Melodie Michelberger wurde 1976 geboren und lebt aktuell mit ihrem Sohn in Hamburg. Sie hat als Redakteurin viele Jahre für Frauenmagazine wie "Gala" oder "Brigitte" sowie als PR-Beraterin für verschiedene Modelabels gearbeitet. Im Januar 2021 erschien ihr Buch "Body Politics". Gelegentlich schreibt sie für Zeitschriften wie "Zeit" oder "Vogue" und betreibt einen Instagram-Kanal mit mehr als 50.000 Abonnentinnen und Abonnenten.
"Ich habe das Wort dick für mich zurückerobert"
33:43 Minuten
"Mein Körper ist dick, rund, weich und stark", sagt Melodie Michelberger. Nach Jahrzehnten Diät, Magersucht und Körperselbsthass übt sie heute, sich mit ihrem Körper anzufreunden. Das ist schwer in einer Kultur, die dicke Menschen diskriminiert.
Den größten Teil ihres Lebens war Melodie Michelberger unglücklich mit ihrem Körper, mit ihrer Figur – egal, wie dünn sie war. "Heute weiß ich natürlich, dass es auch so gewollt ist, weil eben eine riesige Industrie dahintersteht. Wir sollen uns nicht in unseren Körpern wohlfühlen. Denn wer würde sonst diese ganzen Produkte kaufen? Wer würde die Diätprogramme kaufen? Wer würde die Frauenzeitschriften kaufen, die wirklich jede Woche auf den Covern neue Diäten anpreisen?", fragt die Körperaktivistin.
Schöne Körper sollen dünne Körper sein
Melodie Michelberger hat selbst mehrere Jahre als Redakteurin für Frauenzeitschriften gearbeitet. Anfangs als junge Erwachsene war sie als Modeassistentin nahezu wöchentlich bei den Fotoshootings für die Modestrecken dabei, hat den Models geholfen, sich an- und auszuziehen.
"Und das war für mich ein Traum, so nah an den Frauen zu sein, die für mich die absolute Schönheit verkörpert haben. Dadurch hat sich meine wirklich sowieso schon sehr verschrobene Vorstellung, was ein schöner Körper ist, noch mehr zugespitzt", erzählt sie.
Denn Michelberger bekam schon als Kind von ihrer Familie gesagt, dass sie ihren angeblich dicken Po nicht noch betonen solle, dass sie auf ihre Figur achten solle und so weiter. Als Jugendliche hat sie sehr viele Magazine konsumiert, Fotos und Poster in ihrem Kinderzimmer aufgehängt - und direkt über ihrem Bett eine Kalorientabelle mit den "guten" und den "bösen" Lebensmitteln.
Schlank, aber unglücklich
Unbemerkt rutschte sie in eine Essstörung, die im Grunde so lange anhielt, bis die erwachsene Michelberger – inzwischen Ehefrau und berufstätige Mutter – einen Zusammenbruch erlitt: Erschöpfungsdepression, Burnout.
"Das war dann der Anfang eines wirklich sehr beschwerlichen und langen Weges. Ich war zwei Jahre nicht arbeitsfähig, war zwei Jahre krankgeschrieben. Ich brauchte diese zwei Jahre, um mich zu heilen."
Immer wieder fragte ihr Therapeut, wofür sie ihrem Körper dankbar sei. Es dauerte lange, bis sie eine Antwort fand: "Ich bin meinem Körper dankbar, dass er immer noch da ist, obwohl ich so viele Jahre scheiße zu ihm war."
Den Köper einfach sein lassen
Michelberger konnte loslassen, aufhören, sich über Kalorien und Joggingpensum Gedanken zu machen. Sodass ihr Körper heute mit 44 Jahren größer, runder und weicher sei, als er es jemals war, sagt sie. Michelberger sei sehr stolz darauf, dass sie das Wort dick jetzt wertfrei verwenden kann. Denn jahrzehntelang hat dieses Wort ihr Angst gemacht, als sei es das Allerschlimmste, dick zu sein. "Ich habe das Wort dick für mich zurückerobert."
Doch mit Selbstliebe allein ist es nicht getan, denn wir leben in einer Diätkultur, sagt sie, in der Menschen mit großen Körpern diskriminiert werden. Nirgendwo gebe es Bilder von dicken Menschen, die einfach ihr Leben leben und nicht als Problemfall dargestellt werden. Gerade neulich hat sie Werbung für einen Diätshake gesehen, illustriert mit Vorher-Nachher-Bildern. "Und das Vorher-Bild war meine Figur."
Körper sind politisch
Daher postet Michelberger auf ihrem Instagram-Account häufig Fotos von sich in Unterwäsche. "Ich mache es stellvertretend für all die Menschen, für all die Frauen, die mir folgen, die sich in ihren Körpern nicht wohlfühlen und die Körper wie meinen dicken Frauenkörper nie sehen."
Denn der Körper ist politisch, sagt Michelberger. Nicht alle Körper haben in unserer Gesellschaft dieselben Chancen. Manche Berufskleidung gibt es gar nicht in bestimmten Größen, damit wird die Berufsfreiheit von Menschen mit großen Körpern eingeschränkt. Der Ausschluss funktioniert auf vielen Ebenen, zum Beispiel bei genormten Sitzen.
Sie habe früher viele Veranstaltungen gemacht, auch feministische Veranstaltungen. "Ich blicke manchmal zurück und bin bestürzt darüber, dass uns nicht aufgefallen ist, dass es Menschen gibt, die barrierefreie Zugänge brauchen, und dass es Sitzmöglichkeiten braucht, die für alle Körper passend sind."
Melodie Michelberger: "Body Politics"
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021
224 Seiten, 18 Euro
(sf)
Dieser Beitrag ist eine Wiederholung vom 31.3.2021.
Dieser Beitrag ist eine Wiederholung vom 31.3.2021.