Kölnberg - Hölle oder Paradies?
Sozialer Brennpunkt, Ghetto, Slum - mit diesen Etiketten bringen die meisten Kölner die Hochhaussiedlung in Meschenich in Verbindung, im äußersten Südwesten der Stadt. Es gibt Lieferanten und Taxifahrer, die sagen, dass sie dort nicht hinfahren, sobald sie die Adresse hören.
Arbeitgeber wissen auch Bescheid, wenn sie eine Bewerbung mit dem Absender "An der Fuhr" bekommen. Die Adresse als Stigma. Wer die Ausfallstraße Richtung Südwesten nimmt, sieht die Siedlung zwischen Gemüsefeldern auftauchen. Und dann wird Gas gegeben, denn wer nicht muss, setzt dort freiwillig keinen Fuß rein.
Kommissar Lotterer: "Hallo, macht mal die Tür auf, hier ist die Polizei!"
Zwei junge Frauen aus dem Drogenmilieu leben hinter dieser Tür, der einen von ihnen soll ein Haftbefehl ausgehändigt werden. Polizeikommissar Lotterer hält sein Ohr an die Tür, doch in der Wohnung regt sich nichts. Nun könnten die Beamten das Schloss aufbrechen. Sie verzichten darauf, weil sie sicher sind, dass die Gesuchte zurückkehren wird.
Kommissar Klaar: "Der Kölnberg fesselt die Leute. Die können sich hier selten lösen, weil die ganzen sozialen Bindungen sind halt hier. Die kämen woanders nie klar. Viele schaffen es kurzfristig, finden woanders keine soziale Anbindung und sind schon kurze Zeit später wieder hier."
Es klingt merkwürdig, Kommissar Klaar in diesem labyrinthischen Flur im 23. Stock von sozialen Bindungen reden zu hören, die es hier geben soll. Das ist kein Ort, an dem sich Unbekannte grüßen. Ein kurzes Zunicken am Aufzug ist hier schon viel. Die türkische Familie nebenan jedenfalls will die gesuchte Nachbarin noch nie gesehen haben.
Kommissar Klaar: "Wenn Sie versuchen, hier die Tür aufzubrechen, dann wird kaum der Nachbar aus der Tür gucken. Das haben wir schon oft gehabt. Da fragt man sich, hier ist eine Tür eingetreten worden, die sieht so zerstört aus, das muss einen Riesen-Krach gemacht haben. Aber es kümmert sich wirklich keiner um den anderen."
Lotterer: "Das sind ja verschiedene Kulturen. Türkische Kultur, das ist der größte Bevölkerungsanteil hier, dann haben wir Deutsche aus dem Drogen- und Alkoholikermilieu, dann Arbeiter aus Polen, Zeitarbeiter, die für Aufträge hierher kommen. Die leben alle in ihren Gruppen, aber nebeneinander. Die leben dann nicht zusammen. Das sind Grüppchen, die einen leben da, die anderen machen das, und man kennt sich vielleicht vom Sehen, aber Untertauchen ist bei der Größe der Anlage auch kein Problem."
Wäre seinerzeit das Sprengkommando gekommen, würde hier längst wieder Wirsing wachsen. So aber steht die Trabanten-Stadt noch immer. Neun Häuser dicht an dicht, bis zu 26 Etagen hoch, eine Orgie aus Beton für über 4000 Menschen. Anderswo hat man probiert, Hochhaus-Siedlungen mit bunten Farben ein freundlicheres Äußeres zu geben, hier ist es bei grau in grau geblieben.
Bauherren-Modell nannte sich diese Form von Wohnungsspekulation in den 70er Jahren, bei der ein paar hundert Ärzte und Apotheker reichlich Steuern gespart haben. Weil die Investoren sich nur für die Rendite, aber nicht für den Zustand der Wohnungen interessierten, verfiel das Quartier rasch und entwickelte sich zur Vorstadt-Hölle. Der Kölnberg machte Schlagzeilen mit Drogen, Dreck und Gewalt. Damals entstand in der Kölner Stadtverwaltung die Idee mit dem Sprengkommando, zumal 40 Prozent der Wohnungen leer standen.
Ayrani Okur ist als Jugendlicher mit seinen Eltern 1987 hierher gezogen.
Okur: "Im Haus 4 habe ich in 24. Etage gewohnt. Ich kann mich sehr gut erinnern, dass ich damals 13 Jahre alt bin, dass fast wöchentlich Aufzüge keine funktioniert hat. Und dass ich jedes Mal bis 24. Etage die Treppen hochgegangen bin. Wie ich damals Kind war, habe ich mich erschreckt, alleine auf dem Flur zu laufen, weil die Türen waren kaputt. Wir konnten unsere Briefkästen nicht finden damals. Da war in der Zeit Hölle, jetzt ist wie eine Paradies, sage ich mal jetzt so, wie eine Ferienanlage."
Okur ist stolz, dass er seinen Beitrag zur Sauberkeit der Anlage leistet. Im Auftrag der Hausverwaltung sammelt er zwischen den Büschen Müll ein.
Früher, so wird erzählt, musste man schon unten am Eingang den Briefträger abpassen, wenn man seine Post erhalten wollte. Denn da es keine Briefkästen gab, wurde der Stapel vom Boten einfach in eine große Kiste geworfen. Flogen Kühlschränke aus dem Fenster, wurde ebenso weggeschaut wie bei Schlägereien und Messerstechereien.
Und dann kam, statt des Sprengmeisters, eine neue Hausverwaltung und begann mit der Sanierung des völlig heruntergekommenen Wohnsilos. Weil auf dem Kölner Wohnungsmarkt inzwischen auch einfachere Unterkünfte gesucht waren, begannen sich neue Investitionen zu rechnen. Wichtigstes Prinzip dabei: ein strenges Sicherheits- und Sauberkeitsregime. Überwacht wird dies in der Pförtnerloge in Haus 4, die rund um die Uhr besetzt ist. Dort blickt Manfred van de List auf eine Wand aus lauter Monitoren, auf denen 56 verschiedene Live-Bilder aus Hauseingängen, Aufzügen und Einfahrten in die Tiefgaragen übertragen werden.
Hausmeister: "Ich sehe jetzt in die Aufzüge von allen Häusern, kann beobachten, wie die Leute ein- und aussteigen. Da zum Beispiel Haus 8 links, sehen Sie das da? Die machen gerade eine Unterhaltung im Aufzug. Da würde ich jetzt normalerweise rein sprechen und sagen: Machen Sie bitte den Aufzug frei! Weil die die Tür blockieren und unten Leute warten, die mitfahren wollen."
Der Objektleiter der Immobilienverwaltung, Georg Weber, hat lange mit Datenschützern darum ringen müssen, dass solche Aufnahmen erlaubt sind.
Objektleiter: "Zwischen drei und fünf Tagen werden die gespeichert. Die Herausgabe dieser Bilder geht natürlich nur an die entsprechenden Institutionen, Staatsanwaltschaft oder Polizei. (…) Beispielsweise hatten wir Fälle, dass ein Taxifahrer geschlagen und geprellt wurde um seine Tour. Dieser junge Mann konnte aufgrund der Bilder im Aufzug nachher verhaftet werden. Also das ist natürlich nur eine Kleinigkeit, die Hauptsache ist hier die Abschreckung."
Die beiden Polizeibeamten setzen derweil ihre Ermittlungsrunde fort. Sie haben einen weiteren Haftbefehl in der Tasche. An der frisch geweißten Wand neben dem Fahrstuhl bemerken sie eine Kritzelei mit dem Kugelschreiber. Wenn man die stehen lässt, sagen sie, wird in kurzer Zeit die ganze Wand beschmiert sein. Die Hemmschwelle sinkt sofort. Deshalb werde die Kritzelei in wenigen Stunden bereits vom Hausmeisterdienst übermalt sein.
Gespräch Kommissar/Hausmeister: "Der Aufzugsdienst, die sind jeden Tag hier. Die könnten ihr Büro hier aufmachen. Sind nur am Reparieren. Jeden Tag ein Wasserschaden. Jede Stunde geht einer durch den Innenraum und sammelt Müll ein, der von oben runter geworfen wird. Aber nur so geht`s.
Morgen, hallo! Das ist zum Beispiel einer vom Hausmeisterdienst.
Was ist denn da mit der Tür?
Da hat einer Unfug gemacht, den Zylinder zugeklebt.
Im Suff?
Hat ein Kollege von ihm einen Scherz gemacht, weiß der Kuckuck!
Das ist ja ein Scherz, den die sich damals auch mit der Tür von unserer Polizeiwache gemacht haben. Darum haben wir jetzt auch das Magnetschloss davor. Da haben die uns immer Sekundenkleber reingespritzt und haben sich dann gefreut, dass wir unseren Dienst nicht aufnehmen konnten. (…) Das ist auch Kölnberg, das ist ganz klar. Wer sich abends mal einen genommen hat und den Schlüssel nicht findet, der tritt sich die Tür halt ein. Und am nächsten Tag wird dann Anzeige erstattet wegen Einbruch.
Aber wer hat Ihnen jetzt bescheid gesagt?
Der Mieter ist zu mir gekommen, ob ich da mal grad gucken kann. Hat mir den Schlüssel hinterlassen, jetzt warte ich auf den Kollegen, dass ich das nicht allein mache. Könnte ja mal sein, dass der sagt: mir ist was geklaut worden. Grundsätzlich nie alleine, oberstes Gebot!"
Gern verweist die Hausverwaltung darauf, dass die Kriminalitätsrate im Kölnberg drastisch zurückgegangen ist. Vor zwanzig Jahren, zu Zeiten der Vorstadt-Hölle, lag sie viermal so hoch wie im Kölner Schnitt. Inzwischen bewegt sie sich sogar darunter. Gewiss ein Erfolg der strengen Überwachung des Geländes. Die Polizeikommissare sehen solcherart Statistiken allerdings nüchtern. Der Kölnberg, sagen sie, ist ein klassischer Rückzugsraum für Kriminelle, ihre Taten begehen sie anderswo. Eine deutliche Mehrheit der strafmündigen Bewohner hier sei bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Und die Anonymität in der Hochhaus-Siedlung, das zeigt sich vor der nächsten Wohnungstür, die ungeöffnet bleibt, erschwert die Polizeiarbeit.
Kommissar Klaar: "Das Problem, was wir hier haben, ist halt, dass immer mehr hier unter freie Verwaltung geht. Freie Verwaltung heißt, das sind Eigentümer, die hier die Wohnung als Anlageobjekt nehmen. Die wohnen in Hamburg, München oder sonst wo. Die haben die Wohnung quasi dem Sozialamt übermacht, die setzen Leute hier ein. So kann es also vorkommen, dass die Namen, die hier verzeichnet sind, teilweise seit zehn Jahren nicht mehr existent sind. Manche sind sogar schon verstorben in der Zeit. Aber keiner hat Interesse, jetzt Namensschilder oder irgendwas zu tauschen. Das interessiert die gar nicht. Das Geld kommt vom Sozialamt und der legt das in die Hände des Sozialamtes, wer da reingesetzt wird."
Was die Polizei auch nur sporadisch mitbekommt: Dass Wohnungen und sogar Kellerräume an Illegale vergeben werden. Die Einwohnerzahl, sagen die Beamten, liege offiziell bei gut 4000, tatsächlich müssten aber 20 Prozent ohne Aufenthaltsgenehmigung draufgerechnet werden.
Würden wir hier nur mit harter Hand agieren, gnadenlos vollstrecken, könnten wir unsere Polizeiwache zumachen. Dann würde keiner mehr Informationen rausrücken, meint Kommissar Lotterer, den auf der Straße alle nur Thilo nennen. Es sei ein Geben und Nehmen. Die Männer von der Polizeiwache am Kölnberg verstehen sich als Dienstleister. Was sie damit meinen, zeigt das Beispiel Rashid. Der 17-jährige, der nach der achten Klasse die Schule abgebrochen hat, gilt als Intensivtäter und bekommt regelmäßig Besuch von Kommissar Lotterer. Bei der Gelegenheit hilft der Polizist dann schon mal beim Bewerbungsschreiben oder ruft direkt bei Arbeitgebern an.
Lotterer hat ein Interesse daran, dass Rashid tagsüber vom Kölnberg wegkommt, sonst trifft er sich mittags mit seiner alten Clique vor dem türkischen Imbiss, so sagt er, und kommt mit den anderen auf dumme Gedanken. An diesem Vormittag bummelt Rashid ziellos über den Bürgersteig. Mit Schiebermütze auf dem Kopf schlendert er den Polizisten entgegen. Seine Jeans XXL hängt auf Halbmast. Vielleicht sind es die Hände in den Hosentaschen, die seine Jeans davor bewahren, gänzlich runter zu rutschen. Bevor er Lotterer die rechte Hand entgegenstreckt, deutet er noch mit dem Zeigefinger auf seine Schuhspitze, und grinst dazu. Als wolle er sagen: Guck mal, meine nagelneuen Sneakers! Der Kommissar fragt ihn, wie es ihm geht.
Gespräch Rashid/Kommissar:
"Zurzeit ganz gut, würde ich mal sagen. Playstation spielen oder so. Mit Freunden gucken. Besser als damals, ne. Damals hat mein Tag ein bisschen anders ausgesehen.
Damals hast Du viel Mist gebaut.
Was denn so?
Raub meistens.
Was klassisch als Abziehen hier bekannt ist. Wir haben auch regelmäßig Kontakt und hoffen, dass wir einiges hinkriegen. Dass er nach den Ferien auch wieder zur Schule geht. Er würde sich drum bemühen, hat er mir gesagt.
Damit ich einen Abschluss machen kann. Ohne Abschluss läuft eh nichts hier. Da kriegst du nichts, kannst du vergessen.
Warum ist das so schwierig, eine Schule zu finden?
Wenn du Schule findest, sind das meistens nur so Leute, wie du selber bist. Weiß Du, was ich meine? Also lauter Asiköpfe, Alter!. Dann kommt man schnell wieder raus aus der Schule. Ich hatte hier in der TAS angefangen, bin nachher aber selber abgebrochen, keinen Bock mehr gehabt. Waren zu viele Asoziale. (…)
Du bist hier mit den falschen Leuten schon aufgewachsen! Dagegen kannst du gar nichts machen. Das ist doch normal, dass du jeden hier kennst! Ob gut oder böse.
Als Du noch zur Schule gegangen bist, da wird es doch bestimmt so gewesen sein, dass Du oft auch gefehlt hast, oder?
Die ersten Jahre eigentlich nicht. Nur das letzte Jahr, hat das angefangen. Mit dem Fehlen, gar nicht mehr zur Schule gehen. Also rein gegangen und wieder rausgeflogen direkt. (…)
Alle in meiner Klasse waren von hier, weißt Du, was ich meine? Alles die Leute von hier, das ist normal. Du kennst die, du konzentrierst dich doch nicht auf den Unterricht, Alter! Laberst die ganze Zeit nur mit deinen Freunden rum, zum Schluss hast du die Arschkarte!"
Rashid ist gerade um die Ecke, da kommen zwei junge Türken auf Kommissar Lotterer zu und fragen ihn: Thilo, was ist mit unserer Wohnung?
Zwei Tage zuvor hatten sie dort die Leiche eines Freundes gefunden, der an einer Überdosis Heroin gestorben war. Seitdem konnten die beiden die versiegelte Wohnung nicht mehr betreten. Die beiden erzählen, dass sie inzwischen 1800 Euro gesammelt haben, für die Überführung des Leichnams in die Türkei. Und was übrig bleibt, sei für die zuckerkranke Schwester des Toten bestimmt. Ein typisches Beispiel dafür, dass es mitten in der Anonymität intakte, zumeist ethnisch organisierte Netzwerke der Solidarität gibt. Das ist das andere Gesicht des Kölnbergs.
Der Polizeibeamte kann den beiden auf ihre Frage nach der Wohnung Entwarnung geben.
Gespräch Kommissar Lotterer/türkische Anwohner:
"Das ist im Prinzip für euch alles geklärt. Heute Mittag holt ein Cousin den Schlüssel ab, ihr könnt in die Wohnung. Und am Montag wird die Leiche freigegeben. Das weiß aber schon das Unternehmen. Ist alles geklärt.
Und weswegen ist der gestorben? Ist das sicher?
Überdosis.
Spritze hat der gemacht, oder?
Wahrscheinlich geraucht.
Thilo, die Problem ist so: Ich habe mit seiner Tante gesprochen, in der Türkei. Die glauben das nicht! Die haben immer im Hinterkopf, ob hier was passiert ist. Feinde hat und so. Wir wohnen in einer kleinen Ortschaft, wir kennen ihn, weil er ein guter Freund von uns ist. Dann habe ich gesagt, ob die einen Verwandten haben, die haben in Frankreich einen Verwandten. Ich habe gesagt, ruf den an. Der soll zwei Tage hier hinkommen, dann werden wir mit dem Polizei gehen, und dann könnten die nachfragen.
Kein Problem. Also wie gesagt, die Polizei ermittelt da nicht mehr weiter. Also kein Verbrechen, kein gar nichts. Deswegen, ich muss auch nicht mit. Wenn Ihr die Schlüssel habt, dürft Ihr das Siegel kaputt machen und dürft in die Wohnung rein."
Beratungsgespräch bei Caritas:
"Das sind jetzt die Papiere für die Einbürgerung.
Genau, für Kinder.
Für die Kinder, die nicht Deutsche sind. Und jetzt muss ich wissen, was hat die Ausländerbehörde jetzt mit der Schulbescheinigung im Sinn? Was soll da passieren?
Schulbescheinigung verlangt für Tochter.
Was soll die Schule bescheinigen, wo steht das?
Wo ist das Brief, wo das alles….
Och Mädchen, das müssen wir doch sortieren!"
Es wird einige Zeit dauern, bevor sich Professor Ludwig Schmahl einen Überblick verschafft hat. Der hagere Mittfünfziger hat sich in den Räumlichkeiten der Caritas ein winziges Büro eingerichtet, mit einer juristischen Handbibliothek und, besonders wichtig, Telefonanschluß. Von hier aus telefoniert er stundenlang mit Behörden. Schmahl ist Verwaltungsjurist. Einen Tag in der Woche gibt er hier ehrenamtlich Rechtsberatung. Dann erlebt er, wie vor ihm Berge unverstandener Post ausgebreitet werden.
Häufig muss er Briefe öffnen, die schon vor Wochen im Kasten lagen: Bescheide, Mahnungen, Räumungsklagen. Diesmal sitzt ihm eine Afghanin mit Kopftuch und weitem Gewand gegenüber, die seit 18 Jahren im Kölnberg wohnt, aber keinen deutschen Satz über die Lippen bringt. Und eine junge Pakistani mit offenem Haar, die beim Übersetzen hilft. Keine leichte Aufgabe. Denn ihre Muttersprache ist Urdu, die der Afghanin Paschtun. Aber irgendwie muss es gehen.
Auch in diesem Raum ist zu besichtigen, wie die Kölnberg-Solidarität funktioniert.
Pakistani/Schmahl: "Einmal habe ich sie gesehen und gesprochen. Wenn sie irgendwo draußen geht, dann sag ich hallo, wie geht´s? (…) Wenn jemand Hilfe braucht, dann mach ich das gerne. (…)
Ja, es gibt vier, fünf pakistanische Familien hier in Meschenich. Ich kenne die alle.
Wir haben ja 61 verschiedene Nationen hier wohnen. Und selbstverständlich kennen sie sich, und das ist auch notwendig. (…)
Es gibt sogar einige, die wieder zurückkommen zum Kölnberg, weil sie einfach merken, dass sie hier betreut werden. Dass sie hier Menschen haben aus der gleichen Nationalität. Das macht sehr viel aus, man fühlt sich dann nicht so allein.
Das heißt, Sie würden hier gar nicht wegwollen.
Doch, doch!
Weil hier ist viele so andere National. Da will ich nicht wohnen.
Mit anderen Nationalitäten!
Genau. Kann man sagen: viele Ausländer hier."
Beileibe keine Einzelmeinung, dass eine Ausländerin den hohen Ausländeranteil beklagt. Nicht mal jeder fünfte Kölnberger ist deutscher Herkunft. Folglich träumen viele vom Abhauen, von einer besseren Gegend.
Eine Familie in Haus 6 ist gerade dabei, die Koffer zu packen. Unten, vor dem Hochhaus-Eingang, steht bereits der Möbelwagen. Doch die Wohnung sieht noch so aus, als wäre soeben erst mit dem Einpacken begonnen worden. Nach drei Jahren hat die afghanische Familie die Nase voll vom Kölnberg. Die Eltern machen sich Sorgen um ihre jüngste Tochter Hosna, erklärt ihre ältere Schwester.
Ältere Schwester: "Man kann die Kinder hier nicht vernünftig erziehen, und das möchten wir nicht. Und weil das hier nicht möglich ist, möchten wir wegziehen. (…) Teilweise von vielen Eltern die Erziehung ist denen egal. Vor allem, meine kleine Schwester ist in der Pubertät und (…) hier sind, ich will jetzt keine Namen nennen, viele ausländische Kinder, die von den Eltern nicht vernünftig erzogen werden. Die, keine Ahnung, bis fünf Uhr morgens draußen hängen, sich schminken, Freund haben. Mit dem Alter von zwölf ist das nicht normal!
Das ist ein anderes Milieu als hier am Kölnberg. Und vor allem lernt sie neue Freunde kennen, und dann werden wir besonders darauf achten, dass das nicht so welche sind, die aus so Familien kommen wie hier.."
Die zwölfjährige Hosna steht derweil schüchtern daneben und setzt ein trauriges Gesicht auf. Dieser Umzug, vor allem ihretwegen, passt ihr gar nicht. Sie wäre gern an ihrer alten Schule und bei ihren Freundinnen geblieben. Auch wenn sie weiß, dass manches schief gelaufen ist.
Hosna: "In der Fünften und in der Sechsten waren meine Noten gut, so Zweien und Einsen. Und danach wurde es immer schlechter. Aber ich geb mir Mühe, nur ich schaff das irgendwie nicht mehr, wieder hochzukommen.
Ach komm! Du würdest es schaffen, wenn Du Dich hinsetzt und lernst.
Aber ich geb mir Mühe wenigstens.
Was ist denn passiert?
Meine Freundin so, ja du schminkst dich fast kaum, du ziehst keine Markenschuhe an. Und danach habe ich das meinen Eltern gesagt. Am Anfang sind die ausgeflippt, aber danach haben die es auch akzeptiert. Und danach durfte ich mich schminken und Markensachen anziehen, und dann wurde ich immer schlechter in der Schule. Habe ich mich nur noch um meine Freunde gekümmert, um mein Aussehen und meine Klamotten. (…)
Ändern ist jetzt schwer, wieder so wie früher zu sein."
Der Kölnberg fesselt, hatte der Kommissar gesagt. Diesmal lässt er los.
Kommissar Lotterer: "Hallo, macht mal die Tür auf, hier ist die Polizei!"
Zwei junge Frauen aus dem Drogenmilieu leben hinter dieser Tür, der einen von ihnen soll ein Haftbefehl ausgehändigt werden. Polizeikommissar Lotterer hält sein Ohr an die Tür, doch in der Wohnung regt sich nichts. Nun könnten die Beamten das Schloss aufbrechen. Sie verzichten darauf, weil sie sicher sind, dass die Gesuchte zurückkehren wird.
Kommissar Klaar: "Der Kölnberg fesselt die Leute. Die können sich hier selten lösen, weil die ganzen sozialen Bindungen sind halt hier. Die kämen woanders nie klar. Viele schaffen es kurzfristig, finden woanders keine soziale Anbindung und sind schon kurze Zeit später wieder hier."
Es klingt merkwürdig, Kommissar Klaar in diesem labyrinthischen Flur im 23. Stock von sozialen Bindungen reden zu hören, die es hier geben soll. Das ist kein Ort, an dem sich Unbekannte grüßen. Ein kurzes Zunicken am Aufzug ist hier schon viel. Die türkische Familie nebenan jedenfalls will die gesuchte Nachbarin noch nie gesehen haben.
Kommissar Klaar: "Wenn Sie versuchen, hier die Tür aufzubrechen, dann wird kaum der Nachbar aus der Tür gucken. Das haben wir schon oft gehabt. Da fragt man sich, hier ist eine Tür eingetreten worden, die sieht so zerstört aus, das muss einen Riesen-Krach gemacht haben. Aber es kümmert sich wirklich keiner um den anderen."
Lotterer: "Das sind ja verschiedene Kulturen. Türkische Kultur, das ist der größte Bevölkerungsanteil hier, dann haben wir Deutsche aus dem Drogen- und Alkoholikermilieu, dann Arbeiter aus Polen, Zeitarbeiter, die für Aufträge hierher kommen. Die leben alle in ihren Gruppen, aber nebeneinander. Die leben dann nicht zusammen. Das sind Grüppchen, die einen leben da, die anderen machen das, und man kennt sich vielleicht vom Sehen, aber Untertauchen ist bei der Größe der Anlage auch kein Problem."
Wäre seinerzeit das Sprengkommando gekommen, würde hier längst wieder Wirsing wachsen. So aber steht die Trabanten-Stadt noch immer. Neun Häuser dicht an dicht, bis zu 26 Etagen hoch, eine Orgie aus Beton für über 4000 Menschen. Anderswo hat man probiert, Hochhaus-Siedlungen mit bunten Farben ein freundlicheres Äußeres zu geben, hier ist es bei grau in grau geblieben.
Bauherren-Modell nannte sich diese Form von Wohnungsspekulation in den 70er Jahren, bei der ein paar hundert Ärzte und Apotheker reichlich Steuern gespart haben. Weil die Investoren sich nur für die Rendite, aber nicht für den Zustand der Wohnungen interessierten, verfiel das Quartier rasch und entwickelte sich zur Vorstadt-Hölle. Der Kölnberg machte Schlagzeilen mit Drogen, Dreck und Gewalt. Damals entstand in der Kölner Stadtverwaltung die Idee mit dem Sprengkommando, zumal 40 Prozent der Wohnungen leer standen.
Ayrani Okur ist als Jugendlicher mit seinen Eltern 1987 hierher gezogen.
Okur: "Im Haus 4 habe ich in 24. Etage gewohnt. Ich kann mich sehr gut erinnern, dass ich damals 13 Jahre alt bin, dass fast wöchentlich Aufzüge keine funktioniert hat. Und dass ich jedes Mal bis 24. Etage die Treppen hochgegangen bin. Wie ich damals Kind war, habe ich mich erschreckt, alleine auf dem Flur zu laufen, weil die Türen waren kaputt. Wir konnten unsere Briefkästen nicht finden damals. Da war in der Zeit Hölle, jetzt ist wie eine Paradies, sage ich mal jetzt so, wie eine Ferienanlage."
Okur ist stolz, dass er seinen Beitrag zur Sauberkeit der Anlage leistet. Im Auftrag der Hausverwaltung sammelt er zwischen den Büschen Müll ein.
Früher, so wird erzählt, musste man schon unten am Eingang den Briefträger abpassen, wenn man seine Post erhalten wollte. Denn da es keine Briefkästen gab, wurde der Stapel vom Boten einfach in eine große Kiste geworfen. Flogen Kühlschränke aus dem Fenster, wurde ebenso weggeschaut wie bei Schlägereien und Messerstechereien.
Und dann kam, statt des Sprengmeisters, eine neue Hausverwaltung und begann mit der Sanierung des völlig heruntergekommenen Wohnsilos. Weil auf dem Kölner Wohnungsmarkt inzwischen auch einfachere Unterkünfte gesucht waren, begannen sich neue Investitionen zu rechnen. Wichtigstes Prinzip dabei: ein strenges Sicherheits- und Sauberkeitsregime. Überwacht wird dies in der Pförtnerloge in Haus 4, die rund um die Uhr besetzt ist. Dort blickt Manfred van de List auf eine Wand aus lauter Monitoren, auf denen 56 verschiedene Live-Bilder aus Hauseingängen, Aufzügen und Einfahrten in die Tiefgaragen übertragen werden.
Hausmeister: "Ich sehe jetzt in die Aufzüge von allen Häusern, kann beobachten, wie die Leute ein- und aussteigen. Da zum Beispiel Haus 8 links, sehen Sie das da? Die machen gerade eine Unterhaltung im Aufzug. Da würde ich jetzt normalerweise rein sprechen und sagen: Machen Sie bitte den Aufzug frei! Weil die die Tür blockieren und unten Leute warten, die mitfahren wollen."
Der Objektleiter der Immobilienverwaltung, Georg Weber, hat lange mit Datenschützern darum ringen müssen, dass solche Aufnahmen erlaubt sind.
Objektleiter: "Zwischen drei und fünf Tagen werden die gespeichert. Die Herausgabe dieser Bilder geht natürlich nur an die entsprechenden Institutionen, Staatsanwaltschaft oder Polizei. (…) Beispielsweise hatten wir Fälle, dass ein Taxifahrer geschlagen und geprellt wurde um seine Tour. Dieser junge Mann konnte aufgrund der Bilder im Aufzug nachher verhaftet werden. Also das ist natürlich nur eine Kleinigkeit, die Hauptsache ist hier die Abschreckung."
Die beiden Polizeibeamten setzen derweil ihre Ermittlungsrunde fort. Sie haben einen weiteren Haftbefehl in der Tasche. An der frisch geweißten Wand neben dem Fahrstuhl bemerken sie eine Kritzelei mit dem Kugelschreiber. Wenn man die stehen lässt, sagen sie, wird in kurzer Zeit die ganze Wand beschmiert sein. Die Hemmschwelle sinkt sofort. Deshalb werde die Kritzelei in wenigen Stunden bereits vom Hausmeisterdienst übermalt sein.
Gespräch Kommissar/Hausmeister: "Der Aufzugsdienst, die sind jeden Tag hier. Die könnten ihr Büro hier aufmachen. Sind nur am Reparieren. Jeden Tag ein Wasserschaden. Jede Stunde geht einer durch den Innenraum und sammelt Müll ein, der von oben runter geworfen wird. Aber nur so geht`s.
Morgen, hallo! Das ist zum Beispiel einer vom Hausmeisterdienst.
Was ist denn da mit der Tür?
Da hat einer Unfug gemacht, den Zylinder zugeklebt.
Im Suff?
Hat ein Kollege von ihm einen Scherz gemacht, weiß der Kuckuck!
Das ist ja ein Scherz, den die sich damals auch mit der Tür von unserer Polizeiwache gemacht haben. Darum haben wir jetzt auch das Magnetschloss davor. Da haben die uns immer Sekundenkleber reingespritzt und haben sich dann gefreut, dass wir unseren Dienst nicht aufnehmen konnten. (…) Das ist auch Kölnberg, das ist ganz klar. Wer sich abends mal einen genommen hat und den Schlüssel nicht findet, der tritt sich die Tür halt ein. Und am nächsten Tag wird dann Anzeige erstattet wegen Einbruch.
Aber wer hat Ihnen jetzt bescheid gesagt?
Der Mieter ist zu mir gekommen, ob ich da mal grad gucken kann. Hat mir den Schlüssel hinterlassen, jetzt warte ich auf den Kollegen, dass ich das nicht allein mache. Könnte ja mal sein, dass der sagt: mir ist was geklaut worden. Grundsätzlich nie alleine, oberstes Gebot!"
Gern verweist die Hausverwaltung darauf, dass die Kriminalitätsrate im Kölnberg drastisch zurückgegangen ist. Vor zwanzig Jahren, zu Zeiten der Vorstadt-Hölle, lag sie viermal so hoch wie im Kölner Schnitt. Inzwischen bewegt sie sich sogar darunter. Gewiss ein Erfolg der strengen Überwachung des Geländes. Die Polizeikommissare sehen solcherart Statistiken allerdings nüchtern. Der Kölnberg, sagen sie, ist ein klassischer Rückzugsraum für Kriminelle, ihre Taten begehen sie anderswo. Eine deutliche Mehrheit der strafmündigen Bewohner hier sei bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Und die Anonymität in der Hochhaus-Siedlung, das zeigt sich vor der nächsten Wohnungstür, die ungeöffnet bleibt, erschwert die Polizeiarbeit.
Kommissar Klaar: "Das Problem, was wir hier haben, ist halt, dass immer mehr hier unter freie Verwaltung geht. Freie Verwaltung heißt, das sind Eigentümer, die hier die Wohnung als Anlageobjekt nehmen. Die wohnen in Hamburg, München oder sonst wo. Die haben die Wohnung quasi dem Sozialamt übermacht, die setzen Leute hier ein. So kann es also vorkommen, dass die Namen, die hier verzeichnet sind, teilweise seit zehn Jahren nicht mehr existent sind. Manche sind sogar schon verstorben in der Zeit. Aber keiner hat Interesse, jetzt Namensschilder oder irgendwas zu tauschen. Das interessiert die gar nicht. Das Geld kommt vom Sozialamt und der legt das in die Hände des Sozialamtes, wer da reingesetzt wird."
Was die Polizei auch nur sporadisch mitbekommt: Dass Wohnungen und sogar Kellerräume an Illegale vergeben werden. Die Einwohnerzahl, sagen die Beamten, liege offiziell bei gut 4000, tatsächlich müssten aber 20 Prozent ohne Aufenthaltsgenehmigung draufgerechnet werden.
Würden wir hier nur mit harter Hand agieren, gnadenlos vollstrecken, könnten wir unsere Polizeiwache zumachen. Dann würde keiner mehr Informationen rausrücken, meint Kommissar Lotterer, den auf der Straße alle nur Thilo nennen. Es sei ein Geben und Nehmen. Die Männer von der Polizeiwache am Kölnberg verstehen sich als Dienstleister. Was sie damit meinen, zeigt das Beispiel Rashid. Der 17-jährige, der nach der achten Klasse die Schule abgebrochen hat, gilt als Intensivtäter und bekommt regelmäßig Besuch von Kommissar Lotterer. Bei der Gelegenheit hilft der Polizist dann schon mal beim Bewerbungsschreiben oder ruft direkt bei Arbeitgebern an.
Lotterer hat ein Interesse daran, dass Rashid tagsüber vom Kölnberg wegkommt, sonst trifft er sich mittags mit seiner alten Clique vor dem türkischen Imbiss, so sagt er, und kommt mit den anderen auf dumme Gedanken. An diesem Vormittag bummelt Rashid ziellos über den Bürgersteig. Mit Schiebermütze auf dem Kopf schlendert er den Polizisten entgegen. Seine Jeans XXL hängt auf Halbmast. Vielleicht sind es die Hände in den Hosentaschen, die seine Jeans davor bewahren, gänzlich runter zu rutschen. Bevor er Lotterer die rechte Hand entgegenstreckt, deutet er noch mit dem Zeigefinger auf seine Schuhspitze, und grinst dazu. Als wolle er sagen: Guck mal, meine nagelneuen Sneakers! Der Kommissar fragt ihn, wie es ihm geht.
Gespräch Rashid/Kommissar:
"Zurzeit ganz gut, würde ich mal sagen. Playstation spielen oder so. Mit Freunden gucken. Besser als damals, ne. Damals hat mein Tag ein bisschen anders ausgesehen.
Damals hast Du viel Mist gebaut.
Was denn so?
Raub meistens.
Was klassisch als Abziehen hier bekannt ist. Wir haben auch regelmäßig Kontakt und hoffen, dass wir einiges hinkriegen. Dass er nach den Ferien auch wieder zur Schule geht. Er würde sich drum bemühen, hat er mir gesagt.
Damit ich einen Abschluss machen kann. Ohne Abschluss läuft eh nichts hier. Da kriegst du nichts, kannst du vergessen.
Warum ist das so schwierig, eine Schule zu finden?
Wenn du Schule findest, sind das meistens nur so Leute, wie du selber bist. Weiß Du, was ich meine? Also lauter Asiköpfe, Alter!. Dann kommt man schnell wieder raus aus der Schule. Ich hatte hier in der TAS angefangen, bin nachher aber selber abgebrochen, keinen Bock mehr gehabt. Waren zu viele Asoziale. (…)
Du bist hier mit den falschen Leuten schon aufgewachsen! Dagegen kannst du gar nichts machen. Das ist doch normal, dass du jeden hier kennst! Ob gut oder böse.
Als Du noch zur Schule gegangen bist, da wird es doch bestimmt so gewesen sein, dass Du oft auch gefehlt hast, oder?
Die ersten Jahre eigentlich nicht. Nur das letzte Jahr, hat das angefangen. Mit dem Fehlen, gar nicht mehr zur Schule gehen. Also rein gegangen und wieder rausgeflogen direkt. (…)
Alle in meiner Klasse waren von hier, weißt Du, was ich meine? Alles die Leute von hier, das ist normal. Du kennst die, du konzentrierst dich doch nicht auf den Unterricht, Alter! Laberst die ganze Zeit nur mit deinen Freunden rum, zum Schluss hast du die Arschkarte!"
Rashid ist gerade um die Ecke, da kommen zwei junge Türken auf Kommissar Lotterer zu und fragen ihn: Thilo, was ist mit unserer Wohnung?
Zwei Tage zuvor hatten sie dort die Leiche eines Freundes gefunden, der an einer Überdosis Heroin gestorben war. Seitdem konnten die beiden die versiegelte Wohnung nicht mehr betreten. Die beiden erzählen, dass sie inzwischen 1800 Euro gesammelt haben, für die Überführung des Leichnams in die Türkei. Und was übrig bleibt, sei für die zuckerkranke Schwester des Toten bestimmt. Ein typisches Beispiel dafür, dass es mitten in der Anonymität intakte, zumeist ethnisch organisierte Netzwerke der Solidarität gibt. Das ist das andere Gesicht des Kölnbergs.
Der Polizeibeamte kann den beiden auf ihre Frage nach der Wohnung Entwarnung geben.
Gespräch Kommissar Lotterer/türkische Anwohner:
"Das ist im Prinzip für euch alles geklärt. Heute Mittag holt ein Cousin den Schlüssel ab, ihr könnt in die Wohnung. Und am Montag wird die Leiche freigegeben. Das weiß aber schon das Unternehmen. Ist alles geklärt.
Und weswegen ist der gestorben? Ist das sicher?
Überdosis.
Spritze hat der gemacht, oder?
Wahrscheinlich geraucht.
Thilo, die Problem ist so: Ich habe mit seiner Tante gesprochen, in der Türkei. Die glauben das nicht! Die haben immer im Hinterkopf, ob hier was passiert ist. Feinde hat und so. Wir wohnen in einer kleinen Ortschaft, wir kennen ihn, weil er ein guter Freund von uns ist. Dann habe ich gesagt, ob die einen Verwandten haben, die haben in Frankreich einen Verwandten. Ich habe gesagt, ruf den an. Der soll zwei Tage hier hinkommen, dann werden wir mit dem Polizei gehen, und dann könnten die nachfragen.
Kein Problem. Also wie gesagt, die Polizei ermittelt da nicht mehr weiter. Also kein Verbrechen, kein gar nichts. Deswegen, ich muss auch nicht mit. Wenn Ihr die Schlüssel habt, dürft Ihr das Siegel kaputt machen und dürft in die Wohnung rein."
Beratungsgespräch bei Caritas:
"Das sind jetzt die Papiere für die Einbürgerung.
Genau, für Kinder.
Für die Kinder, die nicht Deutsche sind. Und jetzt muss ich wissen, was hat die Ausländerbehörde jetzt mit der Schulbescheinigung im Sinn? Was soll da passieren?
Schulbescheinigung verlangt für Tochter.
Was soll die Schule bescheinigen, wo steht das?
Wo ist das Brief, wo das alles….
Och Mädchen, das müssen wir doch sortieren!"
Es wird einige Zeit dauern, bevor sich Professor Ludwig Schmahl einen Überblick verschafft hat. Der hagere Mittfünfziger hat sich in den Räumlichkeiten der Caritas ein winziges Büro eingerichtet, mit einer juristischen Handbibliothek und, besonders wichtig, Telefonanschluß. Von hier aus telefoniert er stundenlang mit Behörden. Schmahl ist Verwaltungsjurist. Einen Tag in der Woche gibt er hier ehrenamtlich Rechtsberatung. Dann erlebt er, wie vor ihm Berge unverstandener Post ausgebreitet werden.
Häufig muss er Briefe öffnen, die schon vor Wochen im Kasten lagen: Bescheide, Mahnungen, Räumungsklagen. Diesmal sitzt ihm eine Afghanin mit Kopftuch und weitem Gewand gegenüber, die seit 18 Jahren im Kölnberg wohnt, aber keinen deutschen Satz über die Lippen bringt. Und eine junge Pakistani mit offenem Haar, die beim Übersetzen hilft. Keine leichte Aufgabe. Denn ihre Muttersprache ist Urdu, die der Afghanin Paschtun. Aber irgendwie muss es gehen.
Auch in diesem Raum ist zu besichtigen, wie die Kölnberg-Solidarität funktioniert.
Pakistani/Schmahl: "Einmal habe ich sie gesehen und gesprochen. Wenn sie irgendwo draußen geht, dann sag ich hallo, wie geht´s? (…) Wenn jemand Hilfe braucht, dann mach ich das gerne. (…)
Ja, es gibt vier, fünf pakistanische Familien hier in Meschenich. Ich kenne die alle.
Wir haben ja 61 verschiedene Nationen hier wohnen. Und selbstverständlich kennen sie sich, und das ist auch notwendig. (…)
Es gibt sogar einige, die wieder zurückkommen zum Kölnberg, weil sie einfach merken, dass sie hier betreut werden. Dass sie hier Menschen haben aus der gleichen Nationalität. Das macht sehr viel aus, man fühlt sich dann nicht so allein.
Das heißt, Sie würden hier gar nicht wegwollen.
Doch, doch!
Weil hier ist viele so andere National. Da will ich nicht wohnen.
Mit anderen Nationalitäten!
Genau. Kann man sagen: viele Ausländer hier."
Beileibe keine Einzelmeinung, dass eine Ausländerin den hohen Ausländeranteil beklagt. Nicht mal jeder fünfte Kölnberger ist deutscher Herkunft. Folglich träumen viele vom Abhauen, von einer besseren Gegend.
Eine Familie in Haus 6 ist gerade dabei, die Koffer zu packen. Unten, vor dem Hochhaus-Eingang, steht bereits der Möbelwagen. Doch die Wohnung sieht noch so aus, als wäre soeben erst mit dem Einpacken begonnen worden. Nach drei Jahren hat die afghanische Familie die Nase voll vom Kölnberg. Die Eltern machen sich Sorgen um ihre jüngste Tochter Hosna, erklärt ihre ältere Schwester.
Ältere Schwester: "Man kann die Kinder hier nicht vernünftig erziehen, und das möchten wir nicht. Und weil das hier nicht möglich ist, möchten wir wegziehen. (…) Teilweise von vielen Eltern die Erziehung ist denen egal. Vor allem, meine kleine Schwester ist in der Pubertät und (…) hier sind, ich will jetzt keine Namen nennen, viele ausländische Kinder, die von den Eltern nicht vernünftig erzogen werden. Die, keine Ahnung, bis fünf Uhr morgens draußen hängen, sich schminken, Freund haben. Mit dem Alter von zwölf ist das nicht normal!
Das ist ein anderes Milieu als hier am Kölnberg. Und vor allem lernt sie neue Freunde kennen, und dann werden wir besonders darauf achten, dass das nicht so welche sind, die aus so Familien kommen wie hier.."
Die zwölfjährige Hosna steht derweil schüchtern daneben und setzt ein trauriges Gesicht auf. Dieser Umzug, vor allem ihretwegen, passt ihr gar nicht. Sie wäre gern an ihrer alten Schule und bei ihren Freundinnen geblieben. Auch wenn sie weiß, dass manches schief gelaufen ist.
Hosna: "In der Fünften und in der Sechsten waren meine Noten gut, so Zweien und Einsen. Und danach wurde es immer schlechter. Aber ich geb mir Mühe, nur ich schaff das irgendwie nicht mehr, wieder hochzukommen.
Ach komm! Du würdest es schaffen, wenn Du Dich hinsetzt und lernst.
Aber ich geb mir Mühe wenigstens.
Was ist denn passiert?
Meine Freundin so, ja du schminkst dich fast kaum, du ziehst keine Markenschuhe an. Und danach habe ich das meinen Eltern gesagt. Am Anfang sind die ausgeflippt, aber danach haben die es auch akzeptiert. Und danach durfte ich mich schminken und Markensachen anziehen, und dann wurde ich immer schlechter in der Schule. Habe ich mich nur noch um meine Freunde gekümmert, um mein Aussehen und meine Klamotten. (…)
Ändern ist jetzt schwer, wieder so wie früher zu sein."
Der Kölnberg fesselt, hatte der Kommissar gesagt. Diesmal lässt er los.