Tausende Schädel lagern in Depots
Rund 8000 Schädel aus aller Welt lagern in den Depots der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Volksgruppen aus Kamerun, Ruanda oder Japan fragen nun nach dem Verbleib ihrer Ahnen. Doch bisher fehlt das Geld, um die Herkunft der Schädel zu ermitteln.
Vor fünf Jahren, im Jahr 2011, hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Luschan-Sammlung von der Berliner Charité übernommen, wo sie im medizinhistorischen Institut lange vor sich hingeschimmelt hatte. Noch unter der Ägide der Charité waren rund zwei Dutzend Schädel und Skelettreste von Herero und Nama an Namibia zurückgegeben worden, außerdem 47 Aborigine-Schädel an Australien. Die Vorarbeiten dazu hatte ein DFG-gefördertes Forschungsprojekt zu Human Remains, also menschlichen Überresten, an der Charité geliefert, das 2013 auslief. Doch was die Erforschung der Herkunft der restlichen zwei- bis dreitausend Schädel der Luschan-Sammlung betrifft, die laut Stiftungspräsident Parzinger vermutlich aus kolonialem Kontext stammen, da ist seit 2011 wenig geschehen.
"Wir haben einen Bestand von mehreren Tausend Schädeln übernommen, die in einem sehr schlechten Zustand waren, wir haben die gereinigt, wir haben die untergebracht in einer trockenen, angebrachten Umgebung, und das hat einige Jahre gedauert. Was wir die letzten circa zwölf bis 16 Monate gemacht haben, wir haben zum ersten Mal diesen Bestand fotografisch dokumentiert, da sind wir jetzt nahezu fertig damit. Und sind jetzt dabei, eine Datenbank aufzubauen, damit wir überhaupt wissen, was wir damals von der Charité übernommen haben und eigene Listen haben",
erklärt Bernhard Heeb, der als wissenschaftlicher Kurator beim Museum für Vor- und Frühgeschichte für die Schädel zuständig ist. Sicher, alles wichtige Vorarbeiten – doch die preußischen Mühlen mahlen langsam.
Regale voller Schädel in den Depots
Den großen Durchbruch gab es noch nicht, fasst Andreas Eckert, Historiker und Afrikawissenschaftler an der Humboldt-Universität, die Lage zusammen. Der politische Druck wächst. Offizielle Rückgabeforderungen gibt es aus Namibia, Australien, Neuseeland, aber auch Volksgruppen aus Kamerun, Ruanda, Japan fragen nach dem Verbleib ihrer Ahnen. Auch im Hinblick auf das Humboldt-Forum sind die Regale voller Schädel in den Depots eher eine Last. Allein rund 1000 Schädel stammen aus der ehemaligen deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika, in der mit der Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstands der blutigste Kolonialkrieg der Kolonialgeschichte stattfand. Bei seinem Besuch in Tansania vor zwei Wochen wurde Parzinger auch damit konfrontiert:
"Am Rande ist auch nach Human Remains gefragt worden. Man wusste, dass wir einen Teil der Schädelsammlung haben, dass es in Deutschland große Schädelsammlungen gibt, und das ist natürlich für die Länder dort ganz wichtig, und da muss ich ganz klar sagen, das ist etwas, was wir auch nicht unbedingt hier weiter haben wollen."
Doch die Provenienzrecherche kommt auch deswegen nicht voran, weil die Politik die nötigen Mittel nicht bereitstellt. Das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg, das die Museen bei der Erforschung der Herkunft von Objekten aus NS-Zeiten unterstützt, fühlt sich für Human Remains aus der Kolonialzeit nicht zuständig. Für die Erforschung von 1000 Schädeln aus Ostafrika hat das Museum für Vor- und Frühgeschichte daher einen Forschungsantrag beim Bundesforschungsministerium eingereicht. Doch der wurde vor Kurzem abgelehnt. Begründung: Provenienzrecherche werde nicht gefördert. Wir sitzen zwischen allen Stühlen, klagt Bernard Heeb. Hoffnung gibt es noch für ein Projekt in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena für etwa 1000 Schädel aus Papua-Neuguinea und dem Pazifikraum.
Provenienzrecherche als Beifang
Die Forscher wollen anhand der genetischen Analyse der Schädel die Besiedelungsgeschichte der pazifischen Inseln rekonstruieren. Dafür sind die Human Remains aus der Kolonialzeit, die noch vor den großen Migrationen des 20. Jahrhunderts gesammelt wurden, Gold wert. Die Provenienzrecherche ist da eigentlich nur der Beifang, denn ohne dass die Herkunft geklärt ist, darf an den Schädeln nicht geforscht werden. Doch noch steht die Förderzusage der Deutschen Forschungsgemeinschaft aus. Langfristig müsse eine größere, politische Lösung her, fordert Parzinger:
"Vielleicht müsste man, Berlin ist ja nicht der einzige Standort, der über solche Human Remains verfügt, dass man vielleicht mal vom Forschungsministerium eine Förderlinie bereitgestellt würde, wo man sich einfach mal mit verstärktem Mitteleinsatz über ein paar Jahre wirklich diesem Thema unter Nachdruck widmen kann, um das einfach auch aufzuarbeiten."
Viele Schädelsammlungen würden das wohl begrüßen. Und sei es nur im Sinne der Klarheit für die weitere Forschung. Denn die Schädel, morbide oder nicht, sind für die moderne Biogenetik wieder von größtem Interesse.