Körpergefühl und Sex

Ab jetzt sagt Heidy, was sie will

Bild einer Frau, die ihren Kopf leicht nach hinten legt. Ihre Augen sind nicht zu sehen. Über ihrem Kopf liegt ein weißes transparentes Tuch. Man sieht ihren nackten Hals.
Seit Heidy van de Velde mit ihren Partnern darüber spricht, was sie mag und was nicht, hat sie viel mehr Lust auf Körperlichkeit – und auch ein neues Selbstvertrauen. (Symbolbild) © picture alliance / Westend61 / Vitta Gallery
Heidy van de Velde hat schon früh sexuelle Erfahrungen gemacht – vor allem schlechte. Lange Zeit hält sie es für normal, dass es in erster Linie dem Mann gefallen muss. Doch dann ändert sie die Dinge und sagt, was sie selbst will.
Das ist die Geschichte von Heidy. Eine Geschichte über den Weg zu einem guten Körpergefühl und über Sex. Aber vor allem ist es die Geschichte über den Mut einer Frau, zu sagen, was sie wirklich will.
Heidy van de Velde wächst in den 80er-Jahren in den Niederlanden auf. „Der christliche Glauben war wichtig in meiner Familie. Jeden Sonntag mussten wir in die Kirche, oft sogar zweimal am Tag“, erzählt sie. Heidy selbst findet das nicht so toll. „Es gab viele Regeln, auch bezüglich unserer Kleidung. Kurze Röcke gingen gar nicht.“
Heidy und ihren Geschwistern wird früh beigebracht, sich selbst klein zu halten. Bitte leise sprechen, bloß nicht in den Vordergrund drängen.

Erste sexuelle Erfahrung mit zwölf Jahren

Als Heidy in die Pubertät kommt, ist das bei ihr zu Hause nicht wirklich ein Thema. Niemand spricht mit der Jugendlichen über Sexualität und Intimes. In der Schule geht es vor allem um die biologischen Aspekte der Fortpflanzung. Kurz: Heidy hat eigentlich keine Vorstellung von Sex.
Trotzdem macht sie ihre ersten Erfahrungen schon mit ungefähr zwölf Jahren. Sie und ein Junge, der in ihrem Wohnort Urlaub macht, fangen an, sich zu berühren. Erst über dem Pullover, dann darunter. Weiter passiert nichts. Oder doch! Denn seitdem ist Heidys Neugier geweckt. Die Neugier auf den eigenen Körper. Ob in der Dusche oder abends im Bett: Heidy tastet ein bisschen herum und berührt, was ihr gefällt.

Verstörung nach dem ersten Mal

Als Heidy 14 ist, passiert etwas, woran sie sich nicht gern erinnert – bei einem Bekannten zu Hause. „Er fing plötzlich an, meine Brüste anzufassen, auch unter dem Shirt, und wollte seine Hand zwischen meine Beine schieben.“ Die junge Frau rettet sich letztendlich durch einen Spurt ins Bad.

Wir waren in seinem Zimmer, es war nicht schön und ich war auch noch gar nicht bereit dafür, auch körperlich nicht. Es war schmerzhaft und es ging sehr schnell.

Leider gehen Heidys schlechte Erfahrungen mit Intimität weiter – zunächst mit einem fünf Jahre älteren Jungen aus der Kirchengemeinde. „Ich war verliebt in diesen Jungen, fand ihn attraktiv und wollte eine Beziehung“, erinnert sie sich.
Die beiden unternehmen wirklich viel miteinander und Heidy findet das toll. Außer, wenn es körperlich wird. Dann lässt sie die Dinge nahezu willenlos geschehen. So erlebt Heidy auch ihren ersten Geschlechtsverkehr. „Wir waren in seinem Zimmer, es war nicht schön und ich war auch noch gar nicht bereit dafür, auch körperlich nicht. Es war schmerzhaft und es ging sehr schnell.“
Diese Negativerfahrung macht etwas mit Heidy. Sie fühlt sich überrumpelt und verstört – davon, dass jemand so mit ihrem Körper umgeht.
In ihrem Freundeskreis wird über intime Erfahrungen nicht gesprochen. Es hilft Heidy dann wohl zu glauben, dass das, was passiert ist, einfach normal sei und dass das Schmerzhafte vielleicht im Laufe der Zeit verschwindet.

Was fehlt, ist die eigene Lust

Ein paar Jahre später – Heidy studiert inzwischen Sport in einer anderen Stadt – lernt sie einen jungen Mann in einem Club kennen und findet ihn toll. Van de Velde erinnert sich: „Wir hatten dann ein Date in der Stadt und sind Billardspielen gegangen. Er hat gesagt, er findet mich zwar nett, mehr aber auch nicht. Aber wenn ich jetzt mit ihm nach Hause gehen wolle, könne ich das schon machen, wenn ich will.“
Das Angebot nimmt sie an. Wohl auch deshalb, weil ihr die Idee gefällt, mit solch einem attraktiven Typen zusammen zu sein.
Als es zur Sache geht, wird klar, dass der Mann am Vergnügen interessiert ist – allerdings nur an seinem. Dennoch macht Heidy mit. Auch, weil sie merkt, wie sehr ihm das gefällt. Und so bleibt es in den nächsten Jahren.
Immer wieder geht sie auf Dates, hin und wieder schläft Heidy auch mit den Männern. Was sie mag, ist die Nähe. Aber eigene Lust spürt sie nicht.

Ein kleines Nein mit großer Wirkung

Doch allmählich kommen in der jungen Frau erste Zweifel auf. Oft fragt sie sich nach Dates, warum sie ja gesagt hat, obwohl sie eigentlich gar nicht wollte. Warum lässt sie sich von jemandem küssen, den sie gar nicht anziehend findet?
Als eine weitere Verabredung bevorsteht – das Resultat einer Dating-App – entscheidet Heidy, nun nicht mehr wie im Autopilot allem zuzustimmen. Das erste Treffen soll am Strand stattfinden.
„Wir sind eine Stunde dort spazieren gegangen“, sagt Heidy. „Wir haben uns zwar gut unterhalten, aber da war keine Energie, kein Funken zwischen uns.“
Schließlich fragt der Mann, ob die beiden noch einen Tee trinken wollen. „Und ich habe einfach gesagt: ‚Nein danke, ich muss noch einiges erledigen heute‘ – und dann bin ich gegangen.”
Wenig später ist Heidy völlig aus dem Häuschen. Sie kann nicht fassen, dass sie das vorhin gemacht hat und fragt sich „Habe ich mich das wirklich getraut?“
Was für viele klein klingen mag, ist für Heidy ein Riesenschritt. Schließlich wurde ihr nie beigebracht, dass sie überhaupt nein sagen darf. Rückblickend spricht sie von sich selbst sogar als „People Pleaser“ – also jemand, der es allen rechtmachen will.

Er wusste scheinbar von allein, an welchen Stellen es für mich gut sein würde, welche Berührungen mir gefallen, und ich dachte Aha, wieder ein Schritt weiter.

Der erste Schritt zu einem neuen Körpergefühl

Im Jahr 2019 zieht Heidy für ein paar Monate nach Spanien. Da ist sie Ende 30. In der Nähe von Alicante arbeitet Van de Velde in einem Café, das einer Freundin gehört. Hier flirtet sie eines Tages mit einem Gast, nennen wir ihn Danny. Es kommt zu mehreren Dates. Irgendwann landen sie zusammen im Schlafzimmer.
„Ich habe gleich gemerkt, dass er sich mehr um mich bemüht hat als andere Männer zuvor“, erzählt Heidy – und wird konkret. „Er wusste scheinbar von allein, an welchen Stellen es für mich gut sein würde, welche Berührungen mir gefallen, und ich dachte: ‚Aha, wieder ein Schritt weiter. So kann es scheinbar auch sein.‘“
Die beiden verbringen mehrere Monate zusammen. Irgendwann fragt Danny sie, was ihr im Bett gefalle: Was kann er machen, damit es zwischen den beiden körperlich noch besser wird?
Das trifft Heidy völlig unvorbereitet. Sie ist es einfach nicht gewohnt, dass jemand so etwas fragt. Antworten kann sie in diesem Moment deshalb auch nicht.

Heidy traut sich – und sagt, was sie mag

„Als ich dann wieder zu Hause war, habe ich auf meinem Bett gelegen und an die Decke gestarrt und ich habe gedacht: ‚Aha, scheinbar kann mir jemand so eine Frage stellen! Und wenn das so ist, dann darf ich darauf ja auch eine Antwort geben.“
Und Heidy gibt diese Antwort – gleich am nächsten Abend. Bei Danny zu Hause beschreibt und zeigt sie ihm alles, was sie gut findet. Und ebenso auch, was sie nicht mag. Sie probieren gemeinsam Dinge aus, Heidy fühlt sich wohl, entspannt sich und genießt, was kommt.

Das neue Selbstbewusstsein

Die gemachte Erfahrung mit Danny beflügelt Heidy. Ihr wird klar, dass ihr gutes Körpergefühl mit anderen viel damit zu tun hat, wie offen sie redet und sagt, was sie will. Aber auch das kleine „Nein“ am Strand führt nach und nach zu einem neuen Selbstbewusstsein.

Heidy will andere Frauen ermutigen

Immer wieder redet Heidy van de Velde seitdem darüber, was sie über sich selbst gelernt hat und darüber, wie viel besser ihre Zweisamkeit mit Männern geworden ist – seit den Erfahrungen mit Danny. Eine Freundin bringt sie schließlich auf die Idee, einen Podcast zu starten.
In diesem sowie auf ihrem Instagram-Kanal ermutigt Van de Velde nun andere Frauen dazu, ihre Wünsche offen zu kommunizieren. Ihre Message: Die Lust der Frau ist mindestens genauso wichtig wie die des Mannes. Frauen haben das Recht, ihren Genuss einzufordern. Auch dann, wenn sie dafür erst ihren persönlichen „Nein“-Moment finden müssen – wie damals Heidy am Strand.
jma (mit Recherchen von Sarah Tekath)
Mehr zu Körpergefühl und Sex