Kollateralschaden an der Fleischtheke
Vom Bio-Siegel bis zur Tierbefreiung. Die Schriftstellerin Karen Duve erzählt in "Anständig essen" von ihrem Versuch, ein besserer Mensch zu werden
Die Fakten zur Massentierhaltung sind bekannt. Die Frage ist, wie lange man sie verdrängen kann. Bis zum Dezember 2009 gelingt das der Schriftstellerin Karen Duve ganz gut. Dann kauft sie eine "Hähnchen-Grillpfanne" für 2,99 Euro. An der "Peripherie ihres Bewusstseins" meldet sich eine Stimme zu Wort, die sie an die Bedingungen erinnert, unter denen das Tier gelebt hat. Fernsehbilder fallen ihr ein, von kahlen Hühnern "mit teilamputierten Schnäbeln" - und Karen Duve beschließt, endlich "ein besserer Mensch zu werden".
Sie hat ihre Ernährungsgewohnheiten auf den Prüfstand gestellt, und der Bericht, den sie über diesen Selbstversuch veröffentlicht hat, liegt im Trend: Nach Jonathan Safran Foers Bestseller "Tiere essen" ist "Anständig essen" das zweite populäre Sachbuch zum Thema.
Es beginnt harmlos. Karen Duve kauft zunächst nur noch Bio-Produkte, und nach zwei Monaten hat sie vier Kilo zugenommen, weil sie beim Fleisch aus "artgerechter Tierhaltung" ordentlich zulangt. Doch auch Bio-Schweine werden "nicht totgestreichelt", wie sie lakonisch feststellt, und nachdem sie sich gründlich über den Einsatz von Bolzenschussgeräten und Elektrozangen informiert hat, wird sie zur Vegetarierin.
Damit beginnt die radikale Phase des Experiments. Karen Duve liest alles, was sie über die "ausbeuterischen Verhältnisse" zwischen Mensch und Tier in die Finger bekommt, von der letzten "Schrot & Korn" bis zu den Büchern des australischen Philosophen und Tierrechtlers Peter Singer. Als ihr dann noch ein einfühlsamer Landwirt erklärt, was es für eine Kuh bedeutet, von ihrem Kalb getrennt zu werden, nur um drei Jahre lang gemolken und dann geschlachtet zu werden, verzichtet Karen Duve auch auf Milch und andere Tierprodukte - und nimmt als Veganerin auf Probe sogar an einer nächtlichen Befreiungsaktion auf einem Hühnerhof teil.
"Manchmal muss man das Richtige tun. Auch wenn man schlechte Nerven hat, und die deutsche Gesetzgebung es für falsch hält."
Das könnte der kommende Aufstand sein: Karen Duve hat so viele Horrorgeschichten zwischen Mastbetrieb und Schlachthof gesammelt, dass man ihr sofort in die Illegalität folgen würde. Doch keine Angst: Zuletzt wird aus der Schriftstellerin keine militante Tierschützerin, sondern eine geläuterte Konsumentin, die den ethischen Kollateralschaden beim Einkauf so gering wie möglich zu halten versucht. Fleisch, Fisch und Milchprodukte, von allem wird sie in Zukunft deutlich weniger essen, und überhaupt will sie insgesamt weniger konsumieren.
Dieser Reflex hat bereits einmal Geschichte gemacht. Es war die "innerweltliche Askese", die laut Max Weber einst den Grundstein für den modernen Kapitalismus legte. Karen Duve liefert mit ihrem Selbstversuch eine zeitgemäße Variante des Konsumverzichts - das ist die zynische Lesart dieses eigentlich gut gemeinten Buches. Es zeigt uns, wie wir einem "Morast von Ausbeutung, Zerstörung, Ungerechtigkeit und Grausamkeit" trotz allem noch moralisches Kapital akkumulieren können: Es lohnt sich, keine Tiere mehr zu essen.
Besprochen von Kolja Mensing
Karen Duve: Anständig essen. Ein Selbstversuch
Verlag Galiani Berlin, 2011
333 Seiten, 19,95 Euro
Sie hat ihre Ernährungsgewohnheiten auf den Prüfstand gestellt, und der Bericht, den sie über diesen Selbstversuch veröffentlicht hat, liegt im Trend: Nach Jonathan Safran Foers Bestseller "Tiere essen" ist "Anständig essen" das zweite populäre Sachbuch zum Thema.
Es beginnt harmlos. Karen Duve kauft zunächst nur noch Bio-Produkte, und nach zwei Monaten hat sie vier Kilo zugenommen, weil sie beim Fleisch aus "artgerechter Tierhaltung" ordentlich zulangt. Doch auch Bio-Schweine werden "nicht totgestreichelt", wie sie lakonisch feststellt, und nachdem sie sich gründlich über den Einsatz von Bolzenschussgeräten und Elektrozangen informiert hat, wird sie zur Vegetarierin.
Damit beginnt die radikale Phase des Experiments. Karen Duve liest alles, was sie über die "ausbeuterischen Verhältnisse" zwischen Mensch und Tier in die Finger bekommt, von der letzten "Schrot & Korn" bis zu den Büchern des australischen Philosophen und Tierrechtlers Peter Singer. Als ihr dann noch ein einfühlsamer Landwirt erklärt, was es für eine Kuh bedeutet, von ihrem Kalb getrennt zu werden, nur um drei Jahre lang gemolken und dann geschlachtet zu werden, verzichtet Karen Duve auch auf Milch und andere Tierprodukte - und nimmt als Veganerin auf Probe sogar an einer nächtlichen Befreiungsaktion auf einem Hühnerhof teil.
"Manchmal muss man das Richtige tun. Auch wenn man schlechte Nerven hat, und die deutsche Gesetzgebung es für falsch hält."
Das könnte der kommende Aufstand sein: Karen Duve hat so viele Horrorgeschichten zwischen Mastbetrieb und Schlachthof gesammelt, dass man ihr sofort in die Illegalität folgen würde. Doch keine Angst: Zuletzt wird aus der Schriftstellerin keine militante Tierschützerin, sondern eine geläuterte Konsumentin, die den ethischen Kollateralschaden beim Einkauf so gering wie möglich zu halten versucht. Fleisch, Fisch und Milchprodukte, von allem wird sie in Zukunft deutlich weniger essen, und überhaupt will sie insgesamt weniger konsumieren.
Dieser Reflex hat bereits einmal Geschichte gemacht. Es war die "innerweltliche Askese", die laut Max Weber einst den Grundstein für den modernen Kapitalismus legte. Karen Duve liefert mit ihrem Selbstversuch eine zeitgemäße Variante des Konsumverzichts - das ist die zynische Lesart dieses eigentlich gut gemeinten Buches. Es zeigt uns, wie wir einem "Morast von Ausbeutung, Zerstörung, Ungerechtigkeit und Grausamkeit" trotz allem noch moralisches Kapital akkumulieren können: Es lohnt sich, keine Tiere mehr zu essen.
Besprochen von Kolja Mensing
Karen Duve: Anständig essen. Ein Selbstversuch
Verlag Galiani Berlin, 2011
333 Seiten, 19,95 Euro