Kocku von Stuckrad: "Die Seele im 20. Jahrhundert: Eine Kulturgeschichte"
Wilhelm Fink Verlag, München 2019
279 Seiten Seiten, 29,90 EUR
Ein Potpourri der Seelenvorstellungen
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Die "Seele" - ein schillernder Begriff. Welche Rolle er im 20. Jahrhundert gespielt hat, versucht der Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad in einem neuen Buch zu zeigen. Leider bietet er statt kritischer Kulturgeschichte eine bloße Auflistung.
"Spricht die Seele, so spricht, ach! Schon die Seele nicht mehr" - Schillers berühmter Stoßseufzer taucht in dieser Kulturgeschichte des Groninger Religionswissenschaftlers gar nicht erst auf, obwohl es im Buch genau darum geht: Wie und woran macht man diesen Allerweltsbegriff dingfest? Ist die Seele überhaupt ein Ding oder ein Wesen mit bestimmten Eigenschaften und wenn, wie und wo finden wir sie?
Von der Antike bis zur modernen Psychologie
Kocku von Stuckrad antwortet darauf mit einer Rekonstruktion der jeweils kulturspezifischen Bedeutungsfelder. Der berühmte Dualismus (Körper und Geist) setzt ja schon im antiken Griechenland ein, spätestens bei Platons These der "menschliche[n] Seele als Abbild der kosmischen Seele", die unabhängig sei vom Körper – ein Leitmotiv der abendländischen Geschichte bis zu Descartes und der Naturphilosophie der Romantik.
Die Lehre schlug Wurzeln auch in christlichen Varianten, wie bei Thomas von Aquin und seiner Zwei-Seelen-Lehre: eine angeborene, die sich der Mensch mit Tieren und Pflanzen teile, und eine göttliche, die ihm mit der Taufe eingehaucht werde.
Hauptsächlich im religiösen und spirituellen Diskurs überlebte der Seelenbegriff, blieb aber auch im Alltagsverständnis und in den Wissenschaften gegenwärtig. Als sich die professionelle Psychologie im 19. Jahrhundert herausbildete, hantierte sie teilweise durchaus noch damit, obwohl die Definitionen wild durcheinandergingen und die Grenzen zu "Geist", "Bewusstsein", "Innenleben" verschwammen.
Irritierende Schwerpunktsetzung
Schon bei dieser Evolutionsgeschichte verwundert eine gewisse Willkür in der Auswahl der Protagonisten: Vor allem C.G. Jung erhält breiten Raum, wie in der Folge die Varianten der sogenannten "transpersonalen Psychologie", die sich eben all den Aspekten widmet, die über das Individuum hinausgehen: New-Age-Philosophien, Gaia-Lehren, Schamanismus, Mystik und 1001 Moden der "Spiritualität"; sogar die Quantenphysik wird bemüht, ohne das klar wird, wie alles mit der Seele zusammenhängen soll.
Solche 'ganzheitlichen' Denkschulen nehmen dann auch einen großen Teil des Buches ein – eigentlich legitim, denn hauptsächlich in diesen Bereichen überleben ja Vorstellungen von der "Seele". Nur mag Stuckrad nicht so recht das bloß Beschwörende, Raunende und Mystifizierende dieser Lehren demaskieren, sondern verweist gern auf den Seelenbegriff als Scharnier im Verhältnis Mensch-Natur/-Kosmos.
Es fehlt die Selbstreflexion
Dennoch bleibt sein Text eine beschreibende Liste, mit vielen redundanten Passagen, die durchweg vermissen lassen, was eben eine historische Rekonstruktion ausmacht: die Selbstreflexion. Dem aber steht fast durchweg die ideologische Abschottung solcher Lehren im Wege, und auch der Autor deutet kaum den Willen an, den jeweiligen sozialen Stellenwert, die Funktionsweisen und -folgen zu thematisieren.
Eine wissenssoziologische Perspektive, auch eine Prise philosophischer Anthropologie und Metapsychologie, hätten der "Diskursgeschichte" gutgetan – so aber bleibt ein nur aus willkürlichen Bruchstücken zusammengesetztes kulturgeschichtliches Potpourri.