Weltgrößter Kokainproduzent Kolumbien
"La mata que mata" - der Strauch der tötet. "Raspar", "abkratzen", nennt man das Ernten der Kokablätter. © Anne Herrberg / ARD-Studio Rio de Janeiro
Überleben mit Koka
23:09 Minuten
Fünf Jahre nach Abschluss des Friedensabkommens sind viele Kleinbauern in Kolumbien zum illegalen Koka-Anbau zurückgekehrt. Das Drogengeschäft boomt. Für den Staat sind sie Kriminelle und die Mafia macht Druck, damit die Produktion steigt.
Tief im dichten, kolumbianischen Urwald riecht es nach Tankstelle. Zwischen Farnen, plätschernden Bächen und Kapokbäumen, wo noch nie ein Auto gefahren ist. Kanister mit Ammoniak und Schwefelsäure stehen herum, ein Sack Zement liegt auf der feuchten Erde.
In einer Tonne gärt das dunkelgrüne Gemisch, um das sich hier alles dreht. Wir stehen in Camilo Ospinas Kokainküche.
"Das Benzin dient als Lösungsmittel, dann ziehst du den Stöpsel und sammelst das abgelaufene Gemisch in einer anderen Tonne, dann kippst du Schwefelsäure dazu. Das ist die Säure, die man auch in Autobatterien verwendet", erklärt er.
Er weiß, dass er kriminell ist
Camilo Ospina ist 42, klein und kräftig, von sportlicher Statur. Und er heißt eigentlich ganz anders. Doch er weiß natürlich auch, dass es kriminell ist, was er hier, in seiner Dschungelküche kocht.
„Uns Kokabauern nennt die Regierung Drogenhändler, Terroristen und Guerilleros. Sie verfolgen uns, als wären wir das Allerschlimmste.
Aber wir sind doch keine bösen Menschen, wir machen das aus purer Not. Wie sollen wir denn überleben. Koka ist das Einzige, womit man hier Geld verdient.“
Aus einem Alutopf kratzt er schließlich eine weiße Masse, die aussieht wie bröseliger Kaugummi. Kokapaste, die Vorstufe von Kokain, jenem Stoff, für den auf der anderen Seite der Welt viel Geld bezahlt wird und der die Gewalt in Kolumbien weiter anheizt.
Trotz des Friedensvertrages, der vor fünf Jahren geschlossen wurde und den blutigen Konflikt zwischen Guerilla, Staat und Paramilitärs eigentlich beenden sollte.
"Die Regierung hat uns belogen"
Schon damals war klar: Das klappt nur, wenn Kolumbien das schmutzige Geschäft mit den Drogen in den Griff bekommt. Campesinos wie Camilo Ospina sollten umsatteln: Kaffee und Bananen statt Koka.
„Es gab ein Programm der Regierung. Dafür mussten wir unsere Kokapflanzen ausreißen. Sie versprachen uns Geld für neue Pflanzen, Samen und Projekte. Aber sie zahlten nur die erste Rate“, sagt er.
„Als ob wir davon ein neues Leben aufbauen könnten. Es gibt hier keine Straßen, keine Abnehmer, keine Märkte. Es gibt keine Politik für die Menschen auf dem Land. Die Regierung hat uns belogen.“
Bei der Regierung von Präsident Duque ist man auf Kritik vorbereitet. Die Verantwortung dafür würden allerdings die Vorgänger unter Präsident Juan Manuel Santos tragen, die den Vertrag mit der Farc-Guerilla aushandelten.
„Es wurde ein perverser Anreiz geschaffen“
Die hätten ein Programm zu Substituierung von Koka aufgesetzt, ohne die Finanzierung dafür sicherzustellen, sagt Emilio Archila, Präsidialberater für die Konsolidierung des Friedensprozesses:
„Es ist nicht möglich, eine landwirtschaftliche Produktion innerhalb dieser kurzen Zeit so aufzubauen, dass sie wirtschaftlich erfolgreich ist. Egal ob Kakao, Kaffee, Ananas oder Rinderzucht. Aber die Zahlen zeigen, dass wir auf einem sehr guten Weg sind.“
Laut dem aktuellen Report der Vereinten Nationen ist Kolumbien allerdings weiter der größte Kokainproduzent der Welt. Das Substituierungsprogramm sei von Beginn an falsch konzipiert, sagt Elizabeth Dickinson, Kolumbienexpertin der Nichtregierungsorganisation International Crisis Group.
„Anstatt darüber nachzudenken, wie man die Ursachen angeht, die dazu führen, dass die Bauern Koka anbauen, wurde durch die individuelle Zahlung ein perverser Anreiz geschaffen. Mehr Familien begannen, Koka anzubauen, um die Hilfszahlungen zu erhalten“, erklärt sie.
Der Staat sorgt nicht für Sicherheit
Das habe nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Kapazitäten des Staates gesprengt, den Familien technisch unter die Arme zu greifen. Kolumbien sei dabei, eine einmalige Chance zu verpassen, so Dickinson.
Man müsste die Bauern viel mehr einbeziehen. Auch die aktuelle Regierung habe da aber keine Ansätze.
„Währenddessen zerstört sie aber weiter Plantagen, oft mit Gewalt. Das hat jegliches Vertrauen in das Programm und den Friedensprozess insgesamt untergraben. Dazu drängen neue kriminelle Gruppen in die Territorien, denn der Staat war auch nicht in der Lage, für Sicherheit in den ländlichen Regionen zu sorgen“, kritisiert sie.
Von was sollten wir denn leben, während wir auf die Umsetzung warten, fragt Camilo Ospina. Seine kleine Holzhütte steht inmitten der Kokaplantage. Gekocht wird auf offenem Feuer: Bananen, Hühnchen, was sie hier mitten im Dschungel ebenso haben.
"Es gibt keinen Frieden"
Ospina zeigt auf den hinteren Teil der Plantage: gestutzte Sträucher. Vor Kurzem war eine Spezialeinheit der Drogenpolizei da und zerstörte ein Drittel seiner Pflanzen.
Außerdem kündigte die Regierung an, die Besprühung der Plantagen mit dem Unkrautvernichter Glyphosat wieder aufnehmen zu wollen. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, sagt der Kokabauer.
„Sie richten damit einen großen Schaden an, denn sie zerstören damit alles, nicht nur die Kokasträucher, auch unsere Bananen, unser Yukka, unsere Hühner werden krank. Und auf der anderen Seite stehen wir unter dem Druck der kriminellen Gruppen, die unsere Ware kaufen“, erzählt er.
„Sie drohen uns, wenn man dreimal verwarnt wird, ist das dein Grab, sagen sie. Die Regierung hat uns Frieden versprochen, aber sie greifen uns an. Wo bitte soll hier Frieden sein, es gibt keinen Frieden.“
Die Gewalt geht weiter
Ratschend zieht er die hellgrünen Blätter von den Stielen seiner neu gepflanzten Kokasträucher ab. „La mata que mata“, nennen sie das Pflänzchen hier, der Strauch, der tötet.
Fünf Jahre nach Abschluss des Friedensvertrages ist Kolumbien nach wie vor der größte Kokainproduzent der Welt – und die Gewalt, vor allem in den ländlichen Gebieten, geht weiter.