Wie die Asylbewerber verteilt werden
Die Flüchtlinge kommen in Süddeutschland an und es ist ein gewaltiger logistischer Aufwand, sie im ganzen Bundesgebiet zu verteilen. Bayern-Korrespondent Michael Watzke berichtet.
Am Zentralen Omnibus-Bahnhof München, auch ZOB genannt, teilt Sabrina Maier Suppe aus. Die freiwillige Helferin trägt eine leuchtende Warnweste mit dem Schriftzug "ZOB-Angel": Engel des Busbahnhofs. Sabrina Maier spricht die Flüchtlinge vor den Reisebussen an, versorgt sie mit heißem Tee und warmer Kleidung.
"Es kommen immer wieder Flüchtlinge mit kurzen Hosen an. Oder zerrissenen Hosen, weil sie in den Stacheldrahtzäunen hängengeblieben waren. Die haben alle keinen Mützen, keine Handschuhe. Die sind überhaupt nicht auf diese Temperaturen eingestellt. Die wissen gar nicht, wie kalt es hier ist. Die werden von uns ausgerüstet, dass sie ihre Reise überstehen."
Wer als Flüchtling am ZOB in den Bus steigt, ist privat unterwegs. Das sind pro Tag nur einige Hundert. Die meisten Migranten reisen in offiziellen Bussen und Zügen, die die Bundespolizei schon an der bayrisch-österreichischen Grenze stellt. Etwa an der Dreiländerhalle in Passau, einem chronisch überfüllten Nachtlager.
Hier fahren im Minutentakt Reisebusse vor. Auf der rechten Seite des Vorplatzes halten die Busse, aus denen Flüchtlinge steigen, die gerade über die Grenze gekommen sind. Auf der linken Seite warten jene Busse, die Flüchtlinge aufnehmen und in ganz Deutschland verteilen sollen.
"Es geht hier am laufenden Band."
"Es geht hier am laufenden Band."
...sagt der Bundespolizist, der für die Koordination zuständig ist. Sein Problem: die rechte Platzhälfte vor der Dreiländerhalle ist immer voll, die linke dagegen oft leer.
"...weil wir eben nicht wissen, wie es letzten Endes weitergeht. Weil wir eben nicht wissen, wann das nächste Busunternehmen kommt, um uns die Leute abzunehmen."
Eine Schwierigkeit sind die Busse selbst: Es gibt zu wenige für die 7000 bis 11.000 Flüchtlinge, die jeden Tag in Deutschland ankommen. Die zweite Schwierigkeit: Es gibt immer weniger Ziele für Hunderte von Bussen und Zügen. Also zu wenige Erstaufnahme-Einrichtungen, die genügend freie Plätze für neue Migranten haben. Dieses Missverhältnis offenbart sich besonders deutlich in der Dachauer Straße in München.
40 Menschen arbeiten Tag und Nacht
Hier, in einer ehemaligen Bundeswehr-Kaserne, steht ein stämmiger Mann inmitten hektischer Beamter. Er wirkt wie ein Schiffahrtskapitän aufunruhiger See.
Michael Wiederer: "Mein Name ist Michael Wiederer, ich bin Leiter des Stabs Asyl im bayerischen Staatsministerium des Innern. Und wir sind dabei – mit vielen Beteiligten, wie Sie sehen – die Flüchtlingszugänge zu koordinieren und die Verteilung und vor allem auch Verpflegung und Unterkunft sicherzustellen."
40 Menschen arbeiten Tag und Nacht in diesem Krisenstab. Bundesbeamte aus Berlin, bayerische Staatsbeamte, Mitarbeiter der Deutschen Bahn, Soldaten der Bundeswehr – sie alle sitzen vor Bildschirmen und telefonieren pausenlos. An die Stirnseite des Raumes strahlt ein Beamer eine Deutschland-Grafik mit Tortendiagrammen.
"Hier sehen Sie die ganzen – ich sag' mal – Brennpunkte im Bereich Niederbayern und Oberbayern. Mit entsprechender Darstellung der Unterkunfts-Kapazitäten. So dass wir von hier aus mit einem Blick erfassen können, wo noch Unterkunfts-Potential für ankommende Flüchtlinge ist."
Auf der Deutschlandkarte wechseln sich zwei Farben ab wie an einer Ampel .
"Also rot signalisiert den Belegungsstand, und grün zeigt die freien Kapazitäten an."
Morgens, wenn Michael Wiederer seine Schicht beginnt, sind einige der Diagramme noch grün gefärbt. Im Laufe des Tages rötet sich die Deutschlandkarte immer mehr. Gerade wechselt das Tortendiagramm bei Köln von grün auf rot. Die Stadt in NRW hat zugesagt, einen Zug mit 350 Flüchtlingen von Freilassing aus zu übernehmen. Stefan Frey, Pressesprecher des Bayerischen Innenministeriums.
Stefan Frey: "Wenn Köln sagt 'Ja, wir haben wieder Kapazitäten, schickt uns Leute', dann wird ein Sonderzug losgeschickt. Von Salzburg aus, von Freilassing aus, von Passau aus. Ein Sonderzug mit jeweils 450 bis 500 Menschen, der dann direkt weiterfährt nach Köln, nach Mannheim, nach Uelzen."
Der Zug wird dann außer der Reihe irgendwie in den Fahrplan reingequetscht oder wie? Den haben die bei der Bahn übrig oder wie muss man sich das vorstellen?
Uelzen liegt in Niedersachsen. Die dortige Landesregierung hat bisher eher wenige Flüchtlinge angenommen. Jedenfalls weniger als nach dem deutschlandweiten Verteilersystem vorgesehen. Dem sogenannten Königssteiner Schlüssel. Aktuell nimmt Bayern deutlich mehr Asylbewerber auf, als der Freistaat müsste. Baden-Württemberg dagegen ist im Minus. Die bayerischen Beamten machen deshalb Druck auf den Rest Deutschlands, sich stärker zu engagieren. Entscheiden können sie aber nicht allein.
Michael Wiederer: "Wir stimmen dann mit den Vertretern vom Bund, die da vorne sitzen, eigentlich ab, wie wir die Verteilung machen. Wie viele in andere Bundesländer gehen und wie viele in Bayern unterzubringen sind."
So weit der Plan. Doch manche Flüchtlinge haben eigene Pläne. Immer wieder ziehen sie in Sonderzügen die Notbremse und steigen auf freier Strecke aus. Etwa weil sie nicht nach Brandenburg gebracht werden wollen, sondern in Regensburg bleiben möchten. Das passiert jede Woche mindestens einmal, sagt ein Schaffner aus München. Für die Deutsche Bahn ist das ärgerlich: immer wieder kommt es zu Polizei-Einsätzen auf den Gleisen und damit zu Verspätungen. Die Bahn transportiert täglich mehrere tausend Flüchtlinge quer durch Deutschland.
Die Flüchtlingszüge machen einen Bogen um München
Auf dem ZOB dagegen, dem Zentralen Omnibus-Bahnhof München, entscheidet jeder Flüchtling allein, wohin er fährt. Zum Beispiel, weil er sich aus der Erstaufnahme-Einrichtung abgemeldet hat und privat untergekommen ist, etwa bei Verwandten.
Das Ticket muss er dann selbst kaufen. Die ärztliche Versorgung dagegen gibt es hier kostenlos. Ursula Büch, freiwillige Helferin der ZOB Angels, deutet auf zwei Container.
"Wir haben hier neben dem ZOB-Gelände eine Standort-Genehmigung, uns aufzuschlagen. Und ein Container ist nur für die Versorgung der Flüchtlinge im Einsatz."
Nur ein paar hundert Meter entfernt vom ZOB liegt der Münchner Hauptbahnhof. Berühmt geworden durch jene Tage Anfang September, als hier hunderte von Helfern zehntausende Flüchtlinge begrüßten – mit Luftballons, Stofftieren, Applaus. Und heute?
"Ich bin aus Hamburg gekommen, mit dem Zug diesmal. Ich hab' mir vorgestellt, dass hier der ganze Bahnhof voller Flüchtlinge ist. Aber es war überhaupt nichts zu merken."
Die Flüchtlingszüge machen seit Wochen einen weiten Bogen um München. Die Behörden leiten die Asylbewerber direkt nach Erding. Dort hat die Bundeswehr ein Aufnahme- und Wartezentrum mit 5000 Betten errichtet. Man wolle die Stadt nicht überfordern, sagen die Organisatoren im Lagezentrum der nahegelegenen Dachauer Straße. Stimmt gar nicht, behaupten die freiwilligen Helfer. Die Behörden wollten nur verhindern, dass es erneut Jubelbilder von der Münchner Willkommenskultur gebe.