Koenigs: Staatliche Strukturen in Nordafghanistan stärken

Tom Koenigs im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, Tom Koenigs (Bündnis 90/Die Grünen), fordert verstärkte Bemühungen um funktionierende Verwaltungsstrukturen in Nordafghanistan.
Gabi Wuttke: Nur verstärkte Zivilhilfe, die militärisch flankiert wird, kann Afghanistan zur Ruhe bringen. An dieser Hoffnung hält sich auch die deutsche Regierung fest, aber die Lage wird zusehends gefährlicher. 180 ISAF-Soldaten sind seit Beginn des Jahres getötet worden. Für die vielen Zivilopfer steht zumindest in Deutschland das Bombardement in Kundus im September. Tom Koenigs steht dem Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe vor, er gehört zu den wenigen Grünen, die der Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan im Februar zustimmten. Guten Morgen, Herr Koenigs!

Tom Koenigs: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Stehen Sie zu der Schützenhilfe, die Sie der Bundesregierung vor drei Monaten gewährt haben?

Koenigs: Ja und zwar vor allem deshalb, weil wir den Afghanen versprochen haben, dass wir ihr Land wieder aufbauen und die Demokraten dort unterstützen. Und das ist ein wichtiges Ziel, das man nicht aus den Augen verlieren sollte. Allerdings gibt es auch noch andere Ziele: Das eine, man darf dem Terrorismus kein Hinterland gewähren; das andere, die Region darf nicht ins Chaos versinken, vor allem mit Pakistan als Atommacht; und schließlich haben wir Bündnisverpflichtungen. Diese vier Sachen haben mich davon überzeugt, dass wir Afghanistan weiter unterstützen müssen, vor allem zivil, aber auch militärisch im Bündnis.

Wuttke: Das heißt, Sie hatten damit gerechnet, dass innerhalb weniger Tage sieben Leichensäcke aus Afghanistan nach Deutschland kommen könnten?

Koenigs: Nicht so konkret, aber ich hatte damit gerechnet, dass es gefährlich ist. Und ich weiß, das haben ja andere Regionen gezeigt, dass auch internationale Soldaten dort fallen und gefallen sind.

Wuttke: Das Militär flankiert die verdoppelte Hilfe für den zivilen Wiederaufbau, das hat die Bundesregierung versprochen, das ist Teil der NATO-Strategie. Landet das Geld in dunklen Kanälen oder warum nimmt die Gewalt zu statt ab?

Koenigs: Also das sind zwei völlig verschiedene Sachen. Das eine ist, dass natürlich in einem Land, das 30 Jahre Krieg hinter sich hat, die Korruption hoch ist, da muss man etwas tun, da müssen die Afghanen auch mehr dagegen tun. Das andere ist, dass sich die Sicherheit verschlechtert hat, vor allem weil man nicht frühzeitig darauf geachtet hat, polizeiliche Strukturen, afghanische polizeiliche Strukturen, massiv aufzubauen. Das macht man erst jetzt mit der nötigen Ernsthaftigkeit. Wir haben das 2003 den Afghanen versprochen, haben aber sehr wenig gemacht.

Wuttke: Aber die ...

Koenigs: Die maximale Anzahl von Polizisten, deutschen Polizisten, die dort hingegangen sind, ist immer unter 100 geblieben.

Wuttke: Aber die Tatsache, dass Millionen durch Korruption verschwendet werden, ist doch in direktem Zusammenhang stehend damit, dass der Großteil der Afghanen immer noch in Armut lebt und von daher die falsche Seite Zugriff auf sie hat?

Koenigs: Nein, die Korrelation von Armut und Korruption gibt es eigentlich nicht. Der Fehler ist und die Schwierigkeit, dass die staatlichen Strukturen nicht so stark sind, dass sie Korruption wirklich systematisch verhindern könnten, wie das meinetwegen in Deutschland bis zu gewissem Grade der Fall ist. Aber daran muss man arbeiten. Man muss allerdings auch sehen, dass Afghanistan natürlich nicht so geordnet ist, wie wir uns das wünschen. Trotzdem, wenn man – und ich war kürzlich in Afghanistan nach zwei Jahren –, man sieht den Fortschritt. Vor allem in den Städten, aber auch auf dem Land.

Wuttke: Herr Koenigs, Sie sind Bundestagsabgeordneter, waren aber auch Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für Afghanistan. Während in Helmand gestern ein Sprengsatz wieder Menschenleben kostete, hatten Sie in der vergangenen Woche Besuch vom Gouverneur dieser Provinz. Repräsentiert der auch für Sie den Erfolg zivilen Engagements?

Koenigs: Er repräsentiert auf jeden Fall die Leute, die in Afghanistan den Erfolg suchen, die versuchen, gegen die Korruption anzugehen, und eine gute Regierungsführung anstreben. Und da ist Mangal, der Gouverneur von Helmand, der vorher Erfolge in anderen Provinzen hatte, anderen schwierigen Provinzen hatte, ein guter Repräsentant. Es gibt sie in jeder Regierung, gute Minister oder Gouverneure und weniger gute, und Mangal gehört zweifellos zu den besseren.

Wuttke: Angesichts der Probleme, die Sie geschildert haben, was genau kann dieser Mann, was andere afghanische Politiker einschließlich des Präsidenten offensichtlich nicht können?

Koenigs: Ja der Präsident kann das auch nur in begrenztem Maße. Was Mangal macht, er legt sehr großen Wert auf kluge Verwaltungsstruktur und auf die richtigen Personen an der richtigen Stelle. Und da hat er eine bessere Hand als das andere haben. Ich halte ihn auch für seriös und für nicht korrupt. Wobei die Schmäh der Korruption in Afghanistan immer eine gewisse ... Also man muss auch da vorsichtig sein mit den Nachrichten, die einen erreichen. Manches, was wir dort als Korruption geißeln, würden wir hier als Lobbyismus bezeichnen.

Wuttke: Ist dieser Mann in Grenzen so erfolgreich, ohne dass wir den Blick auf die materielle Unterstützung der internationalen Gemeinschaft lenken müssen? Ist das eine Sache der Persönlichkeit und der Ziele oder hängen doch in diesem Fall wieder beide Dinge zusammen?

Koenigs: Nein, das hängt zusammen. Ein guter Verwaltungsmann, der keine Unterstützung kriegt und der auch nichts hat, was er verwalten kann, oder wo die Sicherheit so gefährdet ist und er keine Sicherheitskräfte hat, der kann natürlich nichts ausrichten. Aber in Helmand soll ja intensiv auch gegen die Drogenbarone vorgegangen werden und das, was er berichtet hat über das Vorgehen gegen Drogenanbau und die damit verbundenen illegalen Strukturen, klang überzeugend.

Wuttke: Was aber ist jetzt zu tun angesichts der steigenden Gewalt? Welche Chancen hat dieses Modell, das Sie gerade aus Helmand geschildert haben? Hat es eine Chance?

Koenigs: Also zunächst mal muss man ihm eine Chance geben, denn die zusätzlichen militärischen und zivilen Kräfte sollten sich auf diejenigen stützen, die etwas ausrichten können, sollten darauf achten, dass das Geld auch der Bevölkerung hilft, den Frieden dem Krieg vorzuziehen. Und das war in Südafghanistan nicht immer der Fall. Im Norden, wo die Deutschen verantwortlich sind, muss man glaube ich verstärkt darauf achten, dass es Verwaltungsstrukturen gibt und dass man die Versprechen, die man der Bevölkerung gemacht hat, dann auch einhält und entsprechend Projekte dahin bringt, wo man die Sicherheit geschaffen hat. Das Schaffen der Sicherheit wird zweifellos noch schwierig sein, aber man darf nicht vergessen: In Nordafghanistan, wo die deutschen Truppen sind, gibt es 123 friedliche Bezirke und acht unfriedliche, wo es diese Zwischenfälle gibt. Also es gibt ein weites Feld, wo die zivile Hilfe ankommen kann und ankommen muss.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der Grünen-Politiker Tom Koenigs, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Herr Koenigs, vielen Dank und schönen Tag!

Koenigs: Danke sehr, Frau Wuttke, schönen Tag!
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