Petra Pinzler und Günther Wessel haben ein Buch über den CO2-Versuch ihrer vierköpfigen Familie geschrieben.
Petra Pinzler, Günther Wessel: Vier fürs Klima
Droemer Verlag, München 2018
304 Seiten, 18 Euro
Eine Familie versucht, CO2-neutral zu leben
Tochter Franziska gab den Anstoß, mit einer Hausaufgabe aus dem Ethikunterricht: Ein ganzes Jahr lang haben die Wessels hart daran gearbeitet, ihre Kohlendioxid-Produktion zu senken. Wie sieht die Bilanz der vierköpfigen Familie nach zwölf lehrreichen Monaten aus?
Petra: Dass Jakob heute kürzer duscht, wir unsere Fenster abgedichtet haben und unser Auto verkaufen werden, verdanken wir unserer heute 14-jährigen Tochter Franziska.
O-Ton Franziska: "Wir hatten im Ethikunterricht viel übers Klima gesprochen und sind dann auf einen CO2-Fußabdruckrechner vom WWF gestoßen und sollten dann als Hausaufgabe unseren persönlichen Fußabdruck ausrechnen. Und der war ziemlich groß an sich. Und in der Schule haben wir das natürlich so ausgetauscht, und da war meiner trotzdem mit der niedrigste."
Günther: Die Gesamtmenge unserer vierköpfigen Familie lag bei 42 Tonnen Kohlendioxid. Damit entsprachen wir etwa dem bundesdeutschen Durchschnitt. 44 Tonnen Kohlendioxid produziert demnach eine vierköpfige Familie im Jahr. Wir waren also ein klein bisschen besser. Wir, Franziska, Jakob, Petra und Günther, konnten uns beruhigt zurücklehnen.
Schwanken zwischen Ratlosigkeit, guten Vorsätzen und Seufzen
Petra: Jedenfalls erst einmal.
Doch dann ließ uns die Sache keine Ruhe, bei einem Abendessen redeten wir lange über Franziskas Hausaufgabe. Es ging um den Klimawandel und unseren Beitrag dazu. Wir hatten über die Zerstörung der Umwelt schon häufiger diskutiert: wenn wir den Urlaub planten, wenn es um Einkäufe ging oder ums Essen. Oft entschieden wir nach Gefühl.
Unser 17-jähriger Sohn Jakob ist seit mehr als fünf Jahren Vegetarier. Ist er damit auch klimafreundlicher? Eine Freundin von uns isst kein Rindfleisch mehr, weil die Tiere angeblich zu viele klimaschädliche Gase produzieren. Weil deren Rülpser den Treibhauseffekt massiv verschlimmern würden. Spinnt sie oder ist da was dran?
Günther: Wir schwankten also zwischen Ratlosigkeit, Relativieren, guten Vorsätzen, schlechtem Gewissen und Seufzen: Man kann ja doch nichts machen.
Petra: Und dann stellte Jakob ein paar Fragen, die alles änderten.
O-Ton Jakob: "Was macht jetzt den großen Unterschied? Wo kann man groß was verändern? Und wo ist wirklich das Ausschlaggebende?"
Günther: Damit war die Idee geboren. Wir versuchen uns als Klimaretter. Wir werden unser Leben ungeschminkt angucken, zwölf Monate lang prüfen: Wo wir nur scheinbar grün leben, aber in Wirklichkeit lächerliche Dinge tun. Wo wir glauben, dass wir die Guten sind und deshalb das Denken einfach einstellen. Was wir ändern können. Was wirklich CO2 spart. Und welche Fallen es gibt.
"Die ersten Wochen waren einfach"
Petra: Die ersten Wochen waren einfach: Wir bestellten den Energieberater. Das kostete 20 Euro und bewirkt gleich Einiges. Er erklärte uns, dass der zweite Kühlschrank im Keller unnötige Energieverschwendung sei, und lobte uns dafür, dass der in der Küche auf sieben Grad eingestellt ist. Dass wir nur noch mit 30 Grad waschen, kürzer duschen und kaputte Glühbirnen durch LEDs ersetzen sollten. Außerdem müssten wir die Fenster besser abdichten.
Günther: Bisher hatten wir immer mit dem Auto den wöchentlichen Großeinkauf erledigt. Nun kaufte ich einen Fahrradanhänger. Das fühlte sich prima an, auch wenn die Nachbarn erst einmal etwas seltsam guckten, als ich damit losfuhr. Das Ding ist praktisch: Parkplatz direkt vor allen Läden und Platz genug.
Petra: Wir wussten bald, dass Äpfel von Streuobstwiesen die beste Klimabilanz haben, dass die aber komplett versaut wird, wenn wir mit dem Auto zum Markt fahren. Wir lernten von Agrarwissenschaftlern, wie welches Obst gelagert und transportiert wird. Kauften keine eingeflogenen Mangos mehr und stellten den geliebten chilenischen Rotwein zur Disposition.
"Dann wurde es komplizierter"
Günther: Dann wurde es komplizierter – und zwar für jeden anders: Jakob und Franziska fanden den Gedanken schwer, in Zukunft eigentlich nicht mehr fliegen zu dürfen.
O-Ton Franziska: "Ich würde gern noch mal in andere Länder oder irgendwohin fliegen. Aber einfach nicht mehr so häufig. Wenn ich so darüber nachdenke, es muss sich auch schon lohnen. Halt dann keine Kurzstreckenflüge, sondern nur fliegen, wenn man weit fliegt."
Petra: Fliegen, so wurde uns schnell klar, ist für die eigene Klimabilanz nun wirklich richtig schlecht. Ich haderte mit dem Wissen, dass noch mehr Klamotten nicht nur dem Geldbeutel, sondern auch dem Klima schaden.
Günther: Wir alle spürten, dass der innere Schweinehund überall und immer lauert. Von November bis März kann es in Berlin oft fies kalt und nass sein, und da ist der Griff zum Autoschlüssel verführerisch. Wir haben uns in solchen Momenten mit Kleinigkeiten belohnt.
Petra: Günther kaufte sich eine Regenhose zum Radeln, und die war so teuer, dass sie benutzt werden muss – mit jedem Einsatz sinkt ihr Kilometerpreis. Und ich dachte immer mal wieder daran, dass Radfahren – also Sport im Alltag – praktisch ist und schlank macht. Das half tatsächlich.
O-Ton Franziska: "Es sind an sich nur Bequemlichkeitsprobleme. Vor dem Experiment hätte man da nicht drüber nachgedacht, und dann denkt man sich: Ach, hätte es das doch nie gegeben. Dann wäre man unschuldiger."
O-Ton Jakob: "Es ist auch ein Trugschluss zu sagen: Man macht ja da schon was, deswegen muss man woanders nichts mehr machen. Und das ist ein Fehler, den wir natürlich auch machen. Aber es ist eine falsche Haltung, weil wir alle dafür verantwortlich sind. Und da reicht es nicht zu sagen irgendwie: Nur weil ich da was spare, muss ich woanders nichts sparen. Oder nur weil der Staat da was macht oder du da viel schädlicher bist, bin ich da fein raus."
Viele kleine Lösungen unterhalb der großen
Günther: Wir lernten, dass es unterhalb der ganz großen Lösung auch sinnvolle kleine gibt. Dass es nicht langt, nur von der Politik zu verlangen, sie solle sich bewegen, sondern dass man sich auch selbst ein Stück weit bewegen kann. Darüber nachdenken, was man kauft oder isst – lieber regional als von weit hergeholt, lieber vegetarisch. Und wenn Fleisch, dann lieber Huhn und Schwein als Rind – am besten Wildschwein aber aus Brandenburg. Denn das stammt aus der Region, ist Bio, hatte ein prima Leben und es gibt zu viele davon.
Petra: Alternativen finden, über kleine Fehlschläge lachen können und das Gefühl gemeinsam etwas zu schaffen: Das war am Ende unser Erfolgsrezept. Und das regelmäßige Nachrechnen. Denn das machte uns stolz: Wir haben abgespeckt. Günther und ich durch das dauernde Radfahren, die ganze Familie bei der CO2 Bilanz: fast 31 Prozent auf 29 Tonnen CO2, 13 Tonnen weniger als im Vorjahr.
O-Ton Franziska: "29 ist zwar noch ziemlich viel, aber doch ein ziemlich gutes Ergebnis."
Günther: Okay, wir sind damit immer noch weit weg von dem, was für das Klima verträglich wäre. Aber manches können wir nicht ändern: Wieviel CO2 pro Kilowattstunde genutzter Fernwärme entsteht, bestimmt letztlich der Kraftwerksbetreiber. Anders als den Stromanbieter können wir den nicht wechseln. Wir können aber kürzer duschen und die Fenster abdichten.
Viel gelernt in einem Jahr
Gelernt habe ich in dem Jahr: Es regnet seltener als man denkt – das merkt man beim täglichen Fahrradfahren. Und was noch wichtiger ist: Gewohnheiten ändern sich erst nach einer Weile.
O-Ton Jakob: "Schwergefallen ist mir, im Alltag regelmäßig daran zu denken, zum Beispiel das Licht auszumachen, die Heizung runterzudrehen oder eben auch, selbst wenn es regnet, selbst wenn es schlechtes Wetter ist, nicht zu fragen, ob mich jemand zur S-Bahn fährt, sondern selbst bei schlechtem Wetter mit dem Fahrrad dahinzufahren."
Günther: Am Wichtigsten aber war die Erkenntnis: Wir müssen uns bald politisch stärker einmischen, wenn wir wollen, dass auch Schulen gedämmt und Energie anders erzeugt werden.
Petra: Scheitern. Fluchen. Lachen. Streiten: Das war unser Jahr, im nächsten werden wir es erneut versuchen: CO2-neutral zu leben!