Köln-Deutz

Streit um Wohnungsbau auf altem Industriegelände

Großbastell in Köln Deutz
Großbaustelle an der Kölnmesse in Deutz im Mai 2018. © imago/Future Image/Christoph Hardt
Von Matthias Hennies |
Über Jahrzehnte prägten Industriebauten die rechte Rheinseite von Köln. An den ehemaligen Werksstandorten sollen jetzt dringend benötigte Wohnungen entstehen. Doch wie viel von der historischen Substanz soll erhalten bleiben?
Dieser Sound hat Weltgeschichte gemacht. Es ist das Laufgeräusch des ersten Viertaktmotors – der "Verbrennungskraftmaschine", mit der die weltweite Motorisierung begann. Sie steht im Motorenmuseum der Deutz AG in Köln-Porz. Erfunden hat sie Nicolaus August Otto, hier in Köln am Rhein. Von Beruf war Otto Kaufmann, berufen aber zum Erfinder. Ende des 19. Jahrhunderts, in der heißen Phase der deutschen Industrialisierung, gründete er im damals noch selbständigen Deutz, auf der Rheinseite gegenüber dem Dom, eine Motorenfabrik. Heutige Adresse: Deutz-Mülheimer Straße Nr. 147-49.
"Es gab hier einen Kern, eine Urzelle, die 1869 gegründet wurde, eine relativ kleine Halle, die auch nicht mehr steht, die ist 1872 erweitert worden durch einen sehr berühmten Mitwirkenden, nämlich Gottlieb Daimler. Gottlieb Daimler ist mit seinem Kollegen Wilhelm Maybach hier hergekommen, um zunächst mal die Gießerei einzurichten."
Daimler und Maybach sind Legenden der Automobilgeschichte, aber dazu wurden sie erst später, berichtet der Industrie-Denkmalpfleger Walter Buschmann. Otto schuf die Voraussetzungen dafür. 1876 gelang ihm hier in seiner Motorenfabrik der entscheidende Schritt: Er konstruierte den ersten Verbrennungsmotor, der dauerhaft gleichmäßig lief. Effizienter und kompakter als die bisher alles beherrschende Dampfmaschine, setzte sich der "Otto-Motor" durch: erst als stationärer Antrieb für Maschinen in Handwerk und Industrie und nach der Weiterentwicklung durch Daimler auch als Motor für Personen- und Lastkraftwagen. Der Erfinder Nicolas August Otto und sein Geschäftspartner Eugen Langen bauten die Kölner Motorenfabrik zu einer großen Industrieanlage aus.

Firma "Klöckner-Humboldt-Deutz" wurde einst weltbekannt

Unter dem Namen "Klöckner-Humboldt-Deutz" wurde die Firma im 20. Jahrhundert weltweit bekannt. Heute produziert die Deutz AG jedoch in Köln-Porz und die historischen Bauten an der Deutz-Mülheimer Straße stehen seit langem leer. In den seit langem verlassenen Produktionshallen erzeugen die stählernen Trägergerüste ihre eigene, gespenstische Geräuschkulisse.
"Hier könnte man ne Oper schreiben, wenn man das über die Jahreszeiten aufnehmen würde, mikrofonieren würde, dieses Haus: die vier Jahreszeiten. Man hört das dann tatsächlich unterschiedlich, der Wind, aber natürlich auch Tiere, Vögel, die hier dann auch nisten, wenn’s mehr regnet, wenn der Schnee darauf liegt…"
Die Künstler Marc Leßle und Anja Kolacek arbeiten hier seit Jahren, erkunden das Gelände, erschließen die historischen Schichten von über einem Jahrhundert industrieller Nutzung.
Die schmutzüberkrusteten Glasdächer lassen nur noch wenig Licht durch. Im Boden tückische Löcher, mit Brettern notdürftig überdeckt. Wasserlachen, Gummischläuche, Metallklumpen. Buschwerk sprießt aus dem Beton. Dann klafft ein Kellerloch, unten sind Schienen verlegt, Fundamente auf überdimensionierten Stoßdämpfern gelagert. Rätselhafter Schrott des Industriezeitalters. Walter Buschmann erläutert:
"Das ist die Gießerei über viele Jahrzehnte gewesen, als Daimler hier anfing, baute er Kupolöfen, das sind kleine Schachtöfen ähnlich wie ein Hochofen und es kommt dann, wenn der Ofen eine gewisse Zeit gebrannt hat, unten das Gusseisen heraus. Und dann wurde das flüssige Gusseisen in großen Gießpfannen mit einem Kran transportiert und dann zu den Formen gebracht, in denen die Motorblöcke gegossen wurden."


Denkmalpfleger Buschmann hat die Werkshistorie wissenschaftlich aufgearbeitet. Leßle und Kolacek erschließen die Motorenfabrik mit ihren eigenen Methoden. Sie machen Geschichte mit sinnlich inszenierten Installationen erfahrbar, kombinieren, was zurückgeblieben ist mit eigenen Kreationen: In einer schwarz gestrichenen Werkshalle plätschert ein Wasserfall vor einer Buchsbaumhecke, in einem Kellergeschoss wartet ein Matratzenlager. Eine Schmiede, Schmutzspuren an den Wänden, eine grün gestrichene Kranbahn unter der Decke, nennt Anja Kolacek ihren Lieblingsraum.
"Wenn Zeitzeugen hier reinkommen und diesen Geruch riechen, sagen sie: Hier bin ich zuhause. Und sprudeln die Erinnerungen aus dem Kopf raus. Durch die Erinnerung dieses Geruches kriegst Du Geschichten spontan, die sie sich nicht im Kopf zurecht gelegt haben, sondern du hast ein ganz tolles Ding, diese Erinnerungen herauszuholen. Da hast du dieses alte Telefon mit dieser Drehscheibe, nebendran noch diese ganzen Telefonnummern – ich würde es ja auch komplett so lassen."

Wie viele historische Gebäude werden bleiben?

Das ist die brisante Frage: Wie viel Patina, wie viel originale Einrichtung, ja wie viele Gebäude werden von Nicolaus August Ottos Motorenfabrik bleiben? Köln braucht dringend mehr Wohnraum, daher soll auf dem Werksgelände das "Otto-Langen-Quartier" entstehen, benannt nach den beiden Pionieren der Motorisierung. Kolacek und Leßle würden dieses Viertel gern mit einer künstlerischen Herangehensweise entwickeln. Dies wäre der Ort, meint Marc Leßle, um eine Utopie zu erproben.
"Hier ist die Moderne entstanden 1869, hier wurde der Verbrennungsmotor erfunden, hat die Dampfmaschine abgelöst. Mit dem Verbrennungsmotor, in einer Umwandlung, fliegt man heute zum Mond. Und ich glaube, man muss sich die Zeit nehmen, auch wenn jetzt schon ein paar Architekten dran waren, die hier so Dinge reinmachen, Blockbauweise, ein Hochhaus, und sagen, die Gießerei kann nicht erhalten werden und hier muss ein Park hin – ich glaube, hier sollte man mal anders denken und überlegen, wie kann man einen Stadtteil, der in die Zukunft denkt aus der Erinnerung heraus, gestalten: ein Reallabor für soziales Zusammenleben."


Wenn Anne Luise Müller, die Leiterin des Kölner Stadtplanungsamts, über das neue Quartier spricht, den Kern des riesigen, aufgegebenen Industriegebietes am östlichen Rheinufer, klingt das etwas anders:
"Das Otto-Langen-Quartier ist ja Teil eines gesamten Konzeptes im Mülheimer Süden, in dem wir die unterschiedlichen Grundstückseigentümer zusammengebracht haben mit dem Ziel, ein urbanes, gemischtes Quartier zu entwickeln."
Unstrittig war bei der Planung von Anfang an, dass die Gebäude erhalten bleiben, die unter Denkmalschutz stehen: insbesondere die imposanten Backsteinfronten an der Deutz-Mülheimer-Straße und die außergewöhnliche, in Jugendstil-Formen gestaltete Werkshalle des Architekten Bruno Möhring. Reicht das, um den Charakter eines Industriewerks zu bewahren, das Technik- und Wirtschaftsgeschichte grundlegend verändert hat? Nein, sagen renommierte Denkmalschützer – und die Kölner Politik hat auf ihren Protest reagiert:
"Die Akteure, die das Thema Industriekultur besonders berücksichtigt haben wollten, mit denen haben wir die einzelnen Gebäude noch mal betrachtet, es sind keine Denkmäler, aber sie sind so interessant, das man sie durchaus weiterentwickeln sollte und deshalb haben wir in diesem überarbeiteten Konzept die Strukturen großenteils mit aufnehmen können."
Helmut Leube (Vorstandsvorsitzender Deutz AG) 2009 an einer Büste von Nikolaus A. Otto in Köln
Helmut Leube (Vorstandsvorsitzender Deutz AG) 2009 an einer Büste von Nikolaus A. Otto in Köln© imago/Sven Simon

Ehemalige Hallen für den Motorenbau sollen stehen bleiben

Nun sollen auch ehemalige Hallen für den Motorenbau und die Gießerei stehen bleiben. Sie eignen sich nicht für Wohnungen, aber dort können Betriebe einziehen, die weder Lärm machen noch Schadstoffe freisetzen und mit den neuen Häusern, Schulen und Kindertagesstätten harmonieren: Architektenbüros vielleicht, Messebauer, Designer, Mediengestalter. Sie werden die historischen, schlecht isolierten Stahlfachwerkbauten mit ihren Eisensprossenfenstern und Sheddächern aber umbauen müssen. Anne Luise Müller betont:
"Dass Fensterausschnitte andere sein müssen, ergänzende sein müssen, dass vielleicht auch die Hallenhöhen noch durch andere Decken oder eingestellte kleinere Kuben – das wissen wir ja heute noch nicht, weil das eine Frage des Nutzers ist, wie er diese Hallen umgestaltet, oder ob er sie als großflächige Räume weiter nutzen kann."
Die korrigierte Planung wird jetzt in einen detaillierten Bebauungsplan umgesetzt. Danach, voraussichtlich im Jahr 2019, wird das Gelände an Investoren verkauft werden. Wenn diese Lösung Bestand hat und nicht mehr verwässert wird, wäre Denkmalpfleger Buschmann, einer der Initiatoren des Protests, zufrieden. Er meint: Die historische Gebäudesubstanz kann man trotz der unvermeidlichen Umbauten bewahren:
"Wenn es die richtigen Investoren sind und die richtigen Architekten, bin ich da guter Dinge, dass man viel vom Charakter, von der Patina und den Nutzungsspuren, die es hier noch gibt, rüberbringen kann. Ein sehr gutes Beispiel ist das E-Werk, das ehemalige städtische Kraftwerk der Stadt Mülheim, das sehr gut substanz-orientiert umgebaut wurde."
Marc Leßle wird die Schiebetür der Gießereihalle dann endgültig schließen müssen. Die faszinierende Industrieruine, das Spielfeld der Sinne, wird der Realität des Wohnungsmangels und der Macht des Marktes weichen. Die beiden Künstler werden kaum eine Chance haben, die Utopie eines "Stadtlabors" zu verwirklichen. Sie arbeiten aber daraufhin, auch ihren Ansatz in die Gestaltung des Geländes einbringen zu können. Und Nicolaus August Ottos Erfindung wird dann hoffentlich einen angemessenen Platz im Kölner Stadtgedächtnis finden.
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