auszeichnungen ziehen hohe Erwartungen nach sich. Wir versuchen ein spannendes Menü zu kreieren, das geprägt von Geschmack ist - und nicht von der Präsentation. Es geht in der Regel darum, möglichst viel Eigengeschmack zu erhalten und das besonders zu kombinieren. Das ist dann wirklich große Oper!"
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