Ein Vorschlag von "globaler Tragweite"
Französische Museen sollen afrikanische Objekte zurückgeben müssen, wenn sie nicht nachweisen können, dass sie sich zurecht in ihrem Besitz befinden. Der Wissenschaftler Jürgen Zimmerer spricht von einem Vorschlag, der Europa und Deutschland verändern werde.
Dieter Kassel: Begriffe wie "radikale Umstellung", "extremer Vorschlag", "Zeitenwende" werden heutzutage inflationär benutzt und sind dann meistens nicht angemessen oder sie bezeichnen etwas, was möglicherweise gar nicht passieren wird. Bei den Plänen, die Emmanuel Macron morgen offiziell vorstellen wird in Frankreich, trifft das aber alles zu, und was er sagt, wird vermutlich auch wirklich passieren. Es geht um einen völlig neuen Umgang mit Raubkunst, also mit Kunstobjekten, die sich in französischen Museen befinden, die aber eigentlich kulturell, ideell nach Afrika gehören. Im Kern besagt der Vorschlag, den er morgen verkünden wird, dass künftig jedes Objekt in französischen Museen, auf das ein afrikanisches Land – darum geht es im Kern, theoretisch natürlich auch von woanders her – Anspruch erhebt, umgehend zurückgegeben werden muss, wenn nicht das französische Museum selbst klar nachweisen kann, dass sich dieses Objekt zu Recht in seinem Besitz befindet. Das ist unter anderem natürlich auch eine Umkehr der Beweislast. Die afrikanischen Herkunftsländer müssen gar nichts mehr nachweisen. Das ist der Kern eines Vorschlags, der morgen verkündet wird. Dieser Kern und ein paar Einzelheiten sind schon heute bekannt, und deshalb können wir auch schon heute darüber mit Jürgen Zimmerer reden. Er ist Professor für die Geschichte Afrikas am Arbeitsbereich Globalgeschichte der Universität Hamburg und Leiter der Forschungsstelle "Hamburgs Postkoloniales Erbe". Schönen guten Morgen, Herr Zimmerer!
Jürgen Zimmerer: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Was halten Sie denn von diesem, wie es viele Zeitungen nennen, Radikalvorschlag in Frankreich?
Zimmerer: Es ist ein notwendiger Vorschlag. Er wird Deutschland, er wird Europa verändern. Nach morgen, nach der Bekanntgabe wird nichts mehr so sein, wie es war, und diese jahrzehntealte koloniale Amnesie aufgebrochen werden. Denn alle europäischen Länder werden sich im Grunde dazu positionieren und sich in diese Richtung bewegen. Man kann diesen Vorschlag in seiner Bedeutung, in seiner globalen Tragweite gar nicht überbewerten.
Kassel: Aber ist diese Handlungsanweisung praktisch umsetzbar? Manche schätzen ja, dass bis zu 90 Prozent der Objekte einzelner Museen in Frankreich dann zurückgegeben werden müssten. Das heißt, die Museen könnten ja dann eigentlich schließen.
Zimmerer: Das erste Entscheidende an dem Bericht, nach dem, was wir jetzt wissen, ist, dass überhaupt einmal Inventur gemacht wurde und geklärt wurde, dass die Museen tatsächlich zum Großteil aus kolonialen Objekten, die während der Kolonialzeit sich angeeignet wurden, bestehen, und dass man deshalb auch in der Bringschuld ist. Ob dann dadurch die Museen leer werden, das steht ja auf einem anderen Blatt. Es gibt ja auch Möglichkeiten, sich dann einen Teil der Objekte auszuleihen aus Afrika und weiter in Europa zu zeigen. Das heißt, es wird ja nur der jetzige Umstand umgedreht, dass Kunstwerke aus Afrika zu 90 Prozent in Europa zu sehen sind oder in den USA. Und es wird auch wieder ein Teil einfach in Afrika zu sehen sein, und es wird klar gemacht werden, dass Kolonialismus mehr war als nur Ausbeutung von ökonomischen Ressourcen, sondern eben auch von kulturellen Ressourcen, und dass das dringend wiedergutgemacht, wiederhergestellt werden muss, auch um Afrika als Kontinent und den einzelnen Ländern und Gesellschaften ihre Würde wiederzugeben.
"Deutsche Abwehrposition"
Kassel: Aber wenn Sie von Leihgaben sprechen, da werden natürlich vermutlich einige deutsche Museumsmacher sehr hellhörig und sagen, jawohl, genau das wollen wir ja machen. Bloß die meinen ja, die Kunstwerke bleiben gleich hier und werden als Leihgaben deklariert.
Zimmerer: Ja, genau. Die deutsche Position, das ist ja schon eine Abwehrposition. Deutschland hat ja durch das Herumgeeiere um das Humboldt-Forum hier die innovative, die avantgardistische Position verloren. Sagt, wir verleihen das zurück – das geht natürlich gar nicht. Wenn ich Ihnen Ihr Auto klaue und Sie mich da ertappen, dann kann ich ja auch nicht sagen, ich leihe es Ihnen wieder zurück, sondern wenn etwas gestohlen ist, muss es zurückgegeben werden. Mein Vorschlag wäre, zu sagen, ein Teil der Objekte bleibt in Europa als Leihgabe aus Afrika, und wir benennen das Humboldt-Forum um, zum Beispiel in Benin-Forum, um zu zeigen, dass die berühmtesten Kunstwerke aus Afrika, die Benin-Bronzen, eben geraubt wurden und jetzt aufgrund der Großzügigkeit von Benin und des Königshauses von Benin und der nigerianischen Gesellschaft und des nigerianischen Staates nun in Berlin gezeigt werden. Statt, dass wir uns groß in Pose bringen, wo wir großzügig einige Stücke, die wir wahrscheinlich selbst auswählen, dann nach Afrika zurückgeben.
Expertise auch für Humboldt-Forum nutzen
Kassel: In Frankreich hat der Staatspräsident eine französische Expertin und einen afrikanischen Experten damit beauftragt, entsprechende Vorschläge zu machen. Das ist das, worüber wir sprechen, was Macron morgen vorschlagen wird. In Deutschland, habe ich den Eindruck, sagt die Politik nur, im Prinzip müsste was geschehen und lässt dann die Museen selbst über Lösungen diskutieren. Ist das Teil des Problems?
Zimmerer: Das ist ein Teil des Problems oder auch ein zentrales Problem. Wenn Sie sich anschauen, Bénédicte Savoy war im Humboldt-Forum involviert, das heißt, Ihre Expertise, die jetzt weltweite Schlagzeilen schlägt, hätte man auch fürs Humboldt-Forum nutzen können. Stattdessen drang sie da nicht durch. Ich war selbst bei einer Expertenanhörung – man konnte reden, was man wollte, die vorherigen Intendanten haben einfach nicht zugehört. Die hatten ihre eigene Agenda, die haben sich gar nicht geöffnet, die haben gar nicht verstanden, wo diese postkoloniale Revolution eigentlich liegt und wie man das eigentlich angehen muss.
Bénédicte Savoy über ihr Buch "Die Provenienz der Kultur: Von der Trauer des Verlusts zum universalen Menschheitserbe" auf der Leipziger Buchmesse 2018:
"Beweislastumkehr ist zentral"
Kassel: Bénédicte Savoy, zur Erklärung, ist die französische Expertin, die eine Hälfte dieser Expertengruppe, die Macron beraten hat. Glauben Sie denn, Sie haben am Anfang gesagt, Herr Zimmerer, das ist etwas, was ganz Europa betrifft und ganz viel verändern wird – auch in Deutschland? Rechnen Sie damit, dass mittelfristig quasi das, was in Frankreich jetzt geschehen soll, in Deutschland auch passieren wird? Umkehr der Beweislast, konsequente Rückgabe von allem, was gefordert wird?
Zimmerer: Ja. Die Pläne, die Debatten, die wir im Moment haben von offizieller Seite, die dürften ab morgen Makulatur sein, und es ist das Jahr Null morgen. Wir müssen eigentlich neu beginnen. Die Beweislastumkehr ist auch in Deutschland seit mehreren Jahren auf dem Tisch. Die habe ich vor Jahren schon gefordert. Ich wurde verlacht. Aber nur so geht es*), weil diese Sammlungen sehr schlecht dokumentiert sind. Und wenn man sagt, wir geben zurück, was ihr als afrikanische Staaten beweisen könnt, dass es geklaut wurde, dann braucht man nichts zurückgeben, weil man das kaum beweisen kann. Man muss aber den Kolonialismus als Unrechtssystem als solches anerkennen und sagen, unter den Bedingungen des Kolonialismus wurde nun mal mit aller Wahrscheinlichkeit unter Druck und unfair erworben. Es sei denn, man kann im Einzelfall nachweisen, dass es doch ein fairer Handel war, ein freiwilliger Austausch. Das heißt, die Beweislastumkehr ist das zentrale Stück in diesem ganzen Politikwechsel.
Kassel: Professor Jürgen Zimmerer, unter anderem auch Leiter der Forschungsstelle Hamburgs Postkoloniales Erbe, über die konsequente Rückgabe unrechtmäßig erworbener Kulturgüter aus europäischen Museen, wie sie jetzt in Frankreich vorgesehen ist. Professor Zimmerer, vielen Dank für das Gespräch!
Zimmerer: Ich danke Ihnen!
*) Anmerkung der Redaktion: Hörprotokoll an dieser Stelle schlecht verständlich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.