Königshäuser

Spaniens Monarchie – Stabilitätsgarant oder Auslaufmodell?

Der bisherige König Juan Carlos mit seinem Sohn Felipe
Der bisherige König Juan Carlos mit seinem Sohn Felipe © dpa / picture-alliance / Chema Moya
Von Reinhard Spiegelhauer |
Donnerstag Vormittag wird Kronprinz Felipe im Plenarsaal des spanischen Parlaments zum neuen spanischen König, zum König Felipe VI. proklamiert. Danach wird er auf der gemeinsamen Sitzung beider Parlamentskammern vereidigt.
Sie haben beide schon mal bessere Zeiten gesehen - die Selección und der König. 2010, nach dem Sieg über Holland im Endspiel in Südafrika, da schien die Welt für kurze Zeit wieder in Ordnung - obwohl die Krise die Spanier schon voll erwischt hatte, obwohl die Korruptionsaffäre um den königlichen Schwiegersohn Urdangarin schon schwelte.
Heute, vier Jahre später, ist nicht nur die Nationalelf in einer schweren Krise. Auch das Königshaus ist nicht gerade in blendender Form. Das Stellungsspiel von Juan Carlos I war in den vergangenen Monaten ähnlich desaströs wie das von Iker Casillas bei der historischen Niederlage im Auftaktspiel in Brasilien. Und das nicht nur, weil der Monarch zuletzt dauerverletzt war und mehrfach unters Messer musste. Das Königshaus, besonders der scheidende Juan Carlos, steht wegen diverser Skandale seit langem in der Kritik - in den Medien wurde dem König mehr oder minder deutlich nahe gelegt, abzudanken. Der hat das lange hinausgezögert - zu lange?
Eine jüngere Generation soll in die erste Reihe treten
Am zweiten Juni gab Ministerpräsident Mariano Rajoy überraschend bekannt, dass der König abdanken wolle. Nun doch? Nachdem er monatelang alle verklausulierten und offenen Fragen danach mit "Ich fühle mich fit und will dem spanischen Volk weiter dienen" beantwortet hatte?
Eine jüngere Generation verdiene, in die erste Reihe zu treten, so der König, eine Generation mit neuer Energie und entschlossen, die nötigen Reformprozesse einzuleiten. So verabschieden sich auch Politiker, wenn klar ist, dass sie für ein Wahl- oder sonstiges Debakel verantwortlich sind, sie aber nicht offen die politische Verantwortung übernehmen wollen.
"Es tut mir leid" - die Elefanten-Safari samt Unfall und Hüftgelenksoperation vor zwei Jahren war auch in Deutschland großes Medienthema. Ein König, der Elefanten schießt, - die Empörung war groß, dabei fließen die Abschussprämien direkt in Schutzprojekte, mit denen der Elefantenbestand insgesamt gesichert wird.
In Spanien selbst regten sich die Leute aber aus einem ganz anderen Grund auf, so wie die Journalistin Carmen del Riego:
"Es gibt einfach keine Entschuldigung für das, was der König in Botswana gemacht hat. Egal ob Safariurlaub in Botswana oder Luxus-Kreuzfahrt - das passt einfach nicht in die schwierige Zeit, die Spanien erlebt."
Der König verprasst unser Geld, während wir eine Lohnkürzung nach der anderen, eine Steuererhöhung nach der anderen und den Abbau des Bildungs- und Sozialsystems erleben - das war der Eindruck, der sich bei vielen Spaniern breit machte.
"Das ist schon befremdlich. Niemand wusste davon, es ist teuer, man weiß nicht, ob es aus der Privat- oder aus der Staatskasse bezahlt wurde - das gibt ein schlechtes Bild ab."
Eine Spottfigur aus Holz, mit der sich ein Künstler über König Juan Carlos und seine Elefantenjagd lustig macht.
König Juan Carlos hat sich mit seiner Elefantenjagd in Botswana keine Freunde im eigenen Land gemacht.© dpa picture alliance/ Manuel Bruque
Noch viel verheerender als die berühmte Safari hat aber der so genannte Fall Noos dem Ansehen des Königs geschadet. Seit 2006 gibt es Gerüchte darüber, dass der Ehemann von Königstochter Cristina Millionen veruntreut haben soll. Öffentliche Gelder. Das Königshaus wollte die Sache einigermaßen geräuschlos hinter sich lassen. Der König legte seinem Schwiegersohn nahe, sich aus zweifelhaften Geschäften zu verabschieden - was der aber offenbar nicht tat. Die Vorwürfe wurden immer lauter, die Justiz ermittelt. In seiner Neujahrsansprache schien Juan Carlos zur Jahreswende 2011/2012 die Karten auf den Tisch zu legen:
"Glücklicherweise leben wir in einem Rechtsstaat. Jedes Vergehen muss nach den Gesetzen verfolgt werden. Das Recht ist für alle gleich."
Ein Lippenbekenntnis, finden viele Spanier heute. Denn als der Ermittlungsrichter auch Königstochter Cristina vorlud, um heraus zu finden ob und wie viel sie von den Machenschaften ihres Mannes wusste, da wurden hinter den Kulissen Strippen gezogen, um das zu verhindern: Davon sind die allermeisten Spanier jedenfalls fest überzeugt.
Tatsache ist: Ein Gericht erklärte die Verdachtsmoment für nicht ausreichend, um eine Vorladung zu rechtfertigen. Das allerdings stachelte den Ermittlungsrichter erst recht an - inzwischen hat Cristina ausgesagt. Anders als beispielsweise ihrem Ehemann zuvor wurde ihr aber erlaubt, mit dem Auto im Hof des Gerichtes vorzufahren, um ihr den Gang an Reportern vorbei zu ersparen. Der Präsident des obersten Gerichtshofes, Carlos Divar begründete das so:
"Auch wenn wir vor dem Gesetz alle gleich sind, die Umstände sind natürlich verschieden. Und die wahre Gleichheit drückt sich darin aus, dass wir Dinge unterschiedlich behandeln, die tatsächlich unterschiedlich sind."
400 Fragen hatte der Ermittlungsrichter, auf mehr als 200 antwortete Cristina mit "ich kann mich nicht erinnern" oder "das weiß ich nicht". Ihre Sympathiewerte in Umfragen, und die ihres Ehemannes waren da schon lange im Keller, aber auch das Königshaus und speziell die von Juan Carlos schmierten ab.
Juan Carlos: Lichtgestalt über Jahrzehnte
Dabei war der König über Jahrzehnte eine Lichtgestalt - schließlich hat er den Prozess der so genannten Transición, dem friedlichen Übergang Spaniens von der Diktatur zur Monarchie geplant, angestoßen, geprägt.
Im Juni 1969, vor fast genau 45 Jahren also, schwor Juan Carlos dem Generalissimo Franco die Treue - der Diktator hatte ihn ausgesucht, um eines Tages seine Nachfolge anzutreten. Trotz Vorbehalten hatte der während der zweiten Republik ins portugiesische Exil gegangene König Alfons XIII zugestimmt, seinen Sohn im faschistischen Regime ausbilden zu lassen, um nach Francos Tod eine franquistische Monarchie einzurichten.
Franco hätte sich im Grabe umgedreht, hätte er geahnt, welche Pläne der König von seien Gnaden hatte. Juan Carlos wollte die verfeindeten Bürgerkriegsparteien aussöhnen. Nach Jahrzehnten von Terror, Verschleppung und Ermordung Andersdenkender, sorgte er als Staatsoberhaupt dafür, dass verbotene Parteien wieder zugelassen wurden, dass Adolfo Suarez Chef einer Übergangsregierung wurde, und dass es 1977 erstmals wieder freie Wahlen gab.
1978 nahmen die Spanier per Referendum die neue Verfassung an. Sie garantiert die Religionsfreiheit, die Rechte von Gewerkschaften, gesteht den Regionen Autonomierechte zu. Die Todesstrafe wurde abgeschafft, die parlamentarische Monarchie als Staatsform fest geschrieben. Der König hat dabei ganz ähnliche Funktion wie der deutsche Bundespräsident. Anders als der Bundespräsident ist Spaniens König aber auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte - eine Tatsache, die 1981 entscheidend für die demokratische Entwicklung Spaniens war:
Am 23 Februar 1981 drang Oberstleutnant Antonio Tejero zusammen mit rund 200 Männern der Guardia Civil ins Parlament ein. "Auf den Boden" herrschte er die Parlamentarier an, bevor er und seine Männer Salven in die Decke abfeuerten. Einige Einschusslöcher sind noch heute zu sehen. Gemeinsam mit einigen Offizieren in den Regionen wollten die Putschisten die Demokratie abschaffen und die alte franquistische Ordnung wieder herstellen. Die Fernsehansprache, mit der sich König Juan Carlos in der Nacht an seine Landsleute und natürlich auch an die Putschisten wandte, wird allgemein als die Sternstunde seiner Regentschaft gesehen:
"Ich habe die Zivilverwaltung und das Oberbefehlskommando angewiesen, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die verfassungsmäßige Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Krone kann keine Handlungen dulden, die darauf abzielen, mit Gewalt den demokratischen Prozess aufzuhalten, der in der Verfassung verankert ist, die sich das spanische Volk per Referendum gegeben hat."
Einen Tag lang hielten die Putschisten die Parlamentsabgeordneten als Geiseln fest, dann gaben sie auf. Seitdem wird König Juan Carlos in Spanien als Verteidiger der Demokratie verehrt - oder muss es heißen: wurde?
Zehntausende demonstrierten für die Abschaffung der Monarchie
Es gab sie natürlich auch in den vergangenen Jahrzehnten, die Spanier, die verlangten, die Monarchie müsse abgeschafft werden, Spanien solle eine Republik werden. Doch nachdem die Nachricht von der Abdankung Juan Carlos bekannt wurde, zogen sie auch auf die Straßen. Zehntausende demonstrierten, unter einem Meer von Rot-Gold-Violetten Fahnen, den Farben der zweiten Republik, die im Bürgerkrieg unterging:
"Viele Spanier haben den König während der Transición akzeptiert. Die einen, weil er von Franco eingesetzt war, später gewann er die Sympathie des Volkes, weil er sich für die Demokratie eingesetzt hat. Aber jetzt, vierzig Jahre später, wieder einfach so eine Monarchie durch die Hintertür einzuführen, ohne dass überhaupt das Gesetz dafür existiert, da wird das spanische Volk verhöhnt."
Menschen demonstrieren auf Spaniens Straßen. In der Mitte steht eine Frau mit einer Fahne um den Körper geschlungen und einem Plakat in der Hand, auf dem "Referendum" steht.
Zehntausende demonstrierten für ein Referendum, um über die künftige Staatsform Spaniens abstimmen zu dürfen.© dpa picture alliance/ Javier Lizon
Es sind vor allem linke und alternative Parteien und Gruppierungen, die ein Referendum fordern, in dem die Spanier abstimmen sollen, ob die die Monarchie behalten wollen oder nicht. Die Vereinigte Linke zum Beispiel, deren stärkstes Mitglied die Kommunistische Partei Spaniens ist. Die linke Protestpartei "Podemos", die erst zu den Europawahlen gegründet worden ist. "Eqou", eine junge grüne Partei. Und es gibt eine Bürgerinitiative, "Referendum ya" - Referendum jetzt. Rosa Valiente ist eine der Sprecherinnen:
"Was im Moment stattfindet, ist kein demokratischer Prozess. Man will uns per Erbfolge einen König vorsetzen. Wir wollen, dass das Volk entscheidet, welche Staatsform es will und wer Staatsoberhaupt sein soll."
Viele derer, die die Monarchie aus Prinzip ablehnen, sehen jetzt den Moment gekommen. Das Ansehen des Königshauses ist auf einem historischen Tiefstand. Der Generationswechsel ändere nichts an der Sachlage:
"Das Königshaus will ihn uns als Modernisierer verkaufen, weil er ein neues Gesicht ist, aber in Wirklichkeit ist das doch alles nur Schminke - es gibt keine Änderung, sie halten an der undemokratischen Erbfolge und einer undemokratischen Institution fest. Felipe wird dem Land keinen Wandel bringen auch wenn 90 Prozent der Parlamentarier zustimmen - 90 Prozent der Spanier sind dagegen, und das zeigt sich auf der Straße."
Aus Umfragen der vergangenen Wochen lässt sich allerdings unterschiedliches heraus lesen, je nachdem, ob man für oder gegen die Monarchie ist. Ein Referendum wird es in absehbarer Zeit aber tatsächlich sicher nicht geben:
"Wer die Spielregeln ändern will, der kann das machen. Aber mit den Instrumenten, die das Rechtsystem vorsieht. Wenn Ihnen die Verfassung nicht gefällt, beantragen sie im Parlament eine Verfassungsänderung. Das Einzige, was in einer Demokratie eben nicht geht, ist, sich über das Gesetz hinweg zu setzen."
Die Verfassung zugunsten der Anti-Monarchisten zu verändern ist kompliziert
Natürlich hat Ministerpräsident Mariano Rajoy recht. Die Verfassung beschreibt Spanien als parlamentarische Monarchie. Und es gibt klare Regeln dafür, wie die Verfassung geändert werden kann. Nach Artikel 167 braucht es dazu eine drei Fünftel Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments. Allerdings: geht es um zentrale Fragen wie Demokratie, Grundrechte oder Krone, ist es etwas komplizierter, erklärt der Politikwissenschaftler und Journalist José García Abad:
"Es braucht die qualifizierte Mehrheit in beiden Kammern, dann muss das Parlament aufgelöst und neu gewählt werden, dann müssen die beiden neu gewählten Kammern einer Republik zustimmen und danach wird das Volk per Referendum befragt."
Es gibt also in der Verfassung einen Weg, die Staatsform zu ändern, aber er ist kompliziert und langwierig. Aus historischen Gründen sei das auch zu verstehen, sagt Abad:
"Der König musste den Übergang von der Diktatur in die Demokratie absichern. Deswegen ist nicht vorgesehen, dass einfach das Volk über die Staatsform abstimmen kann. Deswegen kann man auch heute nicht einfach ein Referendum durchführen, sondern müsste eben die Verfassung ändern."
Die Forderungen von "Referendum jetzt!" seien selbst undemokratisch, findet auch Iñaki Gabilondo, einer der angesehensten Radio- und Fernsehjournalisten Spaniens:
"Eines Tages muss es sicher ein Referendum geben, das fände ich überhaupt nicht schlimm. Aber ich würde mir wünschen, dass das nicht aufgrund von Druck der Straße passiert. Nicht einfach, weil, wie es heute immer öfter passiert, Demonstrationen oder soziale Medien eine Lawine der Übertreibung auslösen. Ich möchte, dass es gemäß den Regeln der Verfassung passiert."
Der Druck der Straße hat zuletzt schon spürbar nachgelassen. Es gab zwar weitere Demonstrationen, in rund vierzig Städten Spaniens, aber es kamen jeweils nur ein paar hundert, in manchen Städten auch ein paar tausend Menschen:
"Ich war nun nie ein besonderer Monarchist, aber ich denke, im Moment brauchen wir diese Debatte nicht. Allerdings: Ich denke, im Moment würde der Kronprinz ein Referendum gewinnen. Der eine oder andere könnte deshalb vielleicht auf die Idee kommen, besser jetzt als später, weil es ihm Legitimität geben würde. Aber ich glaube nicht, dass bald ein Referendum kommt."
Doch noch ein guter Zeitpunkt für einen Wechsel?
Es scheint fast, als hätte das Königshaus doch noch einen guten Zeitpunkt für den Wechsel gefunden. Denn noch haben die beiden großen Parteien, konservative Volkspartei und Sozialisten, im Parlament eine klare Mehrheit. Noch fühlen sich auch die Sozialisten dem Geist der Transición verpflichtet. Parteichef Rubalcaba ist allerdings ein Auslaufmodell - in den Reihen der Partei gibt es durch aus Forderungen nach einem Referendum über die Monarchie. Vor diesem Hintergrund glaubt Politiologe Abad auch nicht, dass der König, wie er selbst behauptet, schon im Januar beschlossen hat, abzudanken:
"Es waren mehrere Gründe, die ihn zur Abdankung bewegt haben: die Ergebnisse der Europawahlen, und dass Rubalcaba geht, der sich gut mit dem König versteht. Dass es bei den Sozialisten republikanische Tendenzen gibt, hat zur Entscheidung beigetragen. Die Monarchie gewinnt Zeit, erzeugt neue Erwartungen - das war die letzte Karte, die der König spielen konnte."
Abad würde es nie so sagen - aber für ihn war Juan Carlos schon lange eine "lame duck". Politisch habe der König seit 1981 eigentlich nichts mehr erreicht, sagt Abad. Sein Nachfolger trete ein schweres Erbe an:
"Der Kronprinz muss beweisen, dass die Monarchie nützlich ist. Die Verdienste seines Vaters um die Demokratie zählen nicht. Auch nicht, dass er gut ausgebildet und vorbereitet ist. In der Gesellschaft gibt es viele gut ausgebildete. In der Monarchie ist die Ausbildung nicht alles, sie muss etwas Magisches haben."
Felipe VI werde sich wie sein Vater bemühen, diplomatische und Wirtschaftsbeziehungen zur arabischen Welt und natürlich den Ländern Iberoamerikas zu pflegen. Aber er müsse auch neue Duftmarken setzen, in Bereichen, die die Menschen berühren. Eines allerdings scheint auch dem Journalisten Inaki Gabilondo klar: ein "weiter so" kann es nicht geben:
"Ich glaube, wir brauchen eine zweite Transición. Republik oder Monarchie ist dabei eigentlich nicht die Frage. Nicht nur die Monarchie ist in der Krise, sondern praktisch alles, was in der ersten Transición entstanden ist: die Parteien, die Verfassung, das System der Autonomen Regionen, die Gewerkschaften, die Medien - praktisch alles zerfällt. Wir brauchen einen Modernisierungsschock, das scheint mir überdeutlich."
Vielleicht bräuchte ja auch die Selección einen solchen Modernisierungsschock - das Spiel gegen Holland hat jedenfalls auch dem letzten klar gemacht, dass selbst diese spanische Institution in einer schweren Krise ist.