Können Araber Demokratie?
Wenn man es genau nimmt, ist die Frage, ob Araber Demokratie "können", unverschämt - ja sogar arrogant, meint Jan Kuhlmann. Auch nach der Nazi-Diktatur waren viele überzeugt, die Deutschen seien zu einem friedlichen Zusammenleben mit ihren Nachbarn ungeeignet.
Die Frage kam überraschend - so hatte sie noch keiner gestellt. Als vor einiger Zeit einige Fachleute in Berlin bei einer öffentlichen Diskussion über die Lage in Ägypten nach dem Sturz Hosni Mubaraks diskutierten, meldete sich ein Zuhörer. Den Menschen am Nil fehle es ja an Erfahrung mit Demokratie, sagte er. Ob es da nicht besser sei, in Ägypten die Monarchie wieder einzuführen, die 1952 von den Generälen weggeputscht worden war?
Aus der Frage sprach ernsthafte Sorge, wie es nach dem Aufstand der Massen in der arabischen Welt weitergeht. Viele fürchten sich vor allem vor Islamisten, die in Ländern wie Ägypten oder Tunesien nach dem Vorbild des Iran oder Saudi-Arabiens eine strenge Herrschaft der Religion errichten könnten.
Die Frage des Mannes verrät aber auch viel darüber, mit wie viel Misstrauen wir den Menschen in der arabischen Welt begegnen. Etwas direkter formuliert lautet sie: Können die da unten überhaupt Demokratie? Wenn man es genau nimmt, ist diese Frage unverschämt, ja sogar arrogant. Sie hält es nämlich für möglich, dass die da unten keine Demokratie können, dass die Menschen in der arabischen Welt also generell demokratieunfähig sind.
Das wiederum hieße: Anders als wir können sie weder aus Erfahrungen lernen noch sich weiterentwickeln. Es gab schon einmal ein Land, dem man etwas Ähnliches unterstellt hat. Nach der Nazi-Diktatur waren viele überzeugt, die Deutschen seien zu einem friedlichen Zusammenleben mit ihren Nachbarn ungeeignet - weshalb sie besser in einem Agrarstaat leben sollten.
Glücklicherweise setzten sich damals diejenigen durch, die Deutschland einen Vertrauensvorschuss gaben. So sollten wir es auch mit der arabischen Welt halten. Wir sollten all diejenigen unterstützen, die sich daran gemacht haben, im Nahen Osten Demokratien zu errichten. Wie lange dieser Prozess dauern wird, lässt sich nicht sagen - sicherlich eher Jahrzehnte als Jahre.
Viele Hindernisse stehen im Weg: zum Beispiel. das Militär, wie die Proteste zuletzt in Ägypten gezeigt haben. Ebenso die Strukturen der alten Diktaturen, religiöse Extremisten, nicht zu vergessen die enorme Armut. Es wird Rückschläge geben. Demokratie aber lässt sich nicht vorher üben, etwa unter der Obhut einer Monarchie. Wer so etwas glaubt, ist naiv.
Erfahrungen mit der Demokratie und demokratischen Verfahren kann man nur machen, indem man sie praktiziert. Im Englischen würde man sagen: training on the job. Es kann sogar sein, dass die ersten Versuche scheitern. Aber auch das würde nicht heißen, dass die Araber demokratieunfähig sind - auch die Deutschen brauchten schließlich zwei Anläufe.
Ob der richtige Zeitpunkt für eine Demokratie gekommen ist, hängt nicht davon ab, ob die Menschen Demokratie gelernt haben - sondern ob sie Demokratie wollen. So viel aber lässt sich sagen: Die Millionen von Arabern, die gegen ihre Diktatoren auf die Straße gegangen sind oder noch immer gehen, sie wollen Demokratie. Sie fordern Pluralismus, Gewaltenteilung und einen Rechtsstaat. Sie haben es satt, von einer korrupten Elite regiert zu werden. Die ägyptischen Demonstranten haben gezeigt, dass sie sich gegen jede Form der Despotie erneut wehren.
Dass heißt übrigens nicht, dass sie sich alle von der Religion losgesagt haben. Für die Mehrheit der Menschen im Nahen Osten spielt der Islam eine wichtige Rolle in ihrem Leben - manche sind streng gläubig, andere verbinden mit der Religion nur bestimmte Werte und Traditionen.
Aber auch der Islam steht der Demokratie nicht per se im Weg. Länder wie Tunesien und Ägypten haben sich auf die Suche nach einer Formel gemacht, die sie Demokratie und Islam miteinander verbinden lässt. Es gibt keine Garantie, dass dieser Prozess am Ende erfolgreich sein wird. Die Chancen, die sich mit dem Umbruch in der arabischen Welt verbinden, sind aber allemal größer als die Risiken.
Jan Kuhlmann, Jahrgang 1971, schreibt als freier Journalist in Berlin über Islam, Integration und Nahost.Studiert hat er Geschichte, Islamwissenschaft und Arabisch an der Universität Hamburg und der American University Cairo (AUC). Danach war er u.a. Politik-Korrespondent der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur" in Berlin.
Links auf dradio.de:Der arabische Aufstand - Sammelportal
Jan Kuhlmann, Journalist
Aus der Frage sprach ernsthafte Sorge, wie es nach dem Aufstand der Massen in der arabischen Welt weitergeht. Viele fürchten sich vor allem vor Islamisten, die in Ländern wie Ägypten oder Tunesien nach dem Vorbild des Iran oder Saudi-Arabiens eine strenge Herrschaft der Religion errichten könnten.
Die Frage des Mannes verrät aber auch viel darüber, mit wie viel Misstrauen wir den Menschen in der arabischen Welt begegnen. Etwas direkter formuliert lautet sie: Können die da unten überhaupt Demokratie? Wenn man es genau nimmt, ist diese Frage unverschämt, ja sogar arrogant. Sie hält es nämlich für möglich, dass die da unten keine Demokratie können, dass die Menschen in der arabischen Welt also generell demokratieunfähig sind.
Das wiederum hieße: Anders als wir können sie weder aus Erfahrungen lernen noch sich weiterentwickeln. Es gab schon einmal ein Land, dem man etwas Ähnliches unterstellt hat. Nach der Nazi-Diktatur waren viele überzeugt, die Deutschen seien zu einem friedlichen Zusammenleben mit ihren Nachbarn ungeeignet - weshalb sie besser in einem Agrarstaat leben sollten.
Glücklicherweise setzten sich damals diejenigen durch, die Deutschland einen Vertrauensvorschuss gaben. So sollten wir es auch mit der arabischen Welt halten. Wir sollten all diejenigen unterstützen, die sich daran gemacht haben, im Nahen Osten Demokratien zu errichten. Wie lange dieser Prozess dauern wird, lässt sich nicht sagen - sicherlich eher Jahrzehnte als Jahre.
Viele Hindernisse stehen im Weg: zum Beispiel. das Militär, wie die Proteste zuletzt in Ägypten gezeigt haben. Ebenso die Strukturen der alten Diktaturen, religiöse Extremisten, nicht zu vergessen die enorme Armut. Es wird Rückschläge geben. Demokratie aber lässt sich nicht vorher üben, etwa unter der Obhut einer Monarchie. Wer so etwas glaubt, ist naiv.
Erfahrungen mit der Demokratie und demokratischen Verfahren kann man nur machen, indem man sie praktiziert. Im Englischen würde man sagen: training on the job. Es kann sogar sein, dass die ersten Versuche scheitern. Aber auch das würde nicht heißen, dass die Araber demokratieunfähig sind - auch die Deutschen brauchten schließlich zwei Anläufe.
Ob der richtige Zeitpunkt für eine Demokratie gekommen ist, hängt nicht davon ab, ob die Menschen Demokratie gelernt haben - sondern ob sie Demokratie wollen. So viel aber lässt sich sagen: Die Millionen von Arabern, die gegen ihre Diktatoren auf die Straße gegangen sind oder noch immer gehen, sie wollen Demokratie. Sie fordern Pluralismus, Gewaltenteilung und einen Rechtsstaat. Sie haben es satt, von einer korrupten Elite regiert zu werden. Die ägyptischen Demonstranten haben gezeigt, dass sie sich gegen jede Form der Despotie erneut wehren.
Dass heißt übrigens nicht, dass sie sich alle von der Religion losgesagt haben. Für die Mehrheit der Menschen im Nahen Osten spielt der Islam eine wichtige Rolle in ihrem Leben - manche sind streng gläubig, andere verbinden mit der Religion nur bestimmte Werte und Traditionen.
Aber auch der Islam steht der Demokratie nicht per se im Weg. Länder wie Tunesien und Ägypten haben sich auf die Suche nach einer Formel gemacht, die sie Demokratie und Islam miteinander verbinden lässt. Es gibt keine Garantie, dass dieser Prozess am Ende erfolgreich sein wird. Die Chancen, die sich mit dem Umbruch in der arabischen Welt verbinden, sind aber allemal größer als die Risiken.
Jan Kuhlmann, Jahrgang 1971, schreibt als freier Journalist in Berlin über Islam, Integration und Nahost.Studiert hat er Geschichte, Islamwissenschaft und Arabisch an der Universität Hamburg und der American University Cairo (AUC). Danach war er u.a. Politik-Korrespondent der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur" in Berlin.
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Jan Kuhlmann, Journalist